Sicherheit geht vor: Nordkoreas Reaktion auf Ebola und wie sie zu erklären ist


Nachdem ich mich in meinen letzten Artikeln eher damit befasst habe, wie Nordkoreas Strategie im Umgang mit der (staatlichen) Umwelt aussieht, möchte ich heute den Blick nach innen ins Zentrum stellen. Ich komme ja nicht mehr dazu, alle Meldungen über das Land so intensiv im Auge zu behalten, wie das noch vor einem Jahr der Fall war.
Deshalb habe ich mich eben überlegt, bevor ich mich an den Computer gesetzt habe, worüber ich schreiben möchte. Weil wie gesagt Inneres in letzter Zeit etwas kürzer kam, wollte ich was dazu machen. Ich hatte auch schon ein paar Ideen, aber aus einem Impuls heraus habe ich mich einfach mal völlig unbedarft gefragt, wie wohl Nordkoreas Umgang mit der gefühlten Bedrohung Ebola sei. Ich hatte keine Ahnung, wohl aber das Gefühl, dass das ein interessantes Thema für eine Blogeintrag sein könnte. Nach der Recherche der KCNA-Artikel zu Ebola habe ich jetzt richtig Lust, dazu was zu schreiben. Gibt nämlich richtig viel her, sowohl mit Blick auf die nordkoreanische Selbstwahrnehmung als auch auf Außenpolitik und Kommunikation des Landes.
Aber jetzt genug der Vorrede! Nachdem ich kurz zusammengefasst habe, welchen Dreh (oder besser welche Drehs) die nordkoreanischen Medien Ebola geben, werde ich auf die unterschiedlichen Aspekte der innen und Außenpolitik sowie Kommunikationsarten Nordkoreas eingehen, die sich darin deutlich spiegeln.

Nordkoreas Reaktion auf Ebola: Spät aber entschieden

Die Reaktion der nordkoreanischen Führung auf Ebola kam (zumindest was wir durch KCNA vermittelt sehen können) relativ spät: Am 24. September brachte KCNA einen Artikel, in dem die präventiven Maßnahmen des Landes gegen die Epidemie beschrieben wurden. Grenzkontrollen seien verschärft und Quarantäne für Einreisende eingeführt worden. Es gebe eine Informationskampagne und an „preventiven Medikamenten“ würde geforscht. Diese Maßnahmen wurden laut einer Meldung vom 23. Oktober ergänzt durch die Einsetzung eines Krisenstabs und die Verankerung präventiver- und Informationsmaßnahmen auf lokaler Ebene. Einreisekontrollen wurden weiter verschärft, um genau zu sein durften keine Touristen mehr ins Land, was jedoch nicht über KCNA kommuniziert wurde, wohl aber (notwendigerweise) an die betroffenen Reisebetreiber. Die praktische Arbeit gegen Ebola und die Verankerung der Prävention in der gesamten Gesellschaft, in Betrieben und medizinischen Einrichtungen beschreibt dann dieser Artikel vom 7. November.
Neben diesem Blick nach innen bekam die Berichterstattung aber ab Ende November noch einen weiteren interessanten Dreh, der den Virus eher in altbekannte Linien der nordkoreanischen Propaganda einbettet. Da wird eine wohlbekannte Verschwörungstheorie aufgegriffen, nach der die USA das Virus in Westafrika als Bio-Waffe gezüchtet habe. Dass das Virus nun grassiert ist also laut der nordkoreanischen Propaganda einzig dem verbrecherischen Treiben des imperialistischen Hauptfeindes zuzuschreiben. Weitere „Belege“ dafür, wurden dann am 1. Dezember geliefert. Hier mixte man die oben beschriebene Theorie mit weiteren, wie den vom Krankheiten-verbreitenden Entwicklungshelfer, der mittels Impfung die Bevölkerung infiziert.

Nordkoreas Umgang mit der Krankheit ist also zweigleisig. Einerseits wird nach Innen aktionistisch ein Maßnahmenbündel in Gang gesetzt, andererseits wird die Krankheit ins eigene Weltbild eingeordnet und ein üblicher Verdächtiger als Verantwortlicher entlarvt. Darüber hinaus fallen aber bei der Betrachtung des Umgangs mit der Krankheit mehrere interessante Aspekte auf, die einiges über die innenpolitische Priorisierung des Regimes, aber auch die propagandistische Ausschlachtung solcher Sachverhalte aussagen. Das möchte ich mir in der Folge etwas genauer anschauen.

Der Blick nach Innen – Sicherheit geht vor

Interessant fand ich bei der offiziellen Reaktion Nordkoreas auf das Virus das Timing. Als Pjöngjang am 24. September reagierte, diskutierten wir in Deutschland schon seit Wochen und Monaten über das Risiko eines Überspringens der Krankheit. Man war also spät dran, mit der Reaktion, was ein bisschen verwundert, wenn man die Deutlichkeit der Reaktion als Gradmesser für die Angst der nordkoreanischen Regierung vor dem Virus nimmt.
Einen solchen Gradmesser halte ich erstmal für angemessen, denn grundsätzlich gehe ich nicht davon aus, dass man auf Grund einer irrationalen Angst die knappen Ressourcen für unnötige Präventionsmaßnahmen vergeudet. Wenn die Angst vor Ebola trotz der Tatsache, dass die Krankheit weit weg von Nordkorea wütet (anders als im Fall von SARS, als Pjöngjang ebenfalls recht heftig reagierte) aber rational ist, was kann die Logik dahinter sein?

Dafür habe ich zumindest fünf Erklärungsansätze, die sich aus dem permanenten Bemühen des Regimes um Stabilität ergeben:

  1. Die Angst vor dem Kontrollverlust:
    Das Regime hat während der großen Hungersnot Mitte Ende der 1990er Jahre erlebt, als zumindest hunderttausende starben, was passiert, wenn die öffentliche Ordnung zusammenbricht und die Menschen für sich selbst sorgen müssen. Mit den Folgen dieses Vertrauens- und Kontrollverlusts hatte das Regime in den ersten Jahren nach der Katastrophe hart zu kämpfen und muss es noch heute umgehen. In Afrika zeigte Ebola seine staatszerstörenden Potentiale und dem Regime in Pjöngjang dürfte bewusst sein, dass ein Aufkommen dieser Epidemie in Nordkorea immer das Risiko mit sich brächte, das System aus den Angeln zu heben. So betrachtet ist das Vorgehen ein rationaler Akt der Risiko-Minimierung.
  2. Die Geschichte von der ständigen Bedrohung mal anders erzählt:
    Die Dauerhaftigkeit des nordkoreanischen Regimes trotz sehr schwieriger „Umweltbedingung“ wird unter anderem oft mit den Begriffen „Kasernenstaat“ und „permanenter Kriegszustand“ erklärt. Danach wird die Bevölkerung durch die permanente Bedrohung von außen und der vorgeblichen Gefahr der Vernichtung durch den Feind in einer atemlosen Situation gehalten, die keinen Widerspruch duldet und die Menschen nicht zum Nachdenken kommen lässt. Eine andere Spielart dieser Bedrohung bietet Ebola. Die Menschen fühlen sich von einem unsichtbaren Virus bedroht und sind so mit Prävention und Selbstbeobachtung beschäftigt, dass sie garnicht dazu kommen, das herrschende System zu hinterfragen. Vielleicht ergänzt das Regime mit der Erzählung vom gefährlichen Virus die ja durchaus in die Jahre gekommene Geschichte vom mordenden Imperialisten, der hinter der Grenze lauert.
  3. Begründung für Maßnahmen:
    Für unsere Sicherheit sind wir (zumindest sehr sehr viele (viel zu viele) von uns) ja immer gerne bereit, dem Staat ein paar Einschränkungen unserer Bürgerrechte einzugestehen. Nun haben die Nordkoreaner zwar nicht besonders viele Bürgerrechte, aber auch dort gibt es Grenzen für das, was der Staat für gewöhnlich tut. Wenn er dann mal etwas mehr tun möchte braucht er Gründe dafür. Ebola ist ein guter Grund. Ich kann mir vorstellen, dass man die Maßnahmen gegen Ebola in einigen Bereichen auch nutzt, um restriktive Maßnahmen gegen einzelne oder alle zu rechtfertigen. Darauf deutet beispielsweise auch das Erschweren des Reisens im Land hin, die in diesem sehr interessanten SZ-Artikel beschrieben wird.
  4. Reaktionsfähigkeit des Systems Testen:
    Wenn ihr ab und zu mal verfolgt, was Kim Jong Un so treibt, wird Euch aufgefallen sein, dass die Nordkoreaner große Freunde von Manövern sind. Die dienen nicht nur als Drohungen oder zur Produktion schöner Fotos, sondern sind auch und vor allem Übungen. Beim Militär ist es recht einfach so eine Übung anzuleiern. Den Gesundheitssektor durchzuchecken ist ohne Not schon schwieriger. Da hat sich vielleicht mal einer von den Regimeführern überlegt, ein Krisenszenario durchlaufen zu lassen. Dieser Hintergrund würde sich ganz gut mit dem erstgenannten verbinden lassen, der Angst vor dem Kontrollverlust. Wer gut vorbereitet ist, kann auch in der Krise die Oberhand behalten.
  5. Informationsbarriere übersprungen:
    Man könnte aber auch die Frage stellen, weshalb das Regime im September begann, plötzlich offensiv über Ebola zu berichten, nachdem bei uns schon seit Monaten darüber gesprochen wurde. Wenn man präventiv wirken wollte oder die Seuche als Chance für Maßnahmen sehen würde, weshalb nicht schon früher? Es ist doch auch gut möglich, dass man sich so einem sperrigen Thema entziehen wollte und das einfach nicht in den Medien stattfinden lassen wollte.
    Nur war der internationale Ebola-Hype so groß, dass das die Informationsbarriere, die das Regime um seine Bürger errichtet hat, übersprungen wurde. Die Menschen im Land „wussten“ über andere Kanäle von einer gefährlichen Krankheit, die die ganze Welt bedroht. Was sollte das Regime da tun. Es entkräftete die Angst der Bevölkerung, zeigte das es was tat (recht einfach, wenn kaum eine objektive Gefahr da ist) und lenkte die bestehenden Ängste in gewöhnliche Bahnen.

Als kleine Randbemerkung möchte ich noch hinzufügen: Der Fall zeigt mal wieder wie hoch Pjöngjang den Tourismus in der internen Prioritätenfolge ansetzt: Ziemlich niedrig. Natürlich weiß man, dass die Wahrscheinlichkeit, dass aus Deutschland, den USA oder Großbritannien eine Ebola-infizierte Person einreisen könnte verschwindend gering ist. Trotzdem fällt der Tourismus komplett der Ebola-Vorsorge im Land zum Opfer. Warum? Weil er so unwichtig ist. All denen, die vom Tourismus als Mechanismus zur Veränderung des Systems oder als Träger des Wandels erzählen, möchte ich sagen: Unfug, in den aktuellen Ausmaßen ändert Tourismus nichts, außer dass das Regime und ein paar Reiseanbieter Geld damit verdienen (was ihr Treiben aber nicht delegitimiert, denn irgendwie muss man ja anfangen und vielleicht wird der Tourismus ja irgendwann mal wichtiger…).

Naja, was es jetzt genau ist, oder von allem ein bisschen, das werden wir wohl nie erfahren. Jedoch kann ich es ganz ehrlich gesagt duchaus nachvollziehen, dass ein Land mit wenig Ressourcen und einem fragilen Gesundheitssystem versucht eher präventiv zu agieren und nicht erst zu reagieren, wenn eine Seuche im Land ist. Da finde ich unsere teils hysterische Angst vor der Krankheit wesentlich weniger rational, denn wir haben eine moderne funktionierende Gesellschaft und beste Mittel, um mit einem Ausbruch im Land umzugehen.

Der übliche Dreh: Imperialistischer Verbrecherstaat ist Feind aller Menschen

Wie schon gesagt reagiert das Regime auf Ebola nicht nur mittels internem Aktionismus, sondern auch, indem es die USA für die Krankheit verantwortlich macht. Im Grunde genommen ist das nichts neues, denn in der nordkoreanischen Propaganda sind die USA und ihre Vasallen für so gut wie alles verantwortlich, was aus nordkoreanischer Sicht böse oder schlecht ist. Da muss Ebola logischerweise einsortiert werden. Interessant ist, dass Pjöngjang sich dazu bei Verschwörungstheoretikern aus aller Welt bedient, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber so funktioniert Propaganda vermutlich, denn auch umgekehrt werden öfter mal krude Verschwörungstheorien gegen Pjöngjang ins Feld geführt.
Dieses Vorgehen aber einfach nur als Reflex der nordkoreanischen Propaganda zu beschreiben, die eben den USA alles Schlechte zuschreiben will, wäre zu kurz gesprungen. Vielmehr könnte man darin den Versuch des Regimes sehen, Anschluss an bestimmte Gruppen zu finden. So ist die Geschichte vom Krankheiten verbreitenden Entwicklungsländern in vielen Staaten, in denen eh ein grundlegendes Misstrauen gegenüber den USA herrscht sehr gut anschlussfähig. Damit kommt Nordkorea vermutlich den Bedürfnissen der Menschen in den betroffenen Staaten mindestens so nahe wie manche westliche Reaktion, die eigentlich nur zeigte, dass uns das Wüten der Krankheit in Westafrika ziemlich egal ist, solange sie nicht hierher kommt. Nordkorea agiert hier ein Stück weit wie ein globaler Populist, der dem Volk nach dem Mund redet und so versucht Verbündete zu finden.
Dieses Vorgehen hat bei einem breiteren Blick auf die nordkoreanische Propaganda nicht unbedingt einen Sonderstatus. Das Umdeuten der Realität, bis die USA als der Böse dastehen und die Nutzung von nicht besonders seriösen Argumenten ist vielmehr ein sehr gerne genutztes Stilmittel. Nur könnte es in diesem Fall eher verfangen, als bei vielen sonst sehr kruden Argumentationen.

