Verhaltener Optimismus ist angesagt: Kommt die Annäherung zwischen den Koreas endlich in die Gänge?


Gestern erinnerte mich eine Meldung aus den Radionachrichten daran, dass ich wohl nochmal was für mein Blog tun muss. Da wurde mitgeteilt, dass in Incheon auf den Asienspielen eine hochrangige nordkoreanische Delegation die Abschlussveranstaltung besucht habe und im Rahmen dieser Reise auch mit Vertretern Südkoreas, darunter Premierminister Chung Hong-won zusammengetroffen sei. Unter anderem sei vereinbart worden Ende Oktober/Anfang November ein weiteres hochrangiges Treffen abzuhalten. Natürlich weckt ein solches Treffen Hoffnungen auf eine Verbesserung der Beziehungen beider Koreas und damit auf eine Entspannung der Gesamtsituation rund um Nordkorea.
Weil ich die Entwicklungen auf der Koreanischen Halbinsel schon etwas länger beobachte und darin schon einige Aufs und Abs gesehen habe, bin ich selten — und auch dieses Mal nicht — euphorisch, aber momentan durchaus positiv interessiert an den jüngsten Entwicklungen. Daher will ich mal versuchen eine Einschätzung über Bedeutung und Reichweite des Besuchs zu treffen.

Kim Jong Uns Abwesenheit… So schlimm kanns nicht sein.

Dazu möchte ich zuerst kurz auf den Rahmen eingehen. Einerseits fällt dabei auf, dass die Reise zu einem Zeitpunkt stattfand, da über die Gesundheit und den Verbleib Kim Jong Uns spekuliert wird. Kim hat seit Anfang September keine öffentlichen Termine mehr absolviert und war kurz zuvor in einem Fernsehbeitrag humpelnderweise zu sehen gewesen, was wie üblich dazu führte, dass internationale Medien über so ziemlich jede erdenkliche Krankheit nachdachten, die er wohl haben könnte (mich überrascht nur, dass ich über das Nächstliegende nichts lesen konnte, nämlich dass er sich bei einem flotten Match mit seinem Superbuddy Dennis Rodman das Knie verdreht hat). All das kann etwas bedeuten (Kim Jong Ils Abwesenheitszeiten 2008 waren beispielsweise wohl schlaganfallbedingt), muss es aber nicht.
Dass man das in diesem Fall nicht überbewerten sollte, zeigt gerade die Reise, um die sich dieser Artikel eigentlich dreht. Denn in Zeiten der Unsicherheit, wenn die Kräfte eher nach innen gebündelt werden müssen, dann wendet sich das Regime nicht nach außen. Jedenfalls nicht auf „positive“ Art und Weise (meine These ist, dass das Regime manchmal in Zeiten inneren Wandels aggressiv nach außen agiert, einerseits um die Funktionsträger im Inneren zu einen, andererseits um vor Avancen von außen Ruhe zu haben). Dass das jetzt passiert kann man im Umkehrschluss als Zeichen dafür deuten, dass sich das Regime recht sattelfest fühlt und deshalb auch mal einige personelle Spitzenressourcen auf die Außenbeziehungen verwenden kann.

Spannend: Das nordkoreanische Personal für Incheon hat Signalwirkung

Mit Blick auf diese personellen Spitzenressourcen kommt der zweite Aspekt, der aufmerken lässt. Denn wenn man sich die Leute mal näher anschaut, die da gefahren sind, dann ist das durchaus eine spannende Konstellation. Aber um das zu verstehen brauch man ein bisschen Background:

Vor einer guten Woche ließ eine Meldung aufhorchen, nach der Choe Ryong-hae — lange hoch gehandelt im vollkommen undurchsichtigen Machtgefüge des Regimes — vom Posten des stellvertretenden Vorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission degradiert worden sei. KCNA schrieb dazu den lapidaren Satz:

It recalled Deputy Choe Ryong Hae from the post of vice-chairman of the National Defence Commission (NDC) of the DPRK due to his transfer to other post

Wer sich mit der Sprache der nordkoreanischen Medien ein bisschen beschäftigt, der weiß, dass da viel mehr drin stecken kann. Beim lesen dieser Nachricht kann die nicht ganz unberechtigte Erwartung aufkommen, dass dies das letzte Mal war, dass man etwas von Choe Ryong-hae in den nordkoreanischen Medien gehört, gesehen oder gelesen hat. Aber immer ist das eben nicht so. Choe ist noch da und ist nach Incheon geflogen. Zusammen mit Hwang Pyong-so (den ich vor drei Jahren schonmal etwas näher angeschaut hatte, aber wie immer viel ausführlichere und bessere Infos bei NK Leadership Watch). Über den stand auch was in dem KCNA-Artikel, der auf Choe Ryong-haes Degradierung hinwies. Nämlich:

It elected Deputy Hwang Pyong So to fill the vacancy as vice-chairman of the NDC of the DPRK

Also ist Choe quasi mit seinem Nachfolger nach Incheon geflogen. Interessant. Allerdings auch wieder nicht so extrem interessant, wie es auf den ersten Blick scheint, denn Choes verbliebener Job ist der des Vorsitzenden der State Physical Culture and Sports Guidance Commission, er ist also quasi der zweite zuständige Mann.
Der dritte im Bunde war mit Kim Yang-gon ein „üblicher Verdächtiger“, den man bei so einer Initiative in den innerkoreanischen Beziehungen erwartet hätte, weil er einer derjenigen in den Reihen des Regimes ist, die für die innerkoreanischen Beziehungen zuständig sind und scheinbar auch im Süden ein gewisses Ansehen besitzen.

Die Delegation bestand also quasi aus zwei Zuständigen plus einem Wichtigen, was da durchaus ein positives Signal draus strickt. Allerdings würde ich die Sache mit Choes Degradierung und seiner Reise noch nicht direkt ganz außer Acht lassen wollen, denn mal ganz ehrlich: Könnt Ihr Euch vorstellen, dass das Regime in Pjöngjang jemanden in den Süden fahren lässt, dem es nicht vertraut? Also bleibt Choe interessant. Ich werde ihn jedenfalls auf dem Zettel behalten.

Erstmal wenig Haare in der Suppe

Auch die Reise an sich bleibt spannend, denn das Regime in Pjöngjang scheint sich gut und sicher zu fühlen (was man aus der Tatsache folgern kann, dass überhaupt Signale gesendet werden, sowie aus der Gruppenkonstellation) und es scheint positive Signale in den Süden senden zu wollen (was man an der „konstruktiven“ Gruppenzusammenstellung sehen kann). Das ist erstmal ein gutes Zeichen, denn auch der Süden hat konstruktiv reagiert und damit besteht erstmals seit zumindest vier Jahren die Chance, einen echten Gesprächsfaden zu knüpfen und eine echte Besserung der Beziehungen zu bewirken.

Perspektive: Wie stehen die Chancen für eine Annäherung

Ob das dann wirklich passieren wird, das ist jedoch noch keinesfalls sicher.
Einerseits sind die Ziele des Nordens, mit denen die Initiative gestartet wurde nicht bekannt und da der Norden bei Nichterreichung solcher Ziele häufiger mal frustriert reagiert, kann das schnell wieder am Ende sein. Hier ist aber positiv anzumerken, dass auch die Gegenseite um diese niedrige Frustrationsschwelle weiß und erstmal sehr offen reagiert hat. Daher gibt man sich zumindest mal Mühe, aber wenn Ziele unvereinbar sind, kann man sich noch so viel Mühe geben, am Ende kommt man nicht zusammen.
Andererseits haben wir ja leider keine geschlossene Versuchsanordnung. Es passieren oft Dinge, die auf solch sensible Prozesse wie die mögliche Annäherung der Koreas einwirken. Dafür sehe ich vor allem Risiken im Norden, denn einerseits kann es ja durchaus sein, dass Kim Jong Un nicht ganz fit ist, dann hängt das Ganze permanent am seidenen Faden (kein Führer lässt zu, dass entscheidende Dinge verhandelt werden, während er nicht voll handlungsfähig ist); Andererseits ist die Neuorganisation seines Regimes vermutlich immer noch nicht abgeschlossen und wenn es in diesem Feld zu entscheidenden Verwerfungen kommt, verliert alles außenpolitische erstmal wieder an Priorität. Optimistisch stimmt mich hier, dass der Zeitraum bis zum nächsten hochrangigen Treffen verhältnismäßig kurz angesetzt ist. Auch das deutet wieder den Willen an, tatsächlich was hinzukriegen.

