Nordkorea weist Projektleiterin der Welthungerhilfe aus — Was uns das über die Prioritätensetzung des Regimes sagt


Eigentlich denkt man ja, dass Staaten, die in regelmäßigen Abständen wegen der Gefahr von Hungersnöten die Welt um Hilfe bitten, froh um jede Hilfe wären, die sich ihnen bieten. Dass Nordkorea zu diesen Staaten gehört und dass dort, trotz einer scheinbaren Stabilisierung der Lage in den jüngsten Jahren nach wie vor teilweise kritische Versorgungsengpässe herrschen, ist denke ich für die wenigsten hier ein Geheimnis. Ebenfalls kein Geheimnis ist es, dass Nordkorea für Akteure von außerhalb (seien es Staaten, Unternehmen oder Hilfsorganisationen) ein schwieriger Partner ist. Das musste nach Medienberichten jüngst auch eine deutsche Entwicklungshelferin erfahren als sie des Landes verwiesen wurde.

Projektleiterin der Welthungerhilfe ausgewiesen

Regina Feindt war in Nordkorea als Projektleiterin der Deutschen Welthungerhilfe tätig (die dort schon seit Jahren hervorragende Arbeit leistet und innovative Projekte vorantreibt, die die Nahrungsmittelversorgung zu sichern helfen), bis sie vor einem guten Monat das Land verlassen musste. Eine Sprecherin der Welthungerhilfe sagte, man sehe keinen Anlass im Verhalten der Frau, der die Ausweisung rechtfertigte. Das deutsche Außenministerium gab an, in dem Fall bereits zweimal den nordkoreanischen Botschafter in Berlin einbestellt zu haben. Konkreter äußerte sich aber niemand zu den Gründen für die Ausweisung. Der Vorfall wurde bekant, weil Reuters aus der sehr überschaubaren Gruppe der in Nordkorea tätigen westlichen Ausländer einen Hinweis darauf bekam.

Obwohl es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass wir jemals erfahren (zumindest nicht zum Weitererzählen), warum Frau Feindt das Land verlassen musste, lohnt sich ein näherer Blick auf diesen Vorfall, weil sich daraus einerseits ein spannendes Bild auf die Herausforderungen des Arbeitens in Nordkorea eröffnet und sich andererseits Rückschlüsse auf das Sicherheitsbedürfnis und die Prioritätensetzung des Regimes in Pjöngjang ziehen lassen. Erstmal möchte ich daher die Ausweisung von Frau Feindt näher betrachten, indem ich auf vergleichbare Vorfälle und Erfahrungen aus der Vergangenheit Bezug nehme, um dann zu beschreiben, was Motivationen des Regimes für dieses Vorgehen sein könnte und welche Erkenntnisse sich für uns daraus ergeben.

Warum Nordkorea ausländische Helfer ausweist…

Die Praxis Bürger anderer Staaten auszuweisen, wenn sie irgendetwas tun, dass den herrschenden Autoritäten nicht passt, wird in aller Welt genutzt, nur dass Gründe für die Ausweisungen sehr unterschiedlich sind, eben ja nach dem was Verhaltensweisen und Handlungen sind, die den jeweils herrschenden Autoritäten nicht passen. Und dass es im Falle Nordkoreas vieles sein kann, das den Autoritäten nicht passt, das könnt Ihr Euch sicher denken.

…einige Beispiele

Tatsächlich sind einige Fälle bekannt, in denen Ausländer aus unterschiedlichen Gründen das Land verlassen mussten.
Der Deutsche Arzt Norbert Vollertsen sollte im Jahr 2000 das Land verlassen, nachdem er wiederholt westliche Medien auf Missstände und die schlechten humanitären Bedingungen im Land hingewiesen hatte.
Der australische Missionar John Short wurde 2014 nach kurzer Haft abgeschoben, weil er in Nordkorea versucht hatte zu missionieren.
2012 wurde jungen französischen und belgischen Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen ihre Visa nicht verlängert, weil sie eine “Workers’ party” gefeiert hatten, bei der die Teilnehmer als Arbeiter verkleidet kommen sollten. Die nordkoreanischen Behörden fanden dieses witzig gemeinte Motto auf Kosten der Arbeiter nicht lustig und setzten dem Aufenthalt der Helfer ein Ende.
In einem Interview hier auf dem Blog berichtet Entwicklungshelfer Gerhard Tauscher, dass einem deutschen Landwirtschaftsexperten sein Visum nicht verlängert wurde, weil er die Berechnungen der nordkoreanischen Behörden zur Lebensmittelknappheit in Zweifel zog. Von diesem Fall habe ich sonstwo nie etwas gelesen, so dass ich davon ausgehe, dass nicht alle Ausweisungen aus Nordkorea öffentlich werden.
Wenn es den großen politischen Linien entsprach, agiert das Regime aber auch schonmal übergreifend. So gab das Regime Ende 2005 bekannt, es gäbe keine Lebensmittelknappheit mehr und Nichtregierungsorganisationen, die Nahrungsmittelhilfe leisteten sollten bis Beginn des nächsten Jahres das Land verlassen haben.

Schere im Kopf?

Die oben genannten Beispiele dürften nur ein Ausschnitt des gesamten Bildes sein, denn wenn niemand darüber berichtet, dann erfahren wir natürlich auch nichts über eine Ausweisung. Und da in den meisten Fällen die betroffenen Organisationen kein Interesse an einer öffentlichen Thematisierung des Vorfalls haben, weil sie ja weiter im Land tätig bleiben wollen, dürften sich solche Fälle öfter mal unbemerkt von der Öffentlichkeit abspielen. In unserem Interview beschrieb Herr Tauscher damals recht eindrücklich, wie schwierig es ist, als Mensch der in Nordkorea arbeitet mit der Tatsache umzugehen, dass man aus unterschiedlichsten Gründen permanent Gefahr läuft, ausgewiesen zu werden:

Und um im Kopf klar zu bleiben, habe ich mir angewöhnt, einfach frei zu sprechen. Ich glaube, wenn man anfängt zu überlegen: “Hört jetzt einer mit oder nicht?” oder “Kann ich das, was kann ich jetzt genau sagen?”, ich glaub dann fängt‘s direkt an schwierig zu werden. Manchmal muss man vielleicht auch das Risiko eingehen aus dem Land zu fliegen, wenn man was zu gesagt hat, was jetzt dummerweise kritisch ist. Und das ist schnell passiert. Es sind einige, ich habe jetzt einige erlebt, die aus dem Land geflogen sind. […] Ich glaube es ist sinnvoll, eine Einstellung zu haben, dass man dort temporär ist und wenn man dann aus dem Land geschmissen wird, weil man irgendwas kritisch angemerkt hat, dann ist das halt so. Das macht einen in der eigenen Position stärker. Ich glaube zu versuchen, alles recht zu machen um Gottes Willen nichts Kritisches zu machen, das bringt einen auch nicht besonders weit.

Wenn man dann bedenkt, dass gerade die etwa 200 westlichen Helfer, die im Land sind, einem sehr engmaschigen Netz der Überwachung unterliegen, kann man sich vorstellen, dass kaum eine Tätigkeit oder eine Aussage eines der westlichen Helfer unbemerkt bleibt. Naja und wenn man dann aus einer Gesellschaft kommt, in der man erstens gewohnt ist frei zu sprechen und zweitens vielleicht auch garnicht so ein starkes Gespür dafür hat, was jetzt politisch kritisch ist und was nicht, kann man sich schon gut vorstellen, dass öfter mal etwas passiert oder gesagt wird, das zu einer Ausweisung führt.

Entwicklungshelfer wissen mehr über Nordkorea

Ein anderer Grund, der mit ursächlich für den scharfen Blick des Regimes auf die ausländischen Entwicklungshelfer sein dürfte, liegt in den besonderen Zugängen dieser Personen zum Land. Ich habe mal gehört, dass auch die Botschaftsmitarbeiter bei weitem nicht überall hinkommen wo sie gerne wollen. Entwicklungshelfer kommen oft an Orte, die den Botschaftsleuten verborgen bleiben oder an die sie bestenfalls gemeinsam mit den EZlern kommen. Das dürfte auch für die nordkoreanischen Behörden kein Geheimnis, sondern mit eingepreist sein. Trotzdem dürften sie ein sehr waches Auge darauf haben, wieviele Informationen mit wem geteilt werden. Auch hier kann es eventuell mal kritisch für Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen werden, wenn sie gegenüber den Falschen zu offenherzig sind. Generell kann man das natürlich als Paranoia abtun, aber das in anderen Staaten Hilfsorganisation gezielt für geheimdienstliche Tätigkeiten ist Fakt (auch ein interessanter Fingerzeig bezüglich der Abwägung Humanitäres vs Sicherheit, auf die ich später nochmal zu sprechen komme (nur wurde sie hier aus den Reihen der “Guten” zuungunsten humanitärer Fragen getroffen, was die Sachlage natürlich grundlegend ändert…)) und besondere Obacht von Regimen, denen ihre Sicherheit so wichtig ist, wie dem in Pjöngjang daher nachvollziehbar.

Abwägung des Regimes: Humanitäres vs Sicherheit

Und das alles geht ins Kalkül der nordkoreanischen Behörden im Umgang mit westlichen Hilfsorganisationen ein. Im Endeffekt ergibt sich daraus eine Abwägung zwischen zwei zentralen Zielen des Regimes. Die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung, zu der die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen beiträgt, steht aus dieser Sicht dem Ziel der Sicherheit des Regimes gegenüber. Und wie diese Prioritätensetzung in Nordkorea seit Jahren ausgeht, darüber habe ich hier ja schon öfter geschrieben. Die Sicherheit des Regimes steht immer über allem und deshalb werden Entscheidungen im Zweifel immer zuungunsten der Hilfsorganisationen und damit auch der Bevölkerung getroffen. Das ist ein unmenschliches Kalkül, aber vor einer Ideologie, die das Überleben des Volkes unmittelbar mit dem Überleben des Führers verknüpft, ist sie folgerichtig.

Das Spiel ist bekannt

Weiterhin ist in dem aktuellen Fall anzumerken, dass alle Seiten bemüht waren, das nicht an die große Glocke zu hängen und dass die Ausweisung eher durch Zufall öffentlich wurde. Das lässt darauf schließen, dass das Vorgehen in solchen Fällen bereits ein Stück weit “eingespielt” ist. Pjöngjang will die Organisation im Land halten und die Welthungerhilfe will weiter dort arbeiten, deshalb wird das auf niedriger Flamme gekocht. Das heißt aber gleichzeitig, dass die Verantwortlichen in Nordkorea ziemlich sicher davon ausgehen konnten, dass es keine weitreichenden Folgen auf das Vorgehen geben würde, außer, dass sich der Botschafter in Berlin ein bisschen was würde anhören müssen und dass die Welthungerhilfe jemand neues einarbeiten müssen würde. Und auch nachdem es öffentlich wurde spielen alle mit und halten den Mund, so dass da kein grundlegenderer Konflikt draus entstehen kann.

Keine Prinzipienreiterei auf Kosten von Menschen

Und was den Grund der Ausweisung angeht: Natürlich kennt man den bei der Welthungerhilfe. Ob man das selbst als schwerwiegend genug dafür anerkennt oder nicht ist ja vollkommen irrelevant, denn für die Nordkoreaner war es schwerwiegend genug und die setzen die Regeln in ihrem Land eben selbst.
Nun könnte man kritisch anmerken, dass es ja wohl nicht sein kann, dass sich eine westliche Organisation sich solchen menschenverachtenden Regeln beugt und die Arbeit in Nordkorea generell kritisch betrachten. Jedoch übersieht man dann, dass man im Endeffekt dann nichts anderes tut als die Führung in Pjöngjang. Man wägt zwei Ziele gegeneinander ab und am Ende unterliegt das Ziel, die Situation der Menschen zu verbessern dem abstrakten Ziel: “Wir arbeiten nur mit euch zusammen, wenn ihr unseren Normen folgt.”

Jang Song-thaeks Hinrichtung: Konkrete Vorwürfe und ihre Funktionen


Heute schreibt und spricht ja jeder zur Hinrichtung Jang Song-thaeks und den Auswirkungen dieses Ereignisses. Dabei weiß man nicht vielmehr als gestern und die Tage davor. Das einzige Dokument, das möglicherweise Neuigkeiten enthält, ist der Bericht zum Prozess gegen Jang. Den habe ich mir mal angeguckt und alle enthaltenen Vorwürfe aufgelistet. Hier hat NK Leadership Watch den Text samt kurzem eigenen Kommentar und Bildern zur Verfügung gestellt.

Der zentrale Vorwurf war dabei ganz klar:

  • die Gründung einer modernen Splittergruppe, deren Chef er seit langem war. Diese sollte den Staat umstürzen und die absolute Macht in Staat und Partei ergreifen.

Diesem Vorwurf ordnen sich alle anderen Beschuldigungen unter. Entweder indem sie zum Beleg seiner Verwerflichkeit genommen werden, oder indem sie direkt mit diesem Umsturzversuch in Verbindung gebracht werden. Seine Verwerflichkeit drückt sich in seiner moralischen Schwäche aus:

  • Er hatte das Vertrauen aller drei Kims, am meisten jedoch Kim Jong Uns. Dieses Vertrauen missbrauchte er schändlich.
  • Unter Kim Il Sung und Kim Jong Il wagte er es nicht, sein wahres Gesicht zu zeigen. Jedoch glaubte er mit dem Machtwechsel zu Kim Jong Un, seine Zeit sei gekommen.

Dementsprechend begann er dann, die Vorbereitungen seines Umsturzes voranzutreiben:

  • Er sabotierte offen und Verdeckt die Nachfolge Kim Jong Uns.
  • Als Kim Jong Un zum stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gemacht wurde, applaudierte er nur halbherzig.

Schon solche Beobachtungen werden in den Kontext der Machtpläne gesetzt:

  • Jang gab zu, dass er sich so verhielt, um die Konsolidierung des Führungssystems Kim Jong Un zu sabotieren, damit er später einfacher die Macht in Partei und Staat ergreifen könnte.

Vor allem aber wird wiederholt kritisiert, dass er sich mit Kim Jong Un gleichsetzte und dass er eine Gruppe um sich scharte.

  • Jang versuchte sich im Rahmen der Vor-Ort-Anleitungen Kim Jong Uns als jemand besonderes zu präsentieren, der gleichwertig mit Kim Jong Un sei.
  • Um eine Gruppe aufzubauen, holte Jang Personen in seine Abteilung des Zentralkomitees der PdAK, die gegen die Führung waren und zum Teil wegen Befehlsverweigerung ernsthaft bestraft worden waren.
  • Er fügte der Jugend als Mitglied einer Gruppe, die von Feinden bestochen war, Schaden zu.
  • Jang ließ in wenigen Jahren Vertrauten und Schmeichler, die wegen eines ernsthaften Falls der Befehlsverweigerung gefeuert worden waren, in seine Abteilung. Er herrschte über sie als heiliges und nicht angreifbares Wesen.

Als ein weiteres zentrales Element seines Planes wird die Ausweitung administrativer Kompetenzen dargestellt:

  • Er versuchte Aufgaben des Landes unter seine Kontrolle zu bringen, indem er die Mitarbeiter seiner Abteilung ausweitete und seine Tentakel nach Ministerien und anderen Institutionen ausstreckte.

Allerdings geht sehr viel Kritik in die Richtung, dass er nicht die notwendige Unterwürfigkeit und Unterordnung an den Tag gelegt habe.

  • Er verhinderte die Errichtung eines Mosaiks, das Kim Il Sung und Kim Jong Il darstellte und verneinte die einmütige Anfrage einer Einheit der Sicherheitskräfte, den Inhalt eines unterschriebenen Briefs Kim Jong Uns in einen Granitblock zu meißeln und vor seinem Kommandogebäude zu errichten. Jang ließ es in einer schattigen Ecke aufstellen.
  • Er verneinte systematisch die politische Linie der Partei und erweckte so den Eindruck, er sei jemand besonderes, der über den Entscheidungen der Partei stehe.
  • Er verteilte Geschenke, die für Loyalität für Partei und Führer verteilt wurde an seine Vertrauten und strich dafür den Respekt ein.
  • Er ließ sich von seinen Schmeichlern und seiner Abteilung „Genosse Nr. 1“ nennen.
  • Er errichtete ein heterogenes Arbeitssystem und was er sagte galt mehr als die Parteipolitik.

Interessant ist der Vorwurf, er habe sich in die Kompetenzen des Kabinetts eingemischt, aber auch

  • Mit der Idee, als erster Schritt seiner Machtübernahme Regierungschef zu werden, ließ er seine Abteilung die Kontrolle über zentrale Bereiche der Wirtschaft übernehmen. So wollte er die Wirtschaft in ein Chaos stürzen. Jang übernahm Aufgaben des Kabinetts und verhinderte so, dass es seine Arbeit richtig machen konnte. Dazu gehören das Aufstellen von Einheiten für den Außenhandel, die Devisengewinnung und die Verteilung von Aufenthaltsgenehmigungen.
  • Als er der Partei einen falschen Bericht erstattete und die Genossen anmerkten, dass das dem von Kim Il Sung und Kim Jong Il erarbeiteten Baugesetz widerspreche meinte er nur: „Die Umformulierung des Baugesetzes würde dieses Problem lösen.“

Ausgestattet mit diesen Kompetenzen, aber auch schon vorher, sollte die Wirtschaft ins Chaos gestürzt werden:

  • Er störte Baumaßnahmen in Pjöngjang, indem er Arbeiter und Material an seine Vertrauten weiterreichte, die so Geld verdienten.
  • Er beauftragte seine Vertrauten, Kohle und andere Ressourcen zu verkaufen. Deshalb waren sie hoch verschuldet. Um die Schulden zu begleichen verpachtete Jang einen Teil der Rason SWZ für fünf Jahrzehnte an ein anderes Land.
  • Auf Jangs Befehl hin wurden hunderte von Milliarden Won gedruckt. So verursachte er 2009 ein ökonomisches Chaos. Mit dem Geld wurde unter anderem Korruption finanziert.
  • Außerdem kaufte eine von ihm aufgebaute geheime Organisation im Widerspruch zum Gesetz wichtige Metalle und verursachte so Chaos im staatlichen Finanzsystem.

Er persönlich missbrauchte Mittel und verhielt sich unmoralisch:

  • Er führte ein dekadentes Leben und verteilte seit 2009 alle Arten von pornographischen Bildern unter seinen Vertrauten. Allein 2009 gab er 4,6 Millionen Euro in einem ausländischen Casino.

Seine Umsturzpläne reichten bis ins Militär:

  • Jang versuchte in der Armee Einfluss zu gewinnen um einen Putsch durchzuführen.

Abschließend wird er zu seinen konkreten Plänen zitiert:

  • Er wird zitiert, dass er Unzufriedenheit schüren wollte, um einen Putsch gegen Kim Jong Un auszulösen.
  • Er habe Leute angesprochen, die seit längerem in Positionen seien, da er die jüngst beförderten nicht kenne. Er dachte die Armee würde putschen, wenn die Lebensbedingungen von Volk und Soldaten sich weiter verschlechterten. Er zählte auf seine Vertrauten und versuchte die Organe der Volkssicherheit für sich zu gewinnen. Außerdem versuchte er andere zu gewinnen.
  • Er wollte nachdem er die Wirtschaft zugrunde gerichtet hatte Premier werden, dann mit Mitteln, die er auf unterschiedliche Weise gehortet hatte die Probleme  bei den Lebensumständen der Menschen lösen, so dass Bevölkerung und Militär „Hurra!“ schreien würden und der Putsch einfach umzusetzen wäre.
  • Durch sein Image als „Reformer“ würde er vom Ausland schnell Hilfe bekommen.