Was wir daraus lernen

Aus Nordkoreas Umgang mit dem Thema Ebola kann man erkennen, dass das Regime dazu in der Lage ist, auf bestehende globale Sachverhalte zu reagieren und sie in der Innen- wie Außenkommunikation für sich und die eigenen Ziele umzudeuten. Diese Methode der flexiblen Reaktion ist eine der Grundlagen des Fortbestehen des Regimes und wird in unterschiedlichen Spielarten seit Jahrzehnten eingesetzt.

Ein hoch der Reflexionsfährigkeit westlicher Medien!

Zum Schluss möchte ich nochmal auf die großartige Reflexionsfähigkeit unserer westlichen Medien hinweisen. Denn ganz klar: Wo in den USA sowohl Behörden als auch Bevölkerung völlig gelassen und ohne Anzeichen von Panik mit der Seuche umgingen ist es naheliegend, dass sich die Washington Post über das Vorgehen Pjöngjangs lustig macht. Zurecht! Und vollkommen zurecht brandmarkt die BILD die „kuriosen Nachrichten aus Kim-Land“, nämlich das Pjöngjang die USA bezichtigt, hinter der Züchtung des Virus zu stehen. Kein Wunder: Schließlich wissen die Springer Kollegen (übrigens einer meiner ganz persönlicher LieblingsWELTautoren: H. Rühle) von der WELT ganz genau, welcher Bösewicht das Virus gezüchtet hat.

Ein(ig)e Frage(n) des Timings — Jang Song-thaeks Sturz betrachtet vor seinem zeitlichen Ablauf


Eben stand ich unter der Dusche und da ist mir eine Frage zum Fall Jang Song-thaek eingefallen, der ich gleich nach der Beendigung meiner Waschung (hm, hat einen komischen Klang das Wort. Irgendwie morbide…) nachgegangen bin. Und zwar habe ich mir die Frage gestellt, ob der Sturz Jang Song-thaeks vom Timing her funktioniert hat, bzw. wie das alles funktioniert hat.
Der Hintergrund: Der südkoreanische Geheimdienst und in der Folge so ziemlich alle westlichen Medien haben am vergangenen Dienstag dem 3. Dezember darüber berichtet, dass eine Säuberung gegen Jang stattgefunden habe. Der Bericht von KCNA, der das bestätigt hat, kam allerdings erst gestern, am Montag dem 9. Dezember, also sechs Tage später.
Ich habe in meinem Beitrag gestern alles Mögliche analysiert und zwischen den Zeilen gelesen, aber auf die Daten habe ich nicht geguckt. Deshalb war ich gespannt, welche Zeitangaben die nordkoreanischen Medien zu dem Vorgehen genannt haben. Und tatsächlich ist in dem Artikel zu lesen, dass Jang Song-thaek auf einer Sitzung des Politbüros des ZK der PdAK am 8. Dezember gestürzt wurde. Die Bilder auf denen Jang öffentlichkeitswirksam abgeführt wurde, kennt ihr mittlerweile ja vermutlich alle. Naja und damit hat die Antwort auf meine Frage einige weiter Fragen aufgeworfen:

Was passierte an den Tagen zwischen 3. Und 8. Dezember ab?

Denn wenn die Sitzung am 8. Dezember stattfand und der südkoreanische Geheimdienst schon am 3. Dezember darüber bescheidwusste, dass Jang gestürzt worden war, dann stelle ich mir die Frage, was an den Tagen zwischen dem 3. und dem 8. Dezember passiert ist. Ich meine Jang saß bestimmt nicht zuhause in seinem Büro, ging seinen Alltagsgeschäften nach und als er im Pressespiegel las, dass gegen ihn eine Säuberung im Gang war, ließ er sich von seinem Neffen bestätigen, dass alles in bester Ordnung sei.
Er muss schon festgesessen haben und vermutlich war gerade, als in Südkorea die Geschichte aufs Tableau kam, die Säuberung im Norden in vollen Gängen oder schon weitgehend abgeschlossen.
Wenn er aber schon festgesessen hat, dann war die Meldung die die südkoreanischen Dienste da in die Finger bekamen alles andere als brandheiß. Eher lauwarm. Vielleicht sogar bewusst durchsickern gelassen. Immerhin hat man das ganze davor einige Tage oder Wochen unter der Decke gehalten. Also wie kam es dazu, dass die Meldung durchgesickert ist? Und wer wusste zu diesem Zeitpunkt in Pjöngjang schon Bescheid? Denn innerhalb der Eliten wird doch schon aufgefallen sein, wenn bestimmte Leute nach und nach von der Bildfläche verschwunden sind.

An wen ist die Inszenierung des Sturzes gerichtet?

Die Frage die sich aus der Erkenntnis, dass Jang natürlich schon festsaß ergibt, ist, was die Zielrichtung dieses öffentlichen Sturzes war? Für wen wurde das inszeniert? Für die Bevölkerung? Für uns? War dieser Akt eine Reaktion auf die Berichte in den westlichen Medien, entsprach die Berichterstattung in den westlichen Medien dem Drehbuch Pjöngjangs (weil die Info gezielt lanciert wurde) oder lief das Vorgehen der nordkoreanischen Führung vollkommen unabhängig von der westlichen Berichterstattung ab?
Ich weiß es nicht, tendiere aber zur ersten These: Dadurch, dass in den westlichen Medien über die Säuberung berichtet wurde, sickerte die Information nach und nach auch in alle Bereiche der nordkoreanischen Führung durch. Das Überraschungsmoment war verloren und man musste schnell Gerüchten vorbeugen. Also zeigte man öffentlichkeitswirksam, dass Jangs Entmachtung absolut war und dass sein Netzwerk ausgehebelt ist. Das wäre die Botschaft nach innen.
Aber enthält das Ganze auch eine Botschaft nach außen? Ich weiß es nicht, aber ich bezweifle es. Normalerweise werden sensible (oder als sensibel erachtete) Sicherheitsfragen rigide und ohne jegliche Rücksicht auf die Außenwelt umgesetzt (siehe z.B. auch Atomtests etc.). Vielleicht wurde die Inszenierung in Teilen mit einer Botschaft nach außen versehen, aber selbst das glaube ich nicht. Ich glaube das ging alles als Botschaft an die eigenen Leute.

Wie lief die Inszenierung organisatorisch ab?

Aber auch im Zusammenhang mit der Inszenierung habe ich noch Fragen. Wenn man sich den Mann, der neben Jang Song-thaek saß (im Video etwa ab 7:55) anguckt, dann zeigt der ganz eindeutige Zeichen von einer möglichst demonstrativen Abwendung, vielleicht sogar Ekel. Drumherum gucken die Leute teils ein bisschen interessiert, teils aber auch ganz verängstigt nach unten (übrigens gibt es in den Kommentaren zu meinem Beitrag von gestern einige sehr spannende Beobachtungen zu den Bildern und dem Sachverhalt insgesamt und natürlich die Links zu den vollständigen KCTV-Berichten, danke dafür an die Kommentatoren). Was ich mich frage: Wie läuft die Inszenierung in der Praxis ab? Wissen vorher alle Bescheid: Heute wird Jang, der eh schon seit Wochen im Knast sitzt öffentlich niedergemacht. Oder wissen nur ein paar Eingeweihte Bescheid und die armen Leute, die um ihn rum sitzen wundern sich nur, warum er nicht an anderer Stelle sitzt? Oder wissen alle Bescheid und er wird extra zum „Fotoshooting“ reingebracht, hingesetzt und dann gleich wieder öffentlichkeitswirksam abgeführt? Keine Ahnung!
Aber dieses Vorgehen signalisiert für mich eine absolute Kontrolle der Führung. Die Säuberung war zu dem Zeitpunkt schon so weit abgeschlossen, dass man das, egal in welcher Spielart durchziehen konnte, ohne sich Sorgen zu machen, dass es Aufruhr gibt oder so.
Auch die Tatsache, dass nur von der Flucht einer einzigen Person aus dem Umfeld Jangs berichtet wird, deutet darauf hin, dass die gesamte Aktion straff durchorganisiert war.

Wie weiter mit Jang?

Bleibt die Frage, wie es mit Jang weitergeht. Es gibt ja bereits Berichte über seine Hinrichtung, was einerseits naheliegend wäre, im Sinne von jeglichen Widerstand schnell beenden, indem die Führungsfigur und damit die Perspektive geraubt wird. Bei einer solchen Lesart wäre sein inszenierter Sturz quasi der Schauprozess gewesen, auf den die Hinrichtung unmittelbar folgt.
Andererseits fände ich es abwegig, Jang Tage oder Wochenlang eingekerkert zu lassen um dann plötzlich den Drang zur Eile zu verspüren. Ich meine die Sitzung des Politbüros hat ja wie gesagt maximale Kontrolle demonstriert und sollte vermutlich auch maximale Angst bei eventuellen Sympathisanten verbreiten. Warum dann nicht noch mehr Kontrolle und Macht demonstrieren, indem man seinen Prozess und seine Hinrichtung zu einer einzigen Machtdemonstration macht? Mit meiner gesamten Wahrnehmung des Sachverhaltes wäre es eher konsistent, wenn es in nächster Zeit zumindest einen großangelegten öffentlichen Prozess geben würde.

Warum sich in hochtrabende Analysen ergehen, wenn die einfachen Fragen schon so naheliegen?

Naja, alles in allem finde ich es jedenfalls spannend, dass über alle möglichen Aspekte im Zusammenhang mit Jangs Sturz Analysen angestellt werden, aber sich niemand über den konkreten Zeitablauf Gedanken macht. Denn mal ganz ehrlich: Über die konkreten Zusammenhänge und Vorgänge die  dahinterstehen weiß man sehr wenig, aber der Zeitablauf ist offensichtlich und daraus lässt sich einiges ablesen. Es war jedenfalls keine Überraschungsaktion und zu dem Zeitpunkt, als Jang vor Kameras und versammelten Politbüro abgeführt wurde, war sein Schicksal schon lange entschieden. Es war ein kontrollierter und abgestimmter Vorgang. Zumindest eine Woche vor Jangs offizieller Festsetzung mussten recht viele Leute gewusst haben, dass etwas im Busch ist und seitdem müssen all diese Leute ein Stück weit Geschauspielert haben. Sowas klappt nicht, wenn ein offener oder halboffener Konflikt ausgetragen wird. Aber wir werden sehen. Daraus, ob von Jang nochmal die Rede sein wird und ob Kims Tante Kim Kyong-hui jetzt auch von der Bildfläche verschwindet, werden wir wohl einiges über die Hintergründe des Sturzes erfahren. Aber bis dahin ist noch etwas Geduld nötig.

Nordkorea rüstet rhetorisch ab: „Krise“ auf der Koreanischen Halbinsel zuende — vorerst.


Den meisten von euch dürfte schon aufgefallen sein, dass es in den vergangenen Tagen kaum noch Drohungen oder gar Maßnahmen aus Nordkorea gab. In Pjöngjang scheint man sich entschieden zu haben, dass es nun erstmal ausreicht mit den Spannungen und dass man deshalb wieder in einen ruhigeren Modus wechseln kann. Nicht nur wegen der recht ruhigen Geburtstagsfeierlichkeiten für Kim Il Sungs 101. (anders als letztes Jahr gab es noch nichtmal eine Parade, geschweige denn einen Raketenstart) ist der Druck aus der Geschichte raus. Nun beginnt Pjöngjang auch rhetorisch abzurüsten. Nicht jedoch, ohne die Schuld für die Spannungen der letzten Zeit samt und sonders an die USA zu delegieren.
Heute Morgen gab ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der DVRK eine Stellungnahme ab (hier der KCNA-Artikel dazu), die den sehr spezifisch nordkoreanischen Blick auf die Dinge deutlich macht (in sich ist die Argumentation durchaus nachvollziehbar), die gleichzeitig eine gewisse Hoffnung auf eine ruhigere nähere Zukunft bietet, ohne jedoch den drohenden Unterton komplett aus der Botschaft zu verbannen. Allerdings wird im Kern der Stellungnahme deutlich, was sich in den letzten Wochen sehr klar angekündigt hatte. Pjöngjangs Position hinsichtlich des eigenen Nuklearprogramms ist nicht (mehr) verhandelbar: Man sieht sich als Nuklearmacht und wird diese Stellung nicht mehr aufgeben.

