Die Ökonomie des Notierens —Von der Bedeutung von Kim Jong Ils Worten und ihrer ungewöhnlichen Wertschätzung in seiner Gefolgschaft

Eine Frage, die ich mir schon seit einiger Zeit stelle und die ich bisher nicht für mich befriedigend beantworten kann, ergibt sich aus den Fotodokumentationen von Kim Jong Ils Vor-Ort-Anleitungen. Wenn man sich seine Begleiter auf diesen Bildern so anschaut, dann könnte dies schnell zu der Vermutung führen, dass eines der Hauptprodukte der nordkoreanischen Wirtschaft kleine Notizbücher sein müssen. Eigentlich hat immer jedes Mitglied der Entourage (also nicht nur die örtlichen Funktionäre und Manager, sondern auch die hochrangigen Kader) einen solchen Block in der Hand und ganz schön häufig schreiben sich alle gleichzeitig etwas auf.

Kim Jong Il gibt eine Vor-Ort-Anleitung im Ryongjin Obstbaubetrieb

Allzeit bereit zum notieren..

Kim Jong Il gibt der Raknang Basis-Plastikgüterfabrik behinderter Soldaten eine Vor-Ort -Anleitung

...sogar auf Gruppenfotos...

Kim Jong Il gibt Vor-Ort-Anleitung im Fleischgeschäft in der Pothongmum Straße

...und man notiert...

Kim Jong Il gibt Vor-Ort-Anleitung auf Obstbaubetrieb und neuer Obstverarbeitungsfabrik

...nur...was?

Da muss der Verbrauch doch ganzschön hoch sein. Meine Frage bezieht sich allerdings nicht so sehr auf den Bezugs- oder Produktionsweg der Notizblöcke, sondern auf die Inhalte, die sich die Funktionäre da notieren. Ich kann mir einfach nicht so recht vorstellen, was Kim Jong Il immer zu sagen hat, das so wichtig ist, dass es sich alle anwesenden notieren müssen.

Wenn man sich die Bilder so anschaut, dann habe ich wirklich Schwierigkeiten mir vorzustellen, was er in diesem Moment so weltbewegendes gesagt haben kann? Hat er auf dem dritten Bild einen Witz gemacht, den sich alle merken wollten und daher mitschrieben? Und auf dem vierten Bild? Hat er gesagt, dass ihm die Verpackung nicht zusagt? Oder hat er etwa so etwas gesagt wie:

The appearance of the country is changing day by day thanks to the dynamic drive for a great surge across the country and this remarkable change confidently heralds a bright future of a powerful nation to appear in the near future. [Die Erscheinung des Landes wandelt sich Tag für Tag dank der dynamischen Bewegung für eine große Aufwallung im ganzen Land und diese bemerkenswerte Veränderung deutet voller Zuversicht den Weg in eine strahlende Zukunft einer mächtigen Nation, die in naher Zukunft erscheinen wird.]

In order to increase the fertility of soil in the orchards of the farm it is necessary to make an effective use of circular production system of fruit growing and stock breeding, stock breeding and fruit growing, he noted, underlining the need to revitalize the management of the Taedonggang Pig Farm and apply more organic compound fertilizers to orchards. [Um die Fruchtbarkeit des Bodens in den Plantagen des Betriebs zu steigern ist es notwendig, das zirkuläre Produktionssystem (den Fruchtwechsel? abwechselnde Nutzung des Bodens) des Obstwachstums und der Baumzucht, Baumzucht und Obstwachstum effektiv zu nutzen, sagte er. Er unterstrich die Notwendigkeit das Management der Taedonggang Schweinefarm zu revitalisieren und mehr organischen Dünger auf den Plantagen zu nutzen.

Solche Ratschläge gibt er jedes Mal, wenn er eine solche Anleitung macht. Und wenn die Manager der Fruchtplantagen, Schweinefarmen und Minen des Landes tatsächlich darauf angewiesen sind, dass Kim Jong Il vorbeikommt und ihnen die Grundlagen ihres Jobs erklärt, dann wäre das zwar eine Erklärung für die wirtschaftliche Situation des Landes, aber dann hätte das Regime wohl nicht so lange durchhalten können.

