Eine deutsche Phantomdebatte: Wie die deutschen Medien sich mit einer Nicht-Geschichte über Nordkorea blamieren

Die Neujahrsansprache Kim Jong Uns, die in unseren Breiten ja für einige Aufregung gesorgt hat, unter anderem weil sich einige Journalisten hier nicht die Mühe machten, sie im Kontext anderer nordkoreanischer Neujahrsbotschaften zu sehen (dann wären einige sprachliche und inhaltliche Punkte nämlich nicht mehr so besonders erschienen), hat eine Wirkung erzielt — zumindest in den deutschen Medien. Hier ist nämlich eine Art Phantomdebatte um nordkoreanische Wirtschaftsreformen entbrannt, die für mich irgendwie schwer zu verstehen ist.

Der Beginn einer Phantomdebatte: Eine seltsame Story

Den Anfang der Debatte bildete die FAZ. Diese kam nach Kim Jong Uns (mehr oder weniger) spektakulären Ankündigungen erstaunlich passend und zeitlich nah mit einem Artikel über deutsche Wirtschaftexperten, die Nordkorea angeblich darin beraten würden, die Wirtschaft des Landes mithilfe eines Masterplans nach vietnamesischem Vorbild umzugestalten. Klingt doch super. Allerdings hatte ich ein paar Schwierigkeiten mit dem Artikel:

  1. Die Wissenschaftler die angeblich helfen bleiben anonym. Natürlich kann es sein, dass man die Arbeit nicht gefährden will, aber naja, die Informationslage ist ein bisschen sehr dünn. Und die Anonymität schützt natürlich nicht nur den Masterplan, sondern auch das Renommee der Wissenschaftler, sollte Pjöngjang die Wirtschaft im kommenden Jahr doch nicht so radikal umgestalten.
  2. Der Zeitpunkt des Artikels kam doch allzupassend. Schon erstaunlich, dass die FAZ gerade ein paar Tage nach Kim Jong Uns Neujahrsansprache mit dem entsprechenden Wissenschaftler gesprochen hat. Dazu habe ich zwei Lesarten: Entweder lag der Artikel schon länger in der Schublade, war aber wegen des dünnen Informationsgehalts schwierig und irgendwie auch nicht zeitgeistig und jetzt hat er eben gepasst. Oder einer der Wissenschaftler wurde von seinem Ego getrieben, doch mal kurz bei der FAZ anzurufen und ein paar unspezifische Infos zu geben, damit man, sollte bei der Geschichte was rumkommen, ein bisschen Publicity bekäme.
  3. Nordkoreas Politiker und Wissenschaftler sprechen öfter mal mit Ausländern. Das ist wahr. Sie sprechen mit vielen Ausländern und sie lassen sich von ihnen gerne Ratschläge geben. Das ist auch wahr! Sie sagen auch eher selten: „Danke für die Tips, aber das alles interessiert uns nicht, jetzt verschwinde, aber sag bitte zuhause, dass wir weiter Entwicklungshilfe wollen.“ Das stimmt. Stattdessen sind sie höflich, hören zu und sagen am Schluss auch artig: „Danke.“ Das ist wahr. Aber das alles heißt noch lange nicht, dass die Nordkoreaner die Ratschläge umsetzen. Sonst gäbe es heute in Nordkorea ganz sicher keine Atomwaffen mehr, auch keine Raketen, ebenso keine Gefangenenlager, vermutlich auch keinen „Sozialismus nordkoreanischer Prägung“ und höchstwahrscheinlich gäbe es auch keine Kim Jong Un Regierung. Man ist in Nordkorea darin geübt, gut gemeinte Ratschläge zu ignorieren. Warum das hier anders sein sollte, weiß ich nicht.
  4. Was ich aber überhaupt nicht verstehen kann: Warum sind deutsche Juristen und Wirtschaftswissenschaftler eigentlich prädestiniert, nordkoreanische Kollegen bzw. Politiker darin zu beraten, ihre Wirtschaft nach dem Vorbild Vietnams umzugestalten. Ich meine, versteht ihr mein Problem? Warum fragen die Nordkoreaner nicht einfach die Kollegen in Vietnam? Schlechte Beziehungen gibt es ja schließlich nicht zwischen den Staaten und die Vietnamesen kennen sich bestimmt genausogut mit ihrem Wirtschaftssystem aus wie die deutschen Experten. Aber nein, die Nordkoreaner lassen lieber von den deutschen einen Masterplan ausarbeiten…Alles klar!

Nur für deutsche Medien berichtenswert.

Naja, aber diese kleinen Unstimmigkeiten hinderten fast keine der deutschen Medien daran, die Story breitzuwalzen und die kaum vorhandenen Infos zu etlichen Artikeln zu verwursten. Dabei scheint es auch keinen weiter gestört zu haben, dass ausländische Medien einen weiten Bogen um die Geschichte gemacht haben und die globale Sensationsökonomie, die sich ja sonst oft für nichts zu schade ist, das ganze fast vollständig missachtete (nur auf die Chosun Ilbo ist Verlass, aber wen wundert das schon). Eigentlich hätte ich zu dem ganzen Sachverhalt nicht viel mehr zu sagen, als das Adam Cathcart in seinem Tweet hier tat und eigentlich hatte ich auch nicht vor, dazu was zu schreiben.

