Kim Jong Un bringt frischen Wind — Vorsichtiger Erneuerer an Nordkoreas Spitze?

Eben habe ich auf der Seite von Radio Free Asia (RFA), einem Radiosender, der von der US-Regierung finanziert wird, einen Bericht gelesen, den ich sehr bemerkenswert fand (oder vielmehr, dass der Bericht nicht bei KCNA zu lesen war). Thema des Berichts ist der neue „Führungsstil“ Kim Jong Uns.

Kim Jong Un macht echte Überraschungsinspektionen

Unter Berufung auf eine Quelle in Nordkorea (was natürlich immer zur Folge hat, dass man den Bericht vorsichtig behandeln muss (denn auch ein geschicktes Propagandamanöver wäre nicht undenkbar)) schreiben die Autoren, dass Kim Jong Un bei seinen Vor-Ort-Anleitungen wesentlich von dem Vorgehen seines Vaters abweiche. Anders als Kim Jong Il besuche Kim Jong Un nicht nur die geplanten „Etappenziele“ sondern mache echte Überraschungsinspektionen. So sei er beim Besuch einer Militäreinheit in ein Gebäude gegangen, das nicht für seine Besichtigung „vorbereitet“ worden sei und habe dort unterernährte Soldaten gefunden. Sehr erzürnt habe er den Kommandanten der Einheit bestraft und die Soldaten zur Behandlung nach Pjöngjang geschickt. In einem anderen Fall habe er in Hamhung überraschend das Zuhause einer Familie besucht und sei entsetzt über die knappen Rationen der Menschen gewesen.

Passt zu KCNA Berichterstattung

Diese Berichte passen zusammen mit der Darstellung Kim Jong Uns in den KCNA-Berichten. Hier sei nur erinnert an den ziemlich aus dem (Berichterstattungs-)Rahmen fallenden Zwischenfall beim Besuch des Mangyongdae Freizeitparks, als er laut KCNA die Verantwortlichen ziemlich zusammenfaltete und die Spitzen seines Regimes abstellte, die Instandsetzung des Parks zu überwachen. Auch der Fokus der Berichterstattung über seine Vor-Ort-Anleitung auf sein Interesse für die alltäglichen Lebensumstände der Menschen (Sätze wie: „Er fühlte mit seinen eigenen Händen wie hart die Matratze war“ findet man recht häufig) fiel mir in der Vergangenheit auf, allerdings dachte ich, dass es sich dabei eher um propagandistische Imagebildung handelte.

Kim Jong Un und die Menschen seines Landes: Ehrliches Interesse? Man weiß es nicht

Kim als „Erneuerer“ oder als Marionette?

Glaubt man allerdings dem Bericht von RFA, dann würde der junge Kim tatsächlich einen frischen Wind mitbringen. Er würde glaubwürdiger das Bild eines Führers kommunizieren, dem das Wohl der Bevölkerung am Herzen liegt und gleichzeitig würde er sich aufgrund dieser Priorität auch mit Teilen seines Regimes anlegen. Das führt zu einer weiteren Überlegung. Denn gemeinhin wird angenommen, dass der junge Kim nicht allzuviel Entscheidungsspielraum habe und zu großen Teilen nach dem Willen seines Führungsteams handeln müsse. Hätte er aber dann so viel Spielraum, dass er anhalten könnte wo er will und dann Kommandanten von Militäreinheiten bestrafen könnte? Es ist möglich. Nämlich dann, wenn seine Propagandisten einigermaßen geschickt dabei wären, ihm das Bild eines Volksnahen Führers anzudichten. Danach würde er eben doch nicht anhalten wo er will, sondern einem Plan folgen, der nur wenigen bekannt ist und der daher sein Handeln „echt“ aussehen lässt. Genausogut wäre es aber auch möglich, dass er sich die Freiheiten tatsächlich nimmt und eine mehr oder weniger weitgehende Erneuerung der Führungsmentalität in seinem Land wünscht.

Aber ist das nicht egal?

