Vor ein paar Tagen gab die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA bekannt, dass nach einem Beschluss des Präsidiums am 9. März 2014 Wahlen zur Obersten Volksversammlung der Demokratischen Volksrepublik Korea stattfinden würden. Gestern wurde dann die Liste der Mitglieder des Wahlkomitees öffentlich gemacht.
In den nächsten Wochen und Monaten bis zur Wahl wird es dann emsige Vorbereitungen und die Aufstellung der Kandidatenliste (was wohl eigentlich das wichtigste am ganzen Wahlkampf ist, denn es gibt pro Wahlbezirk genau einen Kandidaten!) geben, die Bekanntgabe der Nominierung Kim Jong Uns und seine Ansprache dazu (Kim Jong Il hat immer Briefe geschrieben, aber der hat ja auch nicht so gerne gesprochen…), wir werden lernen wie hervorragend das Wahlsystem der DVRK ist und eine Schlussmobilisierung der nordkoreanischen Medien erleben.
Das alles wird dazu führen, dass 99,9x Prozent der Nordkoreaner zur Wahl gehen (ausgenommen, diejenigen die aus rechtlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht wählen dürfen und die, die auf Schiffen sind) und die vorgeschlagenen Kandidaten zu 100 Prozent (ohne Abstriche) wählen. Natürlich wird dieses unglaubliche Wahlergebnis von den Medien des Landes als Bestätigung des einhelligen gemeinsamen Willens von Volk, Partei und Führer gewertet werden und natürlich wird es für das Regime keine Überraschungen geben (zumindest keine, von denen wir erfahren werden). Auch was die Terminierung angeht war die Ansetzung der Wahlen sehr vorhersehbar: Das Ganze findet wie vor fünf Jahren am zweiten Sonntag im März statt und wie vor fünf Jahren wurde die Entscheidung dafür ziemlich genau zwei Monate vorher bekanntgegeben (vermutlich verlangt das Wahlgesetz Nordkoreas das, oder Kim Jong Un will nichts falsch machen und lässt alles genau machen wie bei seinem Vater).
Leider hatte ich bei den letzten Parlamentswahlen in Nordkorea mein Blog noch nicht gestartet, aber im Endeffekt wird man den Artikel, den ich augenzwinkernd zu den zwischenzeitlich stattgefundenen Kommunalwahlen geschrieben habe so ziemlich eins zu eins auch auf die Parlamentswahl anwenden können.
So weit so langweilig?
Aber keine Angst: Ich habe jetzt keinen langweiligen Artikel zu vollkommen vorhersehbaren Wahlen geschrieben, um euch eure Zeit zu stehlen, sondern trotz dieser absoluten Berechenbarkeit dessen was zu erwarten ist, gibt es doch tatsächlich noch einiges an diesen Wahlen, das durchaus spannend ist:
Politpraktische Erwägungen
Zum einen werden durch den Vorgang personelle Entwicklungen innerhalb des Regimes transparent. Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass dadurch Entscheidungen getroffen werden, die stehen schon vorher fest, aber uns wird dadurch klarer, welche Personen weiterhin zur Führungsriege gehören, welche von der Bildfläche verschwunden sind und welche neu dazukommen. Das ist durchaus nicht unwichtig, denn nur weil jemand nicht in den nordkoreanischen Medien präsent ist, muss das noch lange nicht heißen, dass er weg ist. Aber wenn verschiedene Leute, die ohnehin von der Bildfläche verschwunden sind, nicht (mehr) der Obersten Volksversammlung angehören, dann ist das ein sehr eindeutiges Zeichen dafür, dass sie vermutlich in der nordkoreanischen Führung keine Rolle mehr spielen.
Außerdem ist es durchaus vorstellbar, dass es auch in der Führung der Obersten Volksversammlung zu einem Wechsel kommt. Ich kann es mir eigentlich zwar nur schwer vorstellen, aber Kim Yong-nam, der Vorsitzende des Präsidiums der Obersten Volksversammlung, der als protokollarisches Staatsoberhaupt wirkt, solange der eigentliche Staatschef unabkömmlich ist (das wird noch eine Weile dauern, bisher gibt es keine Anzeichen, dass der jetzige (und ewige) Präsident, Kim Il Sung, so bald nochmal aus dem Grab aufstehen wird), wird in einigen Tagen 86 Jahre alt und irgendwann kann er den Job nicht mehr machen, spätestens dann müsste Ersatz gefunden werden, ich könnte mir vorstellen, dass dieser Schritt im Rahmen der Wahlen gemacht wird um das sozusagen formal zu bekräftigen und für die Zukunft ein Vakuum zu vermeiden. Aber darauf wetten werde ich nicht.
