Im Alltagsgeschäft meiner Bloggerei verliere ich mich ja allermeistens im Hier und Jetzt und werfe nur ganz selten mal einen Blick in die Vergangenheit. Und wenn ich einen solchen Blick werfe, dann meistens sehr selektiv und im Endeffekt mit dem Ziel einen Rückbezug zur Gegenwart herzustellen. Dabei hält auch die Geschichte manchmal Episoden bereit die für sich genommen schon interessant und erzählenswert genug sind, ohne sie immer gleich im Sinne einer analytischen Auswertung ausschlachten zu müssen. Nur stehen diese Episoden meist ein bisschen im Verborgenen und sind auch eher schwierig zu recherchieren.
Naja, jedenfalls war ich froh und interessiert, als ich kürzlich auf eine kleine aber durchaus spannende Episode dieser Art gestoßen wurde, als ich ein paar Leute traf, die auf unterschiedliche Art damit verbunden waren. Die Geschichte handelt davon, wie es dazu kommt, dass ein Nachbau des Schaufelraddampfers „Dresden“, der noch heute im Betrieb ist, in Pjöngjang zu finden ist und stellt damit einen der wenigen Bezugspunkte der Freundschaft zwischen der DDR und Nordkorea dar.
1984 besuchte Kim Il Sung im Rahmen einer großen Europareise vom 30. Mai bis zum 3. Juni die DDR (sein zweiter und letzter Besuch dort) und traf dort unter anderem mit dem Generalsekretär der SED, Erich Honecker zusammen. Es wurde viel besprochen und diskutiert (für nähere Informationen dazu lest ihr am besten in den Protokollen der Treffen) aber natürlich gab es auch, wie zu solchen Anlässen üblich, ein umfangreiches Unterhaltungs-/Informationsprogramm, bei dem den ausländischen Gästen die Errungenschaften des realexistierenden Sozialismus auf deutschem Boden präsentiert wurden. Eine der Stationen Kim Il Sungs war eine Schiffstour Tour gemeinsam mit Honecker auf dem Raddampfer „Dresden“ durch die schöne Sächsische Schweiz (danke für die Zeitungsausschnitte an Matthias).
Naja und diese Tour scheint bei Kim Il Sung einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben. Jedenfalls interessierte er sich sehr ausgiebig für das Schiff. Ich hatte kürzlich die Gelegenheit mit Frau Prof. Dr. Picht zu sprechen, die damals, wie auch zu vielen anderen Anlässen, für Honecker und andere Funktionäre gedolmetscht hat und sie erinnerte sich tatsächlich noch recht lebhaft an diese Episode. Kim Il Sung wollte viele Details über das Schiff wissen und als sie auf seine Frage nach dem Tiefgang die Antwort des Kapitäns „90 cm“ übersetzte, konnte Kim das zuerst garnicht so recht glauben und versicherte sich nochmal, dass sie das richtig übersetzt und er das richtig verstanden habe. Danach schickte er seinen Premierminister mit ihr auf die Brücke, um Informationen über den konkreten Aufbau des Schiffes einzuholen. Das Ergebnis dieser Begeisterung des großen Führers war, dass man sich die Pläne für das Schiff von der DDR besorgte und das Ganze dann in Nordkorea nachbauen ließ.
Mit alledem hätte ich mich allerdings so vermutlich nie beschäftigt und auch nicht mit Frau Picht darüber gesprochen, wäre nicht Matthias bei seiner Nordkoreareise im letzten Jahr aufgefallen, dass das Schiff, dass da in Pjöngjang lag, der Dresden zum Verwechseln ähnlich sah und hätte er mir nicht ein Bild von dem Schiff zukommen lassen, dessen nordkoreanische Version sinnigerweise „Pjöngjang“ heißt.
Wie gesagt: Nur eine kleine Episode, aber irgendwie doch sinnbildlich. Einerseits, mit Blick auf die ostdeutsch-nordkoreanische Geschichte, die nach dem Ende der DDR und ihrem Anschluss an die BRD nur noch am Rande steht und kaum mehr wahrgenommen wird (wie so manch anderer Aspekt der DDR-Geschichte auch, so ist das eben, die Sieger schreiben die Geschichte (ist es nicht irgendwie bezeichnend, dass ich auf digitalisierte Teile der DDR-Archive am besten über ein US-amerikanisches Projekt zugreifen kann?)), was schade ist, weil es dort sicherlich einiges spannendes zu finden gäbe. Andererseits sieht man hieran auch, wie viele Leute es gibt, die spannende Geschichte zu erzählen haben, weil sie in der Vergangenheit auf die eine oder andere Art einen Bezug zu Nordkorea bekamen.
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Ich habe den Raddampfer im September 2013 auf dem Taedongfluß in Pjöngjang fotografiert. Bin leider nicht mitgefahren. Ich wußte nicht, daß es der nachbau der DRESDEN ist, habe aber bemerkt, daß er ihr oder der LEIPZIG ähnlich sieht, keinem andern Kahn.
Und das Boot ist auch noch im Einsatz! Am 1. Mai konnten wir als Touristen eine 45-minütige Ausflugsfahrt machen. Unsere Begleiter haben die Geschichte dazu nicht erzählt. Also Danke, jetzt kenn ich sie.
Vielen Dank für die Info! War nicht ganz sicher ob und wer mit dem Schiff fahren kann. Bist Du sicher, dass es dasselbe war. Als was wurde der Dampfer denn angekündigt?
Moin Joha, ich war 1984 Werftleiter der Dresdner Werft und habe die koranischen Ingenieure betreut, die das Schiff „gekupfert“ haben. Gibt es Fotos von Eurer Fahrt? Wir haben niemals erfahren, welchen Antrieb das Schiff in Korea bekommen hatte, wir haben keine Maschinenunterlagen der „Dresden“ mitgeliefert.
Inzwischen ist das Schiff zum festliegenden Restaurantschiff umgebaut.
Danke und CIAO
der RFM
Die digitalisierten Seiten des DDR-Archivs im US-amerikanischen Projekt sind ja alle auf englisch, oder habe ich das was übersehen.
Dachte immer Archive werden in der originalen Sprache digitalisiert, denn nur so, kann nach langer Zeit der Inhalt noch genaustens beurteilt werden.
Übersetzungen verwässern da doch immer Einiges!?
Teils Teils.
Es gibt auch einen ordentlichen Teil, der im Original vorliegt. Dashier zum Beispiel. Ich kann nicht genau einschätzen, wie groß der Teil ist, der nur als Übersetzung da ist, aber es ist auf jeden Fall ein bedeutender. Warum das so ist? Keine Ahnung, dazu habe ich auf der Seite auch leider nichts gefunden. Könnte mir vorstellen, dass es was mit Rechten und Freigaben oder so zu tun hat, aber keine Ahnung was genau. Man muss da wohl einfach von Fall zu Fall gucken, ob das Original vorliegt.