Aufgrund dieses „Umsturzplanes“ wurde er von der Sonderkommission schuldig gesprochen und hingerichtet.

Dieser gesamte Bericht enthält viele Komponenten, die verschiedene Funktionen erfüllen dürften. Ich versuche mal kurz die unterschiedlichen Funktionen, die ich sehe, zu erläutern:

  1. Rechtfertigung der Hinrichtung: Jang hat sowohl moralisch, als auch in der Realität gegen das Wertsystem der DVRK verstoßen. Er hat das Vertrauen der Führer missbraucht und er hat gegen das hierarchische Normsystem verstoßen. Außerdem hat er Volksvermögen verprasst und dem Volk geschadet, indem er gezielt seinen Lebensstandard verschlechtert hat.
  2. Klarstellung des Regelsystems: Jeder der nicht genug applaudiert, der sich eigene Netzwerke aufbaut, der sich mit dem Führer auf einer Ebene wähnt, der sich politischen Vorgaben der Partei aktiv oder passiv widersetz oder den Führerkult kritisiert ist verdächtig. Also sollte man als Teil der Führung all diese Regeln mit allen daraus ableitbaren Konsequenzen lieber befolgen.
  3. Stabilisierung der absoluten Führung Kim Jong Uns: Wer ein Netzwerk oder eine Gruppe bildet, gerät ins Blickfeld der Führung und steht potentiell auf der Abschussliste. Ohne Gruppenbildung bleibt das System leicht zu kontrollieren, denn ein alleinstehender Widerständler hat kaum die Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Außerdem prüft und kontrolliert sich aktuell jeder noch stärker auf abweichendes Verhalten.
  4. Maßnahmen gegen ältere Generationen werden gerechtfertigt: Wenn Jang sagt (bzw. man Jang sagen lässt…) in den älteren Generationen habe es Leute gegeben, die er ansprechen wollte und die jüngeren kenne er nicht und wenn es im Unklaren belassen wird, wen er alles für seinen Putsch gewinnen wollte, dann ist klar, dass es unter den Älteren weitere Mitglieder der Jang-Gruppe geben könnte. Jüngeren kann man dagegen vertrauen. Kim Jong Un setzt seine eigenen Vertrauten ein und wenn es Konflikte gibt, weil hierarchisch eigentlich Ältere dran wären, dann kann immer das Vertrauensargument gezogen werden. Außerdem werden sich jetzt wohl alle älteren besonders bemühen, ihr Vertrauen zu beweisen.
  5. Ich sehe hier Anzeichen, die gegen reformerische Ideen und Öffnung sprechen. Die Errichtung eines Mosaiks dem wirtschaftlichen Arbeiten in einer Fabrik vorzuziehen zeigt klar die Präferenz: Personenkult geht vor wirtschaftlicher Entwicklung. Vor allem zeigt aber die Denunziation Jangs als „Reformer“ und die Kritik an Maßnahmen zur Öffnung (verpachten von Land in der SWZ Rason), dass man diesem Weg kritisch gegenübersteht. Diejenigen, die sich für Öffnung einsetzen oder Zusammenarbeit mit dem Ausland werden vermutlich wesentlich vorsichtiger werden.
  6. Es wird ein Sündenbock konstruiert, der an allem, was in den letzten Jahren schiefging, Schuld ist: Keine Verbesserung der Lebensumstände? Jang war’s! Inflation? Jang war’s! Stillstand auf Baustellen? Jang war’s! Korruption? Jang war’s! Ausverkauf von Ressourcen? Jang war’s! Alles klar? Wenn es in den letzten Jahren Probleme gab, ist der Schuldige gefunden.
  7. Entlastung der eigentlich Verantwortlichen: Den Punkt, dass Jang sich in die Kompetenzen des Kabinetts gemischt haben soll finde ich spannend, denn damit nimmt man diejenigen, die offensichtlich die Misere im Land nicht behoben haben aus der Schusslinie, sie konnten ja ihre Arbeit nicht richtig machen. Damit sind sie aber ab jetzt so richtig in der Pflicht.
  8. Trennung der Sphären und Verantwortlichkeiten: Jeder soll das machen, was seiner Aufgabenzuschreibung entspricht. Mischt sich eine Abteilung der Partei in die Wirtschaftspolitik, kann dies Verdacht erwecken. Vielleicht ist das übertragbar. Zum Beispiel denke ich da an wirtschaftliche Aktivitäten des Militärs. Generell ist jedenfalls eine klare Funktionstrennung ein gutes Mittel gegen Machtanhäufung.

Vermutlich enthält der Subtext noch einiges mehr, aber dafür muss man sich wohl weitaus besser mit Kultur und Gesellschaft dort auskennen und wohl auch den Originaltext lesen. Aber schon interessant, wieviel hier wirklich drinsteckt und wie wenig manche Medien daraus machen. Ich meine was soll das denn, als Hauptgrund für den Sturz immernoch Korruption und Frauengeschichten anzugeben. Das läuft hier unter „weiteres“ und dient nur als Beleg für seine moralische Verkommenheit. Auch die Verweise auf einen „Militärputsch“ oder auf Kim Jong Un als Reformer finde ich sehr fragwürdig, denn die Hinweise darauf müssen sich aus irgendwas ergeben, jedenfalls nicht aus den Informationen, die aus Nordkorea kommen. Und man sollte nicht in der selbstüberschätzenden Idee an die Sache rangehen, dass die nordkoreanische Propaganda diese Texte in erster Linie für den Westen konstruiert. Da steckt vielleicht die eine oder andere Botschaft drin, aber der überwiegende Teil der Informationen adressiert die Nordkoreaner selbst.

Nordkoreanische Arbeiter in der Mongolei, erwartete Hungersnöte in Nordkorea und mongolischer MIG-21 Jagdflugzeugschrott irgendwo — Die vielen Schichten bilateraler Beziehungen


Im vergangenen Jahr, das ja unter anderem geprägt war von einem verstärkten Werben nordkoreanischer Diplomaten um internationale Engagements in der nordkoreanischen Wirtschaft, besonders in der Sonderwirtschaftszone Rason, war ich in diesem Zusammenhang auch wiederholt auf die Beziehungen zwischen der Mongolei und Nordkorea gestoßen und hatte mich damit auch mal in einem kleinen Artikel beschäftigt. In den vergangenen Tagen kam mir die Mongolei in unterschiedlichen Zusammenhängen, die das Bild der bilateralen Beziehungen etwas bunter werden lassen, wieder mehrmals unter.
Daher will ich euch einen kurzen Überblick über diese interessanten Aspekte der nordkoreanisch-mongolischen Beziehungen geben. Um präziser zu sein geht es da um nordkoreanische Arbeiter in der Mongolei, um erwartete Hungersnöte in Nordkorea und um mongolischen MIG-21 Jagdflugzeugschrott irgendwo dazwischen.

Nordkoreanische Arbeiter in der Mongolei

Anfangen möchte ich mit den nordkoreanischen Arbeitern. Dass Pjöngjang in den vergangenen Jahren verstärkt, aber auch schon davor nicht zu knapp, auf eine Art Leiharbeitsmodell zur Devisengenerierung zurückgreift, ist nicht unbedingt neu. Immer mal wieder wird darüber berichtet, dass nordkoreanische Arbeiter in alle Staaten entsandt/verliehen/vermietet werden, die bereit sind, mit der nordkoreanischen Führung solche Geschäfte zu machen und den nordkoreanischen Sicherheitsanforderungen zu entsprechen. Nur findet man selten richtige Informationen zu diesem Thema (das scheint den Beteiligten dann meistens wohl doch unangenehm zu sein). Da lobe ich mir doch das Informationsportal der Mongolei, das auch zu Nordkorea-Themen immer schön transparent informiert. So wird zum Beispiel über ein Treffen zwischen Ri Chol Gwang, dem mittlerweile abgelösten Botschafter Nordkoreas in der Mongolei, und Vertretern der dortigen Führung berichtet. Dort wurde unter anderem darüber gesprochen, dass die Zahl der nordkoreanischen Arbeiter in der Mongolei von derzeit 2.000 auf 5.000 erhöht werden soll.

Nordkoreanische Nahrungsmittelknappheit

Dementsprechend hat das Informationsportal natürlich auch über den Antrittsbesuch des neuen nordkoreanischen Botschafters in Ulan Bator, Hong Gyu/Kyu, beim Präsidenten der Mongolei, Tsachiagiin Elbegdordsch, berichtet. Und dort kam dann auch interessantes zur Sprache. Der neue Botschafter wollte nämlich direkt bei Antritt schonmal die Nachricht an den Mann bringen, dass man vielleicht bald Nahrungsmittelhilfen brauchen würde. Es wäre möglich, dass Nordkorea „ernsthafte Nahrungsmittelknappheit“ erleiden würde und dass die Mongolei daher schonmal nach Wegen suchen solle, Hilfen zu gewähren. Auch in der Vergangenheit wurde über mäßig große Hilfen (in Form von Ziegenfleischlieferungen) der Mongolei vorletztes Jahr 35 Tonnen (das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein (der Bedarf an Hilfen liegt häufig im Bereich von einigen 100.000 Tonnen), aber vielleicht wird Ziegenfleisch ja auch in bestimmten Kreisen geschätzt, die etwas überschaubarer sind) an Nordkorea berichtet. Jedenfalls scheint man im Sinne guter Beziehungen schonmal vorwarnen zu wollen, dass sowas passieren könnte und dass die Mongolei dann bitte einspringen möge. Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun, dass China aufgrund der nicht mehr so blendend guten Beziehungen in den letzten Monaten, möglicherweise etwas zurückhaltender mit vergünstigten Exporten nach Nordkorea (= Hilfen) sein wird. Wir werden sehen was da kommt. Das Infoportal der Mongolei verschweigt ja selten etwas (mit Bezug zu Nordkorea), deshalb bin ich guter Hoffnung, dass wir das nachlesen können, wenn es zu Hilfslieferungen kommt.

Einladung nach Pjöngjang

Der neue Botschafter wiederholte im Rahmen seines Besuchs übrigens auch die Einladung, die auch schon sein Vorgänger an den Präsidenten der Mongolei gerichtet hatte. Der sei von Kim Jong Un herzlichst eingeladen sich anlässlich der 65 Jahre währenden Beziehungen beider Staaten mal in Pjöngjang blicken zu lassen. Ich bin gespannt zu sehen, ob da was passiert, aber unter den gegebenen  Umständen wird wohl kaum ein Staatspräsident bereit sein, nach Nordkorea zu reisen.

Mongolischer MiGschrott irgendwo dazwischen

Eben habe ich ja geschrieben, dass mongolische Informationsportal sei vorbildlich transparent und berichte über eigentlich fast alles im Zusammenhang mit Nordkorea. Das war so nicht ganz richtig, denn irgendwo gibt es auch in der Mongolei Grenzen. Zum Beispiel bei Exporten von Waffen. Das ist allerdings kein Wunder. Wenn man sieht, wie unglaublich geheim und intransparent das in Deutschland abläuft (so wie ich das verstehe dürfen wir dann wissen, ob wir Panzer in irgendwelche befreundete Scheichmusterdemokratien geliefert haben, wenn die in Nachbarländern beim Aufstandniederwalzen helfen), kann man da den Mongolen wohl keinen Vorwurf machen. Noch sensibler wird das Ganze natürlich, wenn es bei den Waffenexporten noch um Korruption und ähnliches geht (was aber auch sonstwo vorkommen soll).
Um mal zum Punkt zu kommen: Letztes Jahr trat überraschend ein mongolischer Brigadegeneral zurück und vor kurzem haben Medien den Zusammenhang mit einem äußerst korrupten Rüstungsgeschäft mit Nordkorea hergestellt. Nordkoreanische Vertreter hatten anscheinend beim damaligen General Dashdeleg angefragt, ob er nicht 20 außer Betrieb genommene MiG-21 Jäger nach Nordkorea verkaufen könne, damit wollte man wohl den Ersatzteilemangel für die etwa 200 Stück große MiG-21 Flotte des Landes mildern, die daraus resultieren dürfte, dass die Baureihen in Nordkoreas Besitz spätestens Mitte der 1980er Jahre ausliefen. Zur Motivation lagen der Anfrage wohl 1,5 Millionen US-Dollar bei. Dashdeleg hatte zugesagt und die Flugzeuge auf die Reise geschickt, allerdings vergessen bei den Russen nachzufragen, ob er das überhaupt dürfe (die Russen haben beim Export von in der Sowjetunion entwickelter  Waffentechnologie aus der Mongolei ein Veto) und er durfte nicht. Die Flugzeuge waren aber schon auf dem Weg und das Geld war schon bei ihm, daher schien er die Geschichte erstmal ruhen zu lassen. Irgendwo auf dem Weg scheinen die 20 MiGs aber dann verloren gegangen zu sein und weil die Nordkoreaner ja schon Geld überwiesen hatten, fragten sie einfach mal bei Dashdelegs Vorgesetzten nach. Die wussten wohl nichts von dem Deal und so ist Herr Dashdeleg jetzt ein Ex-General, vielleicht war ihnen auch peinlich, dass sie auf die Aufforderung des nordkoreanischen Vertreters „Wir wollen unser Geld zurück“ erstmal nachfragen mussten, welches denn genau. Dem kamen die Behörden dann aber weitgehend nach, indem sie Dashdeleg aufforderten, die Rechnung zu begleichen, was er auch soweit ihm das möglich war, machte.

Sichtbare und (normalerweise) unsichtbare Schichten bilateraler Beziehungen

Und warum habe ich jetzt diese ziemlich unterschiedlichen Geschichten, die miteinander nur peripher in Verbindung stehen, hier aufgeführt. Erstmal, weil sie alle für sich genommen nicht uninteressant sind. Aber darüber hinaus zeigen diese Sachverhalte, glaube ich, auch ganz gut, dass Beziehungen zwischen Staaten, wenn sie einigermaßen „gut“ sind, sehr viele unterschiedliche Schichten haben. Normalerweise und auch hier, kann man aus der Ferne an diesen Schichten nur kratzen oder man bemerkt manche garnicht. Man kann solche Beziehungen vermutlich nie voll durchdringen und gerade wenn es um sensible Sachverhalte geht, ist die Chance sehr klein, dass man davon was mitkriegt. Das sollte man sich immer mal vor Augen führen ohne jedoch gleichzeitig zum Verschwörungstheoretiker zu werden, der hinter allem und jedem immer gleich eine Verschwörung oder zumindest ein riesiges schmutziges Geheimnis vermutet. Nicht einfach, aber wenn man die Augen und Ohren offen hält, dann kriegt man immer mal was Interessantes mit, bei dem man weiter fragen oder recherchieren kann.

„Nordkorea“, das Regime und die Bevölkerung: Warum wir uns ein differenziertes Bild machen sollten


In der aktuell angespannten Situation und der Berichterstattung über sie, kann man sehr viel darüber lesen, was Kim Jong Un tut und was Nordkorea tut, eigentlich wird beides dabei synonym verwendet und eigentlich ist beides falsch.

Warum wir unser Bild von „Nordkorea“ differenzieren müssen

Kim Jong Un ist nur ein einzelner Mensch. Wenn der alles das tun sollte, was ihm so zugeschrieben wird, dann hätte er ganzschönviel Arbeit und würde wohl tatsächlich über Superkräfte verfügen, wie das ja schon von seinem Vater und Großvater bekannt war. Nordkorea ist gleichzeitig aber vor allem ein Staat, der aus ganzschön vielen einzelnen Menschen besteht. Da gibt es Kim Jong Un, Militärs und andere Funktionäre und dann gibt es noch mindestens 85 % der Bevölkerung, die nicht zum Regime gehören (ich schätze das aufgrund der vermuteten Mitgliederzahl der Partei der Arbeit Koreas. Wer der nicht angehört, der wird auch nicht in besonderem Maß vom Regime profitieren können). Wenn wir sagen und schreiben, Nordkorea tut dies und das, dann schließen wir diese 85 % ein, obwohl sie hinsichtlich der Politik nichts zu sagen haben und es sich auch nicht wagen können, zu widersprechen.
Gleichzeitig sind diese 85 % der Bevölkerung aber von den Folgen der Politik ihrer Herrscher betroffen und haben unter ihren negativen Folgen zu leiden. Dadurch, dass wir uns ein Bild von „Nordkorea“ als einer Einheit prägen, die permanent den Frieden bedroht und gegen sonst anerkannte Normen verstößt, schließen wir die 85 % aus unserer Wahrnehmung aus. Der Umgang mit diesem Thema ist zwar komplex und schwierig, aber verdrängen sollte man ihn trotzdem nicht. Daher will ich heute mal versuchen, einen kleinen Ausblick auf die Folgen der aktuellen Situation für die Menschen zu geben, die in Nordkorea leben, ohne am Agieren des Regimes direkt beteiligt zu sein.

Folgen der aktuellen Krise in Nordkorea

Zu diesem Thema gab es in den letzten Tagen einige Hinweise, die sich einerseits auf wirtschaftliche Frage beziehen, andererseits aber auch auf das Wirken von Hilfsorganisationen im Land.

Warum es nicht gut ist, Nordkoreas Wirtschaft zu zerstören

Zuerst möchte ich allerdings den Blick auf wirtschaftliche Fragen lenken. Das ist natürlich eine relativ schwierige Frage, denn natürlich kann man auch argumentieren, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit in einer zentral gesteuerten Ökonomie immer auch dem zentralen Steuerelement, also dem Regime zugutekommt.
Allerdings ist dieses Argument aus mehreren Gründen nicht haltbar. Einerseits würde dieses Argument, dächte man in der Logik weiter, als einziges legitimes Vorgehen eine totale Quarantäne Nordkoreas vorschreiben. Keine Hilfen, keine Kontakte, solange bis das Regime weg wäre. Das wäre eine frappierende Missachtung eigener Normen, weil man das Leiden der 85 % offenen Auges in Kauf nähme, um ein nicht genehmes Regime weg zu bekommen (Ich dachte gerade an dieses berühmt gewordene Zitat aus dem Vietnam-Krieg: „Wir mussten diese Stadt zerstören um sie zu retten„. Wenn wir uns irgendwas auf unsere Humanität einbilden, dann ist das eine unmögliche Vorgehensweise. Weiterhin wird gerade in wirtschaftlicher Aktivität eine der Möglichkeiten gesehen, die Macht des Regimes zu brechen, denn wenn die Menschen in der Lage sind, sich unabhängig vom Staat zu versorgen, dann wird ihr Selbstbewusstsein größer und ihre Abhängigkeit wird weniger, so dass die absolute Machtfülle bei gleichzeitigen schlechten Ergebnissen hinterfragt wird. Außerdem ist wirtschaftlicher Aufbau auch im Interesse Südkoreas, denn wenn es irgendwann mal ein Ende nimmt, mit der Kim-Führung, dann könnte der Süden in der Situation sein, die Verantwortung für die nordkoreanische Bevölkerung übernehmen zu müssen. Je mehr die Wirtschaft des Landes am Boden ist, desto teurer wird das.