Ich finde es auch nicht total abwegig, dass für diejenigen alternden Politiker, die dem Regime loyal gegenüberstehen, die man aber nicht mehr im operativen Geschäft haben will, Positionen in der Obersten Volksversammlung gefunden werden. So ist es ja kürzlich bereits mit Choe Yong-rim passiert, der von seinem Job als Premier zu einer Stellung als „Ehrenvorsitzender der Obersten Volksversammlung“ wechselte. Aber auch auf eine Rolle der Obersten Volksversammlung als Altenteil für Politiker würde ich nicht wetten.
Zu guter Letzt würde ich die Aussagen unserer Medien, es würde sich bei den Mitgliedern der Obersten Volksversammlung um vollkommen machtlose Leute handeln, ein bisschen relativieren. Wenn man mal in Betracht zieht, dass beispielsweise Ri Jong-hyok als emsiger Reisender, der unter dem Zeichen des parlamentarischen Austauschs wohl einer der wichtigsten nordkoreanischen „Diplomaten“ ist, die regelmäßig Deutschland und Europa besuchen, dies als Abgeordneter der Obersten Volksversammlung tut, kann man ihm wohl weder vollkommene Machtlosigkeit, noch Unwichtigkeit unterstellen. Ich weiß nicht genau, wie viele Figuren wie Ri es noch im nordkoreanischen Parlament gibt, aber was mit diesen Leuten passiert, bzw. wie sie ersetzt werden können ist durchaus von Bedeutung, auch für die deutsche Politik gegenüber Nordkorea.
Wozu das Ganze? – Was ist die Funktion von Wahlen in Nordkorea?
Aber diese eher politpraktischen Erwägungen sind nur der eine Aspekt, den ich an den Wahlen unglaublich interessant finde. Der andere geht eher ins Theoretische: Die ganze einleitend beschriebene Prozedur verlangt vom Regime ja auch Anstrengungen und Ressourcen und wenn man stand heute schon die nächsten zwei Monate hinsichtlich dieser Wahlen sehr genau vorhersagen kann, (ich würde sogar einen guten Schritt weiter gehen: Wenn es in Nordkorea in den nächsten fünf Jahren keinen radikalen Umbruch gibt und Kim Jong Un nicht schwer krank wird oder so, sage ich voraus, dass am 10 Januar 2019 bekanntgegeben wird, dass am 11. März 2019 gewählt werden soll (wir sprechen dann nochmal darüber)) dann frage ich mich: Weshalb tun die sich die ganze Arbeit an? Warum geben sie nicht einfach die Liste der neuen Parlamentarier bekannt und sparen sich das ganze Ding mit dem Wählen?
Ich meine in unserem System haben Wahlen einige ganz klare Funktionen (ein bisschen ausführlicher und differenzierter kann man das hier nachlesen): Sie sollen z.B. die Präferenzen der Bevölkerung so genau wie möglich zum Ausdruck bringen und damit die politische Richtung des Landes für die kommenden Jahre bestimmen. Außerdem sollen sie Parlamentariern und Regierenden die Legitimation verleihen, im Namen der Bevölkerung Entscheidungen zu treffen und Regeln zu setzen (wenn jemand sich über Regierungshandeln beschwert kann jeder Regierende sagen: Aber die Mehrheit der deutschen Wähler hat für diese Politik gestimmt, wenn euch das nicht passt, dann setzt euch bei den nächsten Wahlen dafür ein, dass ein anderes Kräfteverhältnis entsteht.). Das alles funktioniert soweit ganz gut und deshalb ist grundsätzliche Systemkritik in Deutschland eher selten.
In Nordkorea dagegen fällt die Funktion der Auswahl der politischen Richtung vollkommen weg. Man hat ja nur eine Wahl und die politische Richtung wird ja von oben vorgegeben. Es besteht garkein Zweifel, dass das die richtige Richtung ist und deshalb muss man darüber auch nicht abstimmen, ja es ist sogar für das System gefährlich, wenn impliziert wird, es gäbe noch andere gute Optionen.
