Auf beiden Seiten der Demilitarisierten Zone (DMZ), die die Koreanische Halbinsel als unüberwindliche Grenze durchschneidet (noch heute vermutlich unüberwindlicher, als die innerdeutsche Grenze je war), wird vor allem von den Staatsführern viel über das große Ziel der Wiedervereinigung gesprochen. Jedoch stelle ich mir schon länger und immer intensiver die Frage, ob es nicht eine Art „Wiedervereinigungsuhr“ gibt, die nur für eine begrenzte Zeit tickt und die irgendwann abgelaufen sein wird. Die Gemeinsamkeiten der Menschen in den verfeindeten Bruderstaaten werden jeden Tag weniger (ich habe mich hier schonmal mit sprachlichen Gemeinsamkeiten und Unterschieden beschäftigt) und irgendwann wird der Moment gekommen sein, an dem sie sich auf eine gemeinsame Geschichte vor 1950 und einige Schnittstellen in Stammbäumen beschränken, die aber schon Generationen zurückliegen. Persönliche Bindungen werden dann kaum noch existieren.
Die gemeinsame Koreanische Generation stirbt aus
Dazu hat Yonhap gestern einen interessanten und für Verfechter der Wiedervereinigung besorgniserregenden Artikel veröffentlicht. Darin ist nachzulesen, dass die Zahl der Südkoreaner, die sich in die Datenbank für potentielle Teilnehmer von Familienzusammenführungen haben aufnehmen lassen, unter 80.000 gefallen sei. Im vergangenen Jahr sei die Gruppe von etwa 82.500 auf etwa 79.000 geschrumpft. Ursprünglich hatten sich einmal ca. 128.500 Menschen für die Zusammenführungen gemeldet. Fast die Hälfte der Personen (43,8 %) ist außerdem in ihren 80er Jahren.
Das Band zwischen den Koreas wird dünner
Die Zahl der Personen, die noch gerne Verwandte jenseits der DMZ treffen würden, ist in den vergangenen gut zehn Jahren also um ein Drittel zurückgegangen und dieser Trend dürfte im kommenden Jahrzehnt noch schneller Ablaufen. Den Akteuren auf der Koreanischen Halbinsel (nicht zuletzt denen im Süden) sollte klar sein, dass mit jedem Jahr, in dem es nicht gelingt, Familienzusammenführungen zustande zu bringen, nicht nur eine Vielzahl von Einzelschicksalen ohne die Erfüllung eines Herzenswunsches endet, sondern dass auch mit jedem Jahr ohne die Stärkung und Wiederbelebung zwischenmenschlicher Beziehungen das Band dünner wird, das beide Koreas und ihre Schicksale zusammenknüpft.
Gefahr für die Perspektiven einer Wiedervereinigung?
Man muss da auch ein bisschen realistisch sein. Was verbindet einen Südkoreaner in seinen Zwanzigern mit dem Norden. Warum sollte er irgendwann einen bedeutenden Teil seines Einkommens in eine koreanische Version des Solidaritätszuschlags oder was auch immer investieren, wenn er sich nicht im Geringsten gegenüber den Menschen im Norden in der Pflicht fühlt und wenn das Einzige das er aus dem Norden kennt, Drohungen und Angriffe sind. Ich denke die Politik muss da Acht geben, dass sie bei allen politisch gesetzten Zielen nicht die Entwicklungen in der Bevölkerung aus den Augen verliert, denn ohne das die Menschen davon überzeugt sind, wird es in Korea keine erfolgreiche Vereinigung geben und je höher die Lasten und je dünner das Band der Verbundenheit wird, desto schlechter stehen die Chancen, die Menschen vom Wert einer Vereinigung zu überzeugen.
Mögliches Korrektiv: Die Flüchtlinge
Ein Korrektiv könnten hier höchstens die Flüchtlinge darstellen, die den Norden verlassen und sich im Süden angesiedelt haben. Jedoch dürfte das Verhältnis dieser Gruppe zu den Menschen im Norden noch komplexer und schwieriger sein, als das der Kandidaten für die Familienzusammenführungen. Zwischen Schuldgefühlen, Unverständnis und Ablehnung, dürfte es eine große Spannweite geben. Allerdings werden sie, je größer ihre Zahl wird, auch in der südkoreanischen Gesellschaft zunehmend an Gewicht gewinnen und vielleicht auch bald in der Politik eine Stimme bekommen. Dies würde einer Wiedervereinigung neue Perspektiven eröffnen.
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