Wirtschaftliche Folgen der aktuellen Situation

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Folgen für die nordkoreanische Wirtschaft frappierend sein dürften. Gerade der ohnehin kaum vorhandene Tourismus dürfte unter Nordkoreas gebaren leiden. Einerseits werden kurzfristig weniger Touristen ins Land kommen. Andererseits dürften aber auch potentielle  Investoren in diesem Bereich ihr Vorhaben zweimal prüfen, bzw. rückgängig machen, wie das Beispielsweise im bei den Plänen der Hotelkette Kempinsiki,  bei der ehemalige Bauruine des Ryugyong Hotels einzusteigen, der Fall ist. Diese Aussichten sind gerade mit Blick auf die Versuche der nordkoreanischen Tourismusbehörden in den vergangenen Jahren, ausländische Touristen ins Land zu lotsen, ein Rückschlag für den Versuch eine vorsichtigen Öffnung.
Im wirtschaftlichen Bereich ist natürlich auch der Kaesong Industriepark zu nennen. Zwar halte ich seinen Wert für die tatsächlichen Perspektiven einer wirtschaftlichen Entwicklung Nordkoreas für begrenzt, weil das Know How und das Kapital in südkoreanischen Händen blieb und die Nordkoreaner nur die (billige) Arbeit lieferten, jedoch dürfte die Anlage Effekte auf die nordkoreanischen Arbeiter gehabt haben. Es dürfte ihnen dort einerseits besser gegangen sein, als in nordkoreanischen  Betrieben, auch was die Entlohnung anging (selbst wenn sich der nordkoreanische Staat einen ordentlichen Teil davon abknapste), andererseits kam es zu einem regelmäßigen Austausch mit Südkoreanern und so möglicherweise zu einer Annäherung im Kleinen. Solange der Komplex geschlossen bleibt, ist es vorbei mit diesen Möglichkeiten.
Auch die jüngste Sanktionsrunde der UN könnte sich erheblich auf die nordkoreanische Wirtschaft auswirken. In diesem Artikel wird kurz das Problem angerissen, dass durch die nun stärker genutzten Finanzsanktionen gegen Banken auch legaler Wirtschaftsaustausch viel schwerer werden könnte, da es westlichen Unternehmen fast unmöglich gemacht würde, Geld nach Nordkorea zu transferieren. Diese Probleme könnten übrigens auch westliche  Botschaften im Land betreffen, die sich ja auch irgendwie finanzieren müssen.

Auswirkungen der aktuellen  Situation auf Hilfsorganisationen

Und damit kommen wir auch schon zur Tätigkeit der Hilfsorganisationen im Land. Denn nicht nur Unternehmen, sondern auch die europäischen Hilfsorganisationen scheinen laut dem Artikel zu fürchten, dass ihre Aktivitäten von den möglichen Finanzsanktionen, von denen die USA die EU gegenwärtig überzeugen wollen, stark eingeschränkt wären. Damit gerät erstmals der humanitäre Sektor in Gefahr, indirekt von den Sanktionen der Vereinten Nationen getroffen zu werden. Das wäre dann auch ein durchaus gültiger Beleg, dass die Sanktionen keineswegs „smart“ sind und nur der Führung schaden, sondern die gesamte nordkoreanische Gesellschaft treffen. Auch Gerhard Uhrmacher, der für die Welthungerhilfe in Nordkorea tätig ist, beschrieb heute im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass die Sanktionen die Operationen der Hilfsorganisationen durchaus betreffen. Einerseits dadurch, dass wie beschrieben das Überweisen von Geldern schwieriger wird. Andererseits, weil die Grenzkontrollen nun engmaschiger geworden seien und dadurch der Strom von Hilfsgütern langsamer fließe, obwohl die Organisationen eigentlich von Kontrollen ausgeschlossen sein sollten. Außerdem seien die Mitarbeiter gegenwärtig alle in Pjöngjang, da man aufgrund der Sicherheitslage niemanden ins Feld schicken wolle. Einen anderen Punkt warf Gerhard Tauscher, der für die Internationale Föderation des Roten Kreuzes und der Rothalbmond Gesellschaften in Nordkorea war in seinem Interview mit diesem Blog auf. Er erklärte, dass einige Geldgerber ihre Unterstützungen für die Hilfsorganisationen in Nordkorea auch vom „Wohlverhalten“ des Landes abhängig machen würden:

Man hat ja ungefähr einen Plan, wie viel Geld man ungefähr zur Verfügung hat und wenn dann die Politik eben wieder mal eine Rakete in den Weltraum schießt, oder was auch immer macht und dann gewisse Geldgeber aussteigen, dann wirkt das auch direkt auf die eigene Arbeit. Es gibt einige Geldgeber, die wirklich rein auf humanitäre Hilfe auch schauen, aber es gab auch einige Geldgeber, die dann sofort gesagt haben: “Ok. Dann nicht!” Ein Beispiel habe ich ja schon eben genannt.

Wie ich gehört habe, scheint die aktuelle Krise auch bereits in diese Richtung zu wirken, so dass es für manche Organisationen schwieriger geworden ist, Gelder aufzutreiben. Schädlich ist die aktuelle Situation vermutlich auch mit Blick auf mögliche Hilfen aus Südkorea. Die neue Präsidentin Park Geun-hye hatte angekündigt, anders als ihr Vorgänger Lee Myung-bak, humanitäre Hilfen und Politik auseinanderzuhalten (eigentlich ein Grundsatz humanitärer Hilfen (aber gut, Lee ist ja weg!)). Dies dürfte aber immer schwieriger zu vertreten sein, solange Nordkorea mit seiner Politik der Konfrontation fortfährt.

Nachdenken, bevor man über „Nordkorea“ spricht

Ich fürchte, meine kleine Aufzählung der Folgen der aktuellen Krise für die nordkoreanische Bevölkerung ist nicht vollständig und es gibt noch viele weitere Aspekte, die ich übersehen habe oder nicht kenne, aber darum geht es ja eigentlich auch nicht. Ich wollte nur das Bewusstsein wecken, dass wir, wenn wir von Nordkorea sprechen und von dem, was wir mit Nordkorea tun und lassen sollten, nicht nur die Führung dort ansprechen, sondern eine viel größere Zahl von Menschen, die nichts für die aktuelle Situation können und für die sich infolge des Vorgehens der Führung negative Konsequenzen auf das alltägliche Leben ergeben.

Jüngste Maßnahmen Nordkoreas: Innere Konsolidierung hat weiter Priorität über Wirtschafts- und Außenpolitik


Nachdem sich in den letzten Tagen mit Bezug auf Nordkorea ja fast alles um Drohungen und Rhetorik gedreht hat und man kaum noch einen Bericht finden konnte, der sich nicht in erster Linie um die Analyse von Aussagen und Vermutungen um die Intentionen dahinter drehte (ich stelle da übrigens nicht wirklich eine Ausnahmen dar), kann ich mich heute endlich nochmal mit handfesterem befassen, denn tatsächlich hat Pjöngjang in den letzten Tagen nach allem Gerede auch mal was getan.
Nicht eben überraschend, hat man aber weder Austin von der Landkarte getilgt, noch Seoul und hat sich auch nicht kopfüber in den militärischen und damit auch politischen Selbstmord gestürzt, indem man irgendeine militärische Aktion gestartet hat, einige Beobachter und Journalisten hier mag das überraschen, mich nicht wirklich, da ich nach wie vor von einem Handeln auf Basis rationaler Entscheidungen ausgehe.
Nein, die Maßnahmen Nordkoreas bezogen sich ebenfalls wenig überraschend auf die Baustelle, an der zurzeit wirklich gearbeitet wird. Auf die innere Konsolidierung. Hier sind Personalwechsel, die Bekanntgabe der politischen Strategie (die man allerdings in gewissem Maße auch unter Rhetorik verbuchen kann) und die Prioritisierung des Nuklearprogramms und in Verbindung damit die Ankündigung der Wiederaufnahme der Arbeit der stillgelegten Nuklearanlagen in Yongbyon zu nennen. Diese greifbaren Sachverhalte will ich im Folgenden kurz thematisieren.

Impulse durch ZK-Plenum und Zusammentreten der SPA

Die Entscheidungen sind im Rahmen von Tagungen hoher politischer Gremien gefallen. Einmal traf sich vorgestern (31. März) das Zentralkomitee der Partei der Arbeit Koreas (Dokumentation der relevanten Stellungnahme der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA mit kurzen Erläuterungen gibt es von NK Leadership Watch), das zwar „nur“ in entscheidenden Parteifragen entscheidet, aber in einem quasi Einparteienstaat sozialistischer Prägung, in der Partei und Staat stark verwoben sind, ist das eben ganzschön viel. Gestern trat dann die Supreme People’s Assembly (SPA), die Oberste Volksversammlung, also quasi das Parlament Nordkoreas zusammen (Dokumentation via NK Leadership Watch), das in der politischen Realität zwar nicht viel zu sagen hat, aber durchaus formell einiges Gewicht hat, da es die Hoheit über sehr viele Personalentscheidungen und das Budget hat und das Kabinett, das vor allem in wirtschaftlichen Fragen großes Gewicht hat, ihm verantwortlich ist. Das Zentralkomitee der Partei hat dabei zwar faktisch wenig Entscheidungsbefugnisse, aber dort wurde die Linie für die SPA vorgeben, sowohl was die Personalfragen als auch was die strategische Ausrichtung betrifft.

Personalentscheidungen

Vor allem zwei personelle Veränderungen sind bemerkenswert und verdienen einen näheren Blick, weil sie Bedeutung für die künftige Ausrichtung des Landes haben könnten und gleichzeitig einen Blick auf Kim Jong Uns Weg zur Machtkonsolidierung erlauben.

Neuer alter Premier: Pak Pong-ju kommt, Choe Yong-rim geht (aber bleibt auch irgendwie)

Die hier stärker rezipierte Personalie war die Ernennung eines neuen Premiers. Choe Yong-rim, der seit 2010  Premierminister war und sich in dieser Position ein ungewöhnlich deutliches eigenes Profil erarbeitet hat, wird durch Pak Pong-ju ersetzt.

Choes neuer Posten

Allerdings wird Choe anders als viele andere in den letzten Monaten, die ihren Posten abgeben mussten wohl nicht von der Bildfläche verschwinden, sondern vermutlich eher als „Elder Statesman“ angelernt. Der inzwischen 83 jährige (Biografie von North Korea Leadership Watch hier) wurde zum Ehrenvorsitzenden der SPA ernannt. Das klingt grundsätzlich wenig spektakulär, aber wenn man bedenkt, dass der gegenwärtige Vorsitzende Kim Yong-nam bereits 85 Jahre alt ist, ist an dieser Position ein Backup sicher nicht schlecht. Vor allem, weil Kim Yong-nam eine große Rolle bei der Repräsentation Nordkoreas gegenüber dem Ausland spielt und sein Wegfall sicherlich ein schmerzlicher Verlust für das Regime wäre. Allerdings ist ein 83 jähriger sicherlich keine Langzeitlösung für dieses Problem. Ich bin aber gespannt, was an dieser Stelle geschieht, wenn Kim Yong-nam irgendwann das Zeitliche segnen sollte.

Pak Pong-ju. Wer ist das?

Vor allem relevant ist jedoch die Ernennung des neuen Premiers Pak Pong-ju (zu dieser Personalie hier auch NK News und das biographische Profil von NK Leadership Watch), weil sie anders als Choes neue Positionierung unmittelbar bemerkbar werden dürfte. Pak Pong-ju der bereits von 2003 bis 2007 Premier war, wird eine reformfreundliche Haltung zugeschrieben, die sich am Vorbild China orientiert. Er wird immer wieder mit den sogenannten Juli-Reformen aus dem Jahr 2002 in Verbindung gebracht, als Pjöngjang sich sachte in Richtung Markt zu öffnen schien und vorsichtig mit Anreizsystemen zu experimentieren begann. Dieser Anlauf blieb allerdings nur eine Fußnote der Geschichte und ähnliches schien auch für Pak zuzutreffen, als er 2007 aus dem Amt und dann von der Bildfläche verschwand. Damit war er allerdings in guter Gesellschaft, denn ungefähr gleichzeitig verschwanden auch einige andere prominente Personen aus den Augen der Öffentlichkeit. Am bemerkenswertesten Kim Jong Uns Tante Kim Kyong-hui und ihr mächtiger Gatte Jang Song-thaek, der hinter den Kulissen einige Fäden zieht. Dies ist nicht die einzige Verbindung Paks zu dem einflussreichen Paar und so verwundert es nicht, dass er auch zu einer ähnlichen Zeit wie sie, nämlich 2010 wieder auftauchte. Damals erschienen viele Personen wieder oder erstmalig prominent auf der Bildfläche, deren Verbleib zuvor nicht genau geklärt ist. Ob Pak nun wirklich ein Verfechter einer Reformpolitik chinesischen Vorbilds ist, oder mittlerweile als geläuterter Parteisoldat in die Spitze zurückkehrt, das lässt sich kaum sagen und daher bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als sein Verhalten in Zukunft zu beobachten.
Dabei halte ich einige Aspekte für besonders spannend. Einerseits bin ich gespannt zu sehen, ob er die von Choe Yong-rim begonnene Praxis (bzw. in seiner Zeit erstmals öffentlich publik gemachte) der selbstständigen Vor-Ort-Anleitungen weiterführen wird, ob das eine Episode war oder ob gar Choe weiterhin Vor-Ort-anleitet. Hieraus dürften sich Schlüsse über sein Gewicht im Regime ziehen lassen. Generell bleibt natürlich das Netzwerk um Jang Song-thaek interessant, dem er anzugehören scheint. Kommen noch mehr Personen aus diesem Dunstkreis in Führungspositionen? Dies wäre ein mögliches Anzeichen für einen Machtgewinn Jangs, aber auch ein Zeichen für politische Vernunft des jungen Kims. Der hat eben kein eigenes verlässliches Netzwerk erfahrener Personen, woher auch. Da er aber scheinbar Jang als verlässlich ansieht, bedient er sich bei seinen Freunden, bis er echte eigene Freunde hat. Das finde ich eine strategisch kluge Entscheidung. Weiterhin wird es interessant sein zu beobachten, ob Pak Choe Ryong-hae in seiner Position als Mitglied des Präsidiums des Politbüros des Zentralkomitees der Partei ablösen wird, wie es eigentlich der Schlüssel dieses Gremiums, soweit ich ihn verstehe, erfordern würde. Allerdings glaube ich, dass solche Personalien nur von einer Parteikonferenz bestimmt werden können. Naja, abwarten und sehen, ob Choe weiterhin als Mitglied des Präsidiums geführt werden wird.

Minister für Volkssicherheit abserviert: Kim Jong Uns kurzweilige Personalpolitik

Eine weitere Personalentscheidung, die ich sehr spannend finde ist die Neubesetzung des Postens des Ministers für Volkssicherheit, der dem Job des obersten Polizeichefs sehr nahe kommt. Ri Myong-su, der diesen Job seit 2011 gemacht hat, wurde für den „Transfer zu einem anderen Job“ (ohne nähere Spezifizierung) freigestellt und durch Choe Pu-il ersetzt. Das finde ich deshalb bemerkenswert, weil ich Ri vor einigen Monaten als potentielles Abschussopfer auf die Watchlist gesetzt habe. Die Logik dahinter war, dass Kim Jong Un scheinbar das gesamte Führungspersonal im Bereich der inneren Sicherheit, das kurz vor dem Tod seines Vaters in diese Ämter kam, ersetzte. Das scheint sich hiermit zu bestätigen.
Gleichzeitig finde ich es interessant, dass mit Choe wieder ein hochrangiger Militär in diesen ja eigentlich eher zivilen Job geholt wird und damit die Verknüpfung zwischen Militär und inneren Sicherheitsorganen eher gestärkt wird. Aber vielleicht ist das auch Strategie, denn durch diese Umbesetzung verliert Choe natürlich Zugänge im Militär und muss sich in der neuen Position erst noch einarbeiten.

Personalentscheidungen deuten eher auf Konstanz und nicht zwingend auf Reformen

Insgesamt könnte man die oben genannten Personalentscheidungen so interpretieren, dass sie in verschiedene Richtungen weisen. Einerseits in Richtung Reform, durch Pak Pong-ju, andererseits in Richtung Konstanz, durch die Choe Yong-rim und Choe Pu-il Entscheidungen. Allerdings würde ich mit einer Interpretation Paks als Reformzeichen sehr vorsichtig sein. Bisher haben alle angeblich reformerischen Personalien nicht wirklich einen Wandel der politischen Linie zur Folge gehabt. Das kann so begründet werden, dass sie schlicht in den Spielräumen agieren müssen, die ihnen gelassen werden. Und die waren bisher nicht besonders groß. Daher könnte man vielleicht eine Einschätzung wie „nicht reformfeindlich“ zulassen, aber alles andere wäre wohl zu viel. Es wird umgesetzt, was von oben entschieden wird. Und die Entscheidungen von oben deuten momentan nicht in Richtung Reform. Aber dazu gleich mehr.

Die eingleisig zweigleisige Strategie Nordkoreas

Um genau zu sein jetzt. Denn von dem Treffen des Zentralkomitees der Partei ein Impuls aus, die die strategische Ausrichtung des Landes, auch mit Hinblick auf die Wirtschaft betraf. Der ist am besten durch diesen Absatz zusammengefasst:

The plenary meeting set forth a new strategic line on carrying out economic construction and building nuclear armed forces simultaneously under the prevailing situation and to meet the legitimate requirement of the developing revolution.

Die Plenarsitzung legte eine neue strategische Linie dar, die sich auf den gleichzeitige wirtschaftlichen Aufbau und die Weiterentwicklung der Nuklearstreitkräfte, vor dem Hintergrund der aktuellen Situation und den legitimen Erfordernisse der sich entwickelnden Revolution bezog.

Also eine zweigleisige Strategie der nuklearen Aufrüstung bei gleichzeitigem wirtschaftlichem Aufbau, wozu bemerkenswerterweise auch der Außenhandel verstärkt werden soll.
Fällt euch was auf? Genau! Das wird niemals funktionieren, denn bei weiterer nuklearer Aufrüstung werden die dringend benötigten Resourcen von Außen fehlen und auch  mit dem Außenhandel wird es schwierig werden, denn woher sollen dringend benötigte Devisen kommen. Schon im Bericht zu dieser Veranstaltung fällt auf, dass das größere Gewicht auf der nuklearen Rüstung liegt und dass als Teil der Wirtschaftsentwicklung ausgerechnet der Nuklearsektor und die Raumfahrt dienen sollen. Das könnte man eine klare Provokation der USA und Südkoreas nennen, die sich gerade an diesem Nuklear- und Raketenprogramm stoßen.
Diese Provokationen wurden dann gestern sozusagen in Gesetzesform gegossen, als man unter anderem ein Gesetz zur Schaffung eines „DPRK State Space Development Bureau“ um so den Lebensstandard der Bevölkerung voranzubringen. Da können die neuen Sanktionen des UN-Sicherheitsrates dann gleich mal greifen und das neue Organ quasi-automatisch unter Sanktionen stellen. Und dabei sind wir dann auch schon bei der Crux. Denn mit solchen Maßnahmen zur Wirtschaftsentwicklung ist es absehbar, dass die USA und viele andere Staaten Nordkorea jede Menge Steine in den Weg rollen können. Naja und dann hat Pjöngjang auch schon Gründe, warum es zwar mit der nuklearen Aufrüstung ganz gut weitergeht, dafür aber nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Umwelt lässt letzteres nicht zu! Und damit haben wir auch ein weiteres Mal den Beleg, in wovon das ganze Säbelgerassele der letzten Wochen und auch diese Maßnahmen motiviert sind: Von innenpolitischen Erfordernissen. Die angelblich neue Strategie ist also eher eine eingleisige der nuklearen Aufrüstung. Naja und wenn das Gleis dann mal frei ist, dann kann auch die Wirtschaft es benutzen.