Wenn schon blamieren dann richtig.

Aber irgendwie scheinen einige Medien hierzulande es unbedingt darauf anzulegen, sich so richtig zu blamieren, indem sie sich weder davon abschrecken lassen, dass es eigentlich keine Story gibt, noch davon, dass die Geschichte von Kollegen in anderen Staaten scheinbar nicht als glaubwürdig eingeschätzt wird und auch nicht davon, dass Leute, die sich mehr oder weniger jeden Tag mit Nordkorea beschäftigen recht offen sagen, dass da nichts dran ist.

Spiegel Online ist Spitze…irgendwie

An die Spitze der Ignorantenbewegung hat sich mittlerweile Spiegel Online gestellt. Dort werden in hoher Frequenz mittelmäßige Artikel zu Wirtschaftsthemen und dem „Masterplan im weiteren Sinne“ veröffentlicht. Die Artikel zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie sich als Berichtsanlass einzig auf den gehaltlosen Beitrag der FAZ stützen, sondern sie sind darüber hinaus auch noch jeweils für sich allein peinlich, weil schlecht recherchiert und reißerisch (oder versteht ihr, warum in diesem Artikel auf den Vorletzten UN-Bericht zur Nahrungsmittelsituation in Nordkorea verwiesen wird und nicht auf den Letzten und damit ein ziemlich verzerrtes Bild widergegeben wird (Wenn man bedenkt, dass der vorletzte Bericht Alarm schlug, der letzte aber Entwarnung gab))?

Schwächer geht immer.

Vorgestern setzte Spiegel Online seinem peinlichen Auftritt aber dann endgültig die Krone (oder Himbeere) auf. Da versuchte man aus einer langweiligen Liste eines drögen Wirtschaftsverbandes und auf Basis eines nahezu inexistenten Handels eine spektakuläre Enthüllungsgeschichte zu machen, was erstaunlicherweise nur mittelmäßig erfolgreich war. Das alles ist ja nicht neu und auch nicht spektakulär und eigentlich wäre es nicht der Rede wert (dass sich der Spiegel mit seinem Onlineauftritt und den Artikeln die für diesen erstellt werden, keinen Gefallen tut indem dort Quantität deutlichen Vorrang vor Qualität erhält, ist ja nicht unbedingt ne Neuigkeit), aber ich meine, wenn man schon eine Enthüllungsstory machen will, dann sollte man doch wenigstens die Munition nutzen, die sich dafür bietet. Wenn man noch nicht mal das schafft, dann blamiert man sich eben.

Was ich damit konkret meine? Der Autorin war aufgefallen, dass auf einer Liste des Ostasiatischen Vereins (OAV), der den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen deutscher Unternehmen in die Region (zu der Nordkorea ja definitiv gehört) fördern will, 15 Unternehmen gelistet waren, die Geschäftsbeziehungen nach Nordkorea hätten. So weit so unspektakulär, denn Handelsbeziehungen nach Nordkorea zu haben, ist weder verboten, noch ist es zwangsweise verwerflich. Dieser Eindruck soll aber wohl in dem Artikel vermittelt werden, auch wenn die Autorin irgendwo auch anerkennt:

Geschäfte in Nordkorea sind nicht automatisch illegal.

Achwas. Wenn man bei SpOn schon soweit ist, dann besteht ja noch Hoffnung…könnte man denken. Allerdings kann man den Gedanken kurze Zeit später dann auch wieder verwerfen. Denn die Recherche dieses Artikels reichte scheinbar nicht einmal bis zu Wikipedia. Dort hätte die Autorin nämlich ein bisschen was zum Schreiben finden können. Zum Beispiel über die Commerzbank. Ein Vertreter dieses Geldinstituts wird in dem Artikel wie folgt zitiert:

Die Geschäftspolitik der Commerzbank lässt grundsätzlich keine Geschäfte mit Nordkorea zu.

Hätte die Autorin zu diesem Thema mal ein bisschen weiterrecherchiert. In einem (zugegeben nicht offiziell erschienen) UN-Bericht hätte sie nachlesen können, dass die Commerzbank als Geschäftspartner einer nordkoreanischen Bank ins Blickfeld der UN gerückt wäre. Dass die Autorin nun aber nicht unbedingt wusste, dass das in diesem Bericht steht, kann ich ja nachvollziehen. Dass sie auch mein Blog nicht kennt ist auch Ok. Aber dass sie noch nichtmal auf die Idee kam, bei Wikipedia nachzulesen, wo neben den Beziehungen der Commerzbank zu den nordkoreanischen Geldhäusern Korea United Development Bank und der Amroggang Development Bank (die mittlerweile durch EU und UN sanktioniert ist) weitere lose Fäden aus der Story (wie die um die Firmengruppe Prettl) weitergeführt werden. Ich meine, natürlich ist es keine Schande, wenn mal ein Artikel erscheint, in dem nicht Wikipedia als wichtiger Informant herhalten muss. Aber wenn dann gleich vollkommen auf Recherche verzichtet wird, dann ist das schon nicht gerade eine Glanzleistung. Vor allem wenn man so recht einfach eine langweilige Geschichte ein bisschen interessanter hätte gestalten können…