Ich meine, natürlich kann es sein, dass Kim Jong Il irgendwelche Ziele für den Ort seiner Anleitung festlegt oder seinen Begleitern Anweisungen gibt, Materialien oder ähnliches zur Verfügung zu stellen. Aber das muss doch nicht jeder mitschreiben…

Ganz ehrlich gesagt kann ich mir eigentlich nur vorstellen, dass alle mit Notizblöcken rumlaufen, weil sich das so gehört. Wahrscheinlich weiß jeder, dass vermutlich auch auf der nächsten Anleitung kein extrem wichtiger Geistesblitz zu Tage gefördert wird. Aber es weiß eben auch jeder, dass es besser für ihn ist, so zu tun, als würde auf jeder Anleitung mindestens ein unglaublicher Geistesblitz zustande kommen. Vermutlich ist auch das Mitschreiben hauptsächlich eine Art Ehrenbezeugung gegenüber Kim, von dem auch ganz alltägliche Worte, für jeden einzelnen und den ganzen Staat extrem wichtig sein können.

Wenn jemand sich mit dem Aufschreibritual auskennt, (gab es das in der DDR auch so?) würde es mich sehr freuen, wenn er mir aus meiner Unwissenheit helfen kann…

11 Antworten

  1. Folgendermaßen es wird gehandhabt in unsere große Nation: Die Notizen werden gemacht weil das Wort von Oberste Führer hat Gesetzeskraft, oberste Führer wird besichtigen Kombinat zum wiederholten Mal, wenn Worte von oberste Führer nicht eingehalten, es wird geben Sanktionen zu Kombinat.

    Mit Grüße

    Frau Suk
    Freundeskreis Nordkorea

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  2. Und was ist wenn Kim während so einer Vor-Ort-Anleitung mal einen Arbeiter anfasst? Verschwindet der dann auch in einem Glaskasten?

    ^^

  3. Danke für eure Erläuterungen und Vertiefungen, das erklärt einiges, wenn auch aus meiner Sicht leider noch nicht alles. Jedenfalls sehr interessant, dass die Vor-Ort-Besichtigungen Kims auch noch andere ökonomische Auswirkungen haben, außer der Blockproduktion…Fast er Großmaschinen (ich meine, wenn man in so ner Miene erst ne Glaskuppel um nen Kohlebagger bauen muss…) dann bewusst nicht an?
    @Andreas: Das klingt logisch, dass dieser Unterschied zwischen DDR und NK zu dieses besondere Ritual in NK erklären hilft.
    @Stefan: Wie ist das denn mit den höheren Kadern des Regimes. Ich meine, die haben vermutlich eine „pragmatischere“ Haltung gegenüber Kim und sind ja auch öfter dabei und wissen ja ungefähr was er sagt. Könnte die Mitschreiberei da nicht eher Inszenierung aus Vorbildfunktionsgründen sein?

    • „…@Stefan: Wie ist das denn mit den höheren Kadern des Regimes. Ich meine, die haben vermutlich eine „pragmatischere“ Haltung gegenüber Kim und sind ja auch öfter dabei und wissen ja ungefähr was er sagt. Könnte die Mitschreiberei da nicht eher Inszenierung aus Vorbildfunktionsgründen sein?“

      Ja, das ist wahrlich die springende Frage:
      Haben die Notierer ein eher amikables Verhältnis zum Kim II. und inszenieren das Ganze nur, um den Staatsvolk die richtigen konfuzianischen Verhaltenweisen stets vor Augen zu führen, oder, haben die die Hosen so voll, dass sie zwecks Autounfallvermeidungsstrategie prophkylaktisch zum Notizblock greifen ?

      • Was Kim Jong Il sagt, ist halt Gesetzt. Anscheinend gehört das Mitschreiben dazu. Wer es nicht tut, macht sich vermutlich verdächtig, und da keiner gerne plötzlich in irgendwelchen Arbeitslagern verschwinden will, machen alle mit.