Und weil ich diese Stellungnahme für gleichermaßen interessant wie bedeutsam (nicht was ihre eigentliche Tragweite, sondern was die Diagnosemöglichkeit der aktuellen Situation angeht) halte, möchte ich sie mir im Folgenden mal etwas genauer anschauen.

Spannungen auf der Koreanischen Halbinsel: Folge einer Entwicklung seit Dezember letzten Jahres

Einleitend wird erstmal klargestellt, wo die Verantworltlichkeiten für die Spannungen der letzten Zeit liegen:

It is none other than the U.S which sparked off a vicious cycle of tension, pursuant to its hostile policy to stifle the DPRK by force of arms, and pushed the situation on the Korean Peninsula to the worst phase. The tension began escalating there due to the U.S. wanton violation of the DPRK’s right to satellite launch for peaceful purposes.

[Es ist niemand anderes als die USA, die durch ihre feindselige Politik, die die DVRK mit Waffengewalt unterdrücken sollte, einen schrecklichen Zyklus der Spannungen ausgelöst hat und die Situation auf der Koreanischen Halbinsel in ihre schlimmste Phase gebracht hat. Die Spannungen begannen aufgrund der fahrlässigen Missachtung des Rechts der DVRK auf einen friedfertigen Satellitenstart zu eskalieren.]

Das finde ich interessant, denn hier stellt Pjöngjang die jüngsten Spannungen auf der Koreanischen Halbinsel als direkte Folge des Vorgehens der USA im Rahmen und in der Folge des Satellitenstarts Nordkoreas im Dezember letzten Jahres dar.
Nur zur Erinnerung. Seit diesem erfolgreichen Start gab es eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, darauf folgend scharfe Rhetorik aus Pjöngjang und im Februar dann den dritten Nukleartest, gefolgt von einer weiteren Resolution des Sicherheitsrates und dann erst kamen die aktuellen Spannungen. Ein ganzschön umfassender Zusammenhang den Pjöngjang da herstellt, aber gleichzeitig ein Signal, denn grundsätzlich müssen sich dann wohl die Regierungschefs und Präsidenten der involvierten Staaten jedesmal auf so eine extrem unangenehme Situation einstellen, wenn sie auf einen Raketenstart Nordkoreas mit entsprechenden Maßnahmen reagieren.
Vielleicht ist in diesem Satz auch so etwas wie eine Botschaft an China versteckt. Denn ohne China können keine Resolutionen des Sicherheitsrates erlassen werden, da China über ein Veto verfügt. Vielleicht möchte man auch in Peking ein zurückhaltenderes Verhalten für künftige Satellitenstarts bzw. Raketentests bewirken. China dürfte als Ziel für solche Manipulationen wesentlich vielversprechender sein als die USA.

Botschaft an Peking: Die Amis kommen…

Vor allem, da sich auch der nächste Absatz an die Führung in Peking richten dürfte:

One may know well who is to blame for the tension when looking into who benefits from this.
The U.S. benefited from drastically increasing its military deployment pursuant to its Asia-Pacific-pivot strategy by massively introducing all latest weaponry while inciting military confrontation with the DPRK.
The U.S., which regards the DPRK as the primary target of its attack in the Asia-Pacific region, not only deployed all its operational nuclear strike means but also posed the threat of the largest-ever physical nuclear strike to the DPRK in recent months.

[Wenn man sich anschaut, wer von der aktuellen Lage profitiert, wird klar, wer für die Spannungen verantwortlich ist.
Die USA profitierten davon, die Stationierungen ihres Militärs entsprechend ihrer Strategie der Schwerpunktsetzung auf den Asien-Pazifik-Raum auszubauen, indem massiv modernste Waffentechnik in die Region gebracht wurde, während man die militärische Konfrontation mit der DVRK anheizte.
Die USA, die die DVRK als primäres Ziel ihres Angriffes in der Asien-Pazifik-Region sehen, stationierten nicht nur all ihre bereitstehenden nuklearen Angriffsoptionen, sondern bedrohten die DVRK in den letzten Monaten auch mit dem größten bisherigen physischen Nuklearschlag.]

Das Argument, dass die USA von der aktuellen Situation durchaus profitieren würden, war in den vergangenen Wochen auch von westlichen Analysten immer wieder laut geworden. Anders als hier dargestellt ist der Bezugspunkt der Aufrüstung jedoch nicht Nordkorea, sondern China. Es ist ja nichts Neues, dass China und die USA dabei sind, das Kräftegleichgewicht in der Region neu zu tarieren, was für das künftige Verhältnis beider Staaten und ihre Positionen in der Welt von umfassender Bedeutung sein dürfte. Dementsprechend haben die USA mit ihrer oben angesprochenen Asia-Pacific-pivot Strategie ihr Augenmerk verstärkt auf die Region gerichtet. Allein die Nennung dieses Schlüsselworts macht klar, wer der Adressat dieser Botschaft ist. Chinas neuer Führung soll deutlich gemacht werden, dass die USA mit mächtigen Waffen in die Region zurückdrängen.
In der Folge wird dann erläutert, welche nuklearen Kapazitäten die USA in die Region gebracht haben, um das Bedrohungsbild noch ein bisschen zu kolorieren.

Meister der Rhetorik

Interessant wird es dann wieder, wenn den USA Rhetorik vorgeworfen wird, nur um im nächsten Absatz selbst zu buntesten rhetorischen Stilmitteln zu greifen.

It is the height of rhetoric intended to mislead the world opinion to talk about dialogue for dismantling the DPRK’s nuclear deterrent under this situation.
The U.S. is sadly mistaken if it calculates the DPRK will pay slightest heed to such talk about dialogue as a robber’s calling for a negotiated solution while brandishing his gun.

[Es ist der Höhepunkt der Rhetorik, die darauf abzielt die Meinung der Welt fehlzuleiten, in dieser Situation über einen Dialog zur Demontage der nuklearen Abschreckung der DVRK zu sprechen.
Die USA liegen leider falsch, wenn sie sich ausrechnen, die DVRK würde solchem Gerede über einen Dialog auch nur die geringste Beachtung schenken, das wie die Forderung eines Räubers nach Verhandlungen klingt, während er gleichzeitig mit der Pistole winkt.]

Wem in diesem Konflikt eigentlich  immer Rhetorik unterstellt wird, das dürfte euch vielleicht aufgefallen sein, wenn ihr in den letzten Wochen mal ab und zu Schlagzeilen gelesen habt. Gleichzeitig wird das Argument, dass eine Abrüstung durch das Regime aufgrund eigener Sicherheitsbedenken nicht denkbar sei ein weiteres Mal stark gemacht. Schon in der Vergangenheit konnte man wiederholt Verweise auf den Irak und Libyen lesen, die man durchaus als Hinweis darauf sehen kann, dass eine Abrüstung Nordkorea zu einem leichten Ziel für einen US Angriff machen würde. Ein Argument, dem ich nicht widersprechen will.
Toll ist dann natürlich das Bild des Räubers. Eine Variation des sonst bei der Propaganda beliebten Spruchs: „Die USA verhalten sich wie ein Dieb der ruft: „Ein Dieb!“.“ Auch hier wurde von westlichen Analysten immer wieder hervorgehoben, Nordkoreas Drohungen würden darauf abzielen, Verhandlungen mit den USA und Südkorea aufzunehmen. Allerdings hat sich Pjöngjang dabei nicht verhalten, wie ein Räuber der Verhandlungen fordert und mit einer Pistole rumfuchtelt, sondern wie ein Räuber, der nur mit einer Pistole rumfuchtelt, ohne etwas zu fordern (was ich durchaus bedrohlicher finde, weil man nicht weiß, wie man solche Räuber zufriedenstellen kann (passt eigentlich blendend auf Nordkorea, dieses Bild…).

Bereit für Dialog – zu eigenen Bedingungen

Trotz der Wahrgenommenen Erpressung durch die USA sieht Nordkorea aber noch Möglichkeiten für die Wiedereröffnung eines Dialogs. Allerdings nicht unter den Bedingungen, die die USA bisher gestellt haben:

Worse still, the U.S. claim that it will opt for dialogue when the DPRK shows its will for denuclearization first is a very impudent hostile act of disregarding the line of the Workers‘ Party of Korea and the law of the DPRK.
The DPRK is not opposed to dialogue but has no idea of sitting at the humiliating negotiating table with the party brandishing a nuclear stick.
Dialogue should be based on the principle of respecting sovereignty and equality — this is the DPRK’s consistent stand.

[Schlimmer noch, die Behauptung der USA, dass sie offen für Dialog sind, wenn die DVRK zuerst ihren Willen zur Denuklearisierung zeigt, ist ein sehr unverschämter feindlicher Akt der Nichtanerkennung der Linie der Arbeiterpartei Koreas und der Gesetze der DVRK.
Die DVRK ist nicht gegen Dialog, aber sie ist nicht bereit mit einer Partei erniedrigt am Verhandlungstisch zu sitzen, die mit einer nuklearen Rute herumfuchtelt.
Dialog sollte auf dem Prinzip des Respekts für Souveränität und Gleichheit stattfinden — das ist die konsistente Haltung der DVRK.]

Hier macht die Stellungnahme nochmal klar, dass die Forderung der USA, dass Nordkorea zuerst den Willen zur Denuklearisierung zeigen solle (noch nichtmal irgendwelche Schritte, nur den Willen) nicht akzeptabel sei. Damit wird einer, oder eigentlich der zentralen Voraussetzung der USA für neue Verhandlungen mit Nordkorea, zumindest über die letzten vier Jahre hinweg, rundheraus widersprochen. Interessant finde ich hier auch die Tatsache, dass in der nordkoreanischen Propaganda die „Linie der Arbeiterpartei“ vor den „Gesetzen der DVRK“ kommt. Mit diesen Gesetzen dürfte unter anderem die erst vor einigen Wochen erlassen Nukleardoktrin des Landes gemeint sein, vermutlich aber vor allem die Verfassung, in deren Präambel ja mittlerweile steht, dass Nordkorea ein Nuklearstaat sei.
Gleichzeitig deutet man aber Bereitschaft für Gespräche an, jedoch nicht auf Basis einer nuklearen Erpressung durch die USA, sondern als gleichwertige Parteien und ohne Vorbedingungen. Tatsächlich ist dies die konsistente Haltung der DVRK in den letzten Jahren. Das Problem ist, wie ihr euch nach diesem Absatz wohl denken könnt, dass die Haltungen der USA und Nordkoreas schlicht nicht vereinbar sind und solange keiner von seiner Position abweicht, ist ein Dialog nicht möglich.

Ein Triumph für Nordkorea – Was auch sonst?

Den krönenden Abschluss bilden dann grollend klingende Töne, die aber eigentlich den Rückzug aus den gegenwärtigen Spannungen vorbereiten:

The nuclear strike drills staged by the U.S. against the DPRK leave the latter with no option but to conduct drills to cope with them.
There is no guarantee that these drills will not go over to a real war and the U.S. will be held wholly accountable for all the ensuing consequences.
The DPRK will escalate its military countermeasures for self-defence unless the U.S. ceases its nuclear war drills and withdraws all its war hardware for aggression.

[Die nuklearen Manöver, die die USA gegen die DVRK abhielten, lassen letzteren keine Option, außer als Reaktion selbst Übungen vorzunehmen.
Es gibt keine Garantie, dass diese Übungen sich nicht zu einem echten Krieg mit den USA entwickeln werden, die für alle entstehenden Konsequenzen allein verantwortlich zu machen sind.
Die DVRK wird ihre militärischen Gegenmaßnahmen zur Selbstverteidigung solange eskalieren, bis die USA ihre Nuklearkriegsübungen beendet und das gesamte Arsenal zur Aggression abzieht.]

Klingt zwar alles noch ein bisschen martialisch, aber in diesen Sätzen ist das Ende der Eskalation angelegt, ohne es explizit zu sagen. Die USA haben ihre Manöver mit Südkorea inzwischen beendet (glaube ich) und ich habe noch nichts davon gelesen, dass die Langstreckenbomber der USA dauerhaft in Südkorea stationiert werden sollten (warum auch, sind ja Langstreckenbomber). Außerdem ist die Formulierung „hardware for aggression“ so schön schwammig, dass man sie je nach Bedarf auslegen kann. Vor allem ist in dieser Formulierung aber in gewisser Weise ein Triumph für Pjöngjang angelegt. Denn sobald die USA das abgezogen haben, das von  Nordkorea hardware for aggression definiert wird, kann man dort behaupten, die militärischen Gegenmaßnahmen zur Selbstverteidigung, also die Eskalation etc. hätten blenden funktioniert und die USA abgeschreckt, ihren Kram in Korea zu lassen.