Was man im Auge behalten sollte

Wie ihr lest, bin ich verhalten optimistisch und hoffe, dass ich in ein paar Wochen von positiven Entwicklungen auf einem innerkoreanischen Treffen berichten kann.
Bis dahin werden verschiedene Dinge zu beobachten sein, die eine Perspektive für die Entwicklung der Verhandlung geben werden:

  • Was macht Kim Jong Un? Taucht er wieder ganz normal auf und geht seinen Geschäften nach, ist er sichtlich angeschlagen oder bleibt er gar noch länger weg? Bei negativen Nachrichten für Kim Jong Un würden auch die Chancen für ein erfolgreiches hochrangiges Treffen sinken.
  • Bleibt das Regime im inneren Ruhig? Wenn Nachrichten über Degradierungen oder sonstige Zeichen für innere Unruhe (Autounfälle z.B.) nach außen dringen, dann bedeutet das, dass das Regime mit sich selbst zu tun hat und sich vermutlich nicht an zwei Fronten (Innen und Süden) ernsthaft engagieren will.
  • Zuletzt wird auch die Reibungslosigkeit der Vorbereitungen vieles über die Perspektiven des Treffens sagen. Wenn es im Vorfeld permanent Geplänkel um Ort, Zeit, Personal etc. gibt, dann kann man davon ausgehen, dass der Norden auf dem Absprung ist und nurnoch die Rechtfertigung finden will. Auch hier lief die Anbahnung des ersten Treffens so still und reibungslos ab, dass man erstmal vom guten Willen beider Seiten ausgehen muss und damit optimistisch sein kann.

Zu dem Thema werden wir uns in ein paar Wochen ganz sicher wieder lesen. Ich hoffe mit positiven Meldungen.

Ein nicht-Ereignis mit Folgen? — Kim Jong Un traf den mongolischen Präsident nicht


Nachdem die mongolische Delegation um Präsidenten Tsachiagiin Elbegdordsch Nordkorea wieder verlassen hat, halte ich es für notwendig ein kleines Fazit des Besuchs zu ziehen. Diese Notwendigkeit entspringt nicht der Tatsache, dass während des Besuches etwas Besonderes gesehen wäre, sondern ganz im Gegenteil dem Umstand, dass etwas Besonderes nicht geschehen ist (oder geschehen zu sein scheint), was den ursprünglich von mir geäußerten Erwartungen in den Besuch zuwiderläuft.
Da das Berichten über nicht-Ereignisse nicht unbedingt die Stärke unserer Medien ist — ist aber auch kein Wunder: Von nicht-Ereignissen gibt es weder Bilder noch Zitate, noch Anekdötchen. Sie sind verwertungsmäßig einfach ein Grauen — und wohl nur über die allerwichtigsten nicht-Ereignisse berichtet wird (z.B. Die USA gehen nicht pleite, Gerhard Schröders Haare waren früher mal nicht gefärbt), gibt es nicht wirklich viel zu lesen über das nicht-stattgefundene Treffen zwischen Kim Jong Un und dem mongolischen Präsidenten Tsachiagiin Elbegdordsch. Anders wäre das gewesen, hätte es das Treffen samt Bildern, Zitaten und Anekdötchen gegeben. Naja, aber nur weil Medien aufgrund von Sachzwängen nicht-berichten, heißt das noch lange nicht, dass das Ausbleiben eines Ereignisses nicht-wichtig ist.