Nuklearanlagen wieder anfahren, Nukleardoktrin verkünden: Nordkoreas Nuklearprogramm ist nicht (mehr) verhandelbar

Meine oben getroffene Behauptung hinsichtlich der Bevorzugung des Waffenprogramms lässt sich heute bereits an Taten bzw. Ankündigungen belegen, aber auch schon gestern hätte ein näherer Blick auf die geschlossenen Gesetze Nordkoreas diese Annahme gestützt.

Yongbyon soll wieder hochgefahren werden. Implikationen.

Heute legte Nordkorea dann in diese Richtung nach und verkündete die Wiederaufnahme des Betriebs der Nuklearanlagen in Yongbyon, deren Stilllegung im Jahr 2007 einer der größten Erfolge der Sechs-Parteien-Gespräche war. Das wird unter anderem mit den hohen Zielvorgaben für den Nuklearsektor durch die SPA begründet. Danach müsse der Nuklearsektor sowohl der zivilen Wirtschaft (durch die Erzeugung von Strom) als auch dem Militär, durch den qualitativen und quantitativen Ausbau der Nuklearstreitkräfte dienen.

DPRK to Adjust Uses of Existing Nuclear Facilities

Pyongyang, April 2 (KCNA) — A spokesman for the General Department of Atomic Energy of the DPRK gave the following answer to a question raised by KCNA as regards the new strategic line laid down at the March, 2013 plenary meeting of the Central Committee of the Workers‘ Party of Korea on simultaneously pushing forward economic construction and the building of nuclear armed force to cope with the prevailing situation so as to meet the law-governing requirements of the development of the Korean revolution:

The field of atomic energy is faced with heavy tasks for making a positive contribution to solving the acute shortage of electricity by developing the self-reliant nuclear power industry and for bolstering up the nuclear armed force both in quality and quantity till the world is denuclearized, pursuant to the strategic line on simultaneously pushing forward economic construction and the building of the nuclear armed force.

The General Department of Atomic Energy of the DRPK decided to adjust and alter the uses of the existing nuclear facilities, to begin with, in accordance with the line.

This will include the measure for readjusting and restarting all the nuclear facilities in Nyongbyon including uranium enrichment plant and 5 MW graphite moderated reactor which had been mothballed and disabled under an agreement reached at the six-party talks in October, 2007.

Der 5 MW Reaktor in Yongbyon wird sich nicht so schnell wieder anfahren lassen, weil 2007 dessen Kühlturm gesprengt wurde, aber es würde mich überraschen, wenn nicht beim nächsten Satellitenüberflug schon emsige Bauarbeiter an der Wiederrichtung des Turms arbeiten würden. Die Wiederaufbereitungsanlage im gleichen Komplex wird dagegen schnell wieder Arbeit haben, denn Nordkorea besitzt noch einige Brennstäbe, deren Aufbereitung waffenfähiges Plutonium für einige weitere Bomben ergeben würde. Auch hier sollte man bald die Aufnahme des Betriebs erkennen können (wenn ihr wirklich gute Informationen zu Nordkoreas Nuklearprogramm wollt, dann lest entweder bei Arms Control Wonk oder bei ISIS). Und das alles ist für die USA vermutlich absolut inakzeptabel (auf jeden Fall, wenn man dort die eigene Linie nicht radikal ändert) und wird allein ausreichend, um eine nennenswerte politische Interaktion mit Washington zu verhindern. Sollte es doch zu so einer Interaktion kommen, hieße das, dass die USA das Vorgehen Pjöngjangs stillschweigend akzeptieren und wäre ein großer Erfolg für die Führung, die unter dieser Bedingung tatsächlich mit Washington sprechen könnte.

Nordkoreas Nukleardoktrin und ihr Subtext: „Wir sind ein vollwertiger Nuklearstaat und bleiben es“

Bei alldem hilft es auch wenig, dass Nordkorea quasi seine eigene Nukleardoktrin quasi per Gesetz bekannt gemacht hat und dabei die defensive Natur der Nuklearwaffen betonte. Denn einerseits ist die Doktrin schwammig genug, um sie in einem entsprechenden Fall einer Interpretation zu unterziehen, andererseits und wichtiger, schwingt in diesem Vorgehen aber ganz klar der Anspruch Nordkoreas mit, ein Nuklearwaffenstaat zu sein und als solcher international anerkannt zu werden, was wiederum noch deutlicher macht, dass Pjöngjang nicht bereit ist, über eine Aufgabe des eigenen Nuklearprogramms zu verhandeln, wie es auch in der Vergangenheit wiederholt gesagt wurde. Ob unter diesen Bedingungen Gespräche mit den USA möglich sein werden, muss sich zeigen, aber ich tendiere immer mehr dazu, dass Pjöngjang tatsächlich nie wieder ein Abkommen über den Abbau des Nuklearprogramms aushandeln wird. Daher gehe ich davon aus, dass Pjöngjang vor anstrengenden außenpolitischen Verhandlungen erstmal Ruhe haben wird und sich die Führung dort auf die ebenfalls anstrengende Konsolidierung des noch sehr frischen Kim Jong Un Regimes konzentrieren kann.

Disclaimer

Aber wie die Vergangenheit zeigte, lag ich bei meinen Einschätzungen schon oft sehr falsch und wurde (aber selten als einziger) von neuen Schritten Pjöngjangs überrascht. Daher werde ich hier ganz sicher nichts ausschließen und vielleicht irre ich mich auch in allen getroffenen Annahmen (wäre nicht das erste Mal). Aber — und das ist wohl die wichtigste Essenz bei der ich bleiben werden — man sollte Pjöngjangs momentanes Agieren immer in erster Linie als innenpolitisch motiviert ansehen und außenpolitische Erklärungsansätze etwas zurückstellen.
Auch auf etwas anderes möchte ich euch noch aufmerksam machen. Auf der Sitzung der SPA gab es auch noch andere Aspekte, die hier aus Zeitgründen keine weitere Erwähnung finden. So wurde zum Beispiel das Budget für das nächste Jahr mit den für Nordkorea üblichen wenigen, aber vorhandenen Informationen vorgestellt. Das ist sicherlich sehr spannend und wenn ihr euch diesen tollen Artikel von Rüdiger Frank als „Lesehilfe“ danebenlegt, dann versteht ihr auch, dass trotz weniger Infos einiges da rauszuholen ist.

Leben und arbeiten in Nordkorea: Interview mit dem Entwicklungshelfer Gerhard Tauscher (III)


Ich hatte kürzlich die Gelegenheit mit Gerhard Tauscher zu sprechen, der von 2011 bis Ende 2012 für die Internationale Föderation des Roten Kreuzes und der Rothalbmond Gesellschaften (IFRC) in Nordkorea Wasser und Sanitärprojekte betreute. Er hat sich viel Zeit für mich genommen und daher habe ich beschlossen, das Interview dreizuteilen.
In diesem dritten Teil wird es um das „Alltagsleben“ Tauschers in Nordkorea, den zwischenmenschlichen Umgang mit Nordkoreanern, die Stimmung zur Zeit des Todes Kim Jong Ils und die praktischen Schwierigkeiten beim Bird-Watching in Nordkorea gehen. In den vorherigen Teilen des Interviews ging es um den Arbeitsalltag in Nordkorea und die Hemmnisse, die die nordkoreanischen gesellschaftlichen Normen dabei mit sich bringen und um die Arbeit der IFRC und anderer Entwicklungshelfer in Nordkorea. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen kann ich euch diesen Teil nochmal empfehlen, denn die Probleme, die Tauscher da vor allem mit Blick auf die Finanzierung beschreibt, stellen sich den Entwicklungshelfern aktuell vermutlich in nicht bekanntem Maß. Die bisher erschienen Teile der Serie findet ihr hier.

Logo der IFRC (Foto von sbamueller unter CC Lizenz Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) (CC BY-SA 2.0))

NK-Info: Jetzt würde ich gern noch etwas über Ihre persönlichen Erfahrungen sprechen. Um mal ganz harmlos anzufangen: Sie haben auf Ihrem Blog geschrieben, dass Sie ein Konzert des Münchener Kammerorchesters in Pjöngjang besucht haben. Das fand ich interessant, weil ich es ohnehin schön fand, dass trotz aller politischen Schwierigkeiten noch kultureller Austausch stattfindet und weil ich auch selbst was zu diesem Konzert geschrieben hatte. War das für Sie das einzige Mal, dass Sie in solche Events mit einbezogen wurden, oder gab es ähnliche Möglichkeiten öfter?

Tauscher: Das hängt stark vom Counterpart ab. Solche Sachen muss der normalerweise organisieren. Es gibt immer einen, der formal dafür zuständig ist und wenn man den lange genug löchert, dann organisiert er solche Sachen.

Das Münchener Kammerorchester speziell war aber von der deutschen Botschaft organisiert. Die schickt in solchen Fällen dann eine Rundmail: „Wer mag hingehen, wir haben 50 Karten und wer sich zuerst meldet, der bekommt Karten.“ Eigentlich gibt es zu vielen Events solche Möglichkeiten. Ungefähr eine Woche vorher waren wir zum Beispiel beim nationalen Sinfonieorchester und wir waren auch mal im Children’s Palace, wo es Vorführungen gab — das ist aber schon wieder eine eigene Geschichte — was da dann für eine „Dressur“ stattfindet. Wenn man will, kann man jedenfalls alle diese kulturellen Dinge, die dort angeboten werden, besuchen. Man zahlt dann natürlich den „Ausländereintritt“, aber man kann da ganz viel mitnehmen. Das hängt von der eigenen Initiative ab und ein bisschen auch vom Geschick des Counterparts, denn der muss die Karten irgendwie organisieren und manche bekommen das eben besser hin und manche weniger gut.

NK-Info: Und sind auf solchen Veranstaltungen dann auch viele Nordkoreaner? Also kommen da „normale Leute“ hin, oder ist das dann vorsortiert?

Tauscher: Das ist immer gemischt. Aber wie die koreanischen Gäste jetzt genau ausgesucht werden, kann ich nicht sagen. Das sind normalerweise Gruppen, die irgendwie an die Tickets kommen. Es gibt also keinen freien Kartenverkauf, sondern da sind dann immer ganze Arbeitseinheiten.

Neben diesen gibt es noch eine Art Veranstaltungen, die einen ganz anderen Charakter hat. Zu denen wird man geladen. Ganz offiziell. Das ist dann zum Beispiel die Eröffnung der neuen Statuen, zu der wir ganz hochoffiziell geladen wurden. Solche Einladungen erfolgen üblicherweise kurzfristig und ein bisschen geheimniskrämerisch. Als Grund wird dafür immer die Sicherheit vorgeschoben.

Einmal waren wir zum Beispiel relativ kurzfristig zu „einem Konzert“ geladen. Da hat dann diese neue Moranbong Band  gespielt. So wurde uns das verkauft. Wir wurden dann dorthin gebracht und auf die Ehrentribüne gesetzt. Da saßen dann vielleicht 200 Ausländer, einige die in Pjöngjang ansässig sind und ein paar Touristen und der Rest der Halle war voll mit Militär. Der Anlass war das 60-jährige Jubiläum der Gründung der Militäruniversität. Sowas erfährt man dann im letzten Moment, sitzt dann da auf der Ehrentribüne und irgendwann kommt auch noch der Staatschef. Dann ist natürlich auch klar, dass vorher nicht kommuniziert wird, dass er auch kommt und wo es genau sein wird. Man könnte ja sonst versuchen, dem was-weiß-ich-was anzutun. Aber das wäre bei uns wahrscheinlich genauso. Aber die Ausländer irgendwo auf die Ehrentribüne zu setzen und das dann im Land — zum Glück nur im Land… — als Beleg dafür zu verkaufen, dass Nordkorea vom Ausland toll gefunden wird.  So etwas nervt ziemlich. Solche Versuche gab es immer wieder. Wir haben uns ganz oft auch geweigert, zu solchen Anlässen zu gehen, aber das mögen sie natürlich auch nicht.

NK-Info: Wie äußert sich das denn dann, wenn die nordkoreanische Seite verärgert ist, weil Sie sich geweigert haben? Sind dann die Counterparts in der folgenden Zeit schlecht gelaunt oder wie merkt man das?

Tauscher: Die Counterparts machen auch dann gutgelaunt ihre Arbeit weiter. Aber wir hatten schon ein bisschen den Eindruck, als würde da vielleicht so etwas wie ein Bonussystem für die dahinterstecken. Also dass es für die Counterparts positiv ist, wenn sie „ihren“ Ausländer sozusagen gut unter Kontrolle haben. So etwas steckt glaube ich dahinter.

NK-Info: Von Personen, die regelmäßig nach Nordkorea reisen, aber nicht permanent dort vor Ort waren, wie Sie, hat man öfter mal gehört, dass man mit der Zeit und einer zunehmenden Zahl von Besuchen im Land, ein Gespür bekommt, was gerade im Land los ist. Ob da zum Beispiel gerade etwas im Busch ist. Das würde man am Verhalten der Nordkoreaner erkennen. Haben Sie so etwas auch beobachtet?

Tauscher: Nein, ich glaube das würde in meinem Fall zu weit gehen.

Extrem war natürlich die Trauerzeit. Wir waren vor Ort als er [Kim Jong Il, Anm. d. Red.] gestorben ist. Wir sind dann auch einmal um den Sarg geführt worden. Zum Glück bin ich dann bald auf Heimaturlaub geflogen. Die Stimmung war damals schon schwer nachvollziehbar. Diese Trauer war extrem! Wenn man irgendwo hinkam, in irgendein Restaurant oder irgendeine offizielle Stelle, da sammelten sich eigentlich alle Leute nur noch um den Fernseher und haben dagestanden, sich heulend Reportagen über das Leben des Mannes angeguckt. Im Fernsehen kamen nur noch Rückblicke und Ehrerbietungen oder Berichte über seine Orden. Und das ganze Land hat nur geheult.

Es war bestimmt ein Anteil Gruppendynamik dabei, aber im Prinzip war das schon die echte Trauer, glaube ich. Es kam schon raus: „Der Mann, der das Land hierher gebracht hat und alles zusammenhält ist gestorben.“ Die meisten Leute waren da einfach tief entsetzt. Im Detail war das vielleicht manchmal übertrieben, aber im Prinzip war es eine echte Trauer. Es war eine extreme, depressive Stimmung. Deswegen war ich auch ehrlich froh, als ich kurz vor Weihnachten da rausgeflogen bin.

NK-Info: Genau danach hätte ich Sie später auch noch gefragt, weil das so eine Sache ist, die kaum nachzuvollziehen ist, wenn man so wie ich in einer ganz anderen Welt lebt. Haben Sie zum Tod von Kim Jong Il von ihren Counterparts oder andere Male Rückmeldungen oder Aussagen gehört? Haben Sie mal darüber gesprochen?

Tauscher: Nein, eigentlich nicht. Darüber habe ich nicht groß diskutiert. Schon eher darüber, dass dann der Sohn inthronisiert wurde. Mich wundert das. Ich meine, dass würde hier ja auch jeden wundern, wenn dann plötzlich so ein junger Typ direkt Oberbefehlshaber wird, ohne je beim Militär gewesen zu sein. Aber dort habe ich trotzdem nie irgendwen kritisch darüber sprechen hören.

Also überhaupt hört man nie irgendetwas Kritisches. Es ist alles super. Letztendlich sind das ja auch Punkte, die vielleicht interessant sind für uns, aber uns eigentlich auch gar nichts anzugehen haben. Wir als Rotes Kreuz machen unsere Projekte. Da gibt es schon genug Politik und Dinge, die da hineinspielen, aber wie die Koreaner jetzt ihren Präsidenten wählen und ob er wirklich die Macht in der Hand hat, all diese Dinge sind interessant, aber das ist eher persönliches Interesse und nichts, was ich mit meinen Counterparts diskutiert hätte.

NK-Info: Also haben Sie nie wirklich etwas darüber erfahren, was die Nordkoreaner über Politik dachten?

Tauscher: Also wir hatten einen im Team, der hat schon gesagt, was er denkt. Mit dem bin ich einmal in einer Diskussion bis zum Koreakrieg vorgedrungen. Da ging es am Anfang um Militärausgaben und er sagte dann: „Wir brauchen das wegen der permanenten Bedrohung und weil wir nicht wieder überfallen werden wollen.“ Ich habe dann gefragt: „Wie? Wir wollen nicht wiederüberfallen werden?“ – „Ja, die Amerikaner wollen die Welt erobern und uns auch. Deshalb müssen wir uns verteidigen.“  Und ich sagte dann: „Ja, zu den Amerikanern kann man natürlich kritisch stehen, aber ich glaube nicht, dass noch irgendjemand Nordkorea erobern will. Ich glaube es ist eher eine Belastung, wenn man Nordkorea wieder auf Vordermann bringen soll.“ – „Nein, nein. Die warten nur auf einen schwachen Moment von uns und wollen uns dann erobern. So wie beim letzten Mal.“ – „Wie? Wie beim letzten Mal? Beim letzten Mal habt ihr den Süden überfallen.“ – „Nein, nein. Die haben uns überfallen!“

Da habe ich gemerkt: Hier kommen wir nicht weiter, das war schließlich ein intelligenter und gebildeter Mensch, der sowas sagte. Aber insgesamt gab es ganz wenige Diskussionen um solch kritische Fragen. Auch weil natürlich normalerweise auch immer zwei Koreaner mit einem sprechen.

NK-Info: Wo wir jetzt mitten in Ihrem Alltag angekommen sind: Entwickelt man eigentlich mit der Zeit eine Art Alltag, oder — Sie haben ja eben schon erwähnt, dass Sie irgendwann dann doch angenervt waren — denkt man nur: „Bin ich froh, dass ich hier nicht geboren bin und bin ich froh, dass ich hier bald wieder weg kann“?

Tauscher: Auf jeden Fall ist man froh, dass man wieder weg kann, das ist eine gute Sache. Ich habe mich schon ein bisschen solidarisiert, aber mehr im Zusammenhang damit, was im Ausland teilweise für ein Müll berichtet wird. In diesem Bezug gab es schon eine gewisse Solidarisierung, aber ansonsten war ich schon froh, dass ich wieder da raus konnte und dass es für mich einen klaren Endpunkt gab. Ich war ursprünglich für ein Jahr dort, habe dann nochmal verlängert bis Ende des Jahres, aber dann war es auch gut. Ich hätte dann nochmal verlängern können, aber noch länger wollte ich wirklich nicht mehr.

Teilweise lag das auch daran, dass es dort keine kritische Diskussion gibt. Wenn man den ganzen Tag nur diese ganzen Ammenmärchen erzählt bekommt, dann steigert das nicht unbedingt die Begeisterung für das Land. Außerdem entwickeln sich keine Freundschaften mit individuellen Nordkoreanern. Die halten alle Distanz, es gibt keinen, der mal mit einem einen trinken geht. Es passiert alles im formalen Rahmen, da trinken sie dann auch mal ordentlich, aber man kann keine Freundschaft im eigentlichen Sinne zu irgendjemand aufbauen. Weil jeder kontrolliert wird. Am Schluss wollte ich dann mal nur das Wasserteam einfach in irgendeine Kneipe einladen und das ging schon nicht. Wir haben es zweimal geschafft, alle unsere Angestellten in unsere Wohnung einzuladen. Aber das funktioniert dann auch so, dass alle geschlossen um sieben kommen, trinken, essen und um neun Uhr alle zusammen gehen.