Botschaften der Stellungnahme

In diesem Text Nordkoreas stecken einige Botschaften an unterschiedliche Adressaten drin:

  • China soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass es nicht sinnvoll ist, sich gegen Nordkorea zu stellen, da es sich dann in einer sehr angespannten Situation wiederfindet, über die es keine Kontrolle hat. Gleichzeitig wird es auf den wahren Gegner hingewiesen, die USA, die in die Region drängen. Wenig diskret auch der Hinweis, dass Nordkorea sozusagen den Schlüssel in der Hand hat, die USA und ihre Waffen in die Region zu holen.
  • An die Welt ergeht die Information, dass man erstmal genug eskaliert habe und bereit sei, den Druck aus der Situation zu nehmen.
  • Die USA erhalten den Hinweis, dass eigentlich alles beim Alten ist. Man ist bereit zu verhandeln, aber nicht unter den Voraussetzungen Washingtons, sondern auf Basis der eigenen Forderungen.
  • Die eigenen Leute sollen wissen, dass man im Umgang mit den USA, der übermächtigen erpresserischen Nuklearmacht nicht bereit ist nur einen Schritt zurückzuweichen und solange seine eigenen Abschreckungsmittel einsetzt, bis die USA nachgeben. Man hat also wieder eine gefährliche Situatio mit den USA siegreich überstanden.

What‘ next Kim?

Und was bedeutet das alles jetzt für die nächste Zeit auf der Koreanischen Halbinsel? Das ist kaum vorherzusagen. Es kommt darauf an, wie die externen Adressaten, also China und die USA mit diesen Informationen sowie dem, was Nordkorea da einen Monat lang veranstaltet hat, umgehen. Je nachdem, wie sich die zurzeit nicht gerade guten Beziehungen Pjöngjangs mit Peking entwickeln und ob die USA ihre Haltung in irgendeiner Weise ändern, wird es sehr unterschiedliche Entwicklungen geben.
Die neue Präsidentin Park Geun-hye in Südkorea scheint mir eine wesentlich konstruktivere Akteurin als ihr Vorgänger zu sein, was möglicherweise eine proaktivere Haltung der USA zur Folge haben könnte. Aber das muss sich zeigen. Zuletzt ist natürlich auch nicht unbedeutend, was Pjöngjang mit dieser ganzen Verbalorgie eigentlich wollte. Denn wenn das, wie ich schonmal gemutmaßt habe, vorrangig auf interne Aspekte abgezielt hat, dann ist durchaus denkbar, dass auch in der Folge die Innenpolitik Nordkoreas im Zentrum steht und daher Impulse von außen nicht wirklich oder garnicht aufgenommen werden. Wir werden uns also gedulden und abwarten müssen, was in der nächsten Zeit passiert. Allerdings können wir das etwas entspannter tun, als in den letzten Wochen, denn es würde mich wirklich sehr wundern, wenn der ganze Stress doch noch nicht vorbei wäre.

Eine Sache der Wahrnehmung: Warum die nordkoreanische Führung nicht Gefahr läuft, ohne Krieg ihr Gesicht zu verlieren


In den vergangenen Wochen und auch aktuell, wird bei der Diskussion der Lage auf der Koreanischen Halbinsel immer wieder das Problem angesprochen, dass es der nordkoreanischen Führung nach all den Kriegsdrohungen und dem verbalen Dramatisieren der Situation — auch nach innen — wohl kaum noch möglich sein würde, aus der Situation herauszukommen, ohne dabei konkrete Maßnahmen zu ergreifen, sprich zumindest eine begrenzte militärische Provokation zu begehen.
Die Staatengemeinschaft stellt dabei nicht so sehr das Problem dar, denn ich denke die Meisten könnten es der Führung in Pjöngjang nochmal verzeihen, wenn sie ihre Pläne, die USA und Südkorea in Schutt und Asche zu legen aufschöbe. Die Schwierigkeit stellt vielmehr die Kommunikation nach innen dar, so die Annahme. Die Führung würde ihr Gesicht verlieren, wenn sie ihre Drohung nicht wahrmachte und Bevölkerung wie Militär sei es nicht zu vermitteln, wenn die permanente Situation am Rande eines Krieges sich plötzlich in Nichts auflöste.

Eine Sache der Wahrnehmung

Allerdings, so möchte ich argumentieren, ist dieses Problem bei näherer Betrachtung weniger frappierend und lässt der Führung in Pjöngjang durchaus noch Spielräume. Dazu muss man allerdings etwas in die Vergangenheit schauen.

Hype vs Routine

Einerseits dürfte uns dann auffallen, dass die gegenwärtige Lage nicht unbedingt etwas Einmaliges darstellt, sondern dass solche Drohungen zum ganz gewöhnlichen außen- und innenpolitischen Arsenal Nordkoreas gehören. Es ist ein Wesensmerkmal des nordkoreanischen Systems, dass die Bevölkerung im permanenten Kriegszustand gehalten wird. Die Eskalation ist Normalität. Es geht keines der Frühjahrsmanöver der USA und Südkoreas ab, ohne dass die Führung in Pjöngjang die rhetorische Keule auspackt — und diese Manöver finden jedes Jahr statt. Es wird auch keine Resolution der Vereinten Nationen gegen Nordkorea beschlossen, ohne dass das Land am Rande eines Krieges stehen kann. Das ist Normal und vermutlich würde die Bevölkerung eher besorgt reagieren, wenn diese Rhetorik einmal ausbliebe. Daher dürfte der nordkoreanischen Bevölkerung die ganze Situation nicht so sehr ungewöhnlich vorkommen wie uns. Dazu kommt ja auch noch unsere medial induzierte Überwahrnehmung, denn wie man hört, bleiben auch die Leute in Südkorea im  Verhältnis eher ruhiger, als wir hier. Daher ziehen wir Schlüsse über die Wahrnehmung dort, die so garnicht zulässig sein müssen, denn mal ganz ehrlich, wer von uns hat in den letzten Jahren denn bitte die Drohungen aus Nordkorea und ihre Stärke in Quantität und Qualität bewertet. Vermutlich ziemlich wenige.
Aber trotzdem bleibt natürlich festzuhalten, dass die aktuellen Drohungen stärker sind, als es in der Vergangenheit für gewöhnlich der Fall war. Daher ist es trotz der definitiv vorhandenen Abstumpfung der nordkoreanischen Bevölkerung und des Militärs vorstellbar, dass die Menschen in Folge der besonders scharfen Drohungen denken, dass es eine Kriegsgefahr gibt.

Offensiv vs Defensiv

Allerdings muss man ja nicht nur schauen, ob eine Kriegsgefahr Seitens der nordkoreanischen Bevölkerung wahrgenommen wird, sondern auch, wie sie wahrgenommen wird. Dazu zuerst ein kurzer Rückblick in den Koreakrieg.
Nach nordkoreanischer Geschichtsschreibung wurde der Krieg durch einen Überfall der USA begonnen und kann als Sieg Nordkoreas gewertet werden, weil diese Aggression abgewehrt wurde. Seitdem ist Nordkorea im eigenen (zumindest propagandistischem, in Abgrenzung zur strategischen Einschätzung) Selbstverständnis kein nach außen aggressiver Staat, sondern einer, der von den USA permanent bedroht ist (wie weit man diese Einschätzung teilen will, bleibt jedem selbst überlassen). Die USA halten nach diesem Selbstverständnis auch Südkorea besetzt und haben dort ein Marionettenregime errichtet. Nordkorea verteidigt nur die Unabhängigkeit des koreanischen Volkes gegen diesen Aggressor und bietet sozusagen die Hoffnung auf die Befreiung der südkoreanischen Bevölkerung. Wie sehr die befreit werden will ist ja erstmal egal, denn es geht ja nur um die Botschaft, die die Bevölkerung  Nordkoreas permanent eingetrichtert bekommt.
So sind, zumindest aus Sicht der Bevölkerung, die aktuellen Drohungen auch nicht als nach außen aggressive Akte zu sehen, sondern als defensive Reaktionen auf die gegenwärtige verschärfte Bedrohungslage. Und wenn man die Meldungen von KCNA mal anguckt, dann fehlt nirgends der Hinweis, dass man in Verteidigung der DVRK und ihrer Souveränität und Ehre handle.
Nun ist mit dieser Ausführung noch nicht die Frage geklärt, wie die Führung in Pjöngjang ohne Gesichtsverlust aus dem Drohszenario wieder rauskommen soll. Meiner Meinung nach ist das allerdings recht einfach: Wenn man in einer defensiven Position ist, dann erwartet doch niemand einen Angriff. Es reicht vollkommen aus, wenn man den Angriff des Aggressors verhindert oder abwehrt. Die Führung in Pjöngjang hat in dieser Logik nur ihren Job gemacht, indem sie auf die extreme Bedrohung durch die USA mit einer extremen Abwehrbereitschaft reagiert hat. Und wenn die USA nicht angreifen, dann hat die Regierung in Pjöngjang alles richtig gemacht und diese Situation auf Messers Schneide gemeistert.

Wahrnehmungsunterschiede beachten; Eigene Möglichkeiten nutzen

Ich denke, dass es immer Sinn macht zu unterscheiden, zwischen dem das wir wissen und wahrnehmen dem das die nordkoreanische Bevölkerung weiß und wahrnimmt. Beide Wahrnehmungen sind medial verzerrt und gegeneiander verschoben. Die Nordkoreaner haben allerdings im Gegensatz zu uns nicht die Möglichkeit, uns unterschiedlicher Quellen zu bedienen (wir können ihre Nachrichten lesen und ihr Fernsehen gucken, sie aber nicht unsere).
Da wir das können, sollten wir es auch tun und uns es nicht so einfach machen, von unserer Wahrnehmung auf diejenige anderer zu schließen. Allein das würde schon ungemein weiterhelfen, Fehleinschätzungen abzubauen und ein realistisches Bild zu bekommen. Ach by the way: Ist eigentlich schon jemandem aufgefallen, dass sich die nordkoreanische Propaganda etc. seit ein paar Tagen wieder am normalisieren ist? Die Nachrichten der letzten Tage bestanden eigentlich nurnoch aus Stellungnahmen, Einschätzungen und Appellen westlicher Akteure. Aber naja, wie ich geschrieben habe: The Hype must go on

Wieder Live-Stream von Nordkoreas Staatsfernsehen KCTV im Netz


Vor Ewigkeiten gab es ja mal für kurze Zeit einen Live-Stream des nordkoreanischen Staatsfernsehen KCTV online. Leider endete dieses Angebot wieder relativ schnell und wir mussten wieder auf die Genüsse des nordkoreanischen Propagandafernsehens aus erster Hand verzichten. Die Zeit des Verzichtes scheint jetzt vorbei zu sein. Gerade eben hat C.R. auf der Freien Beitragsseite darauf hingewiesen, dass wieder ein vernünftiger Live-Stream von KCTV online ist. Das freut mich. Und da die entsprechende Seite nicht in Südkorea sondern in Japan gehostet wird, denke ich, dass sie sich nicht so schnell wieder aus dem Netz entfernt. Allerdings verstehe ich noch nicht ganz die Geschäftsidee dahinter, also keine Ahnung, warum die Seite KCTV streamt. Aber sei es drum. Gute Sache, dass es in solch bewegten Zeiten sowas gibt…

Hier geht es zum Stream von KCTV.

Die Droherei aus Pjöngjang: Eine gelungene Medienwirkungsstrategie


Eigentlich wollte ich heute garnichts schreiben und eigentlich nervt mich das Thema, mit dem ich mich wieder beschäftige auch schon ein bisschen. Es geht nämlich mal wieder um Nordkoreas allgemeine und spezielle Droherei im Nachgang der Resolution 2087 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Allerdings will ich euch nicht mit einer Analyse des gesagten und Überlegungen zur Stichhaltigkeit, Bedeutung und Glaubwürdigkeit der getroffenen Aussagen langweilen (das können andere machen), sondern euch auf einen kleinen Aspekt in Pjöngjangs medialer Strategie aufmerksam machen, der hier so deutlich wie selten sichtbar wird.

Wer ist eigentlich „Nordkorea“?

Vorab aber noch eine kleine Überlegung zum Terminus „Nordkorea“, den auch ich der Einfachheit halber öfter mal nutze, der aber so vermutlich nur selten richtig ist. Denn was ist eigentlich „Nordkorea“? Das ist ein Staat, der irgendwie aus allen Menschen besteht, die nordkoreanische Staatsbürger sind. Aber natürlich meinen wir, wenn wir sagen: „Nordkorea droht diesem und jenem!“ oder „…sagt dieses und jenes!“ nicht, dass das alle nordkoreanische Bürger — also vielleicht auch das hungrige Kind oder der Bauer auf dem Feld — sagen, sondern nur die nordkoreanische Führung. Aber selbst da ist das alles ja nicht so eindeutig. Ist die Führung homogen. Ist eine Aussage des Generlstabschefs genausoviel wert wie des Premiers, der Nationalen Verteidigungskommission oder des Außenministeriums? Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube mal nicht. Das sind alles verschiedene Institutionen innerhalb der Führung und die haben allesamt unterschiedliche Arbeitsbereiche und deshalb dürfte es schon einen Unterschied machen, wer was sagt.