Die Legitimierung des Führungshandeln kommt schon eher in Frage: Die Führung kann immer sagen: Aber ihr habt mit hundert Prozent für diese Gesetzgeber gestimmt: Wer sich dieser klaren politischen Aussage entgegenstellt, der steht gegen das gesamte Volk. Das funktioniert allerdings nur solange, wie auch tatsächlich 99,9x Prozent der Leute wählen gehen und solange 100 Prozent dieser Leute zustimmend wählen.
Passiert das? Ich weiß es natürlich nicht, aber ich halte das schon rein technisch für eher unrealistisch. Es sind immer ein paar Leute krank oder unterwegs in China und so und vielleicht gibt es ja auch welche, die ihre Stimme ungültig machen oder sowas. Und jeder dieser Leute wird wissen, dass das was sie da erzählt bekommen nicht so ganz richtig ist und in jedem dieser Leute wird dieser Prozess die Zweifel eher mehren als mindern. So richtig kann mich das Argument der Legitimation jedenfalls nicht überzeugen, vor allem weil die Leute nicht wissen, wie es in anderen, vielleicht demokratischeren, Ländern abläuft und man ihnen deshalb nicht Wahlen vorspielen muss. Ich denke vielmehr, das Legitimationsargument ist sehr zweischneidig, denn ich habe es häufiger beobachtet, dass sich in autoritären Staaten um Wahlen herum Widerstand und Widerspruch formierte, als ich wahrgenommen habe, dass Wahlen die Führung tatsächlich gestärkt haben, vor allem wenn jedem klar war, dass er keine Wahl hatte.
Ein mögliches Argument wäre, dass es eine Art Tradition ist, an die sich die Leute gewöhnt haben und bei der man keinen Grund sieht sie zu beenden. Aber dagegen spricht das oben dargestellte Risiko, das Wahlen mit sich bringt, weil sie Widersprüche in Anspruch und Realität des Regimes symptomatisch zum Vorschein bringen. Dass die Führung in Pjöngjang keinerlei Probleme damit hat, Geschichte auch kurzfristig umzuschreiben, wie gerade der Fall Jang Song-thaek und seine mediale Auslöschung gezeigt haben, ist hinlänglich bekannt. Genauso könnte man doch auch Wahlen als Relikt imperialistischer Einflüsse brandmarken und ein alternatives, weniger anstrengendes und gefährliches System installieren. Man würde dann irgendwas von Juche-Demokratie erzählen und der Weiterentwicklung des demokratischen Systems nach Koreanischer Art und ich bezweifle, dass das Regime das nicht hinbekäme. Aber vielleicht schätzt man dort das Risiko, das Wahlen mit sich bringen niedriger ein, als die Mühen die die Abschaffung dieses Systems erforderten.
Naja, jedenfalls verstehe ich wirklich nicht genau, warum man weiterhin alle fünf Jahre wählen lässt und das nicht einfach sein lässt. Ich vermute, dass es einfach weiter gemacht wird, weil es immer so war und es ja bisher keinem geschadet hat. Aber wenn ihr andere Ideen, Wahrnehmungen oder Erfahrungen habt, dann könnt ihr die gerne hier diskutieren, ich fände es jedenfalls ziemlich spannend, andere Meinungen dazu zu hören. Von mir werdet ihr zu den Wahlen vermutlich eher weniger hören in nächster Zeit, wenn ihr wissen wollt, was euch erwartet, schaut einfach auf den Fahrplan oben, da ist alles schonmal aufgeschrieben. Sollte es Abweichungen davon geben, dann werdet ihr hier mehr darüber erfahren.
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„Wozu das Ganze? – Was ist die Funktion von Wahlen in Nordkorea?“
vielleicht hat es außer, um der Regierung einen Anschein von Legitimität zu geben, auch ganz pragmatische Gründe?
Wenn 5 – 10% der Wähler ihre Stimmzettel ungültig machen, oder anderweitig aufmüpfig wreden:
a) die Zahl der „Protestler“, „Abweichler“ ist sicher schon für sich interessant, und
b) vielleicht kann man diese danach identifizieren und weitere Maßnahmen treffen? Markierte Stimmzettel sind absolutes Low-Tech und einfach in der Anwendung.
Schade, daß wir nie erfahren werden, wie hoch die Zustimmung wirklich ist (bzw. dereinst: „war“). Hinterher werden alle „schon immer dagegen“ gewesen sein; im Moment schätze ich mal, daß mindestens im Süden die Leute – mangels Möglichkeiten zur Information aus chinesischen Quellen – in Mehrheit eher hinter dem Regime stehen.