Und da fehlt mir dann was, um mich sozusagen in dieses Land zu verlieben und mit Herzblut zu sagen: „Das ist ein Ort, an dem ich mir vorstellen kann ewig lang zu bleiben.“ Das sind viele Kleinigkeiten, die einen über einen längeren Zeitraum dann auch wirklich nerven.

NK-Info: Also wie Sie das schildern, fühlt man sich dann ja auch immer als Fremdkörper.

Tauscher: Ja. Es gibt auch, glaube ich, eine beachtliche Portion Rassismus. Gut, man ist extrem privilegiert dort und extrem hoch geachtet, aber im Prinzip könnte man das Rassismus nennen, dass  dort zum Beispiel gemischte Ehen grundsätzlich unvorstellbar sind.

NK-Info: Dazu existieren ja in der Wissenschaft auch klare Thesen.

Eben haben Sie ja schonmal kurz angesprochen, dass das historische Wissen, auch gebildeter Menschen, nicht unbedingt den realen Fakten entspricht. Wie ist denn ansonsten der Wissensstand der Menschen. Ich hatte mir hier notiert: „technisch“ und „politisch“.

Politisch haben Sie eben ungefähr umrissen, aber wissen die Menschen schon, was in der Welt so vor sich geht? Die, die reisen, müssten ja eigentlich Bescheid wissen…

Tauscher: Die, die reisen. Aber das ist eine kleine Elite. Das sind nur die Funktionäre, also Leute, die in hohen Positionen sind und auch viel zu verlieren haben.

Mein Counterpart, der viel reist, hat irgendwann gefragt: „Was macht China anders als wir? Warum ändert sich in China so viel?“ In Nordkorea bekommt er verkauft, das er im besten Land der Welt lebt, gemeinsam mit China. Aber dass es in China zurzeit viel besser läuft, sieht momentan jeder Blinde. Aber damit hat sich das auch schon.

Die anderen wissen nicht Bescheid. Und dann noch die ganze Propaganda… Die Finanzkrise in Europa wird im Fernsehen zum Beispiel so verkauft, dass demonstrierende Leute in Athen gezeigt werden, in der nächsten Szene dann ein paar Obdachlose unter einer Brücke und so geht es dann Europa. Deswegen kann dann jeder froh sein in Nordkorea zu sein, denn da geht’s den Menschen wenigstens so, wie es ihnen eben geht. Das ist schon krass und deswegen glaube ich, dass die breite Masse keinen Dunst hat.

Gerade auf dem Land. Da braucht ja jeder, der aus seinem Dorf raus will, schon die Genehmigung vom obersten Dorffunktionär, um irgendwo hinzuradeln. Und aus der Provinz rauszukommen ist nochmal eine ganz andere Sache. Die Leute haben ja noch nicht einmal ein Bild von ganz Nordkorea, sondern die haben nur ihr Bild von ihrem Dorf. Oder von ihrer direkten Umgebung. Daher glaube ich, dass Nordkorea schon ein riesen Land von Ahnungslosen ist.

NK-Info: Also würden Sie sagen, dass die Menschen in der ehemaligen DDR besser über die BRD und den Rest der Welt Bescheid wussten?

Tauscher: Wenn man hier den Vergleich mit Ost- und Westdeutschland zieht, dann gibt es da riesige Unterschiede. Es gibt eben kein Westfernsehen oder Westradio und umgekehrt. Es gibt keinen Familienaustausch. Es gibt null Reisen.

Hm, das ist nicht ganz richtig. Ein bisschen Austausch gibt es mit der koreanischen Bevölkerungsgruppe in Japan. Da sieht man relativ viele Reisegruppen: Jugendliche, High-School-Absolventen aus koreanischen Schulen oder ganze Schulklassen, die ihr „Heimatland“ besuchen. Das sieht dann auch immer sehr witzig aus, in der japanischen Schuluniform und ziemlich punkig vom Aussehen her, einfach direkt erkennbar als nicht-koreanisch. Das ist vielleicht so ein kleines Fenster zur Außenwelt.

Aber insgesamt ist das eben so abgeschottet und es gibt keine Informationen. Die große Masse, also bestimmt 90 Prozent, hat keinen Dunst.

NK-Info: Und von der technischen Ausbildung her, also was sie gelernt haben? Man hört ja immer mal, dass die Leute dort eine solide bis gute Ausbildung erhalten.

Tauscher: Ja; Aber! In den ganzen Ingenieurswissenschaften, in Medizin, eigentlich in all den Fächern, in denen in Deutschland und global ein riesiger akademischer Austausch herrscht. In all den Bereichen, in denen in der Wirtschaft globale Netzwerke bestehen, in denen jeder eigenes Know How mitbringt und so für Austausch sorgt, dort hinkt Nordkorea hinterher, denn Austausch gibt es kaum. Und entsprechend sind viele dieser Disziplinen auf dem Stand von vorgestern. Ich glaube die Ausbildung ist gut und der Stellenwert der Ausbildung ist bestimmt hoch, auch wenn ich das im Detail nicht genau beurteilen kann. Aber im Endeffekt schmort man im eigenen Saft.

Da hatte ich auch witzige Diskussionen mit meinen Leuten. Die haben gesagt: „Wie, aber wir schicken doch wieder zwanzig Studenten nach China.“ Aber das ist ja kein Austausch. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Und ob diese Studenten dann letztendlich in der Funktion arbeiten werden, in der sie ihr Wissen in ihrem Fach anwenden können, ist dann auch noch sehr fraglich. Ich glaube, in allen Bereichen, in denen es weiter große Entwicklungen gibt, also zum Beispiel Medizin oder IT gilt das.

Außerdem fehlt das Internet. Also die Möglichkeit das Wissen zu konservieren und jedem zugänglich zu machen. Eine People’s Library, als die große Bibliothek des Volkes, das sieht toll aus, aber das ist natürlich nur für ganz wenige.

NK-Info: Kommen wir vielleicht noch zu aktuelleren Entwicklungen. Rüdiger Frank hat gesagt, es wäre eine Aufbruchsstimmung in der Bevölkerung zu spüren, die sich laut seiner Aussage im Zeitraum von März 2012 bis Oktober 2012 bemerkbar gemacht hat.

Tauscher: Das kann ich nicht genau nachvollziehen. In unseren hitzigen Diskussionen, wie wir das Budget aufstellen, wurde von koreanischer Seite immer gesagt: „Ja, jetzt mit der Aufbruchsstimmung wegen der neuen Führung und den zukünftigen neuen Regierungen im Süden, in China und in Japan, das wird dazu führen, das sich hier alles öffnet und wir dann wieder am Verhandlungstisch sitzen und sich dann alles bessert.“

Aber nach dem gescheiterten Raketenstart im April, als das Land auch fast in eine Art Volkstrauer verfallen ist, war das erst einmal zu Ende. Da war keine Euphorie, sondern die Leute waren wirklich drei Tage lang absolut depressiv. Eine Stimmung, nach der jetzt vielleicht die Zeit für einen Neuanfang ist, habe ich nicht bemerkt.

Auch in der Presse hat Kim Jong Un ja eher seinem Großvater nachgeeifert. In der ganzen Erscheinung, in der ganzen Gestik, das war alles so altbacken. Zum Beispiel diese On-the-spot-guidances: Der geht irgendwo in eine Saftfabrik und erzählt denen, wie sie Saft machen müssen. Das waren die Schlagzeilen. Nichts über Reformen oder das Ausland. Wie gesagt: Mir ist nicht aufgefallen, dass sich da groß etwas geändert hätte. Und spätestens mit dem zweiten erfolgreichen Raketenstart passiert gegenüber dem Ausland wahrscheinlich ein Jahr nichts.

Diese Agrarreform, die da im Raum standen und  beschlossen werden sollten, das wäre ein eindeutiges Zeichen gewesen. Und stattdessen hat man dann gerade mal beschlossen, dass ein Jahr länger zur Schule gegangen wird und die Lehrer nicht mehr zur Feldarbeit abkommandiert werden. Das ist nur ein sehr kleiner Schritt. Wenn man das als Reform bezeichnen will: Ok. Aber für mich und ich glaube auch für viele andere war das sehr enttäuschend.

NK-Info: Es gibt die These, dass es quasi zwei Nordkoreas gibt: Pjöngjang-Nordkorea und Rest-Nordkorea und dass viele, die einmal nach Nordkorea fahren und die ganze Zeit dort sind, ein völlig schiefes Bild kriegen. Ich meine in Pjöngjang hat sich ja wirklich viel getan.

Tauscher: Absolut. Diese These kann ich absolut unterstützen.

In Pjöngjang tut sich extrem viel, vom Straßenverkehr angefangen über die ganzen Bauten, die hochgezogen wurden, auch die neuen Supermärkte. Auch wir haben das gemerkt. Man kann jetzt endlich offiziell umtauschen. Früher musste man, um den Schwarzmarktkurs zu bekommen irgendjemanden finden, der umgetauscht hat. Eigentlich war das illegal. Jetzt gibt es da diesen einen chinesischen Supermarkt, der ganz normal zum Schwarzmarktkurs umtauscht. Man kann dann mit dem Geld in diesem Supermarkt einkaufen, aber keiner achtet drauf, ob man das Geld dort wirklich ausgibt.

Aber auf dem Land passiert einfach nichts. Ich habe das immer mal ein bisschen hinterfragt. Ich habe zum Beispiel einmal die Cooparative-Farm Manager gefragt, wie es denn mit der Ernte aussähe, was zu erwarten wäre. In diesem Jahr hieß es zum Beispiel schon mitten im Sommer, dass es gut aussähe. Und dann habe ich gefragt: „Was ist der Grund dafür?“ – „Es gibt ja mehr Kunstdünger und Maschinen.“ – „Und wie viel Kunstdünger haben Sie denn hier bekommen für Ihre Farm und welche Maschinen?“ – „Nicht bei uns! Wir haben keinen bekommen. So allgemein im Land…“ Das waren wieder solche „Talking Points“, die vom Staat vorgegeben waren.

Auf dem Land leben die Menschen von der Hoffnung und dieses Jahr war die Ernte eben besser. Aber der Staat tut eigentlich nichts. Zum Beispiel die Autobahn, die von Pjöngjang in den Norden führt, die biegt irgendwann dann zum Friendship Museum ab und für den Touristen, der nur das bereist, sieht das ganz toll aus. Aber meine Projektgebiete waren ein bisschen weiter westlich und ich bin dann auf der Schotterstraße gefahren. Und diese Schotterstraße führt nach Sinuiju an die Grenze. Das ist nicht irgendein Ort, sonder die Haupteingangspforte zu China und dorthin führen dann 100 Kilometer Schotterstraße. Vom ersten Tag an habe ich dann ein paar Kilometer neben der Straße den Bau einer Autobahn gesehen, aber da hat sich nichts getan. Alles Handarbeit, viel Stückwerk, aber kein Baufortschritt, in eineinhalb Jahren.

[Anm. d. Red.: Die Karte unten zeigt das beschriebene Gebiet. Während die Autobahn (dicke gelbe Linie) in Richtung der International Friendship Exhibition am Myonghansan abbiegt (markiert) führt nach Sinuiju (linker Bildrand, Mitte) eine einfache Straße.]

Ein gutes Beispiel für die These ist auch das Kraftwerk, das jetzt eröffnet wurde. Der ganze Strom von da geht nach Pjöngjang. Und ich mit meinen Wasserprojekten: Da sind viele gepumpte Anlagen, die auch Strom brauchen, da hat sich nicht verbessert.

NK-Info: Auf Ihrem Blog haben Sie geschrieben, dass Sie Birdwatcher sind. Hat sich Nordkorea aus dem Gesichtspunkt gelohnt? Ich meine es gibt nicht viel Industrie und ähnliches, kaum Windkraftanlagen…

Tauscher: Hm, zum einen ist das Eurasien. Deswegen ist die Vogelwelt nicht viel anders als hier. Es gibt zwar ein paar Exoten aus der sibirischen Vogelwelt, die sieht man vor allem im Winter. Das nennt man Bedarfstiere: Wenn die Gewässer zufrieren und es zu kalt wird, dann gehen die immer weiter in den Süden. Davon sieht man da einige. Abgesehen davon ist es aber auf Dauer nervig. Nach dem Sommerurlaub hier habe ich mein großes Teleobjektiv dann auch zuhause gelassen. Denn egal wo man hingekommen ist, es gab an jeder Ecke einen der sich berufen fühlte — das waren nicht zwingend immer Offizielle Aufpasser — und dachte, da ist was verkehrt. Und die rufen dann eventuell irgendwo an oder laufen hinter einem her und verscheuchen die Vögel.

Und an der Küste war es auch nicht viel besser. Wir sind bis nach Nampo gefahren, denn da gibt es viele Enten und Wasservögel. Und dort nimmt man dann das Fernglas und schaut Richtung See und wenn man dann hinter dem See an den Hang schaut, dann ist da immer etwas Militärisches. Man will das ja nicht auf den Bildern haben, aber da ist eben an jeder Ecke irgendein Bunker oder ein Unterstand oder eine Garage oder irgendwas anderes. Und dann hat das ein gewisses Risiko. Manchmal wurden dann schonmal die Kameras gefilzt und Fotos gelöscht. Das mit dem Vögel beobachten war im Endeffekt eine nette Freizeitbeschäftigung, aber großes Objektiv mitzunehmen, das hat nichts gebracht. Etwas wirklich Vernünftiges konnte man da nicht machen.

Aber zu dem Birdwatchen habe ich noch eine andere witzige Anekdote: Es gab dort ein, zwei Vogelbücher, die ich mir gekauft habe. Weil sie auf Koreanisch waren, habe sie meinem Counterpart gegeben. Nach dem Wochenende habe ich ihm dann berichtet, was ich so gemacht habe. Das gehört zu seinem Job, das am Montag zu checken. Oft hatte ich zwar den Eindruck, der wusste sehr gut, wo ich war, aber nun gut. Ich habe ihm dann auch genau erzählt, wo ich spazieren gegangen bin und wo ich Fotos gemacht habe. An den Bildern war er dann immer besonders interessiert und wollte die auch sehen. Das gehört wohl auch zum Job, zu gucken, ob da etwas Kritisches drauf ist. Im Winter gab es Seeadler in der Stadt. Mitten in Pjöngjang. Der Fluss war zugefroren und es waren nur zwei, drei eisfreie Stellen, die von tausenden von Enten offengehalten wurden. Und denen gefolgt sind mehrere Seeadler. Und davon habe ich dann Fotos gemacht und habe meinem Counterpart das auch gezeigt. Und er hat sofort in dem Buch nachgeschlagen und da stand dann in dem Textteil: „Das letzte Mal wurden Seeadler in Nordkorea 1957 gesichtet.“ Das ist natürlich komplett Blödsinn. Das ist nicht so, dass ich zufällig der Erste gewesen wäre, der da Seeadler gesehen hätte. Ich habe die anderen Bird-Watcher gefragt und die meinten, dass im Winter 2005 bis zu dreißig in der Stadt waren. Das Buch wurde aber auch von Ornithologen geschrieben und ich dachte es wäre schön, Kontakt mit dem Autor oder seinem Institut aufzunehmen und ihn auf den Fehler aufmerksam zu machen. Aber selbst so etwas, das ich aus reinem persönlichem Interesse machen wollte und das in keiner Weise kritisch war, das war nicht möglich zu machen.

NK-Info: So weit habe ich eigentlich alles gefragt, das ich mir überlegt hatte. Haben Sie eine Art persönliches Fazit für sich gezogen?

Tauscher: Also mein Resümee ist, dass dort vieles von falsch gesetzten Prioritäten abhängt und dass es dort grundsätzlich große Potentiale gibt, dass die aber nicht genutzt werden können, solange die Führung die Prioritäten falsch setzt.

Aus humanitärer Sicht bin ich gespannt, wie es jetzt mit der Finanzierung weitergeht, also ob weitere Länder Gelder einfrieren. Ich nehme an, dass man zumindest ein Zeichen setzen will, dass man nicht bereit ist Geld zu geben, solange der nordkoreanische Staat sein eigenes Geld für Dinge wie Raketenstarts verbrennt.

NK-Info:  Dann bedanke ich mich recht herzlich, auch im Namen meiner Leser für das Interview und ihre Zeit, die Sie geopfert haben und wünsche Ihnen auf Ihrem beruflichen Weg viel Erfolg und gute Erfahrungen.

Tauscher: Gerne.

Leben und arbeiten in Nordkorea: Interview mit dem Entwicklungshelfer Gerhard Tauscher (I)


Ich hatte kürzlich die Gelegenheit mit Gerhard Tauscher zu sprechen, der von 2011 bis 2012 für die Internationale Föderation des Roten Kreuzes und der Rothalbmond Gesellschaften (IFRC) in Nordkorea Wasser und Sanitärprojekte betreute und der erst seit einigen Wochen aus Nordkorea zurück ist. Er hat sich viel Zeit für mich genommen und daher habe ich beschlossen, das Interview dreizuteilen. In diesem ersten Teil wird es in erster Linie um die Arbeit der IFRC und um Entwicklungshilfe in Nordkorea im Allgemeinen gehen. Der zweite Teil wird dann stärker auf den konkreten Arbeitsalltag von Herrn Tauscher eingehen und der letzte Teil wird sich um seine persönliche Erfahrungen und Einschätzungen drehen.

Logo der IFRC (Foto von sbamueller unter CC Lizenz Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) (CC BY-SA 2.0))

Nordkorea-Info: Also vielleicht erstmal zum Anfang: Sie waren ja für das Rote Kreuz in Nordkorea. Was macht denn das DRK genau dort?

Gerhard Tauscher: Also das DRK ist nicht selbst vor Ort, sondern das DRK stellt in dem Fall nur Personal ab für eine Delegation der Internationalen Föderation des Roten Kreuzes und der Rothalbmond Gesellschaften. Das ist die eine Organisation des Roten Kreuzes, die dort aufläuft und die kümmert sich um Entwicklungshilfe und um Katastrophenmanagement. Die andere Organisation ist das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Die sind auch da und versuchen ihr Mandat umzusetzen.

Das Programm der IFRC in Nordkorea ist dreigeteilt, in den Gesundheitsbereich, den Wasser- und Sanitärbereich und in Katastrophenvorsorge/Katastrophenmanagement. Diese drei Bereiche werden abgedeckt von technischen Delegierten, von denen ich eben derjenige war, der sich um den Wasser- und Sanitärbereich gekümmert hat. Insgesamt sind das fünf internationale und dann ungefähr 13 nationale Mitarbeiter im Land. Das ist grob die Mission.

Der Jahresetat ist bei ungefähr sechs Millionen Dollar insgesamt und die Gelder kommen aus aller Welt. Das ist der Vorteil, dass nicht „nur“ ein kleines Rotes Kreuz die Mission trägt, sondern die Gelder überall eingesammelt werden. Und da ist auch deutsches Geld dabei. Das kommt vom BMZ und da ist schwedisches, norwegisches, finnisches, australisches, neuseeländisches, also alle, alle Länder, die sich sozusagen, die dort vertreten sein wollen, die dort was machen wollen, die können was dazugeben und dann wird es eben sozusagen im ganzen Projekt verwendet.

NK-Info: Und wie läuft das dann administrativ? Sie haben ein Budget für die Zeit, in der Sie den Einsatz haben und planen dann verschiedene Projekte, oder kriegen Sie die auch schonmal ans Herz gelegt oder so?