Übrigens kann man dieses „Nordkorea ist soundso“ auch hervorragend nutzen, um Grausamkeiten gegen die Menschen dort weniger grausam erscheinen zu lassen. Wenn man zum Beispiel die Gewährung von Hilfen verweigern will, dann kann man das wesentlich besser verkaufen, wenn man darüber spricht, was „Nordkorea“ alles getan hat, als wenn man auf der individuellen Ebene erklären müsste, was der Bauer auf dem Feld jetzt genau mit der Führung in Pjöngjang zu tun hat und wieso es richtig ist, dass dieser Hunger hat, nur weil jene etwas gemacht haben. Das alles nur kurz vorweg, um euch etwas dafür zu sensibilisieren, dass die Aussage „Nordkorea tut dieses und jenes…“ mit Vorsicht zu genießen ist.

Droherei differenziert

Das war mir aufgefallen, weil in den letzten drei Tagen drei unterschiedliche funktionale Gruppen in der Führung des Regimes unterschiedliche Drohungen ausgestoßen haben und was bei uns ankam war: Tag 1: „Nordkorea droht…“; Tag 2: „Nordkorea droht…USA…“; Tag 3: „Nordkorea droht…Südkorea…“. Und damit sind wir auch schon bei unserem eigentlichen Thema. Denn diese Droherei zeigt ein weiteres Mal, dass die Führung in Pjöngjang bei ihrem Vorgehen häufig auf mehrere Dinge abzielt und das ein Faktor, den man immer recht deutlich im Auge zu haben scheint, auch die Medienwirksamkeit des eigenen Agierens sein dürfte. Dazu hat man in Pjöngjang einige Strategien entwickelt du verfeinert, auf die unsere Medien immer wieder hervorragend anspringen.

Eine Medienwirksamkeitsstrategie

Dafür ist die aktuelle Empörungs- und Drohkampagne ein mustergültiges Beispiel. Vor drei Tagen beschloss der UN-Sicherheitsrat einstimmig Resolution 2087, die eigentlich nicht wirklich was bedrohliches oder spektakuläres enthält. Vermutlich wäre die ganze Aktion medial weitgehend unbemerkt über die Bühne gegangen, wenn aus Pjöngjang nicht unmittelbar danach (wegen der Zeitverschiebung vorgestern) die erste Drohsalve vom Außenministerium abgefeuert worden wäre. Da diese auch den Hinweis auf nukleare Aufrüstung enthielt, gab es darauf ein ordentliches internationales Echo. Dieses Echo wäre vermutlich aber relativ zügig wieder verklungen, hätte sich nicht gestern dann die Nationale Verteidigungskommission, das mächtige Lenkungsorgan, das hinsichtlich des Nuklearprogramms wohl die Fäden in der Hand hält, zu Wort gemeldet und etwas expliziter mit Raketentests (nicht Satellitenstarts) und Nukleartests gedroht und die Nachricht vor allem an die USA adressiert. Aber da reine verbale Drohungen, gerade wenn sie so oft erklingen wie aus Nordkorea, für Medien eben nicht wirklich viel hergeben, als das reine Berichten über diese Drohung (es ist ja nichts passiert und es gab keine „echten“ Folgen), wäre auch das eine Eintagsfliege gewesen. Wen wundert es da, dass aus Nordkorea heute wieder Drohungen zu hören waren; Dieses Mal geäußert vom Komitees für die friedliche Wiedervereinigung des Vaterlands, das bei der Politik gegenüber Südkorea ausführendes (ich weiß nicht ob auch planendes) Organ ist, war die Nachricht an Südkorea gerichtet und enthielt explizite Kriegsdrohungen. Naja und ratet, was in unseren Medien geschieht? Genau: Man berichtet weiter über die Drohungen. Pjöngjang hat es also mit recht einfachen Mitteln geschafft, sich an drei Tagen in Folge vordere Plätze in den Schlagzeilen der internationalen Medien zu sichern. Und das war mit Sicherheit so gewollt.

Ich weiß nicht genau, ob man für morgen auch noch ein Organ in der Hinterhand hat, das drohen könnte, aber total abwegig wäre es nicht. Einfallen würden mir da der Generalstab der Koreanischen Volksarmee (KVA) oder vielleicht auch, aber eher nicht die Mission der KVA in Panmunjom, aber für beide ist es vermutlich etwas schwieriger, den Bogen zur Resolution hinzukriegen. Aber irgendwas wie: „Sollte es ein ausländischer Soldat wagen auch nur 0,000001 mm auf ein Schiff zu treten, dass unter der Flagge der Demokratischen Volksrepublik Korea fährt, wird die KVA nicht zögern, einen gnadenlosen und vernichtenden Gegenschlag gegen den Quell dieser Provokation zu führen…“ könnte man da ja schon hinkriegen.

Interessant ist das Timing

Unabhängig davon, ob man sich für morgen auch noch ein paar Drohungen überlegt hat, kann man die Gesamtchoreographie eigentlich nur als medienstrategisches Vorgehen bezeichnen. Natürlich wäre es für die drei Organe ein leichtes gewesen, unmittelbar nach der Veröffentlichung der Resolution 2087 zu reagieren. In weiten Teilen dürften die Stellungnahmen schon geschrieben in der Schublade gelegen haben. Aber wenn alle drei gleichzeitig gedroht hätten, dann wäre die ganze schöne Wirkung schon an einem Tag verpufft. Die Berichterstattung der westlichen Medien wäre wohl genauso alarmierender ausgefallen, hätte aber wohl kaum so lange angehalten, wie das jetzt der Fall war.

Das Ziel ist klar. Aber was ist das Motiv?

Aus diesem Vorgehen Pjöngjangs würde ich einfach mal ableiten, dass es ein Ziel war, möglichst lange mit den Drohungen von Nuklear- und Raketentests sowie dem Abbruch aller Verhandlungen um die Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel in den internationalen Schlagzeilen zu bleiben. Allerdings definiert man solche Ziele ja nicht, ohne Motive dazu zu haben. Und diese zu identifizieren ist ungleich schwieriger als die Erkenntnis zu gewinnen, dass man in Pjöngjang die Logik unserer Medien bewusst strategisch ausnutzt.

Man kann aber mal versuchen zu überlegen, was im Endeffekt damit erreicht wird, dass Nordkorea tagelang mit bedrohlichen Meldungen in den Medien präsent ist: Generell wird bei Menschen, die Meldungen zu diesem Thema eher oberflächlich beobachten (was die Meisten tun und was nicht an sich kritikwürdig ist (man kann ja nicht auf alles achten)), vermutlich ein mulmiges Gefühl erzeugt. In ihrer Wahrnehmung dürfte ankommen, dass die Situation auf der Koreanischen Halbinsel sehr gefährlich ist, dass sich Pjöngjang bedroht und ungerecht behandelt fühlt und das es sehr leicht zu einer weiteren Eskalation kommen kann. Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute mal, einer solchen Manipulation können sich selbst Entscheidungsträger nicht immer entziehen. Tendenziell könnte das Motiv also sein, die Welt zu einem vorsichtigeren Umgang mit Nordkorea zu bewegen. Das ist so eine Idee die ich habe.

Natürlich kann man auch weiter gehen und der allgemeinen Argumentation folgen, dass Pjöngjang mit diesem Vorgehen die adressierten Regierungen an den Verhandlungstisch zwingen will, aber vielleicht ist diese Idee tatsächlich etwas weit gesprungen. In den letzten Jahren hat Drohgebaren nie zum Einknicken der anderen Regierungen geführt, sondern eher im Gegenteil zu einer härteren Haltung. Jetzt etwas anderes zu erwarten fände ich überraschend. Andererseits könnte man jedoch argumentieren, dass in Seoul gerade die Regierungsverantwortung wechselt. Es könnte tatsächlich als so eine Art Belastungstest gedacht sein, mit dessen Hilfe festgestellt wird, ob und wann die neue Regierungschefin einknickt, bzw. sich nachgiebiger zeigt. Wenn Pjöngjang mit seinem Drohgebaren (und eventuell auch mit einem Nukleartest, der aber dann erstmal das Maximum an Eskalation darstellen würde) ein Einknicken der südkoreanischen Führung erreichen könnte, dann wäre das Spiel für die Amtszeit von Frau Park klar. Nordkorea würde bei Bedarf immer mal gerne die Eskalationsdrohung auspacken. Wenn Frau Park aber standhaft bleibt, sind die Folgen unberechenbar. Nordkorea könnte versuchen die Eskalationsschraube weiter anzuziehen, wie bei Lee Myung-bak beispielsweise mit dem Beschuss der Insel Yompyong geschehen, oder sich eine alternative Politik überlegen. Denn eines ist auch klar. Solche Versuche eine Politikänderung der anderen Parteien zu erzwingen, können bei Misserfolg auch politisch sehr kostspielig werden. So würde eine Resolution der Vereinten Nationen, die es nach einem nordkoreanischen Nukleartest mit Sicherheit gäbe, sicherlich dieses Mal nicht ohne wirklich schmerzhafte zusätzliche Sanktionen auskommen. Das dürfte man auch in Pjöngjang nicht wollen.

Aber naja, vielleicht ist das Motiv des medialen Vorgehens Pjöngjangs auch ein ganz anderes, oder das alles folgt tatsächlich einzig einer internen Organisationslogik: Als erstes spricht das Organ, dass mit der Sache direkt befasst ist, dann das mächtigste im Land und dann in irgendeiner Form hierarchischer Reihenfolge alle, die auch noch was zu sagen hat. Wer weiß das schon.

Zum versöhnlichen Abschluss. Einiges lesenswertes aus deutschen Medien

Abschließend dachte ich, dass es auch mal schön sei, relativ gelungene Berichterstattung zu Nordkorea in den deutschen Medien zu würdigen. Das heißt nicht, dass ich alle Meinungen teile, die in den verlinkten Artikeln vertreten werden (und es heißt auch nicht, dass das alles ist, was gutes in der deutschen Presse veröffentlicht wurde), aber es zeigt, dass sich einige deutsche Journalisten tatsächlich hin und wieder die Mühe machen, sich in die entsprechende Materie einzuarbeiten, ehe sie was schreiben. Und weil immer nur rumkritteln blöd ist, gibt es hier jetzt ein paar Links zu Beiträgen, die ich ganz ok fand.

Besonders gefreut hat es mich, dass der Focus nicht nur Schund wie denhier zu Nordkorea publiziert, sondern auch mal was Vernünftiges aus der Online-Redaktion kommt.

Die Deutsche Welle ist manchmal wenigstens ein Stück weit neben dem medialen Mainstream hier und das finde ich gut so. Vielleicht hilft dabei auch das globale Korrespondentennetz, das eben auch mal einen kenntnisreichen Kommentar ermöglicht.

Aber das man für halbwegs vernünftige, wenn auch nicht extrem kreative, Kommentare nicht unbedingt in China sitzen muss, sondern das auch von sonstwo erledigen kann, beweist die SZ.

Um das politische Spektrum ein bisschen mehr zu schließen, aber auch, weil ich es immer wieder spannend finde, wie die deutsche Linke mit dem schwierigen Thema Nordkorea umgeht, hier ein Artikel aus der Jungen Welt, der ganz gut eine der Methoden demonstriert: Man umschifft die „Nordkorea-Klippe“ und fokussiert einfach auf andere gern genommene Themen…

Durch den Focus-Bericht bin ich schließlich noch auf diesen interessanten Kommentar (was ich für ein leichtes Understatement halte. Ich finde Kurzanalyse treffender) von Eric Ballbach gestoßen, der als Experte zu dem Thema natürlich einiges weiß und sehr schön die jüngsten Ereignisse in Nordkorea zueinander und zur großen politischen Linie der Führung in Kontexte setzt. Das ist absolut lesenswert und wird natürlich in meiner entsprechenden Kategorie mit aktueller deutschsprachiger Literatur zum Thema verlinkt.

Nordkorea modernisiert sich! — Zumindest im Netz…


Gestern überraschte mich (und vor mir Bagameri. Vielen Dank für den Hinweis!) die Korean Central News Agency (KCNA) mal wieder mit einer umfassenden Neugestaltung und teilweise inhaltlichen Umstrukturierung ihres Internetauftritts. Damit setzt Pjöngjang sowas wie eine kleine Tradition fort, nach der zum Jahresanfang häufiger mal Neuerungen an den Internetauftritten der Staatsmedien vorgenommen werden. Anfang 2011 ging das Parteiorgan Rodong Sinmun mit ihrer Homepage an den Start und wenig später das Auslandsradio Stimme Koreas. Anfang 2012 beglückte uns die Rodong Sinmun dann mit einem englischsprachigen Auftritt.

Moderne(re) Optik

Der neue Auftritt ist von der Optik her (über vielmehr kann ich eh nicht urteilen, da hoffe ich auf die Computernerds, die sich ja gerne mit technischen Details auseinandersetzen) wesentlich moderner als der alte, was ihn aber noch lange nicht in die Internetmoderne bringt, aber näher ran als zuvor. Hier zum Vegleich die alte und die neu Startseite:

Der alte Auftritt von KCNA sah nicht unbedingt verheerend aus, aber irgendwie nach Marke Eigenbau.