        • Das Ding ist ja nur, dass Kim Jong Il auch weiß, dass er kein Gott ist und dass er die hochrangigen Leute die da rumstehen auch irgendwie braucht. Die Leute die mitschreiben wissen das ja auch irgendwie, also wissen beide Seiten was läuft. Warum müssen sie das also? Ich kann mir höchstens vorstellen, dass den Niederrangigen ein gutes Beispiel gegeben werden soll.

          • Es ist schon richtig, Kim Jong Il weiß das er kein Gott ist und die hochrangigen Funktionäre wissen das auch und beide Seiten wissen um die tatsächliche Beschränktheit des Regimes…
            Das ändert aber nichts daran, dass eisern an dem Staats- und Parteimythos festgehalten wird. Bei solchen Beispielen wird deutlich, dass wir es in Nordkorea immer auch mit quasi religiösen Momenten zu tun haben.

            Einschub: Immer noch hält die katholische Kirche an der Aussage fest, dass sich durch die Konsekration Brot und Wein mit der ganzen Substanz in die Substanz des Leibes Christi und seines Blutes verwandeln. – das ist reine Glaubenssache und muss sich nicht an Tatsachen orientieren…

            Was würde passieren, wenn die Notizbücher verschwinden? Das würde ja bedeuten, dass nicht alles was Kim Jong Il so den Tag über von sich gibt epochal, wegweisend und genial ist… Es müssten dann ja im Umkehrschluss Aussagen vom ihm geben, die unwichtig sind, die man vernachlässigen kann, die u. U. sogar falsch oder fehlerhaft sind… undenkbar! Und im schlimmsten Falle würde man feststellen, dass die vor-Ort-Besuche die Menschen nicht wirklich voranbringen, sondern bestenfalls punktuell Augenblickprobleme lösen…

  4. Ja klar, das gab es auch in der DDR und in anderen Staaten des Ostblocks, allerdings beschränkt auf Parteitage oder Tagungen der Volkskammer. Bei diesen Veranstaltungen wurden war es einfach Pflicht, bei den Reden und Rechenschaftsberichten der Parteiführer Notizen zu machen – das unterstreicht die epochale Bedeutung der unsterblichen Worte der weisen Parteiführung…
    Man wird auch keine einzige Szene finden, wo in dem Auditorium irgendjemand aufsteht, um z. B. mal zur Toilette zu gehen – das hätte ja als Missachtung aufgefasst werden können…

    Kim Jong Il hält aber keine Reden und Rechenschaftsberichte wird man schon gar nicht erwarten können. Folglich bekommen auch die banalsten Äußerungen eine besondere Bedeutung…

    @Stefan: Klar, anfassen durch den geliebten Führer schafft echte Probleme…
    a) hat der Gegenstand dann ja den Status einer Reliquie…
    und b) brauchts für jede Reliquie ein angemessenes Museum…
    das endet dann wie Maos Mangos 😉

  5. Glaub es oder nicht, die laufen in diesem Land wirklich immer mit Notizblöcken herum. Wenn der Große Führer kommt, wird jedes Wort mitgeschrieben, das ganze dann in den folgenden sechs Samstagen in tagelangen Meetings bis ins kleinste diskutiert und dann eine Art „Betriebszeitung“ über den Besuch gemacht, die jeder Angestellte mit nach Hause bekommt. Und das alles ohne Augenzwinkern und mit vollem Ernst.

    Schlimm wird es, wenn er kommt, und eine Maschine anfasst. Guckt er nicht nur, sondern fasst zum beispiel eine Nähmaschine an, dann baut man am nächsten Tag einen Plexiglaskasten drumherum und stellt ein Schild davor auf. In weißer Schönschrift auf rotem Grund. „Diese Nähmaschine hat am …. der Große Führer mit seiner rechten Hand berührt.“

    Ein solcher Besuch kostet den Laden mit Sicherheit eine Menge Produktivität (und man hat dann eine Nähmaschine weniger).

    Daran kann man aber jedenfalls den Religiösen Eifer erkennen, mit dem man hier vorgeht.

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