Tauscher: Das ist ganz verschieden. Es gibt Geldgeber die sagen: „Wir wollen mit diesem Geld das machen…“ Die geben relativ präzise mit einem Unterbudget, also mit einem eigenen Plan vor, wo das verwendet werden muss, in welcher Provinz, in welchen Dörfern und für was genau, mit genauem Budget wieviel Leute davon bezahlt werden können, wieviel Material, wieviel Transportkosten, wieviel Verwaltung und wir sind sozusagen wie eine Art Subunternehmer und machen das für…in dem Fall zum Beispiel das BMZ.

Das ist übrigens relativ anstrengend, was die Vorgaben angeht. Dann gibt es andere, die sehen das ein bisschen lockerer, die sagen: „Ok, wir geben euch Geld für…Wassersysteme, macht aber nur Wassersysteme, andere Sachen nicht.“ Oder: „Wir wollen nur Hygieneschulung damit finanzieren.“ Und andere, die Liberalsten, die sind „easy going“, zum Beispiel die Norweger. Die geben zum Beispiel und sagen: „Hier. Macht was davon.“

Und das Gesamtpaket muss sozusagen das ganze Projekt ergeben. Das ist die Schwierigkeit. Denn, die Tendenz geht immer mehr dahin, dass die Geldgeber die Sachen, die sehr gut sichtbar sind, finanzieren wollen. Und wenn ich aber zum Beispiel einen meiner Mitarbeiter auf eine Schulung ins Ausland schicken will, dann muss das ja auch einer bezahlen. Und ein paar Flugtickets, ein paar Hotelübernachtungen, das klingt halt nicht so sexy wie zum Beispiel Wasserleitungen.

Aber das ist ungefähr das System. Wir stellen ein Budget auf, was wir ungefähr machen wollen. Das habe ich zum Beispiel im Herbst gemacht für 2013. Das orientiert sich grob an dem Geld, das wir im letzten Jahr bekommen haben. Manchmal haben wir dann ein Vorabinfos, dass irgend ein Land vielleicht ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger geben will, das wird dann schon grob berücksichtigt und so haben wir dann so das Arbeitsbudget. Das wird dann sozusagen „verkauft“ und wir versuchen das Geld zusammenzubekommen.

NK-Info: Und woher kommt das Geld für die Projekte?

Tauscher: Private Spender im eigentlichen Sinn gibt’s fast keine,  Das ist eher unwesentlich. Im Wesentlichen sind es dann institutionelle Geldgeber, wie das BMZ, wie SIDA aus Schweden, wie das Außenministerium von Norwegen, eigentlich auch Australian Aid, aber das waren die Ersten, die dann ausgestiegen sind. Die haben 2010 noch relativ viel finanziert und 2011 haben sie gesagt: „Nö.“ Die sind auf jeden Fall ein sehr sensibler Spender, der sehr genau hinschaut, was dort passiert und wenn das, was dort passiert nicht ganz in ihrem Sinn ist, dann gibt es eben keinen Fokus auf Nordkorea.

NK-Info: Ich dachte ich hätte mal gelesen, dass auch das DRK manchmal Nothilfen oder so nach Nordkorea schickt, also bei Überschwemmungen zum Beispiel diese Nothilfekits. 

Tauscher: Ja. Das haben die in der Vergangenheit gemacht. Das DRK hat ein Lager in Kuala Lumpur für Ostasien und das wird üblicherweise dann von dort geschickt. Aber speziell in Nordkorea ist es relativ wichtig, selbst eine Lagerhaltung im Land zu haben. Ja, also wenn man schnell reagieren will, muss man es im Prinzip vor der Regenzeit, vor der Hurricane Season/Taifun Saison schon im Land haben, sonst kommt es relativ spät an. Aber auch diese Lager müssen auch finanziert werden.

NK-Info: Das ist ja eigentlich witzig, dass die Nothilfebestände schon aufgebaut werden, bevor der Notfall eintritt, aber andererseits ist das ja auch klar. Das ist ja eigentlich jedes Jahr das Gleiche.

Tauscher: Im Prinzip ja. Wie gesagt, in der Region gibt es auch viele Länder, wo das schon vor Ort eingelagert ist, aber dann gibt es wie gesagt ein Zentrallager in Kuala Lumpur, da haben wir unser Regionalbüro für ganz Asien. Das ist logistisch ziemlich gut angebunden, also theoretisch könnte man das aufladen und würde es in einem Tag auch nach Nordkorea fliegen. Aber wenn man es verschiffen kann, ist es deutlich billiger und da macht eine Lagerhaltung auch Sinn, gerade für Sachen, die sich lange halten.

NK-Info: Ich habe auf Ihrem Blog gelesen, dass sie geschrieben haben, es gibt nur 200 Entwicklungshelfer in Nordkorea…

Tauscher: …plus die Russen, plus die Chinesen. Grob, ja. Aber ich glaube es gibt insgesamt nur ungefähr 400 Ausländer, dazu gehören dann auch schon ausländische Botschaftsangehörige. Die 200 waren ungefähr die Leute, die eine Funktion haben, aber insgesamt, also mit Familienmitgliedern, sind es 400. Das ist nicht viel.

NK-Info: Das ist wirklich nicht viel. Mich würde interessieren: Leben diese 400 dann auch an einem Ort konzentriert? Gibt es so eine Art Community? Ist das im Endeffekt so, dass die 200 auch aller per du sind und sich auf jeden Fall kennen?

Tauscher: Ja, das ist so. Man kennt fast jeden und dass man auf so einem Compound lebt, das ist eben von den Koreanern so eingefädelt. Das ist nicht unbedingt von uns so gewünscht und man lebt dann automatisch im Gutsituiertenviertel. Das ist eben der Platz, an dem Wohnungen zur Verfügung gestellt werden und dann kann man das alles auch gut überwachen. Im Prinzip bis auf gewisse Ausnahmen, wieder für die Russen und für die Chinesen, ist das auf zwei verschiedenen Geländen. Da sind alle Ausländer. Dementsprechend kennt man eigentlich jeden.

NK-Info: Und Russen und Chinesen, machen die Business da, oder sind das auch zum Teil Helfer?

Tauscher: Die machen auch was im Bereich EZ, aber die machen das nicht über uns. Von daher weiß ich da nicht genau was sie machen. Aber in der Hauptsache gibt es zum einen schon mal relativ große Botschaften und dann sind es bei den Chinesen relativ viele Geschäftsleute, die auch teilweise in dem gleichen Compound leben. Die betreiben hauptsächlich Importgeschäfte für … von Lebensmitteln bis zu Kleidung und auch … „Luxussachen“ ist vielleicht übertrieben, aber Alkohol, Tabak, was auch immer.

NK-Info: Um zurückzukommen zur Arbeit des Roten Kreuzes: Es gibt ja auch ein nordkoreanisches Rotes Kreuz. Also arbeitet man dann als Rotkreuzler automatische eng mit dem zusammen?

Tauscher: Nur über das nordkoreanische Rote Kreuz. Man arbeitet nicht separat. Alle unsere Lokalangestellten waren vom nordkoreanischen Roten Kreuz gestellt.

NK-Info: Ok. Und ist das dann schon so, dass man die Mitarbeiter dort dann also auch irgendwie ein bisschen mehr auch als Kollegen in gleicher Sache sieht?

Tauscher: Ja schon. Schon, aber es ist auch klar, dass die auch noch eine zweite Ebene da hinten dran haben. Das ist schon ne spezielle Sorte Mensch dort. Die sind schon relativ gut gestellt und hoch in der internen Hierarchie. Von meinen Leuten sind einige auch relativ viel gereist. Die sind auf Meetings gefahren, auf Ausbildungen im Ausland.

Ich hatte einen Kollegen, der war einmal sogar mit mir in Nepal; Der war auch mal in Australien. Andere waren in Malaysia, wo unser Regionalbüro ist. Also die sehen deutlich mehr von der Welt als der Rest der Koreaner.

NK-Info: Es ist ja jetzt schon ein paarmal angeklungen, dass in Nordkorea Politik und Entwicklungshilfe nicht unbedingt – also, von keiner Seite eigentlich – so richtig zu trennen sind. In Nordkorea selbst ist ja eigentlich alles politisch, per Definition, aber gleichzeitig gibt es hier im Westen ja auch immer mal wieder heiße Diskussion, wo Dinge wie „Haben die jetzt wirklich Hunger und sind sie es nicht selbst Schuld“ und sowas diskutiert werden.

Wie schwer ist das, wenn man jetzt wirklich sozusagen vorne steht und denkt man da auch mal drüber nach, oder denkt man einfach „Ich mach meinen Job und ich bin kein Politiker“?

Tauscher: Nein, man denkt sehr viel darüber nach, wenn man Projekte aufsetzt. Man hat ja ungefähr einen Plan, wie viel Geld man ungefähr zur Verfügung hat und wenn dann die Politik eben wieder mal eine Rakete in den Weltraum schießt, oder was auch immer macht und dann gewisse Geldgeber aussteigen, dann wirkt das auch direkt auf die eigene Arbeit. Es gibt einige Geldgeber, die wirklich rein auf humanitäre Hilfe auch schauen, aber es gab auch einige Geldgeber, die dann sofort gesagt haben: „Ok. Dann nicht!“ Ein Beispiel habe ich ja schon eben genannt.

Wir haben auch versucht das unseren Counterparts klarzumachen und versucht das rüberzubringen. Uns ist völlig klar, dass die natürlich da null Einfluss drauf haben, aber zumindest wollten wir, dass die’s dann zu ihrem nächsten Level tragen.

Also die Mindestannahme ist, dass in vielen Bereichen falsche Prioritäten gesetzt werden. Oft hören wir als Erklärung, warum die Projekte so gemacht werden müssen und warum der Eigenanteil, der von Nordkorea nicht höher sein kann, dass das am Mangel an Devisen liegt. Das wird eigentlich immer genannt.

NK-Info: Und was kommt dann von den Counterparts zurück? Ich meine, die sind ja auch in einer schwierigen Situation in dem Moment und dürfen wahrscheinlich auch nichts sagen.

Tauscher: Genau. Das ist ja immer das. Die können auch nur ganz eingeschränkt frei sprechen. In der Regel sind sie schonmal immer nur zu zweit. Das ist schon ein feiner Mechanismus von gegenseitiger Kontrolle, aber außerdem wird alles, was schriftlich ist, mitgeschnitten, über allem gibt es da starke Kontrollmechanismen.

NK-Info: Also wird man da die ganze Zeit überwacht?

Tauscher: Wenn man sieht, dass es ja nur zweihundert Ausländer mit einer Funktion im Land sind, dann gibt es auch einen ausreichend großen Apparat um die ganz engmaschig zu kontrollieren, also alle E-Mails, auch alle E-Mails die im Land verschickt werden. Auch zwischen uns und den Counterparts oder zwischen den Ausländern und – natürlich – alle, die aus dem Land rausgehen. Alles wird mitgeschnitten.

Vor allen Dingen wenn die Mails auf Deutsch waren. Dann haben die noch länger gebraucht. Im Outlook, da musste man sich am Anfang ein bisschen dran gewöhnen. Man arbeitet dann am Abend Outlook ab und am nächsten Tag im Büro sortieren sich dann so ein paar alte E-Mails so zwischendrin ein. Die haben dann ein bisschen länger gebraucht…

NK-Info: Ist ja auch ein weiter Weg von Deutschland…

Wir haben jetzt vor allem über die nordkoreanische Seite der Politik gesprochen, aber Nordkorea ist ja auch für westliche Staaten schwierig, was die Informationslage angeht. Also so ne Art schwarzes Loch. Und jemand wie Sie, der rumreist, der ist ja schon interessant, weil der vielleicht Sachen sieht, die man von der Botschaft in Pjöngjang aus nicht sieht. Wurden Sie da schonmal gefragt: „Wie war’s; Was haben Sie gesehen?“

Tauscher: Ich glaube, dass die deutsche Botschaft schon sehr gut informiert ist. Die sind schon ziemlich nah dran; Die haben schon ein gutes Bild. Und da gab es auch enge Abstimmungen. Außerdem ist die deutsche Botschaft ja auch relativ gut aufgestellt und erstaunlich groß, dafür dass es im Land natürlich nur sehr überschaubare Anzahl Deutscher gibt.

NK-Info: Wie groß ist die eigentlich so?

Tauscher: Das sind sechs Leute, plus Internationale.

NK-Info: Wir haben ja eben schon mal darüber gesprochen, dass das mit den E-Mails öfter mal ein bisschen schwierig ist. Mich würde interessieren: Wie ist das dann, mit Leuten in Deutschland Kontakt zu halten. Ist das dann nur E-Mail, oder kann man schonmal telefonieren oder macht man das, wenn man dann gerade im Ausland ist?

Tauscher: Man macht ganz viel über Skype. Also das Internet, das wir zur Verfügung haben, ist ein ganz normal westliches. Das ist auch nur den Ausländern vorbehalten. Und daher hat es null Limitation. Noch nicht mal wie in China, wo Social Media geblockt werden und wo Google kastriert ist, das ist dort nicht so. Das Internet, das man dort zur Verfügung hat ist perfekt und auch schnell. Skype läuft oft sogar auch mit Video und es ist normalerweise kein Problem damit Kontakt zu halten.

Und Skype ist auch nicht so einfach abzuhören. Und um im Kopf klar zu bleiben, habe ich mir angewöhnt, einfach frei zu sprechen. Ich glaube, wenn man anfängt zu überlegen: „Hört jetzt einer mit oder nicht?“ oder „Kann ich das, was kann ich jetzt genau sagen?“, ich glaub dann fängt‘s direkt an schwierig zu werden. Manchmal muss man vielleicht auch das Risiko eingehen aus dem Land zu fliegen, wenn man was zu gesagt hat, was jetzt dummerweise kritisch ist. Und das ist schnell passiert. Es sind einige, ich habe jetzt einige erlebt, die aus dem Land geflogen sind.

NK-Info: Ach echt; In der Zeit in der Sie da waren?

Tauscher: Ja.

NK-Info: Und weshalb? Wegen irgendwelcher schwieriger Aussagen?

Tauscher: Es gibt da verschiedene Beispiele. Ich nenne mal eins: Einer, sogar ein Deutscher, der hat kritisch hinterfragt, ob es wirklich eine „Food-Insecurity“ gibt. Er hat die Rechnung hinterfragt, die dort aufgestellt wird, was die landwirtschaftlichen Flächen speziell angeht. Und der ist eben Landwirtschaftsexperte und das war denen dann irgendwann zu kritisch und zu nervig und dann hat man sehr kurzfristig das Visum nicht verlängert.

Ich glaube es ist sinnvoll, eine Einstellung zu haben, dass man dort temporär ist und wenn man dann aus dem Land geschmissen wird, weil man irgendwas kritisch angemerkt hat, dann ist das halt so. Das macht einen in der eigenen Position stärker. Ich glaube zu versuchen, alles recht zu machen um Gottes Willen nichts Kritisches zu machen, das bringt einen auch nicht besonders weit.

In den nächsten Wochen wird der zweite Teil des Interviews erscheinen. Leider kann ich noch nicht genau sagen, wann, aber das Transkribieren etc. braucht eben seine Zeit und daher bitte ich um etwas Geduld...

Wer sich bis dahin weiter über die Arbeit des IFRC in Nordkorea informieren will, kann sich entweder die Länderseite auf der Homepage der IFRC anschauen, einen kleinen Bericht des DRK zur Arbeit von Herrn Tauscher, das Papier zur Langfristplanung von 2012 bis 2015 oder den Jahresbericht 2011.

Kim Jong Uns Neujahrsansprache: Viel Lärm um Nichts oder echter Silvesterkracher?


Kaum fährt man mal für ein paar Tage weg und verzichtet vollkommen auf die Segnungen der modernen Kommunikation und schon packt der junge Diktator in Pjöngjang mal wieder eine programmatische Rede aus, die Leute in aller Welt dazu bewegt, soviel Text zu produzieren, dass ich vermutlich das erste Drittel des neuen Jahres (ich hoffe für euch wird es ein frohes (das waren meine guten Wünsche, mehr gibts nicht)) damit zubringen könnte, die Sekundärliteratur zu Kim Jong Uns Neujahrsansprache auszuwerten. Da ich aber solange nicht mit dem Bloggen warten will (und ich hoffe ihr auch nicht), habe ich mich für eine andere Herangehensweise entschieden. Ich verzichte erstmal auf die Sekundärlektüre und überlege für mich und euch, was es mit Kim Jong Uns Rede so auf sich hat.

Der Kontext der Neujahrsansprache

Dazu erstmal eine kontextuelle Einordnung: Die Neujahrsansprache bietet inhaltlich so ziemlich genau das, was in den vergangenen Jahren die sogenannten „Joint New Year Editorials“ der wichtigsten nordkoreanischen Medienorgane geboten haben. Wer sich ein solches Editorial mal durchgelesen hat (hier habe ich das zum Beispiel gemacht), dem werden die Ähnlichkeiten in der Struktur auffallen. Auf einen Jahresrückblick, der sich auf verschiedene Felder von Politik und Gesellschaft beziehen folgt ein eher programmatischer Teil, in dem allgemeine Ziele für die Entwicklungen in verschiedene Wirtschaftbereichen formuliert werden, Hinweise zur Entwicklung der Parteiorganisation und des Militärs gegeben werden und auch außenpolitische Pflöcke eingeklopft werden. (Hier die ganze Rede auf Deutsch und auf Englisch). Von der Länge her fiel die Rede Kim Jong Uns zwar ein gutes Stück kürzer aus als das Editorial, aber da es dieses Jahr nichts dergleichen gab und wie gesagt, strukturell starke Ähnlichkeiten zwischen Rede und Editorial bestehen, setze ich deren inhaltliche Funktionen erstmal ein Stückweit gleich. Das Editorial ersetzte wohl hauptsächlich die Reden Kim Jong Ils, der ja nicht unbedingt als Vielredner bekannt war und da Kim Jong Un die Tradition der Neujahrsansprache, die auch Kim Il Sung regelmäßig hielt, wieder aufzunehmen scheint, wird das Editorial als programmatischer Rahmen wohl nicht mehr gebraucht.

Fragen zur Analyse

Die Interpretation der Rede erschöpft sich aber nicht nur in der inhaltlichen Betrachtung, sondern umfasst auch noch einige andere Ebenen. Zur umfassenden Analyse würde ich mir folgende Fragen stellen:

  • Was hat Kim Jong Un gesagt?
  • Was hat Kim Jong Un gemeint?
  • Was ist die Funktion Kim Jong Uns als Redner?
  • Wie ist die Rede von ihrer Tragweite her zu bewerten?
  • Wer formuliert eine solche Rede?
  • Wie ernst sind die Aussagen der Rede zu nehmen?

Die Tatsache, dass ich mir diese Fragen stellen würde, bedeutet noch lange nicht, dass ich sie auch beantworten kann. Das kann ich leider nicht (vielleicht wäre ich sonst schon reich und berühmt…), aber immerhin kann ich zu jedem der Punkte ein paar Überlegungen anstellen.

Was hat Kim Jong Un gesagt?