Der alte Auftritt von KCNA sah nicht unbedingt verheerend aus, aber irgendwie nach Marke Eigenbau.

Die neue Startseite erscheint dagegen dirchaus moderner und frischer.

Die neue Startseite erscheint dagegen durchaus moderner und frischer.

Ich will jetzt hier nicht jedes inhaltliches Detail durchkauen, das mir an der neuen Seite aufgefallen ist, aber einiges finde ich dann doch erwähnenswert:

Registrierungsfunktion

Dank Bagameris Selbstversuch weiß ich, dass man sich gefahr- und folgenlos registrieren kann (man kann sich dann einloggen, aber das ändert erstmal nichts am Zugang etc.). Wozu das gut sein soll bleibt erstmal im Dunkeln, aber vielleicht interessiert man sich bei KCNA ja auch dafür, wer die Leser sind. Oder man hat langfristig ein selbsttragendes Finanzierungsmodell im Auge, wer weiß.

Kein Juche Jahr

Auf einen weiteren spannenden Aspekt macht North Korea Tech aufmerksam. Bei den Datumsangaben (in allen Sprachen) fehlt nämlich vollkommen die Juche Zeitrechnung. Stattdessen wird das Datum einzig nach dem weltweit gängigen Kalender angegeben. Zufall ist das jedenfalls nicht, denn im Zentrum der Startseite fliegt momentan auch permanent die 2012 und nicht die 101 ein. Was das zu bedeuten hat? Keine Ahnung. Vielleicht ein einfaches Signal, dass man nach vorne schaut und sich weltoffen geben will. Vielleicht hat es auch eine weitergehende symbolische Bedeutung, zum Beispiel, dass mit Kim Jong Un eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Wer weiß das schon. Ich jedenfalls nicht.

Kim Il Sung und Kim Jong Il verlieren ihre Plätze

Inhaltlich sind mir noch einige weitere Dinge aufgefallen, die etwas bedeuten können, aber nicht müssen. In den Kategorien im Kopf der Seite wurden die Reiter „Life“, „History“ und „Scenic Spots“ ausgemustert. Vor allem fehlen aber die zuvor prominent platzierten „Kim Jong Il’s Activities“, „Kim Jong Il’s Works“, „Kim Il Sung’s Works“ und „Kim Il Sung’s Reminiscences“ jetzt komplett. „Kim Jong Un’s Activities“ hat einen Platz in der Seitenleiste gefunden. Auch die Tatsache, dass Kim Jong Il und Kim Il Sung keine prominenten eigenen Plätze mehr auf der KCNA Homepage haben, könnte man durchaus als eine Hinwendung zur Gegenwart/Zukunft sehen. Als ein bewusstes Signal der Modernisierung. Die berühmte Fettschrift bleibt dagegen allen lebenden und toten Herrschern Nordkoreas erhalten.

Kyodo Banner

Ein anderes Detail, das ich schon immer seltsam fand und für das ich trotz relativ intensiver Recherche keine wirkliche Erklärung finden konnte, war der Link auf die japanische Nachrichtenagentur Kyodo im Fuß der Seite (die anderen Banner dort gehören zu den nordkoreanische Seiten Naenara, Uriminzokkiri, Rodong Sinmun und Stimme Koreas), das m.E. nicht unbedingt dorthin passte.

Was mich schon immer gewundert hat, war das Banner der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo im Fuß von KCNA.

Was mich schon immer gewundert hat, war das Banner der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo im Fuß von KCNA.

Dieses Banner findet man auf der neuen Homepage nicht mehr. Vielleicht ist das Banner auch einem Mitarbeiter von Kyodo aufgefallen und man bat, das doch in Zukunft wegzulassen. Oder es gab eine stillschweigende Kooperation, die dann irgendwann beendet wurde. Auch das weiß ich nicht, aber ich muss da ja in Zukunft auch nicht mehr drüber nachdenken.

Searchengine: Optimierung mit Google?

Was mich bis jetzt noch ein bisschen stört, ist das irgendwie seltsam funktionierende Suchwerkzug der Seite. So gibt die Seite für die Suchbegriffe „Jang Song Thaek“ und „Ri Yong Ho“ jeweils nur einen Treffer aus. Im Gegensatz dazu gibt es zu Kim Jong Un insgesamt 111 Trefferseiten mit Ergebnisse seit dem 1.1.2012. Ob die Tatsache, dass zu diesem Termin Kim Jong Il gerade zwei Wochen tot war ein Zufall ist oder das Datum bewusst gewählt ist, das weiß ich nicht, kann aber sein. Vielleicht kann Eric Schmidt von Google Kim Jong Un ja ein bisschen bei der Optimierung des On-Site Suchwerkzeugs beraten, wenn er in den kommenden Tagen/Wochen mit unklarer Mission nach Nordkorea fliegt. Das wäre doch mal eine feine Sache.

Das Logo: Kleine Stilkritik

Zum Schluss noch eine kleine Stilkritik an dem neu designten Medialogo von KCNA.

Das Bild ist unter „Medialogo“ abgelegt.

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich hatte nur positive Assoziationen. Eine Mischung aus Star Wars und Knight Rider. Keine Ahnung wieso, aber das ist doch mal was…

Radikaler Umschwung?

Wer weiß, wo gerade in unseren Medien alles Mögliche als Zeichen „radikalen Umschwungs“ gelesen wird (Wem außer der FAZ ist es denn bitte neu, dass Nordkorea nach ausländischen Investoren für seine Sonderwirtschaftszonen sucht? Auch wenn mich natürlich brennend interessieren würde, welche deutschen Wissenschaftler alles an dem Masterplan für Nordkoreas Wirtschaft arbeiten. Für sachdienliche Hinweise wäre ich dankbar…) warum sollte dieser Relaunch nicht der erste Schritt in eine völlig neue Zeit sein? Ein paar Schlauen wird die Idee bestimmt kommen.

Aufbruch in Nordkorea oder neuer Wein in alten Schläuchen? Einige Überlegungen ohne abschließende Antwort.


In der letzten Zeit ist ja viel von einer gewissen Aufbruchsstimmung die Rede, die in Nordkorea Land greift und damit die bleierne Schwere der letzten beiden Dekaden ein Stück weit zu vertreiben scheint. Zumindest für Pjöngjang sind diese Beobachtungen weitgehend unumstritten. Das alles bringt man fast von selbst mit der Person Kim Jong Uns in Verbindung, denn wirkliche Veränderungen, wenn oft auch nur kosmetischer Natur, waren erst zu bemerken, als er seinen Vater als Führer seines Landes beerbte.

Aus der Ferne schwer greifbare Aufbruchsstimmung

Allerdings ist es garnicht so einfach, diese Aufbruchsstimmung zu greifen. Das liegt daran, dass man Stimmungen eben nur sehr schwer mit Texten oder Bildern übertragen kann und dass man sich daher häufig darauf verlassen muss, dass diejenigen die Nordkorea besucht haben eben sagen, dass so eine Stimmung in der Luft lag.

Gut, wenn einem Leute beim Greifen helfen

Das sagte mir auch ein Bekannter, mit dem ich kürzlich telefoniert habe und der vor einigen Wochen in Nordkorea war. Er beschrieb ziemlich genau das, was beispielsweise auch in dem sehr interessanten Artikel von Rüdiger Frank nachzulesen ist. Allerdings lieferte er mir auch — und dafür bin ich ihm sehr dankbar — ein Beispiel mit, dass dieses Gefühl ein bisschen plastischer machte.

Während er in Nordkorea war, absolvierte die Moranbong Band ihren vierten Auftritt auf dem 67. Geburtstag der Partei der Arbeit Koreas. Der Auftritt stand unter dem Titel „Song in Praise of Guiding Party“ und stieß in seinem Umfeld auf eine Resonanz, die sich ihm merklich eingeprägt hat.

Die Moranbong Band…

Aber vielleicht erstmal kurz was zur Moranbong Band. Die reine Mädchen-/Damentruppe, die Instrumentalistinnen unterschiedlicher Instrumentengattungen vereint (zum Beispiel, um euch ein Gefühl zu geben E-Gitarren, aber auch Cellos und Geigen, eine Klarinette, Keyboards und einen Flügel gesehen) und außerdem einige Sängerinnen in ihren Reihen hat, wurde nach Angaben von KCNA erst vor einigen Monaten (so schrieb KCNA im Juli) gegründet. Und zwar auf Initiative/unter direkter Aufsicht (es wird von „organized“ gesprochen) von keinem Geringeren als Kim Jong Un selbst. Daher ist es auch keine große Überraschung, dass die Moranbong Band sich in kurzer Zeit zum Standardrepertoire jeder größeren Feierlichkeit gemausert hat. Für einige Aufmerksamkeit sorgte beim ersten Auftritt der Band vor allen Dingen die Tatsache, dass damals einige Disneyfiguren über den Bildschirm hopsten und Rocky einen kurzen musikalischen und filmischen Auftritt im Konzert hatte.

…Versuche der Bewertung. Alter…

Während sowas natürlich westliche Interpretationsreflexe unmittelbar anspricht, ist die weitere Bewertung der Band an sich etwas schwieriger. Was man vielleicht sagen kann, ist, dass die Damen jung sind, die Musik öfter mal poppig und dass das Personal keine Militäruniformen trägt. Aber das war es auch schon fast mit der Analyse…gäbe es da nicht SinoNK. Dort haben sich Adam Cathcart und seine Mitstreiter ernsthaft Gedanken um Hintergründe zur Band gemacht. Zusammenfassend bringt Cathcarts Satz vom alten revolutionären Wein in neuen ästhetischen Schläuchen  das ganze recht gut auf den Punkt. Die Änderungen im künstlerischen Format seien begleitet durch eine Konstanz der Lyrik und des Inhalts. Es handelt sich also, wenn man das auf das System übertragen möchte nicht um eine revolutionäre Umgestaltung sondern um eine Modernisierung des Anstrichs.

…ideologischer Wein…

Diesen Tenor kann man auch aus diesem KCNA Artikel anlässlich des ersten öffentlichen Auftritts der Band entnehmen.

Kim Jong Un organized the Moranbong band as required by the new century, prompted by a grandiose plan to bring about a dramatic turn in the field of literature and arts this year in which a new century of Juche Korea begins.

[Kim Jong Un organisierte die Moranbong Band wie es das neue Jahrhundert erforderte, angeregt durch einen großartigen Plan, in diesem Jahr, das ein neues Jahrhundert von Juche-Korea einläutet, eine dramatische Wende im Feld der Literatur und Künste herbeizuführen.]

…in neuen…

Das klingt noch alles ziemlich revolutionär. Liest man es aber im Kontext mit dem, was Kim Jong Un zu dem Auftritt der Band sagte, dann ist die Übersetzung Cathcarts (Wein und Schläuche) ziemlich treffend.

He said repeatedly that the performance given by the band was the one spurring the revolution and construction, a stirring and unique one reflecting the breath of the times and the one which reached a new phase in its contents and style. […]

He underscored the need to steadily develop the traditional music and popular music in a balanced manner to suit the thoughts and feelings of Koreans and their aesthetic taste while meeting the need of the times and the people’s desire.

[Er sagte mehrmals, dass der Auftritt der Band die Revolution und den Aufbau vorantreiben würde, dass er ergreifend und einzigartig gewesen sei und den Geist der Zeit und wiederspiegelte und dass er eine neue Phase in Inhalt und Stil erreicht habe. […]

Er unterstrich die Notwendigkeit, die traditionelle und die populäre Musik stetig im Gleichschritt weiterzuentwickeln, damit sie den Gedanken und Gefühlen der Koreaner, sowie ihrem Sinn für Ästhetik entspreche und gleichzeitig die Bedürfnisse der Zeit und die Begierden der Menschen erfülle.]

…ästhetischen Schläuchen

Ich finde, hier wird ein deutliches Gewicht auf die Ansprüche der Bevölkerung gelegt. Im Zentrum steht jetzt sozusagen der populäre Geschmack. An dem muss sich die Musik orientieren.

Aber was ist die Wirkung?

Wie gesagt, das alles zu wissen und zu interpretieren ist zwar interessant. Aber im Endeffekt sagt uns das noch wenig darüber, wie es wirkt. Oder um wieder mit Adam Cathcart zu sprechen. Es gibt kaum nützliche Analysen, die über Micky hinausgehen, geschweige denn Bewertungen darüber, wie die Band auf die nordkoreanische Gesellschaft wirkt. Und damit sind wir wieder bei meinem Bekannten. Der hat mir nämlich einen kleinen Ausschnitt der Wirkung der Band auf die nordkoreanische Gesellschaft gewährt und damit auch in einer gewissen Weise ermöglicht, die Aufbruchsstimmung im Land ein bisschen besser zu greifen.