Eine weitergehende Frage ist, ob das überhaupt einen großen Unterschied machen würde. Ob der junge Kim nun aus eigenem Antrieb und Willen als „Erneuerer“ handelt (allerdings in der direkten Traditionslinie zum Alten, zu seinem Großvater und den Anfängen seines Landes) oder ob er von einem Führungsteam als solcher ins Rampenlicht gestellt wird und er an den Fäden einiger Militärs und seines Onkels hängt, wäre das nicht im Endeffekt egal? Beide Optionen erfordern irgendwann zwingend Änderungen, denn ein Erneuerer, der nicht erneuert, dessen Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung ist schnell wieder weg und das wird man auch in Pjöngjang wissen. Vor allen Dingen, da diese Hoffnungen in seine Person und sein Agieren als Erneuerer dem Regime vermutlich als neue Quelle der Legitimität dienen sollen. Wenn man diese Legitimität aber nicht durch manifeste Verbesserungen stützt, dann ist sie schnell wieder weg und dann kann es auch für das Regime in Pjöngjang eng werden.

Chance ergreifen! – Neustart wagen!

Naja, ich bin jedenfalls sehr gespannt, ob es auch in nächster Zeit Zeichen geben wird, die auf einen neuen Wind in Pjöngjang hindeuten. Es gibt zwar gleichzeitig auch Signale, die auf ein „weiter so“ hindeuten, aber zum Abschluss noch eine kleine Frage: Hätte denn ernsthaft jemand geglaubt, dass sich Kim Jong Un ein paar Tage oder Wochen hinstellt, freie Wahlen verkündet, ein McDonalds in Pjöngjang eröffnet und UN Inspektoren in die Straflager einlädt? Nein! Wenn er etwas ändern will und kann, dann muss er das vorsichtig und langsam tun. Signale für solche Änderungen gibt es.

Vielleicht sollte man in westlichen Staaten darüber nachdenken, ihn bei diesen vorsichtigen Änderungen zu unterstützen und einen ehrlichen Neustart zu versuchen. Denn wenn man es nicht wirklich probiert, dann wird man auch nicht rausfinden können, was er vorhat und ob er überhaupt irgendwas zu sagen hat. Aber zu einem ehrlichen Neustart gehört es eben auch, ihm Spielraum zu lassen und ihn nicht zu erpressen. Denn wenn er etwas zu sagen hat, dann ist er doch auf keinen Fall in der gleichen Machtstellung wie sein Vater. Das heißt er muss Entscheidungen vor seinen Leuten in der Heimat vertreten können. Wenn die relevanten Staaten (besser früher als später) auf das Kim Jong Un Regime zugingen, dann wäre das sicherlich eine Möglichkeit, die Gemengelage nachhaltig zu ändern oder zumindest zu erfahren, ob das möglich ist. Wenn man aber weiter mit Druck agieren will dessen einziges Ziel es eigentlich sein kann, das Regime in die Knie zu zwingen, dann wird man es nie erfahren. Denn auf den Druck muss der junge Kim, ob er will oder nicht, irgendwann ähnlich reagieren wie sein Vater. Und dann müssten sich die westlichen Staaten vorwerfen, dass sie Kim Jong Un zu einer jüngere Version seines Vaters gemacht haben. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass die westlichen Staaten zumindest den Versuch riskieren würden, denn dass die letzten Jahrzehnte des Umgangs mit Nordkorea zutiefst unbefriedigend waren, ist wohl allen klar. Und eine vielleicht einmalige Chance verstreichen zu lassen, weil es gerade politisch nicht so passt, wäre auf die lange (historische) Perspektive totaler Wahnsinn. Vielleicht besteht hier auch ein Chance für die EU-Staaten, erste Verbindungen zu knüpfen, bis man in Seoul und Washington aus der Wahlkampstarre erwachen und ernsthafte Außenpolitik machen kann.

6 Antworten

  1. Etwas, das mich bei Schauen von Kim Jong Un sehr befremdet hat, war der starke Eindruck von persönlicher Schwäche, den er mir vermittelt hat. Er wirkte schwächer als jeder mir bekannte Politiker. Er schaute beim Halten der Rede kaum auf, seine Stimme wirkte schwach.

    Ist das etwas, das man von ihm erwarten darf, als Sohn, oder ist das eine auf etwas anderes zielende Inszenierungsstrategie? Oder unabsichtlich?