Diese Frage habe ich ja eben schon zum Teil beantwortet. Er hat eine Neujahrsansprache in der Tradition seines Großvaters gehalten und dabei neben einer Art Jahresrückblick auch einen Ausblick auf die programmatischen Zielsetzungen im kommenden Jahr gegeben. Und die dort getroffenen Aussagen lassen durchaus aufmerken. Besonders stark finde ich die folgenden Absätze:

Der Aufbau einer Wirtschaftsmacht ist heute die wichtigste Aufgabe, die bei der Erfüllung der Sache zum Aufbau eines mächtigen sozialistischen Staates im Vordergrund steht.

Uns obliegt es, beim wirtschaftlichen Aufbau die schon erreichten Erfolge weiter zu festigen und zu entwickeln und dadurch unser Land auf die Stellung der Wirtschaftsmacht im neuen Jahrhundert gebührend zu heben und den Wunsch Kim Jong Ils, der sein ganzes Leben dafür einsetzte, dass unser Volk ein wohlhabendes Leben führt, ohne jemanden in der Welt beneiden zu müssen, in die Tat umzusetzen. […]

Erfolge beim wirtschaftlichen Aufbau müssen im Leben des Volkes zum Ausdruck kommen. Es ist unumgänglich, große Kräfte dafür einzusetzen, die Bereiche und Einheiten, die mit dem Volksleben in direkter Beziehung stehen, auf die Beine zu bringen und die Produktion zu erhöhen, damit dem Volk im Leben mehr Wohltaten zuteil werden.

Diese Ankündigungen, das wirtschaftliche Wohlergehen der Bevölkerung künftig stärker in den Blick zu nehmen war bisher das deutlichste Signal in diese Richtung und übertrifft die bisher immer wieder zitierte Aussage Kim Jong Uns deutlich, dass in Zukunft niemand mehr den Gürtel würde enger schnallen müssen. Solche klaren Aussagen kommen in der nordkoreanischen Bevölkerung, die sonst eher an leise Zeichen und Zwischentöne gewöhnt ist, vermutlich an wie Donnerschläge.

Die militärische Kraft ist eben die nationale Stärke, und in der allseitigen Stärkung der militärischen Kraft liegen das starke Land und das Glück und Wohlergehen des Volkes. Wir sollten unter dem hoch erhobenen Banner von Songun für die Verstärkung der militärischen Macht weiterhin größere Kraft einsetzen, dadurch die Sicherheit des Vaterlandes und die Souveränität des Landes zuverlässig verteidigen und zum Schutz der Sicherheit in der Region und des Friedens in der Welt beitragen. […]

Dem Bereich Verteidigungsindustrie obliegt es, mehr Spitzenbewaffnungen unseres Typs, die zur Verwirklichung der militärstrategischen Ideen der Partei beitragen können, herzustellen und so seiner Mission als Waffenarsenal der starken Revolutionsarmee von Paektusan gerecht zu werden.

Das klingt zwar spektakulär, aber im Endeffekt klingt es auch nach dem, was Jahr für Jahr im Neujahrseditorial stand. Allerdings ist auch hier die Deutlichkeit mit der Kim nach einer Fortsetzung der Rüstungsbemühungen ruft frappierender als in der Vergangenheit.

Die Vereinigung des Vaterlandes ist die größte dringende Aufgabe der Nation, die keinen Aufschub duldet, und ein lebenslanger Wunsch der großen Generalissimusse und ein von ihnen hinterlassener Hinweis.

Kim Il Sung und Kim Jong Il, Väter der Nation und Retter des Vaterlandes für die Vereinigung, denen wie keinem anderen das Herz vor dem Leiden der nationalen Spaltung blutete, setzten zeitlebens ihre ganze Kraft und Seele darein, unseren Landsleuten ein vereinigtes Vaterland zu schenken, und schufen so eine feste Grundlage für die selbstständige Vereinigung und das friedliche Gedeihen des Landes. […]

Welche Prüfungen und Schwierigkeiten auf dem Weg der Vereinigung des Vaterlandes auch vor uns liegen mögen, werden wir mit zusammengeschlossener Kraft der ganzen Nation auf dem 3000 Ri großen Territorium unbedingt einen mächtigen vereinigten und aufblühenden Staat errichten.

Klingt auch spektakulär, ist es aber eigentlich noch weniger als die vorher aufgeführten Aussagen. Denn was Kim Jong Un da sagte, kann man ziemlich genau so auch im Neujahrseditorial des Vorjahrs nachlesen. Fast könnte einem der Verdacht kommen, da sei garnichts am Text geändert worden.

Gemäß den Forderungen der fortschreitenden Wirklichkeit sind die wirtschaftliche Leitung und Verwaltung zu verbessern.

In allen Bereichen der Volkswirtschaft muss man die wirtschaftliche Operation und Leitung aufeinander abstimmen, um alle Reserven und Möglichkeiten maximal zu mobilisieren und so einen Aufschwung in der Produktion zu vollbringen, den gegenwärtigen Plan und die perspektivische Entwicklungsstrategie in jeder Etappe wissenschaftlich aufstellen und standhaft durchsetzen. Wir sind verpflichtet, nach dem Prinzip, die sozialistische Wirtschaftsordnung unserer Prägung zuverlässig zu verteidigen und die werktätigen Volksmassen als Herren in der Produktionstätigkeit ihrer Verantwortung und Rolle gerecht werden zu lassen, die wirtschaftliche Verwaltungsmethode ständig zu verbessern und zu vollenden und die guten Erfahrungen breit zu verallgemeinern, die in verschiedenen Einheiten geschaffen wurden.

Interessant und neu finde ich diese Bezüge zum wirtschaftlichen Management, die eine Anpassung der Unternehmenssteuerung an die Realität und einer permanenten Verbesserung der Verwaltungsmethoden fordern.

Was hat Kim Jong Un gemeint?

Das weiß natürlich nur Kim Jong Un, aber wenn man das, was Kim Jong Un in diesem Jahr gesagt hat mit dem vergleicht, das im letzten Jahr im Neujahrseditorial stand, dann bekommt man eine Ahnung davon, was für ihn wichtige Punkte waren und was nicht. Ein Signal an Südkorea hat er nicht ausgesandt und was ein Zeichen für mögliche Reformen im wirtschaftlichen Bereich angeht, so sind diese wenn überhaupt vorhanden dann doch nur schwach. Deutlich ist das Signal an die Bevölkerung, nach dem man Zukunft mehr Kraft auf eine Verbesserung des Lebensstandards verwenden will. Ebenfalls deutlich ist der beruhigende Hinweis an das Militär, nach dem man auch in Zukunft kräftig rüsten will, es also bei den Generälen keine Sorgen um die eigenen Pfründer geben muss.

Insgesamt waren die wirklich wichtigen Aussagen der Ansprache klar nach innen gerichtet, während die Hinweise nach außen eher unambitioniert klangen. Das könnte man als Hinweis darauf sehen, dass das nächste Jahr weiterhin eher im Zeichen der inneren Konsolidierung zu sehen ist, bevor sich das Regime den Beziehungen zu anderen Staaten ernsthaft zuwenden will.

Was ist die Funktion Kim Jong Uns als Redner?

Die Tatsache, dass Kim Jong Un eine programmatische Neujahrsansprache gehalten hat, sollte man nicht über- aber auch nicht unterbewerten. Es ist nunmal sein selbstgewählter Führungsstil, dass er anders als sein Vater eher repräsentativ auftritt und sich in Reden an sein Volk wendet. Dazu gehört auch und vor allem eine Neujahrsansprache. Allerdings signalisiert der Auftritt, dass er für die ganze Führung Nordkoreas spricht und damit auch alle Flügel bzw. funktionalen Teile der Führung hinter sich hat.

Wie ist die Rede von ihrer Tragweite her zu bewerten?

Vor allem die deutlichen Signale Kim Jong Uns an seine Bevölkerung, nach der das Regime sich künftig mehr um das materielle Wohl der Menschen kümmern zu wollen sollte in ihrer möglichen Wirkkraft nicht unterschätzt werden. Kim Jong Un setzt seinem Regime hohe Ziele und verspricht den Menschen eine bessere Zukunft. Aktuell sorgt das möglicherweise wirklich für Zuversicht in der Bevölkerung. Aber irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft wird sich die Führung an diesen konkreten Zielsetzungen messen lassen müssen. Und wenn da dann die eigenen Versprechen nicht eingelöst werden können, dann wandelt sich die Zuversicht, die die Neujahrsbotschaft Kims schürte, sich schnell in Unmut verwandeln.

Wer formuliert eine solche Rede?

Das wüsste ich wirklich mal gerne. Keine Ahnung, aber ich vermute mal, dass Kims Rede in diesem Fall ähnlich wie die Neujahrseditorials entstehen. Ich finde es nicht abwegig, dass es sich dabei um ein kooperatives Produkt verschiedener Personen bzw. Organisationen handelt, die jeweils die eigenen Erfolge und Ziele darstellen. Sortiert und geordnet wird es dann möglicherweise von einigen wenigen Führungskräften. Wie viel davon Kim Jong Un selbst beiträgt ist unmöglich zu sagen, solange man nicht weiß, wieviel faktische Macht er innehat und wieviel er von anderen abhängig ist, bzw. sogar gesteuert wird.

Wie ernst sind die Aussagen der Rede zu nehmen?

So wie ich die Rede verstehen hat sie einen programmatischen Charakter. Sie stellt Ziele und ideale dar, aber es ist eigentlich klar, dass nicht alle Ziele abgearbeitet werde (können). Im Endeffekt ist das soähnlich wie ein Parteiprogramm oder eine Koalitionsvereinbarung. Man setzt sich Ziele und versucht das zu erreichen. Dass am Ende nicht alles gehalten werden kann, ist schon vorher fast klar. Allerdings sind solch starke Schlaglichter wie das auf das materielle Wohl der Bevölkerung dahingehend ernst zu nehmen, dass die Führung sich nach solchen Ankündigungen kaum mehr ernsthaften Bemühungen entziehen kann, das Thema anzugehen. Es sind also Maßnahmen zu erwarten und wenn die ausbleiben, fällt das den Menschen wahrscheinlich schon auf.

So, dass waren jetzt meine Eingangsgedanken zu dem Thema. Ich werde mal sehen, was ich in den nächsten Tagen alles dazu lesen kann und euch eine kleine Sammlung von Analysen und Meinungen zusammenzustellen.

Nahrungssituation in Nordkorea: Von zuversichtlichen Berichten, den Gefahren der Planwirtschaft und einer eklatanten Rechenschwäche


Eben ist der neue Bericht des Welternährungsprogramms (WFP) und der Food and Agriculture Organization (FAO) zur landwirtschaftlichen Produktion und der Ernährungssituation in Nordkorea in mein Postfach geflattert und da ich diesen Bericht immer ziemlich begierig lese, weil er Auskunft nicht nur über die humanitäre Situation im Land gibt, sonder auch über die landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, habe ich die letzte Stunde (oder ein bisschen mehr), mit diesem Dokument zugebracht.

In der Vergangenheit oft alarmierend…

Der Bericht, der für gewöhnlich alle zwei Jahre erscheint — bei Bedarf ergänzt durch Sonderberichte — klang das letzte Mal als ich darüber schrieb sehr alarmierend. Ende 2010 waren danach fünf Millionen Nordkoreaner von Hunger bedroht, was dann durch einen Sonderbericht im Frühjahr 2011 auf 6 Millionen erhöht wurde. Dementsprechend riefen die Organisationen die internationale Gemeinschaft auch zu einer umfangreichen Hilfsaktion auf, in deren Rahmen 400.000 Tonnen Nahrungsmittel benötigt würden. Darum entbrannte ein ziemlich heißer Kampf, der immer wieder mit politischen und ideologischen Positionen sowie Eigeninteressen vermischt wurde, so dass im Endeffekt alle Seiten Propaganda betrieben, ohne diejenigen, denen es vielleicht wirklich schlecht ging im Auge zu haben. Das war wirklich eine recht unschöne Erfahrung, die mitunter auch etwas damit zu tun haben könnte, dass es keine wirklich glaubwürdigen Informationen über die tatsächliche Lage in Nordkorea zu geben schien, da auch die UN-Organisationen im Ruf standen, die Situation zu dramatisieren.

…dieses Mal zuversichtlich

Dementsprechend wird es allen Beteiligten gut gefallen, dass der diesjährige Bericht, wie momentan vieles in Nordkorea, eher von Zuversicht geprägt zu sein scheint. Die Minderproduktion, also die durch eigene Importe und Hilfen aufzufüllende Lücke fällt in diesem Jahr so gering aus, wie schon lange nicht mehr. Die eigene Produktion hat 2012 zum ersten Mal seit 1994 die 5 Millionen Tonnen Marke überschritten. Im kommenden Jahr müssen den Schätzungen zufolge nur gut 500.000 Tonnen des Bedarfs durch Exporte gedeckt werden (in dem Bericht von 2011 war von über einer Million Tonnen die Rede). Zieht man in Betracht, dass Nordkorea wie in den Jahren zuvor plant, wiederum (nur) 300.000 Tonnen an Lebensmitteln zuzukaufen, bleiben „nurnoch“ 200.000 Tonnen ungedeckter Bedarf. Wenn man dann wiederum bedenkt, dass China allein seinem Verbündeten im vergangenen Jahr mit etwa 250.000 Tonnen beigesprungen ist, dann sind die Sorgen hinsichtlich der Nahrungsmittelsicherheit aktuell so gering wie selten nicht mehr. Aber um jetzt nicht in jubel auszubrechen: Von Hunger bedroht sind dem Bericht zufolge noch immernoch 2,8 Millionen Menschen.

Den Tag nicht vor dem Abend loben

Allerdings bleiben zwei Dinge festzuhalten: Extreme Wetterkatastrophen können diese schönen Annahmen ganz schnell wieder verhageln (vielleicht sogar im wahrsten Sinne). Und natürlich bedeutet die Tatsache, dass im Schnitt alle Leute genug zu essen haben nicht gleichzeitig, dass das in der Realität auch wirklich so ist. Das beweist nicht nur die Körperfülle des jungen Diktators (die er sich bei perfekt ausgeglichenem Schnitt wohl auf Kosten einiger anderer angefuttert hätte), sondern das ist ein generelles Phänomen, das auch in Überflussgesellschaften wie unserer auftreten soll, wo vermutlich im Jahr soviel Essen in die Tonne gekloppt wird, dass man damit ganz Nordkorea dreimal durchfüttern könnte. Verteilungsungerechtigkeit gibt es nunmal bei uns und in Nordkorea. Nur dass die bei knapperen Gütern auch schlimmere Folgen haben kann. Naja, aber wie gesagt. Der Tenor des Berichts klingt irgendwie angenehm und nicht panisch, wie vor zwei Jahren. Vielleicht hat es damit zu tun, dass der aktuelle Bericht keine Zahlen für aktuell benötigte Hilfen (sonst wurden immer konkrete Mengen angegeben, die gespendet werden sollten) genannt werden, sondern man sich eher auf eine Verbesserung der Gesamtsituation konzentriert.

Eckdaten zu Nordkoreas Landwirtschaftssektor

Ich kann hier natürlich nicht den ganzen Bericht wiedergeben, der immerhin 41 Seiten hat. Aber ein paar Highlights, die mir in die Augen gesprungen sind, will ich euch nicht vorenthalten. Dabei geht es mir aber in erster Linie um die landwirtschaftliche Produktion und nicht so sehr um die Nahrungsmittelsituation (worüber hier in der Vergangenheit schon einiges geschrieben wurde). Ersteinmal kurz zu den Rahmendaten, um ein generelles Problem der nordkoreanischen Landwirtschaft ins Bewusstsein zu rufen. Von den knapp 12,3 Mio. Landfläche Nordkoreas sind nur etwa 2 Mio. Hektar für den Ackerbau nutzbar. Von denen werden wiederum nur etwa 60 % mit mechanischen Hilfsmitteln (Traktoren) beackert, auf dem Rest können Ochsen ihren Nutzen beweisen. Zu den limitierenden Faktoren beim mechanisierten Ackerbau zählen Kraftstoff und Ersatzteile. Letzteres wird zum Beispiel auch darin deutlich das je nach Provinz nur 68 bis 74 % der Fahrzeuge einsatzbereit sind, was aber schon eine deutlich Verbesserung zu den 57 % des Jahres 2004 ist. Weiterhin ist auch das Standardtraktormodell, der mit 28 PS nicht gerade beeindruckend starke Chollima für viele Aufgaben schlicht zu schwach.

Staatliche Steuerung und ihre Fallstricke

In dem Bericht tauchen aber auch immer wieder Hinweise auf die schädliche Wirkung der staatlichen Lenkung auf die Produktion auf. So gibt es zwar Indizien, dass die Produktion durch Anreize deutlich gesteigert werden kann (wo die Anreize gut waren, hat sich auch die Produktion signifikant verbessert), im Zusammenhang damit zeigen sich aber auch gleich Probleme von staatlicher Steuerung. Wenn ein Preisniveau aufgrund staatlicher Fehleinschätzungen falsch gesetzt wird, beginnt es oft im ganzen System zu Haken. So wird z.B. Soja aktuell nicht gern angebaut, weil der Preis verhältnismäßig niedrig ist. Soja spielt aber eine wichtige Rolle in der Fruchtfolge und sollte daher eigentlich mehr angebaut werden, die verfehlte Preissenkung lenkt die Betriebe aber in eine andere Richtung. Auch eine Erklärung für die Verbesserung der Situation gegenüber dem Vorjahr (neben besserem Wetter) deutet in diese Richtung. Ein großer Teil der Verbesserungen hat schlicht damit zu tun, dass die benötigten Materialien und Rohstoffe zu den Zeitpunkten geliefert wurden, an denen sie gebraucht wurden, nicht später, wie das in den Vorjahren der Fall war.

Nordkoreanische Panikmache und…

Ein oder zwei Dinge sind mir daneben noch aufgefallen, die etwas damit zu tun haben, dass ich den Bericht mit anderen Quellen vergleiche. Einerseits erinnert ihr euch vielleicht an die Panikmache wegen des schlechten Wetters in Nordkorea. Die Tatsache, dass es heuer eine Rekordernte dort gibt, zeigt ziemlich deutlich, dass schlechtes Wetter erstens normal ist und in jedem Land vorkommt und zweitens von der nordkoreanischen Seite wohl gezielt für eine kleine Medienkampagne genutzt wurde. Das dürfte sich kontraproduktiv auswirken, wenn nochmal Phasen auftreten sollten, in denen wirklich Not am Mann ist.

…Rechenschwäche bei den UN-Organisationen

Die zweite Beobachtung sind zwei Zahlen. Die erste Zahl stammt aus der Schätzung von WFP, FAO und UNICEF aus dem März 2011. Damals schätzten sie die Ernte für das Jahr 2011/2012 bei etwa 4,25 Mio. Tonnen. Wenn man jetzt einen Blick in den diesjährigen Bericht wirft, dann lag das Ergebnis jedoch tatsächlich bei 4,75 Mio. Tonnen. Da hat sich wohl jemand mal eben um läppische 500.000 Tonnen verrechnet (was wiederum kontraproduktiv mit Blick auf mögliche echte Notfälle sein könnte). Ich wüsste mal gerne, wie es dazu kam. Aber leider scheint man bei FAO und WFP verdräng zu haben, dass man den Bericht veröffentlicht hat. Der Rechenfehler wird jedenfalls nicht thematisiert….

Lesen lohnt sich

Naja, wie gesagt. Der Bericht ist jedenfalls durchaus ein bisschen Zeit wert, die man damit verbringen kann. Einerseits weil es mal angenehm ist, was Hoffnungsvolles zu lesen und andererseits, weil er einen sehr schönen Überblick über das landwirtschaftliche System Nordkoreas und konkrete Methoden gibt.

