Von Schlupflöchern, Fehlern und komplexen Mischkalkulationen: Pjöngjang manövriert Washington in die Zwickmühle

Gestern veröffentlichte KCNA eine Stellungnahme des nordkoreanischen Außenministeriums in dem es noch einmal klarstellte, dass man nicht von dem geplanten Satellitenstart abzubringen sei:

The DPRK will not give up the satellite launch for peaceful purposes, which is a legitimate right of a sovereign state and requirement essential for economic development.

[Die DVRK wird den Satellitenstart zu friedlichen Zwecken nicht aufgeben, der ein legitimes Recht eines souveränen Staates ist und eine essentielle Notwendigkeit für die wirtschaftliche Entwicklung darstellt.]

Nichts anderes hatte ich erwartet und wenn es irgendetwas geben sollte (außer schlechtem Wetter (das wäre eigentlich eine gute Ausrede, wenn man eine bräuchte)), das die Nordkoreaner von dem Start abbringen kann, dann wäre ich ersten überrascht und bin zweitens gespannt was das ist.

Klarstellung und Provokation

Ansonsten steht in der Verlautbarung das Übliche: Man hat sich doch alle Mühe gegeben transparent zu sein, ausländische Experten und Journalisten eingeladen und die internationalen Prozeduren eingehalten. Wenn die USA das Recht Nordkoreas auf den Start beschreiben, ist das nur ein Zeichen für die Feindseligkeit Washingtons.

Der Fehler der USA und ein interessantes Zitat

Interessant fand ich aber die Passage, in der man auf das Abkommen mit den USA eingeht, in dem ein Moratorium hinsichtlich Raketenstarts Nordkoreas ein Wichtiges Bestandteil war.

At the DPRK-U.S. high-level talks, the DPRK consistently maintained that a moratorium on long-range missile launch does not include satellite launch for the peaceful purposes. As a result, the DPRK-U.S. agreement dated February 29 specified a moratorium on long-range missile launch, not „launch of long-range missile including satellite launch“ or „launch with the use of ballistic missile technology“.

[In den Gesprächen zwischen den USA und der DVRK beharrte die DVRK durchgehend darauf, dass ein Moratorium bezüglich weitreichender [militärischer] Raketen keine Satellitenstarts zu friedlichen Zwecken beinhalte. Ergebnis war das Abkommen zwischen den USA und der DVRK vom 29. Februar, das ein Moratorium für weitreichende [militärische] Raketen festschrieb, nicht den „Start von weitreichenden [militärischen] Raketen einschließlich einem Satellitenstart“ oder einen „Start unter Nutzung von [militärischer] Raketentechnologie“.]

Exkurs: Von „missiles“ und „Raketen“

Eine kleine sprachlicher Exkurs vorweg: Im Englischen ist es eine völlig klare Sache, dass eine „missile“ eine Rakete militärischer Nutzung ist, während man „missile“ gerne mit „Rakete“ ins Deutsch übersetzen würde, was aber dann ein breiteres Spektrum an Bedeutungen abdeckt, als das englische „missile“. Eine „missile“ kann also nicht dazu dienen, einen Satelliten in den Orbit zu befördern. Dazu dient ein „launch-vehicle“ wörtlich könnte man das mit Start-Vehikel oder so übersetzen. „Ballistic missile technology“ ist wiederum eine umfassendere Formulierung, weil eben (wie wir ja in den letzten Tagen gelernt haben) „launch vehicles“ grundsätzlich dieselbe Technologie verwenden, wie „ballistic missiles“. Daher schließt die Formulierung mit „technology“ auch Trägerraketen ein, die Satelliten ins All befördern sollen. Das ist manchmal alles ein bisschen schwer auseinanderzuhalten und die Diskussionen über „ballistic missile“, oder „vehicle“, oder „ballistic missile technology“ erschließen sich kaum, wenn man das nicht im Hinterkopf hat.