    • Hallo Fremder und danke für den Kommentar.
      Natürlich habe ich keine Ahnung, wie der junge Kim sich fühlt, wenn er eine rede hält und ob etwas mit dem Anschein der Schwäche, dass du gesehen hast, bezweckt werden soll. Allerdings kann man einige allgemeine Überlegungen anstellen:
      War sein Vater nicht schwächer? Der hat nie vor Leuten gesprochen. Das ist eine noch schwierigere Sache wie ich finde.
      Ist Kim Jong Un ein Politiker? Von seiner Position her auf jeden Fall. Aber von seinem Werdegang her? Er stand nie im Rampenlicht und hält plötzlich Reden vor ein paar Hudnerttausend Leuten. Das muss man erstmal bringen. Er tut das. Aber er ist eben auch nur ein relativ junger Mensch, der noch viel lernen und viele Erfahrungen sammeln muss. Daher könnte die Wahrgenommene Schwäche kommen.
      Man könnte auch überlegen, ob seine Darstellung mit Stärken und mit Schwächen in das Bild eines „menschliche Führers“ das von ihm gezeichnet wird, passen könnte und dass man sich daher nicht so sehr bemüht, seine Schwächen wegzuretuschieren und wegzutrainieren. Aber das ist rein spekulativ. Man kann im Endeffekt nicht wissen, was dahinter steckt.

    • Die Gesamtinszenierung von Kim Jong Un kann man vielleicht als „back to the roots“ bezeichnen kann. Auch bei den Reden ist der Enkel seinem Großvater zum Verwechseln ähnlich:

      • Z.t. würde ich da zustimmen, aber ich würde nicht sagen, dass er als Kopie aufgebaut werden soll, sondern als so ne Art Kim Il Sung 2.1 verbesserte und modernisierte Auflage. Ich glaube es soll geleichzeitig die Erinnerung geweckt, aber auch die Hoffnung auf Veränderung genährt werden.
        Für die Stimme muss der junge Kim aber noch ein paar Marlboros qualmen…Aber ein alter Cowboy wird man auch nicht von allein, da muss man hart für arbeiten.

  2. erstmal toller Blog, sehr informativ. Ich werde auch nicht so schlau aus den Bildern die ich auch auf einem guten Youtube-Kanal (http://www.youtube.com/user/stimmekoreas) gesehen habe. Kim Jong Un´s Führungsstil ist schon lockerer. Er lacht mehr und bewegt sich halt seinem Alter entsprechend. M.E. versucht er oder die Propaganda ihn als Kim Il Sung „Double“ aufzubauen. Rein optisch ähnelt er ja sehr stark seinem Opa und auch die Propagandafotos und Filme entsrechend fast 1:1 Aufnahmen mit Kim Il Sung. Ich hoffe das irgendwann die alte Garde abtritt und er wirklich einen neuen Weg versucht.

    Gruß von Frank

    • Hey Frank,

      vielen Dank! Freut mich, wenns dir gefällt.
      Ich denke auch, dass ein Bild Kim Jong Uns erzeugt werden soll, das ihn klar von seinem Vater abhebt und ihn eher in die Tradition des Opas stellt.
      Aber ich denke nicht, dass er zum Duplikat aufgebaut werden soll, sondern eher als modernisierte Version. Kann sein, dass wir da kleiner Unterschiede sehen werden.
      Eigentlich ist es auch sehr vernünftig, sich mehr auf Kim Il Sung als auf Kim Jong Il zu beziehen. Schon Kim Jong Il hat ja einen bedeutenden Teil seiner Legitimität aus der Tatsache gezogen, dass er der Sohn Kim Il Sungs war. Warum sollte der junge Kim dann für seine Legitimität den Umweg über den Papa machen und seine eigene Legitimität nicht vom Großvater beziehen, gerade wo die Bedingungen (was das Aussehen und vielleicht auch den Habitus angeht (der kann aber auch antrainiert sein) dafür ja fast ideal sind. Außerdem war Kim Jong Il wohl nicht gerade ein Sympathieträger (Selbst wenn man sowas nicht denken darf in NK, dürfte das den Leuten irgendwie aufgefallen sein). Naja, ich bin auf Kim Jong Uns erste Aulandsreise gespannt. Vielleicht geht es ja nach Südostasien um Unabhängigkeit zu demonstrieren? Das wäre doch was (aber auch ein ganz schöner affront). Oder er fährt nicht mit dem Zug. Auch das wäre mal was.

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