Die Sache mit der Legitimität — Was das ist, wo es herkommt und wie man damit das Handeln Nordkoreas erklären kann


Wenn man aktuell über Kim Jong Uns Nachfolge und die weitere innen- wie außenpolitische Strategie Nordkoreas reden hört und schreiben liest (diese Wendung gibt es so wohl nicht, aber wenn man „reden hören“ nutzen darf, sollte das auch für „schreiben lesen“ gelten (ich bi eben für Chancengleichheit…)), dann wird sehr häufig die „Legitimität“ der neuen Führung ins Spiel gebracht.

Die gute alte Legitimität. Immer gern genommen…

Mit dieser Legitimität kann man, so scheint es manchmal, so gut wie alles erklären. Wenn Kim Jong Un aussieht wie sein Opa hat das ganz klar was mit Legitimität zu tun und wenn er sich nicht verhält wie ein sozial gestörter Autist (wen meine ich nur damit. Nur weil man nie vor Menschen spricht und nur mit einem Panzerzug verreist…) auch. Wenn er seine Frau präsentiert eh und wenn Nordkorea eine Annäherung an die USA plant genauso. Auch dann, wenn Nordkorea eine Rakete testen will, eine Parade durchführt oder Monumente errichtet. Allerdings passt auch das Thema Wirtschaft blendend zur Legitimität und so verwundert es nicht, dass ein sichtbarer Aufschwung in Pjöngjang genausogut unter den Vorzeichen der Legitimität diskutiert werden kann wie Maßnahmen in den Sonderwirtschaftszonen zu diesen Vorzeichen passen.

…aber was ist denn eigentlich damit gemeint?

Allerdings wird meistens nur gesagt, dass dies und das der Legitimität zu- oder abträglich ist, aber was genau jetzt diese unglaublich vielschichtige Legitimität ist, wozu man sie braucht und wie man sie kriegt und verliert, darüber wird seltener gesprochen. Kein Wunder. Das muss ja auch ziemlich kompliziert sein, wenn man sieht, was alles in diesen Komplex der Legitimität eingeordnet werden kann. Daher dachte ich, befasse ich mich einfach nochmal ein bisschen mit diesem Thema, damit dieser schwammige Legitimitätsbegriff, den man zu allem und jedem heranziehen kann für euch mal ein bisschen mehr an Konturen gewinnt. Dazu ist erstmal festzuhalten, dass wie das häufig bei solchen Begrifflichkeiten der Fall ist, nicht ein feststehendes Theoriegebäude existiert, das alles was mit Legitimität zusammenhängt erschöpfend erklärt, sondern dass sich zu diesem Thema eine Vielzahl schlauer Köpfe Gedanken gemacht hat, die sich häufig gute ergänzen, aber hin und wieder auch ein bisschen widersprechen. Da ich nicht die Zeit habe, mich nochmal durch seitenweise Literatur dazu zu wühlen, aber zu einem früheren Zeitpunkt etwas recht gutes dazu geschrieben habe, zitiere ich mich in der Folge einfach selbst (bzw. meine Magisterarbeit).

Allgemeine Definition

Daher erstmal etwas zur Frage, was Legitimität eigentlich ist:

Legitimität ist allgemein ein Merkmal in der Beziehung eines Staates mit seinen Untertanen und kann als Grund dafür gelten, dass sich die Untertanen des Staates seiner Herrschaft unterwerfen.

Legitimität ist also der tiefliegende Grund dafür, dass wir uns weitgehend klaglos den Gesetzen und Regeln unseres Staates unterwerfen, mehr oder weniger ehrlich unsere Steuern zahlen und uns nicht darum bemühen, unser derzeitiges politisches System durch etwas vollkommen anderes zu ersetzen. Andersherum gesehen, dürfte ein Mangel an Legitimität der Grund dafür sein, dass z.B. die syrische Führung momentan sehr unruhige Zeiten durchlebt. Genauso kann man mit Legitimitätsdefiziten einiges von dem erklären, dass in den vergangenen Jahren in den Staaten der arabischen Welt passiert ist, wobei man Unterschiede in den Legitimitäten der Staaten z.B. auch daran zu belegen versuchen könnte, dass in manchen Staaten Aufstände losbrachen und in anderen nicht. So kann man sagen, dass Legitimität wohl auch ein Grund dafür ist, dass das nordkoreanische System weiterhin besteht.

Wessen Legitimität denn jetzt?

Allerdings muss man bei der Nutzung des Begriffes Legitimität ganz genau darauf  achten, auf wen man den Begriff anwendet. Denn es sind ja durchaus Fälle vorstellbar, in denen man Führungspersonen als illegitim ansieht, ein politisches System, nach dem die Führung organisiert ist jedoch nicht. Allerdings ist es fraglich (das könnte man ausgiebig diskutieren) ob eine solche Unterscheidung im politischen System Nordkoreas wirklich Sinn macht. Denn es ist wohl unbestritten, dass die Person des Führers (und mittlerweile wohl auch die Tatsache, dass diese Person zur Linie Kim Il Sungs gehört) ein konstituierendes Teil des nordkoreanischen Systems ist. Wenn aber der Führer seine Legitimität verliert, dann wohl auch das System, das um ihn herum geschaffen wurde. Ich nehme also in der Folge an, dass ein Legitimitätsgewinn oder -verlust des Führers sich entsprechend auch auf die Systemlegitimität auswirkt.

Wo kommt Legitimität her?

Nun gut, dass die Legitimität also der Grund dafür ist, dass sich die Menschen dem Staat unterordnen und nicht ständig Revolution machen mag eine gute Sache sein. Für den/die Staatsmann/-frau von Welt, egal ob Demokrat (Möchtegern-)Diktator oder Hybrid, ist natürlich viel wichtiger, wo man diese Legitimität herbekommt, wie man sie behält und was sie einem abspenstig machen kann. Die Erklärung von dem allen ist sowas wie eine Königsdisziplin der politischen Wissenschaften, denn wie in der Einleitung schon angedeutet, gibt es ziemlich viele potentielle Faktoren, die auf die eine oder andere Weise auf die Legitimität einwirken können.

Max Webers grundlegende Einteilung

Grundlegende und richtungweisende Gedanken zu diesem Thema hat sich Max Weber gemacht, der in so ziemlich allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen bedeutende Fundamente gelegt hat:

Weber sieht drei mögliche Quellen der Legitimität, die sich dann unmittelbar auf die Art der Herrschaftsausübung auswirken und Bestimmungsgrundlage des politischen Systems sind. Bei der traditionellen Herrschaft beruht die Legitimation auf dem inneren Glauben an die Heiligkeit althergebrachter Ordnungen und Traditionen. Bei der charismatischen Herrschaft entspringt die Legitimität der Herrschaft dem besonderen Charisma der Führungspersönlichkeit, wobei dieses Charisma aus der besonderen „Qualität einer Persönlichkeit, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens als spezifischen außeralltäglichen […] Kräften oder Eigenschaften oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als «Führer» gewertet wird“, hervorgeht. Die letzte Kategorie der Herrschaft und der Legitimität nach Weber ist die legal-rationale Herrschaft. Hier begründet sich die Legitimität der Herrschaft in der Legalität der Ordnung. Herrscher und Beherrschte sind denselben Rechtsnormen unterworfen, das Recht wird zum Fundament der Herrschaftslegitimation. Die oben dargestellten Herrschaftsarten und Legitimationsquellen sind idealtypische Darstellungen und es wird nicht angenommen, dass sie in Reinform auftreten. Vielmehr sind es immer Mischformen aus den jeweiligen Legitimationsquellen und den damit verbundenen Arten der Herrschaftsausübung.

Charismatische Legitimierung in Nordkorea früher und heute

Wer sich schonmal ein bisschen mit dem Personenkult auseinandergesetzt hat, der in Nordkorea um Kim Il Sung und Kim Jong Il getrieben wurde, der kann sich denken, auf welche der drei Säulen nach Weber man sich in Nordkorea vor allem verließ. Die charismatische. Zwar sind die Zuschreibungen von „übernatürlichem oder übermenschlichem“ in den vergangenen Jahren zurückgegangen (ich bin mal gespannt, ob es auch im Zusammenhang mit Kim Jong Un noch zu Wundererscheinungen kommen wird, oder ob die mit dem Tod Kim Jong Ils aus dem Propagandaarsenal gestrichen wurden), jedoch kann man für Kim Jong Un zumindest aufgrund seines Auftretens, das bewusst Anleihen an Kim Il Sung zu nehmen scheint, ebenfalls starke Anleihen an charismatischer Legitimation ausmachen (Allerdings muss man sich hier dann nochmal die Frage danach stellen, ob man dann nicht doch zwischen System und Führer unterscheiden muss. Während sich im Falle Kim Il Sungs der Staat durch seine Person legitimierte, ist es im Falle Kim Jong Uns (wie seines Vaters) eher so, dass sie ihre eigene Herrschaft legitimieren, nicht aber das System an sich).

Die anderen beiden Wege der Legitimierung: Ergänzende Aspekte

Mit einem bisschen guten Willen kann man daneben aber auch Versuche des nordkoreanischen Staates erkennen, sich über die beiden anderen Quellen zu legitimieren. So könnte man die immer wieder zu findende Berufung auf die Tradition des Koguryo-Reiches und die ideologischen Anleihen bei Konfuzianismus wie Christentum als Versuche interpretieren, sich auf traditionelle Werte zu berufen, also dem Muster traditioneller Herrschaft zu folgen. Aspekte wie die immer wieder beschworene, freie Bildung oder Gesundheitsversorgung und so ziemlich alles andere was in der Verfassung steht, könnte man als Versuch interpretieren, das Staatswesen auf legal-rationale Art zu legitimieren. Allerdings muss das Papier im Falle Nordkoreas ja bekanntlich besonders geduldig sein und daher ist durchaus die Frage erlaubt, inwiefern das zur tatsächlichen Legitimität beiträgt und inwiefern Differenzen zwischen Realität und auf Papier festgehaltenem Anspruch nicht zur Delegitimierung des Systems führen können.

Seymour Martin Lipset: Legitimität und Effektivität

Nach Max Weber haben sich noch viele weitere schlaue Leute Gedanken zu Fragen der Legitimität gemacht. Da mir bisher wirtschaftliche Aspekte ein bisschen kurz kamen, die aber gerade im Fall Nordkorea immer wieder angeführt werden, habe ich mir noch einen Vertreter gesucht, der darauf näher eingegangen war. Fündig wurde ich damals (und damit heute wieder) bei Seymour Martin Lipset. Der hatte den Begriff der Legitimität die auf dem

Legitimitätsglauben der Herrschaftsunterworfenen und der Fähigkeit der Herrschenden, diesen zu beeinflussen

beruhte um den Begriff der Effectiveness ergänzt. Diese

beschreibt die Leistungsfähigkeit bzw. die konkreten Leistungen des Systems gegenüber der Gesellschaft, aber auch gegenüber einflussreichen Gruppen, wie zum Beispiel dem Militär. Effektivität wird als instrumentelles Konzept beschrieben, das auch kurzfristig Legitimitätsdefizite ausgleichen kann. Jedoch wird der umgekehrte Weg als wesentlich gangbarer beschrieben. Während sehr effektive, aber nicht legitime Systeme immer ein gewisses Maß an Instabilität in sich bergen, bleiben nicht effektive, aber mit hoher Legitimität ausgestattete Systeme vorerst stabil. Langfristig kann eine hohe Effektivität dem System jedoch weitere Legitimität hinzufügen.

Nordkorea arbeitet an seiner Effektivität. Warum nur?

Was damit gemeint ist, ist ja relativ plastisch greifbar. Wenn ein Staat für die ganze Bevölkerung oder tragende Pfeiler viele Leistungen erbringen kann (zum Beispiel wenn man in einem schönen Haus wohnen und sich nette Sachen kaufen kann), dann kann der Staat damit Defizite im Bereich der Legitimität ausgleichen. Jedoch scheint das etwas schwieriger zu sein als umgekehrt, also wenn ein System zwar legitim aber nicht effektiv ist. Wenn wir das einfach mal auf Nordkorea beziehen, böte sich dann ein recht interessantes Bild. Bis dato war der Staat alles andere als Effektiv (jedenfalls gegenüber weiten Teilen der Bevölkerung und vor allem auch den normalsterblichen Militärangehörigen). Also gab es wohl kein Legitimitätsdefizit auszugleichen. Jetzt scheint die Führung in Pjöngjang aber davon auszugehen, dass der Staat im Bereich der Effektivität „liefern“ (dem Menschen der sich diese besch…eidene Formulierung ausgedacht hat, möchte ich seine vermutlich schwarzgelbe Krawatte mal durch einen Pott frisch „gelieferter“ Hundeexkremente ziehen (entschuldigt den Ausbruch, musste mal gesagt werden)) muss. Also geht man möglicherweise von Defiziten im Bereich der Legitimität aus. Wenn aber das Ersetzen von Legitimität durch Effektivität riskanter ist und eine langfristige Angelegenheit, dann ist auch der Weg, den Nordkorea geht (wenn es tatsächlich die Wirtschaft aufbauen will um das System zu stützen und zukunftsfähig zu machen (was ich für durchaus wahrscheinlich halte)) ein nicht ungefährlicher, denn man ersetzt die wirkmächtige Legitimität durch die riskantere Effektivität.

Die Sache mit dem Glauben. Wie er erhalten wird und wie er verlorengeht

Aber warum sollte man das tun? Vielleicht, weil es mit der Legitimität des Regimes ohnehin nicht mehr so weit her ist. Wie oben gezeigt wurde, verliert die Geschichte mit der charismatischen Legitimität ihre Wirkkraft und die anderen beiden Säulen, die ich genannt habe sind ohnehin zum Teil nicht wirklich funktionierend. Hm, einen entscheidenden Punkt habe ich jedoch bisher ausgelassen. Denn die von mir angeführten Autoren haben jeweils dezidiert auf den Aspekt des Glaubens im Zusammenhang mit der Legitimität verwiesen. Das heißt es kommt nicht immer wirklich darauf an, was ist, sondern darauf, was die Menschen glauben das ist. Die nordkoreanische Propagandamaschine ist weltberühmt und ebenso fast schon sprichwörtlich ist die Abschottung des Landes. Beides dient (wenn auch nicht exklusiv), dem Zweck, den Glauben in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Die Propaganda pflanzt ihn ein und frischt ihn Tag für Tag auf, die Abschottung sorgt dafür, dass es keine Vergleichsmöglichkeiten, also keinen Maßstab gibt, an dem der eigene Glaube mit der Realität abgeglichen werden kann. Dieses Erfolgsduo aus Propaganda und Abschottung konnte aber nur so gut funktionieren, weil es sich gegenseitig ergänzte und verstärkte. Jetzt beginnt die Säule der Abschottung zunehmend zu erodieren. Die Menschen bekommen Maßstäbe. Damit wird der Glaube immer wieder auf die Probe gestellt und wenn der verloren geht, dann ist es auch mit der Legitimität nicht mehr weit her. Naja und damit ist man darauf angewiesen, diese Legitimität irgendwie aufzufüllen. Und dazu fällt den Staatslenkern in Nordkorea wohl momentan nur die Effektivität durch wirtschaftliche Leistungen ein.

Rodney Barker: Schichtenspezifische Legitimierung und Zwang

Rodney Barker schließlich ergänzte das ganze Bild durch einen eher „schichtenspezifischen“ Blickwinkel.

Er verweist auf die Möglichkeit, dass die Beziehung zwischen dem Staat und unterschiedlichen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft auf unterschiedlichen Arten und Graden von Legitimität beruhen kann. So besteht die Möglichkeit, dass sich der Staat gegenüber seinen Eliten über seine rationale Verfahrensweise legitimiert, während gegenüber anderen Gruppen Legitimität fast vollständig durch Zwang und Gewalt ersetzt wird.

Gerade für Nordkorea mit seinem straff organisierten sozialen Kastensystem ist diese Ergänzung interessant, denn tatsächlich lassen sich unterschiedliche Methoden der Legitimierung pro Schicht erkennen. So verlässt man sich bei den oberen Klassen seit Jahren eher auf die Effectiveness, indem man diesen Klassen Güter bereitstellt. In den unteren Schichten konnte man sich dagegen lange auf die charismatische Legitimität verlassen. Das geht jedoch zunehmend zuende, so dass für diese Klasse wohl eine neue Legitimierungsbasis gefunden werden muss. Neben der Effektivität, die sich so schnell nicht einstellen wird (wer jetzt von der schönen neuen Glitzerwelt in Pjöngjang erzählen will, der soll bitte überlegen wer da wohnt und wer in den Teilen des Landes wohnt, für die die Hilfsorganisationen der UN weiterhin Alarm schlagen, das ist nämlich eigentlich ein starker Hinweis auf verschiedene Methoden der Legitimierung), sind auch Zwang und Gewalt als kurzfristig einsetzbare Mittel zur Sicherung der Gefolgschaft zu nennen.

Zwang als Mittel: Es funktioniert – Nur wie lange?

Allerdings ist deren Wirkung nicht besonders zuverlässig und kann kaum als alleiniges Mittel zur Ergänzung nicht vorhandener Legitimität dienen. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an Charles Taylor. Der Mann wurde 1997 in Liberia zum Präsidenten gewählt. Das öfter mal als Wahlkampfslogan bezeichnete Geflügelte Wort, das einen Teil seines Aufstiegs zum gewählten Präsidenten ganz gut beschreibt lautete wie folgt:

He killed my ma, he killed my pa, I’ll vote for him.

Allerdings musste er bald erfahren, dass allein mit Terror nicht wirklich ein Staat zu führen ist. Dementsprechend verantwortet er sich jetzt in Den Haag (zwar nicht dafür, was er seinen eigenen Leuten angetan hat, aber die Nachbarn in Sierra Leone hatten auch unter ihm zu leiden). Naja, soviel nur kurz zur Möglichkeit, mangelnde Legitimität durch Zwang und Gewalt zu ersetzen. Das funktioniert zwar, aber nicht ewig.

Legitimität: Ein Analysefaktor den man beachten sollte

Dementsprechend sind die vielfältigen Analysen des Handelns Nordkoreas unter dem Schlagwort „Legitimität“ alles andere als falsch. Man kann das machen und sicherlich ist da auch öfter mal was Wahres dran. Allerdings wäre es hin und wieder nicht schlecht, wenn man vorweg ein paar Worte zur Bedeutung dieses Schlagwortes schicken würde. Das habe ich hiermit versucht. Ich bin übrigens davon überzeugt, dass man versuchen wird, auch um Kim Jong Un eine Art charismatische Legitimationsbasis zu bauen. Allerdings will man dabei wohl anders vorgehen als bei seinem Vater Kim Jong  Il.  Bei ihm lieh man sich sozusagen die Legitimität von Kim Il Sung und stellte ihn als denjenigen dar, der Kim Il Sung und seine Pläne genau kannte und deshalb auch der einzige sein konnte, der diese Pläne umsetzt. Das klappt natürlich nicht mehr für Kim Jong Un. Stattdessen wird er jetzt derjenige sein, der einerseits die alten Werte Kim Il Sungs vertritt (sieht man ihm ja an..) und der andererseits das Land modernisiert und aufrichtet. Er vereint also altes und neues und kann somit wieder — so denke ich, dass man sich das denkt — eine eigene charismatische Legitimationsbasis gründen. Wenn das geschafft ist, dann sind Aspekte der Effektivität nice to have, aber kein Muss mehr.

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