Fehler USA

Jetzt aber zurück zum Inhalt: Diese Ausführungen sind sehr interessant, einerseits weil Pjöngjang hier behauptet, dass das Thema Satellitenstart Bestandteil der Diskussionen mit den USA war und bewusst nicht explizit in das Dokument aufgenommen wurde (was sich mit dem deckt, was ich bei Haggard gelesen habe). Wenn das so zutrifft müssen sich das die Verhandlungsführer der USA ankreiden, denn dann hat man das Risiko der jetzigen Eskalation in Kauf genommen, um ein Dokument präsentieren zu können. Und dann hat man noch weniger das Recht, das gesamte Abkommen in Frage zu stellen. Im Endeffekt wirft Pjöngjang Washington damit vor — wenn auch nicht zu lügen — so doch die Wahrheit zu verschweigen.

Provokation Pjöngjang

Andererseits finde ich aber auch die Formulierung „launch with the use of ballistic missile technology“ sehr interessant, die Pjöngjang als unmissverständlich bezeichnet. Warum? Weil sie nahezu ein wörtliches Zitat aus der Resolution 1874 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist, wo festgehalten ist:

2. Demands that the DPRK not conduct any further nuclear test or any launch using ballistic missile technology:

Das finde ich eigentlich eine ziemlich freche Sache, denn damit dass man diese Wendung in sein Statement einbaut, erinnert man ja geradezu an dieses Dokument, dass Pjöngjang verbindlich untersagt, eine solche Rakete zu starten. Und damit erinnert man wiederum daran, dass Pjöngjang sich bewusst über Resolution 1874 des Sicherheitsrates hinwegsetzt, obwohl es als Mitglied der UN, die Charta anerkennt, in der klar festgehalten ist, dass Entscheidungen des Sicherheitsrates für die Mitglieder bindend sind. Naja, dass Pjöngjang die Resolutionen nicht anerkennt, die es betreffen ist ja nicht neu, aber trotzdem hat man sich wohl bewusst dazu entschieden, diese Formulierung in das Statement aufzunehmen. Und was kann man da anderes im Sinn gehabt haben, als ein bisschen zu provozieren? Also mir fällt jedenfalls nicht viel ein.

Daraus folgt:…

Pjöngjang weiß, dass es sich mit dem Raketenstart (ein weiteres Mal) außerhalb des Rechtes stellt, aber es demonstriert gleichzeitig, dass es sich darum nicht schert. Anders ist die Sache hinsichtlich der Vereinbarung mit den USA. Nordkoreas Argument, dass in dem Text nirgends die Rede ist vom Start einer Trägerrakete zur Beförderung eines Satelliten ins All, trifft zu, in den Verlautbarungen beider Seiten steht übereinstimmend „long range missile„. Und  wenn der Vertreter der USA bei den Gesprächen noch so deutlich erklärt hat, dass auch ein Satellitenstart inakzeptabel für die USA sei, so hat er sich doch von den Nordkoreanern vorführen lassen, denn er hat es nicht zu Papier gebracht. Die lange zurückreichende und intensive Verhandlungserfahrung der USA mit nordkoreanischen Unterhändlern sollte doch langsam mal ausreichen, um zu wissen, dass jedes noch so kleine Schlupfloch Konsequenzen haben wird. Und einer Sache kann man sich sicher sein. Sollte Washington das Abkommen mit Pjöngjang nach dem Raketenstart aufkündigen, dann wird Pjöngjang dieses Argument in Zukunft bei jeder Gelegenheit als Beleg für die Unzuverlässigkeit der USA ins Feld führen und das nicht zu Unrecht.

…Washington in der Zwickmühle

Gleichzeitig kann man sich kaum vorstellen, dass die USA diese Kröte einfach so schlucken werden. Allein die Blamage für die Regierung kurz vor den Wahlen wäre sicherlich ein schwerer Schlag für Obama, denn wie bitte soll er in den USA verkaufen, dass er sich rechtlich verpflichtet hat, Nordkorea Hilfen zu leisten und dabei solche Möglichkeiten gelassen hat. Wie kommt er also aus der Geschichte wieder raus? Eigentlich fällt mir nicht viel dazu ein. Er kann den Deal auf Eis legen, weil durch den Raketenstart Spannungen entstehen. Das scheint ja seine aktuelle Rechtfertigungslinie zu sein. Doch was wenn keine Spannungen mehr da sind? Dann müssten die USA ihren Verpflichtungen nachkommen.

