„Das Gehirn eines Irren“ BILD-Reportage zu Nordkorea

Unser aller liebstes Blatt, die Zeitung mit den vier großen Buchstaben hat es scheinbar tatsächlich geschafft, einen Reporter nach Nordkorea zu schicken um sich einen etwas näheren Eindruck von dem Land zu machen. Und da dieses Blatt seit Jahrzehnten für differenzierte fehlerfreie und politisch neutrale Information steht und unsere Medienlandschaft auch schonmal um- vom medialen Mainstream totgeschwiegenen – Themen wie UFO-Landungen oder mehrköpfige Tiere bereichert, kann ich mir den Anlass natürlich nicht nehmen lassen, ein paar Worte dazu zu schreiben. Ein BILD Reporter war in Nordkorea. Wir alle kennen BILD, daher kann ich mir eine Einführung wohl sparen (bevor ich wieder ins Fabulieren gerate).

Der Autor der Serie, Julian Reichelt (sollte es wen interessieren (Wie ich sehe hat sich der BILDblog auch schonmal Reichelts Werk gewidmet)), hat so einiges in Nordkorea gesehen und erlebt (zumindest schreibt er das) und dementsprechend hat BILD daraus eine dreiteilige Serie gemacht. Als ich den ersten Artikel dazu las, war ich beeindruckt, wie differenziert Autoren der BILD doch formulieren können. Kein einziges Mal wurde Kim Jong Il mit Attributen wie: „Der irre Diktator“ versehen und auch darüber, dass Kim Jungfrauenblut trinke, um ewig jung zu bleiben, wurde nicht berichtet. Weiterhin beeindruckte mich die Fähigkeit des Autors, in blumiger, fast schon lyrischer Sprache leere Phrasen an den Mann zu bringen. Vermutlich gehören mehrere Lektionen in Pathos zur Standardausbildung eines jeden BILD-Reporters. Beispiele gefällig?

Ich sah graue Gestalten durch die kalten Schatten gigantischer Hochhausstädte huschen.

Ich habe ein Land gesehen, das wie ein Ufo der Wirklichkeit dieser Welt entschwebt ist.

Manche Sätze sind so eisig, dass man sie sich nicht aufschreiben mag als Reporter. Sätze wie Strahlenwind.

Naja, manchmal kommts mir allerdings vor, als wäre der Autor von ner deftigen Portion dieses „Strahlenwindes“ getroffen worden (was auch immer das genau sein soll…). Neben den üblichen Beobachtungen (die auf die Gewehre aufgepflanzten Bajonette scheinen es ihm besonders angetan, aber stimmt schon, sowas benutzt ja außer der nordkoreanischen nur ungefähr jede Armee der Welt…; weiterhin gibts die üblichen Verkehrspolizistinnen, die den Verkehr regeln, leere Straßen, Märkte etc.) hat Reichelt aber auch einige Fakten in seinen Berichten, die es sonst selten in Reisereportagen zu lesen gibt. Neben dem ständigen zitieren von Diplomaten und anderen Experten (wobei er natürlich nicht vergisst den Anschein zu erwecken, als habe er diese persönlich befragt (immerhin bleibt Kims vorgeblicher ehemaliger Sushi-Koch außen vor)) ist ein besonderes Highlight des Berichtes ein Zusammentreffen mit einem Minister(!), der seinen Namen allerdings nicht in der BILD lesen wollte. Trotzdem hat er aber höflich die Fragen des Reporters zu Nordkoreas Atomprogramm beantwortet (Womit Reichelt der internationalen Staatengemeinschaft vermutlich einiges voraus haben dürfte). Und natürlich hat der Minister es sich nicht nehmen lassen, abschließend dekadent mit dem Reichtum der Eliten zu protzen, indem er allen Champagner einschenkte und als wäre das noch nicht genug, das zynische Kommentar „Auf den Sozialismus! Denn Sozialismus ist Leben!“ hinzufügte. Respekt Herr Reichelt! Oder ist Ihnen da der Strahlenwind durchs Hirn geweht?