Aufbruchsstimmung

Der Auftritt der Moranbong Band habe einen wirklich nachhaltigen Effekt auf seine Guides gehabt. Das Konzert, das in einer relativ hohen Frequenz im Fernsehen gezeigt wurde habe jedes Mal, wenn gerade ein Bildschirm greifbar war die Gespräche abgewürgt, weil die Führer nurnoch den Bildschirm fokussiert hätten. Nachdem das Konzert zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, waren die Guides am darauffolgenden Tag scheinbar relativ übernächtigt. Das erklärten sie meinem Bekannten mit dem inneren Aufruhr, in den sie das Konzert versetzt habe, was dazu geführt habe, dass die Führer statt zu schlafen, einen guten Teil der Nacht mit Karaoke zugebracht hätten, um das erlebte zu verarbeiten. Vor allem ein Lied habe besonders stark auf die Guides gewirkt. Einerseits hätten sie die „westlichen Tanzschritte“ total beeindruckt, vor allem aber eine besondere Choreografie, bei der die Sängerinnen eine Bewegung sozusagen von einer zur nächsten weitergaben. Ich weiß es nicht genau, aber ich denke, dieses Lied, das ein bisschen modern klingt, aber bei mir irgendwie immer Assoziationen zu meinem kindlichen Samstagsmorgenszeichentrickserienkonsum weckt, dürfte den Guides den Schlaf geraubt haben. Die Tanzschritte kommen zwischendrin immer mal, der Move ganz am Ende.

Wer anderthalb Stunden Zeit hat und das ganze Konzert gucken will (warum auch immer), für den verlinke ich auch nochmal das komplette Video:

Scheinbar wird die Moranbong Band in ihrer Funktion zumindest von den Begleitern meines Bekannten als hoch symbolisch interpretiert. Dazu gehört, neben der revolutionären ästhetischen Form auch, dass die Chefin der Truppe so jugendlich ist und damit sozusagen einen Kontrapunkt zur leicht angegreisten Führung des Landes setzt, die wiederum bei Konzerten der Band immer recht hochrangig vertreten ist.

Symbole des Aufbruchs

Ich will da jetzt auch nicht zuviel rein- bzw. rausinterpretieren, aber mir kommt es so vor, als sei die Wertschätzung des Neuen und des Modernen das, was von den Guides wirklich als revolutionär empfunden wird. Damit dürften sie nicht alleine stehen. Gleichzeitig gibt Kim Jong Und der Bevölkerung mit dieser Band, wie mit anderen Modernisierungen natürlich auch etwas, wonach sie (zumindest im Fall der Guides) schon zu dürsten scheint. Es sieht für sie zumindest so aus, als würde er sein Volk ins 21. Jahrhundert führen.

Wenn die Studien über Mediennutzug bzw. Zugang, zutreffen und tatsächlich ein bedeutender Teil der nordkoreanischen Bevölkerung bereits südkoreanische Seifenopern etc. gesehen hat, dann lässt sich natürlich auch für das Regime nicht mehr leugnen, dass andere Gesellschaften wesentlich moderner sind, als die nordkoreanische. Ein Stück dieser Modernität bringt beispielsweise die Moranbong Band ins Spiel. Naja und wenn die Menschen wirklich das Gefühl haben, dass sich die Gesellschaft und vielleicht auch der Staat (junge Leute können eine Band führen, vielleicht muss man dann auch nicht mindestens siebzig sein, um ein höheres Staatsamt anzustreben) modernisiert, dann ist es ja auch nicht verwunderlich, dass bei den Menschen sowas wie Aufbruchsstimmung aufkommt. Denn wenn sie mit ihrem Gefühl richtig liegen, dann stehen sie ja am Anfang eines Aufbruchs. Allerdings scheint dahingehend noch deutliche Vorsicht zu existieren. Denn selbst die jüngeren Nordkoreaner haben ja schon mindestens einen kleinen Aufbruchsversuch miterlebt, der im Endeffekt versandete.

Die Sache mit der Legitimität — Was das ist, wo es herkommt und wie man damit das Handeln Nordkoreas erklären kann


Wenn man aktuell über Kim Jong Uns Nachfolge und die weitere innen- wie außenpolitische Strategie Nordkoreas reden hört und schreiben liest (diese Wendung gibt es so wohl nicht, aber wenn man „reden hören“ nutzen darf, sollte das auch für „schreiben lesen“ gelten (ich bi eben für Chancengleichheit…)), dann wird sehr häufig die „Legitimität“ der neuen Führung ins Spiel gebracht.

Die gute alte Legitimität. Immer gern genommen…

Mit dieser Legitimität kann man, so scheint es manchmal, so gut wie alles erklären. Wenn Kim Jong Un aussieht wie sein Opa hat das ganz klar was mit Legitimität zu tun und wenn er sich nicht verhält wie ein sozial gestörter Autist (wen meine ich nur damit. Nur weil man nie vor Menschen spricht und nur mit einem Panzerzug verreist…) auch. Wenn er seine Frau präsentiert eh und wenn Nordkorea eine Annäherung an die USA plant genauso. Auch dann, wenn Nordkorea eine Rakete testen will, eine Parade durchführt oder Monumente errichtet. Allerdings passt auch das Thema Wirtschaft blendend zur Legitimität und so verwundert es nicht, dass ein sichtbarer Aufschwung in Pjöngjang genausogut unter den Vorzeichen der Legitimität diskutiert werden kann wie Maßnahmen in den Sonderwirtschaftszonen zu diesen Vorzeichen passen.

…aber was ist denn eigentlich damit gemeint?

Allerdings wird meistens nur gesagt, dass dies und das der Legitimität zu- oder abträglich ist, aber was genau jetzt diese unglaublich vielschichtige Legitimität ist, wozu man sie braucht und wie man sie kriegt und verliert, darüber wird seltener gesprochen. Kein Wunder. Das muss ja auch ziemlich kompliziert sein, wenn man sieht, was alles in diesen Komplex der Legitimität eingeordnet werden kann. Daher dachte ich, befasse ich mich einfach nochmal ein bisschen mit diesem Thema, damit dieser schwammige Legitimitätsbegriff, den man zu allem und jedem heranziehen kann für euch mal ein bisschen mehr an Konturen gewinnt. Dazu ist erstmal festzuhalten, dass wie das häufig bei solchen Begrifflichkeiten der Fall ist, nicht ein feststehendes Theoriegebäude existiert, das alles was mit Legitimität zusammenhängt erschöpfend erklärt, sondern dass sich zu diesem Thema eine Vielzahl schlauer Köpfe Gedanken gemacht hat, die sich häufig gute ergänzen, aber hin und wieder auch ein bisschen widersprechen. Da ich nicht die Zeit habe, mich nochmal durch seitenweise Literatur dazu zu wühlen, aber zu einem früheren Zeitpunkt etwas recht gutes dazu geschrieben habe, zitiere ich mich in der Folge einfach selbst (bzw. meine Magisterarbeit).

Allgemeine Definition

Daher erstmal etwas zur Frage, was Legitimität eigentlich ist:

Legitimität ist allgemein ein Merkmal in der Beziehung eines Staates mit seinen Untertanen und kann als Grund dafür gelten, dass sich die Untertanen des Staates seiner Herrschaft unterwerfen.

Legitimität ist also der tiefliegende Grund dafür, dass wir uns weitgehend klaglos den Gesetzen und Regeln unseres Staates unterwerfen, mehr oder weniger ehrlich unsere Steuern zahlen und uns nicht darum bemühen, unser derzeitiges politisches System durch etwas vollkommen anderes zu ersetzen. Andersherum gesehen, dürfte ein Mangel an Legitimität der Grund dafür sein, dass z.B. die syrische Führung momentan sehr unruhige Zeiten durchlebt. Genauso kann man mit Legitimitätsdefiziten einiges von dem erklären, dass in den vergangenen Jahren in den Staaten der arabischen Welt passiert ist, wobei man Unterschiede in den Legitimitäten der Staaten z.B. auch daran zu belegen versuchen könnte, dass in manchen Staaten Aufstände losbrachen und in anderen nicht. So kann man sagen, dass Legitimität wohl auch ein Grund dafür ist, dass das nordkoreanische System weiterhin besteht.

Wessen Legitimität denn jetzt?

Allerdings muss man bei der Nutzung des Begriffes Legitimität ganz genau darauf  achten, auf wen man den Begriff anwendet. Denn es sind ja durchaus Fälle vorstellbar, in denen man Führungspersonen als illegitim ansieht, ein politisches System, nach dem die Führung organisiert ist jedoch nicht. Allerdings ist es fraglich (das könnte man ausgiebig diskutieren) ob eine solche Unterscheidung im politischen System Nordkoreas wirklich Sinn macht. Denn es ist wohl unbestritten, dass die Person des Führers (und mittlerweile wohl auch die Tatsache, dass diese Person zur Linie Kim Il Sungs gehört) ein konstituierendes Teil des nordkoreanischen Systems ist. Wenn aber der Führer seine Legitimität verliert, dann wohl auch das System, das um ihn herum geschaffen wurde. Ich nehme also in der Folge an, dass ein Legitimitätsgewinn oder -verlust des Führers sich entsprechend auch auf die Systemlegitimität auswirkt.

Wo kommt Legitimität her?

Nun gut, dass die Legitimität also der Grund dafür ist, dass sich die Menschen dem Staat unterordnen und nicht ständig Revolution machen mag eine gute Sache sein. Für den/die Staatsmann/-frau von Welt, egal ob Demokrat (Möchtegern-)Diktator oder Hybrid, ist natürlich viel wichtiger, wo man diese Legitimität herbekommt, wie man sie behält und was sie einem abspenstig machen kann. Die Erklärung von dem allen ist sowas wie eine Königsdisziplin der politischen Wissenschaften, denn wie in der Einleitung schon angedeutet, gibt es ziemlich viele potentielle Faktoren, die auf die eine oder andere Weise auf die Legitimität einwirken können.

Max Webers grundlegende Einteilung

Grundlegende und richtungweisende Gedanken zu diesem Thema hat sich Max Weber gemacht, der in so ziemlich allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen bedeutende Fundamente gelegt hat:

Weber sieht drei mögliche Quellen der Legitimität, die sich dann unmittelbar auf die Art der Herrschaftsausübung auswirken und Bestimmungsgrundlage des politischen Systems sind. Bei der traditionellen Herrschaft beruht die Legitimation auf dem inneren Glauben an die Heiligkeit althergebrachter Ordnungen und Traditionen. Bei der charismatischen Herrschaft entspringt die Legitimität der Herrschaft dem besonderen Charisma der Führungspersönlichkeit, wobei dieses Charisma aus der besonderen „Qualität einer Persönlichkeit, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens als spezifischen außeralltäglichen […] Kräften oder Eigenschaften oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als «Führer» gewertet wird“, hervorgeht. Die letzte Kategorie der Herrschaft und der Legitimität nach Weber ist die legal-rationale Herrschaft. Hier begründet sich die Legitimität der Herrschaft in der Legalität der Ordnung. Herrscher und Beherrschte sind denselben Rechtsnormen unterworfen, das Recht wird zum Fundament der Herrschaftslegitimation. Die oben dargestellten Herrschaftsarten und Legitimationsquellen sind idealtypische Darstellungen und es wird nicht angenommen, dass sie in Reinform auftreten. Vielmehr sind es immer Mischformen aus den jeweiligen Legitimationsquellen und den damit verbundenen Arten der Herrschaftsausübung.

Charismatische Legitimierung in Nordkorea früher und heute

Wer sich schonmal ein bisschen mit dem Personenkult auseinandergesetzt hat, der in Nordkorea um Kim Il Sung und Kim Jong Il getrieben wurde, der kann sich denken, auf welche der drei Säulen nach Weber man sich in Nordkorea vor allem verließ. Die charismatische. Zwar sind die Zuschreibungen von „übernatürlichem oder übermenschlichem“ in den vergangenen Jahren zurückgegangen (ich bin mal gespannt, ob es auch im Zusammenhang mit Kim Jong Un noch zu Wundererscheinungen kommen wird, oder ob die mit dem Tod Kim Jong Ils aus dem Propagandaarsenal gestrichen wurden), jedoch kann man für Kim Jong Un zumindest aufgrund seines Auftretens, das bewusst Anleihen an Kim Il Sung zu nehmen scheint, ebenfalls starke Anleihen an charismatischer Legitimation ausmachen (Allerdings muss man sich hier dann nochmal die Frage danach stellen, ob man dann nicht doch zwischen System und Führer unterscheiden muss. Während sich im Falle Kim Il Sungs der Staat durch seine Person legitimierte, ist es im Falle Kim Jong Uns (wie seines Vaters) eher so, dass sie ihre eigene Herrschaft legitimieren, nicht aber das System an sich).

Die anderen beiden Wege der Legitimierung: Ergänzende Aspekte

Mit einem bisschen guten Willen kann man daneben aber auch Versuche des nordkoreanischen Staates erkennen, sich über die beiden anderen Quellen zu legitimieren. So könnte man die immer wieder zu findende Berufung auf die Tradition des Koguryo-Reiches und die ideologischen Anleihen bei Konfuzianismus wie Christentum als Versuche interpretieren, sich auf traditionelle Werte zu berufen, also dem Muster traditioneller Herrschaft zu folgen. Aspekte wie die immer wieder beschworene, freie Bildung oder Gesundheitsversorgung und so ziemlich alles andere was in der Verfassung steht, könnte man als Versuch interpretieren, das Staatswesen auf legal-rationale Art zu legitimieren. Allerdings muss das Papier im Falle Nordkoreas ja bekanntlich besonders geduldig sein und daher ist durchaus die Frage erlaubt, inwiefern das zur tatsächlichen Legitimität beiträgt und inwiefern Differenzen zwischen Realität und auf Papier festgehaltenem Anspruch nicht zur Delegitimierung des Systems führen können.