Ein Schritt zurück: Warum der nicht-Empfang wichtig ist

Aber nochmal kurz eine Schritt zurück und überlegen, was wir daraus schließen können, dass der erste Staatschef seit Amtsantritt (bzw. Machtantritt) Kim Jong Uns Nordkorea besucht, herumreist, unterschiedliche für die nordkoreanische Wirtschaft wichtige Verträge schließt, manche wichtige Leute, z.B. Kim Yong-nam trifft und dann wieder nach Hause fährt, ohne Kim Jong Un gesehen zu haben.
Das ist erstaunlich und eigentlich umso erstaunlicher, als die Einladung für den Besuch von Kim Jong Un selbst kam. Eigentlich kann man doch erwarten, dass der einladende Gastgeber den Gast auch selbst begrüßt. Ob der Präsident der Mongolei das erwartet hat, weiß man nicht, denn in der Pressemeldung, die sein Büro im Vorfeld verbreitete, stand nur, dass er verschiedene hochrangige Personen treffen wollte. Diese Uneindeutigkeit könnte darauf hinweisen, dass man sich nicht sicher war, ob Kim Jong Un Zeit/Lust/Interesse hätte und deshalb nicht zu viel versprechen wollte. Andererseits kann ich mir kaum vorstellen, dass ein Präsident auf Staatsbesuch fährt, ohne das Programm zu kennen oder auf ein Treffen mit dem wichtigsten Staatsmann zu verzichten. Allerdings ist es erstmal müßig das alles zu diskutieren, weil wir es nicht wissen, aber es ist eben alles andere als unwichtig.

Noch ein Schritt zurück: Gab es wirklich ein nicht-Ereignis? Wir wissen es nicht…

Aber vielleicht noch einen Schritt zurück: Hat Kim Jong Un den Präsidenten der Mongolei definitiv nicht getroffen? Wir wissen es nicht. Es bleibt eine Wahrheit, dass ein Ereignis nicht nur deshalb nicht stattgefunden hat, weil Medien nicht darüber berichten. Es ist nicht unmöglich, dass sich beide außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit getroffen haben und dass aus politischen Gründen nicht publik machen wollten.
Z.b. könnte ich mir vorstellen, dass das eine Art Kompromiss war. Einerseits hat man so den mongolischen Gast nicht vor den Kopf gestoßen, andererseits aber auch den großen chinesischen Bruder nicht. Aber das wissen wir nicht und selbst wenn man sich auf so ein geheimes Treffen geeinigt hat, zeigt sich darin einiges. Kim Jong Un scheint es nämlich nicht für nötig zu befinden, gut Wetter mit wichtigen außenpolitischen Partnern zu machen.

Warum Kim den Präsidenten der Mongolei nicht getroffen hat. Mögliche Gründe.

Das kann unterschiedliche Gründe haben:

  • Er darf nicht, weil in der internen Arbeitsteilung andere dafür zuständig sind, was nach außen geschieht.
  • Er will nicht, weil ihm andere Aspekte, zum Beispiel millitärische zur Zeit wichtiger sind. Er zeigt so, dass die Priorität des Landes auf innerer Stärke liegt.
  • Er will nicht, weill er ein schlechter Politiker ist. Er erkennt nicht die Relevanz des Besuchs und hängt lieber mit B-Sternchen wie Dennis Rodman ab.
  • Er traut sich nicht, weil die Chinesen ihm klar gemacht haben, dass es ernsthafte Konsequenzen hätte, wenn er sich so deutlich von ihnen abwendet.
  • Er will nicht, um den Chinesen so seine Unterwürfigkeit zu demonstrieren.