Dass Reichelt auch ein paar falsche oder Halbwahre Gerüchte als Fakten hinstellt überrascht natürlich nicht. Nein, Nordkorea baut keinen Nuklearreaktor in Myanmar und Nein, Nordkorea fälscht definitiv nicht 100 Dollar Noten im Wert von 500  Millionen US Dollar jährlich. Naja und wie viele Iraner wirklich in seinem Flugzeug nach Pjöngjang saßen, wie viele hungernde und zwangsarbeitende Menschen Reichelt gesehen hat (Nordkorea ist eigentlich nicht bekannt dafür, solche Bilder (ach, vermutlich hatte Reichelt zu diesen Anlässen seine Kamera nicht dabei, sondern nur an den Stationen der Standard-Touri-tour, denn außer den Standard-Fotos gibts nichts zu sehen) Reportern zugänglich zu machen) und wie viele leeren Ställe er besucht hat, dass weiß ich natürlich nicht so genau, aber Reichelt hat das Glück, dass das außer ihm wohl niemand weiß… Was mich an der ganzen Sache nur wundert, ist das er nicht noch ein  Interview mit Kim Jong Il gemacht hat (Wertvolle Tipps wie man das ohne Teilnahme des Interviewten realisieren kann, hat kürzlich der wirklich lesenswerte Postillion veröffentlicht). Aber das Gespräch mit dem Minister war ja schonmal ein erster Schritt in diese Richtung.

Naja, alles in allem kann man die Berichte lesen. Und wenn man ähnlich aufmerksam auf zweifelhafte Informationen Lügen und Halbwahrheiten aufpasst wie bei der Lektüre von KCNA, dann gibt es vielleicht die eine oder andere interessante Info zu finden (Ich hab mich ja zum Beispiel kürzlich über die niedrige Scheidungsrate in Nordkorea gewundert. Hierzu gibts in den Artikeln ne durchaus glaubwürdige und einleuchtende Erklärung). Aber am besten ihr schauts euch selbst an, nachdem ich (fast kommentarlos) mit den Worten des Autors geschlossen habe (übrigens in original fetten BILD-Lettern gecopypasted): „Man fühlt sich, als würde man im Gehirn eines Irren spazieren gehen“

Teil 1: Nordkorea — Bild-Besuch im verbotenen Land

Teil 2: Kinder lernen mit Raketen rechnen

Teil 3: Wie gefährlich ist das Atom-Reich wirklich?

2 Antworten

  1. Schluss mit den lustigen Taschenbüchern 😉

    Es mehren sich mal wieder die Sorgen um den Gesundheitszustand des geliebten Führers, auch wenn sie wie üblich alle Medien auf eine Quelle berufen.

    http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~EFD4C1E055CAA4941BF6D54CD05099871~ATpl~Ecommon~Scontent.html

    http://nkleadershipwatch.wordpress.com/2010/03/25/another-report-of-kji-kidney-trouble/

    Damit verbunden brodelt auch die Gerüchteküche um die Nachfolgeregelung, angeblich werden bereits die mittleren Ebenen der Partei eingeschworen.

    • Da warte ich lieber mal ne Runde ab. Mich wunderts immer, dass immer noch was in der Gerüchteküche drin ist, das brodeln kann, eigentlich müsste das langsam mal alles verkocht sein. OneFreeKorea hat diesbezüglich vor n paar Monaten und die recht witzige Kategorie „Kim Jong Il Death Watch“ eingeführt ich glaub da ist man schon gut im zweistelligen Bereich. Ich versuche mich nicht von nordkoreanischer Propaganda leiten zu lassen und genauso halte ich es mit der südkoreanischen (schlimmer ist nur das was von japanischen Zeitungen kommt, die scheinen einen eigenen Nordkorea-Gerüchteentwickler-Stab zu beschäftigen). Wenn sich da mal was Stichhaltiges ergibt werde ich auf den Zug aufspringen (außerdem kann man die Gerüchte ja immer recht gut in den deutschen Zeitungen nachlesen, dass brauch ich ja ncht zu replizieren)…

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