…Spannungen aufrechterhalten. Eine Rolle für den Sicherheitsrat?

Die einzige Lösung die ich sehe: Die Spannungen müssen zumindest bis nach den Wahlen bestehen, so das man nicht über seine Verpflichtungen sprechen muss (Danach will Obama ja ohnehin „flexibler“ sein (Erstaunlich das Profis sowas immer mal wieder passier)). Dazu wäre der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht schlecht. Dort hat man wie oben gesagt rechtliche Handhabe und dadurch, dass Peking und Moskau Position gegen den Satellitenstart bezogen haben, hat man auch garkein so schlechten Chancen, irgendetwas zu verabschieden. Dabei frage ich mich allerdings nur noch, was da noch kommen könnte. Nach Artikel 41 Kapitel VII hat man so ziemlich alles ausgeschöpft (man könnte nur die Listen von Personen etc. weiter vergrößern, aber das scheint ja nicht wirklich zu greifen) und für Maßnahmen nach Artikel 42 (das sind militärische Maßnahmen) wird China auf keinen Fall zu haben sein. Also was Zahnloses. Was dann? Weiß nicht so genau, aber bilateral und in Kooperation mit Seoul und Tokio einfach alles tun, um Pjöngjang zu ärgern.

…Pjöngjang zufrieden?

Und vielleicht erreicht Pjöngjang damit genau das, was es eigentlich wollte. Es kann die Belagerungsmentalität nach innen hin aufrechterhalten (schließlich verhalten sich die USA permanent feindselig) und sich ohne Störung von außen dem momentan wichtigsten widmen. Der Machtkonsolidierung des neuen (alten) Regimes.

…Unangenehme Schlüsselposition für Peking?

Nicht unwichtig wird dabei jedoch sein, wie Peking Position bezieht. Folgt man der Argumentation Pjöngjangs, dann hat man sich auch dort manipulieren lassen und wird nicht gerade glücklich damit sein. Verpasst man Pjöngjang einen Denkzettel, wozu man bilateral definitiv in der Lage wäre, wenn man auf einige Feldern die Politik änderte, dann läuft man Gefahr, dass vermutlich noch nicht wirklich austarierte Machtgefüge in Nordkorea ins Wanken zu bringen und damit die Gefahr einer chaotischen Situation im Nachbarland heraufzubeschwören. Wahrscheinlich wird man sich wohl mit milden Denkzetteln zufriedengeben, die dem Regime in Pjöngjang nicht wirklich wehtun, denn auch in Peking hat man in diesem Jahr eine relativ unsichere Zeit vor sich und da braucht man bestimmt kein angrenzendes Land, das ins Chaos stürzt. Keine Ahnung ob man in Pjöngjang diese ganzen Aspekte ins Kalkül gezogen hat, aber ich vermute, dass einige davon so oder anders Eingang in die Überlegungen gefunden haben.

…Pjöngjangs Kalkulationen sind komplizierter als oft angenommen

Die häufig getroffene Standardannahme, Pjöngjangs Provokationen seien immer hauptsächlich der Versuch, der Welt Hilfsgüter abzupressen, finde ich nämlich schon lange nicht mehr haltbar. Wenn Pjöngjang verhandelt, provoziert oder sich einigelt, dann steckt da immer eine Mischkalkulation zwischen Innenpolitik (was sich vor allem auf die Stabilität des Regimes und der Machtsicherung gegenüber der Bevölkerung bezieht), Außenpolitik und wirtschaftlicher Entwicklung hinter, bei der dem Inneren die erste Priorität zukommt, während sich Äußeres und wirtschaftliches sich um die Plätze streiten. Natürlich sind die drei Kategorien eng miteinander verbunden, aber ich denke, dass man eine außenpolitisch günstige Situation verstreichen lässt oder verhagelt, wenn daraus irgendwelche Risiken für die innere Stabilität erwüchsen.

2 Antworten

  1. Für diesen Artikel hast du dir sicher viel Mühe gegeben.
    Vielen Dank

    • Danke und Gern geschehen.
      Aber zum Glück war es dann doch nicht soviel Mühe, weil das Meiste mir irgendwo im Kopf rumgeschwirrt ist und ich es nur aufschrieben musste.

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