Seymour Martin Lipset: Legitimität und Effektivität

Nach Max Weber haben sich noch viele weitere schlaue Leute Gedanken zu Fragen der Legitimität gemacht. Da mir bisher wirtschaftliche Aspekte ein bisschen kurz kamen, die aber gerade im Fall Nordkorea immer wieder angeführt werden, habe ich mir noch einen Vertreter gesucht, der darauf näher eingegangen war. Fündig wurde ich damals (und damit heute wieder) bei Seymour Martin Lipset. Der hatte den Begriff der Legitimität die auf dem

Legitimitätsglauben der Herrschaftsunterworfenen und der Fähigkeit der Herrschenden, diesen zu beeinflussen

beruhte um den Begriff der Effectiveness ergänzt. Diese

beschreibt die Leistungsfähigkeit bzw. die konkreten Leistungen des Systems gegenüber der Gesellschaft, aber auch gegenüber einflussreichen Gruppen, wie zum Beispiel dem Militär. Effektivität wird als instrumentelles Konzept beschrieben, das auch kurzfristig Legitimitätsdefizite ausgleichen kann. Jedoch wird der umgekehrte Weg als wesentlich gangbarer beschrieben. Während sehr effektive, aber nicht legitime Systeme immer ein gewisses Maß an Instabilität in sich bergen, bleiben nicht effektive, aber mit hoher Legitimität ausgestattete Systeme vorerst stabil. Langfristig kann eine hohe Effektivität dem System jedoch weitere Legitimität hinzufügen.

Nordkorea arbeitet an seiner Effektivität. Warum nur?

Was damit gemeint ist, ist ja relativ plastisch greifbar. Wenn ein Staat für die ganze Bevölkerung oder tragende Pfeiler viele Leistungen erbringen kann (zum Beispiel wenn man in einem schönen Haus wohnen und sich nette Sachen kaufen kann), dann kann der Staat damit Defizite im Bereich der Legitimität ausgleichen. Jedoch scheint das etwas schwieriger zu sein als umgekehrt, also wenn ein System zwar legitim aber nicht effektiv ist. Wenn wir das einfach mal auf Nordkorea beziehen, böte sich dann ein recht interessantes Bild. Bis dato war der Staat alles andere als Effektiv (jedenfalls gegenüber weiten Teilen der Bevölkerung und vor allem auch den normalsterblichen Militärangehörigen). Also gab es wohl kein Legitimitätsdefizit auszugleichen. Jetzt scheint die Führung in Pjöngjang aber davon auszugehen, dass der Staat im Bereich der Effektivität „liefern“ (dem Menschen der sich diese besch…eidene Formulierung ausgedacht hat, möchte ich seine vermutlich schwarzgelbe Krawatte mal durch einen Pott frisch „gelieferter“ Hundeexkremente ziehen (entschuldigt den Ausbruch, musste mal gesagt werden)) muss. Also geht man möglicherweise von Defiziten im Bereich der Legitimität aus. Wenn aber das Ersetzen von Legitimität durch Effektivität riskanter ist und eine langfristige Angelegenheit, dann ist auch der Weg, den Nordkorea geht (wenn es tatsächlich die Wirtschaft aufbauen will um das System zu stützen und zukunftsfähig zu machen (was ich für durchaus wahrscheinlich halte)) ein nicht ungefährlicher, denn man ersetzt die wirkmächtige Legitimität durch die riskantere Effektivität.

Die Sache mit dem Glauben. Wie er erhalten wird und wie er verlorengeht

Aber warum sollte man das tun? Vielleicht, weil es mit der Legitimität des Regimes ohnehin nicht mehr so weit her ist. Wie oben gezeigt wurde, verliert die Geschichte mit der charismatischen Legitimität ihre Wirkkraft und die anderen beiden Säulen, die ich genannt habe sind ohnehin zum Teil nicht wirklich funktionierend. Hm, einen entscheidenden Punkt habe ich jedoch bisher ausgelassen. Denn die von mir angeführten Autoren haben jeweils dezidiert auf den Aspekt des Glaubens im Zusammenhang mit der Legitimität verwiesen. Das heißt es kommt nicht immer wirklich darauf an, was ist, sondern darauf, was die Menschen glauben das ist. Die nordkoreanische Propagandamaschine ist weltberühmt und ebenso fast schon sprichwörtlich ist die Abschottung des Landes. Beides dient (wenn auch nicht exklusiv), dem Zweck, den Glauben in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Die Propaganda pflanzt ihn ein und frischt ihn Tag für Tag auf, die Abschottung sorgt dafür, dass es keine Vergleichsmöglichkeiten, also keinen Maßstab gibt, an dem der eigene Glaube mit der Realität abgeglichen werden kann. Dieses Erfolgsduo aus Propaganda und Abschottung konnte aber nur so gut funktionieren, weil es sich gegenseitig ergänzte und verstärkte. Jetzt beginnt die Säule der Abschottung zunehmend zu erodieren. Die Menschen bekommen Maßstäbe. Damit wird der Glaube immer wieder auf die Probe gestellt und wenn der verloren geht, dann ist es auch mit der Legitimität nicht mehr weit her. Naja und damit ist man darauf angewiesen, diese Legitimität irgendwie aufzufüllen. Und dazu fällt den Staatslenkern in Nordkorea wohl momentan nur die Effektivität durch wirtschaftliche Leistungen ein.

Rodney Barker: Schichtenspezifische Legitimierung und Zwang

Rodney Barker schließlich ergänzte das ganze Bild durch einen eher „schichtenspezifischen“ Blickwinkel.

Er verweist auf die Möglichkeit, dass die Beziehung zwischen dem Staat und unterschiedlichen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft auf unterschiedlichen Arten und Graden von Legitimität beruhen kann. So besteht die Möglichkeit, dass sich der Staat gegenüber seinen Eliten über seine rationale Verfahrensweise legitimiert, während gegenüber anderen Gruppen Legitimität fast vollständig durch Zwang und Gewalt ersetzt wird.

Gerade für Nordkorea mit seinem straff organisierten sozialen Kastensystem ist diese Ergänzung interessant, denn tatsächlich lassen sich unterschiedliche Methoden der Legitimierung pro Schicht erkennen. So verlässt man sich bei den oberen Klassen seit Jahren eher auf die Effectiveness, indem man diesen Klassen Güter bereitstellt. In den unteren Schichten konnte man sich dagegen lange auf die charismatische Legitimität verlassen. Das geht jedoch zunehmend zuende, so dass für diese Klasse wohl eine neue Legitimierungsbasis gefunden werden muss. Neben der Effektivität, die sich so schnell nicht einstellen wird (wer jetzt von der schönen neuen Glitzerwelt in Pjöngjang erzählen will, der soll bitte überlegen wer da wohnt und wer in den Teilen des Landes wohnt, für die die Hilfsorganisationen der UN weiterhin Alarm schlagen, das ist nämlich eigentlich ein starker Hinweis auf verschiedene Methoden der Legitimierung), sind auch Zwang und Gewalt als kurzfristig einsetzbare Mittel zur Sicherung der Gefolgschaft zu nennen.

Zwang als Mittel: Es funktioniert – Nur wie lange?

Allerdings ist deren Wirkung nicht besonders zuverlässig und kann kaum als alleiniges Mittel zur Ergänzung nicht vorhandener Legitimität dienen. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an Charles Taylor. Der Mann wurde 1997 in Liberia zum Präsidenten gewählt. Das öfter mal als Wahlkampfslogan bezeichnete Geflügelte Wort, das einen Teil seines Aufstiegs zum gewählten Präsidenten ganz gut beschreibt lautete wie folgt:

He killed my ma, he killed my pa, I’ll vote for him.

Allerdings musste er bald erfahren, dass allein mit Terror nicht wirklich ein Staat zu führen ist. Dementsprechend verantwortet er sich jetzt in Den Haag (zwar nicht dafür, was er seinen eigenen Leuten angetan hat, aber die Nachbarn in Sierra Leone hatten auch unter ihm zu leiden). Naja, soviel nur kurz zur Möglichkeit, mangelnde Legitimität durch Zwang und Gewalt zu ersetzen. Das funktioniert zwar, aber nicht ewig.

Legitimität: Ein Analysefaktor den man beachten sollte

Dementsprechend sind die vielfältigen Analysen des Handelns Nordkoreas unter dem Schlagwort „Legitimität“ alles andere als falsch. Man kann das machen und sicherlich ist da auch öfter mal was Wahres dran. Allerdings wäre es hin und wieder nicht schlecht, wenn man vorweg ein paar Worte zur Bedeutung dieses Schlagwortes schicken würde. Das habe ich hiermit versucht. Ich bin übrigens davon überzeugt, dass man versuchen wird, auch um Kim Jong Un eine Art charismatische Legitimationsbasis zu bauen. Allerdings will man dabei wohl anders vorgehen als bei seinem Vater Kim Jong  Il.  Bei ihm lieh man sich sozusagen die Legitimität von Kim Il Sung und stellte ihn als denjenigen dar, der Kim Il Sung und seine Pläne genau kannte und deshalb auch der einzige sein konnte, der diese Pläne umsetzt. Das klappt natürlich nicht mehr für Kim Jong Un. Stattdessen wird er jetzt derjenige sein, der einerseits die alten Werte Kim Il Sungs vertritt (sieht man ihm ja an..) und der andererseits das Land modernisiert und aufrichtet. Er vereint also altes und neues und kann somit wieder — so denke ich, dass man sich das denkt — eine eigene charismatische Legitimationsbasis gründen. Wenn das geschafft ist, dann sind Aspekte der Effektivität nice to have, aber kein Muss mehr.

Das 13. Pyongyang International Film Festival startet morgen: Ein bisschen was zur Einstimmung


Ab morgen steigt in Pjöngjang ein Event, das wir auf die Schnelle nicht unbedingt mit dem oberflächlichen Bild in Verbindung bringen werden, das sich in unseren Breiten von dem Land festgesetzt hat. Dann findet das 13. Pyongyang International Film Festival statt. Zur Einstimmung hier die Berichterstattung des nordkoreanischen Fernsehens zur Veranstaltung:

Das zweijährlich stattfindende Festival, das nicht zuletzt auf Kim Jong Ils Leidenschaft für die Filmkunst zurückgeht ist in ihrer Ausrichtung, wie der Name schon sagt, international. Der Schwerpunkt liegt zwar auf nordkoreanischen Filmen, aber auf den Festivals wurden in der Vergangenheit Filme aus einigen Dutzend Ländern gezeigt. Darunter war zum Beispiel auch relativ bekannte britische Produktion „Kick it like Beckham“. Für die nordkoreanische Bevölkerung, die häufig als sehr filmbegeistert charakterisiert wird, ist das Festival so ziemlich die einzige Gelegenheit, ein breites Angebot aktueller ausländischer Filme im Kino zu sehen, während ausländische Gäste die bisher zumindest einmalige Chance haben, mit gemeinsam mit Einheimischen einen Kinofilm anzugucken. Dieses Jahr werden erstmalig auch Filme auf einer Großleinwand vor dem Bahnhof gezeigt.

Soweit ich das im Vorhinein aus den Artikeln herauslesen konnte, stehen in diesem Jahr besonders zwei Filme unter Beobachtung. Beides sind Koproduktionen nordkoreanischer Filmschaffender mit ausländischen Akteuren. Zum einen die chinesische-nordkoreanische Produktion „Meet in Pyongyang“, ein Projekt, das scheinbar für die chinesischen Partner nicht ganz ohne Herausforderung war, das aber trotz kleinerer Querelen im Juli in Peking Premiere feierte. Zum anderen die britisch-belgisch-nordkoreanische Koproduktion „Comrade Kim goes flying„, bei der der Kopf hinter Korytours, Nick Bonner wohl treibende Kraft war. Aber vielleicht gibt es auch ansonsten noch ein paar interessante Filme zu sehen.

Wenn ihr euch für nordkoreanischen Film interessiert, schaut doch einfach mal in das entsprechende Blog „North Korean Films“ rein. Wenn euer Interesse nicht ganz so ernster Natur ist, schaut euch dieses Filmchen von Vice an. Und wenn euch all das zu larifari ist, lest doch einfach diesen Aufsatz eines der wenigen Experten für nordkoreanischen Film, der auch noch Deutscher ist (der Artikel ist leider in englischer Sprache und fokussiert vor allem auf eine der obskursten Episoden der nordkoreanischen Kinogeschichte: Als Kim Jong Il den südkoreanischen Regiestar Shin Sang-ok entführen ließ, um das nordkoreanische Kino in seiner Entwicklung voranzubringen).

Und auch dieses Filmchen kann ich nur jedem empfehlen, der sich für das Thema Kino und Nordkorea interessiert:

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