Wer nichts anderes kennt – und seit Generationen ist das so – kann auch (genau wie Winston Smith) nur lediglich ein vages Gefühl haben, um etwas betrogen worden zu sein. Wie es anderes (besser) sein kann, weiß er ja nicht genau.
@Andreas Janke und andere Menschen, die noch nie eine Wahl in einem stalinistisch geprägten Einparteiensystem erlebt habe.
Schildern tue ich dies am Beispiel der Wahlen in der DDR. Dabei nehme ich an, dass in NK das Ganze ähnlich abläuft. Auch habe ich den Terminus stalinistisch gewählt, weil alles was es in der Praxis bisher gab und sich kommunistisch nennt bzw. nannte nichts mit den von Marx und Engels in der Theorie beschriebenen Kommunismus zu tun hatte.
Nun zu den Wahlen in der DDR. Dort gab es zwar mehrere Parteien, welche aber alle unter der Führung (heute würden wir sagen dem Kommando, der Bevormundung) der SED standen.
Daher traten zu Kommunalwahlen als auch zu Wahlen der Volkskammer keine Parteien an, sondern eine Einheitsliste, auf der für jeden Wahlkreis die zu wählenden Bürger standen.
Man konnte diesen Wahlschein nun insgesamt ungültig machen, in dem man alle auf den Zettel stehenden Einzel oder auch nur einzelne Personen durchstrich.
Dazu musste man entweder in die Kabine (ja die war vorhanden) oder ganz Hartgesottene taten dies auch mal ganz öffentlich.
Ein großes Kreuz über den ganzen Zettel wurde dagegen als Zustimmung für alle Kandidaten gewertet.
Der Gang in die Kabine wie auch das öffentliche Durchstreichen von Kandidaten, als auch die Nichtteilnahme an der Wahl, waren natürlich ein grober Fauxpas, was Diskussionen im Arbeitskollektiv beim Parteisekretär oder wo auch immer nicht selten mit anderweitigen Benachteiligungen nach sich zog.
Daher wurde der Wahlzettel i.d.R. so wie er empfangen wurde zusammengefaltet und in die Urne geworfen. Damit wurden alle Kandidaten der Nationalen Front, so nannte sich die Einheitsliste, gewählt.
Man sieht also, da die Meisten, um einfach keine Scherereien zu bekommen, den Zettel einfach eingeworfen haben, konnte man daran kein wirkliches Bild der Stimmung im Volk ablesen.
Man konnte lediglich den Grad des Unmuts daran ablesen, wie hoch die Zahl derer war, die die Kabine nutzen oder öffentlich gestrichen haben.
Ein Link noch dazu: http://www.wahlrecht.de/lexikon/ddr.html
Mit den Wahlen in NK ist es wahrscheinlich ähnlich wie mit den Wahlen in der ehemaligen DDR und den anderen Staaten des Ostblocks.
Sie (diese Staaten alle und auch NK) nenne sich demokratisch, was wohl soviel wie „Herrschaft des Volkes“ bedeutet. In diesen (Schein-) Wahlen soll nun diesem Anspruch Genüge getan werden. Des Weiteren steht es sicherlich in der Verfassung und weiterhin dient es den Herrschenden, wie der Verfasser im Artikel schon angesprochen hat, als Legitimation gegenüber der Bevölkerung nach dem Grundsatz: „Was wollt lhr denn, ihr habt uns doch gewählt und gewusst welche Politik wir machen werden“.
Die Gefahr, das was aus dem Ruder läuft, ist in NK eher sehr gering.
Auch lässt sich ein solches Ergebnis in NK leichter ohne Konsequenzen manipulieren als 1989 in der DDR.
Ja, das Argument, dass das Wort „Demokratie“ im Staatsnamen sowas wie den Schein einer Demokratie benötigen könnte, verstehe ich schon. Allerdings frage ich mich, wieviele Nordkoreaner die nicht zum Regime gehören den eigentlichen Sinn des Wortes Demokratie kennen. Und da die Führung dort ja sehr gut im Umdeuten von Bedeutungen ist, könnte sie als Demokratie doch einfach die Bedingungslose Gefolgschaft hinter dem großen respektierten Kim definieren. Da er ja eh den Willen des Volkes ausführt, könnte er ihm doch die Arbeit mit der Wählerei ersparen…