Mit Verlaub…

Naja, sei’s drum. Diese Story passt ja perfekt ins Gesamtbild, das die deutsche Presse mit ihrem Hype zu Nordkoreas Wirtschaftsreformen abliefert. Da bleibt eigentlich abschließend nicht mehr viel zu sagen, außer die Worte zu wiederholen, mit denen Rüdiger Frank die Berichterstattung der westlichen Medien zu Kim Jong Uns Neujahrsansprache charakterisierte:

Mit Verlaub: Das ist ein Armutszeugnis für die westliche Berichterstattung.

und die Bitte an die deutschen Printmedien: Bitte lasst diese blöde Phantomdebatte doch einfach bleiben und schreibt doch lieber mal garnichts, statt igendwelchen schlecht recherchierten Kram. Mir wird’s nämlich auch langsam peinlich…

5 Antworten

  1. Außerdem haben sie in Nordkorea schon in den 60er und 70er Jahren sehr gute Erfahrungen mit deutscher Entwicklungshilfe gemacht, allerdings mit der aus der DDR. Da florierte die Wirtschaft einigermaßen. Bis ihnen in den Kopf stieg, alles ganz anders und viel besser machen zu wollen und sie die Experten in die DDR zurückschickten. Vielleicht geht Kim dem Dritten aus der Dynastie ja jetz so langsam ein Licht auf.

  2. Es ist nicht so unwahrscheinlich, dass die Nordkoreaner mit deutschen Wissenschaftlern kooperieren. Erstens schließt das ja nicht aus, dass sie auch mit Vietnamesen sprechen (vielleicht mit den Bürokraten, die die Programme umsetzen), und zweitens haben deutsche nunmal eine gute Erfahrung mit Transformationen von Sozialismus zu Kapitalismus, da er ja vor der Haustüre passiert. Irgendwie kommt mir eher die Aufregung in diesem Blog ein wenig übertrieben vor, denn so groß war der „Hype“ jetzt auch wieder nicht….

    • Naja, der Sozialismus in Nordkorea ist aber überhaupt nicht mit der DDR zu vergleichen, denn auch wenn die DDR ein gewaltiges Handelsdefizit hatte war sie unter den Top Ten der Industrienationen (Siehe: http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m3309.pdf) während Nordkoreas Wirtschaft quasi nicht vorhanden ist. Davon abgesehen ist der Hype eventuell an ihnen vorbeigegangen wenn sie sich nicht mit den verdummenden Medien auseinandersetzen aber ich kann ihnen versichern dass die Berichterstattung sehr grell, aufdringlich und omnipräsent war.

    • Danke für Deinen Kommentar.
      Vielleicht hast du in einigen Punkten garnicht so unrecht: Ich glaube auch, dass die Nordkoreaner mit deutschen Wissenschaftlern kooperieren. Allerdings glaube ich nicht, dass diese Kooperation zwangsläufig eine Umsetzung der deutschen Vorschläge zum Ergebnis haben wird (was in der FAZ ja irgendwie so klang). Ich glaube, dass sie durchaus Interesse an der deutschen Expertise in Transformationsprozessen haben. Aber das erklärt immernoch nicht, was die deutschen Wissenschaftler nun besonders qualifiziert, eine die vietnamesische „Blaupause“ auf den Masterplan zu drücken.
      Und was den „Hype“ angeht. Klar, der war schon größer. Z.b. als Kim Jong Il gestorben ist, eine Rakete gestartet oder eine Atombombe getestet wurde. Der Unterschied ist aber, dass damals wirklich was passiert ist. Hier baut man als Anlass zum Berichten einen dünnen Artikel und eine überinterpretierte Neujahrsansprache auf und erzeugt damit ein schiefes Bild. Naja und wenn eigentlich alle überregionalen Printmedien über den FAZ Artikel berichten (der, wenn ich mich richtig erinnere) seinen Weg in öffentlich rechtliche Radio und Fernsehnachrichten findet, wenn SpOn völlig im luftleeren Raum über die Vor- und Nachteile einer Wirtschaftsreform Nordkoreas diskutiert und die FAZ gestern in der Printausgabe (wenn auch zugegeben ausgewogener) nochmal nachlegt, dann ist das schon irgendwie ein „Hype“, wenn auch nicht unbedingt ein riesiger.
      Aber das ist natürlich alles Ansichtssache und wenn man einen Monotehemenblog betreibt, dann verliert man vielleicht auch ein bisschen die Realtion zu einem echten Hype (was Wulffs haben sich getrennt?)…

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