Was genau die Gründe waren, das werden wir vermutlich nie wirklich erfahren, aber irgendwo in diesem Bereich mögen sie liegen.

Auf Folgen achten und Rückschlüsse ziehen

Was die Auswirkungen sind, das können wir in den nächsten Monaten vielleicht ein Stück weit beobachten. Einerseits wird es interessant sein zu sehen, wie die Mongolei und Nordkorea politisch miteinander umgehen. Kühlen die in letzter Zeit recht freundlichen Beziehungen mehr oder weniger rapide ab, dann ist davon auszugehen, dass es tatsächlich zu einem Affront kam und der mongolische Präsident sich geschmäht fühlt. Bleiben die Beziehungen weiter gut, dann sind die Mongolen entweder gut im Kröten schlucken, oder es gab eine Art Vereinbarung im Vorfeld bzw. ein geheimes Treffen während des Aufenthaltes des Präsidenten.

Auch der weitere Verlauf der wirtschaftlichen Beziehungen ist spannend. Geht auch hier die rapide Annäherung weiter, was zu erwarten ist, oder gibt es einen Bruch. Auch im letzteren Fall wäre davon auszugehen, dass Pjöngjang den Präsidenten der Mongolei vor den Kopf gestoßen hat.

Weiterhin ist auch das Verhalten anderer Akteure interessant.
Wird China sich irgendwann bewegen und ein Treffen zwischen Kim Jong Un und der chinesischen Spitze gewähren, oder bleibt die Situation weiterhin in der für Pjöngjang schwierigen Schwebe? Sich mit anderen Staatsoberhäuptern zu treffen, ehe man die chinesische Führung sieht wäre ein Affront, aber die Chinesen verhindern ein solches Treffen, was ein Stück weit die außenpolitischen Bemühungen Nordkoreas lähmt.
Reisen andere Staatschefs nach Nordkorea? Mir würden da spontan die Präsidenten von Laos (als alter Freund) oder Indonesien (das in jüngster Zeit verstärkte Interesse an den wirtschaftlichen Chancen Nordkoreas zeigt) einfallen. Wenn auch andere Staatschefs nach Nordkorea reisen, könnte man das als Anzeichen sehen, dass der Präsident der Mongolei nicht gedemütigt wurde, denn ich denke, dass sich sowas durchaus rumspricht und wer will das schon…
Wie ergeht es anderen Gästen in Nordkorea. Empfängt Kim Jong Un auch mal öfter ernstzunehmende Besucher oder vorrangig Pfeifen wie Rodman?

Warum nicht-Ereignisse spannend sind und ein paar Infos zum Weiterlesen

Wir werden sehen und vielleicht dann irgendwann besser verstehen, was in der letzten Woche in Nordkorea (nicht-)passiert ist. Und vielleicht seid ihr euch ja mit mir einig, dass die Dinge die nicht passieren oftmals interessanter sind, als die die passieren, denn wenn etwas nicht passiert, dann ist es oft ungewöhnlich, denn eigentlich passieren ja dauernd Dinge nicht und deshalb müssen wir ja irgendwie erstmal mit ihrem Passieren rechnen, um ihr nicht-passieren dann bemerken zu können.
Es gab übrigens auch andere Leute, denen das nicht-Ereignis aufgefallen ist. Ihre Analysen des Sachverhalts könnt ihr bei NKNews und Korea Realtime (danke für den Hinweis C.R.) nachlesen. Eine ziemlich umfassende Abdeckung des Besuchs gibt es wie immer bei NK Leadership Watch.

Politisch relevant und symbolisch bedeutsam: Mongolischer Präsident besucht Nordkorea


Wie ja schon kürzlich angekündigt, ist heute der mongolische Präsident Tsachiagiin Elbegdordsch (in englischer Transkription Tsakhiagiin Elbegdor) für einen viertägigen Staatsbesuch in Pjöngjang eingetroffen. Dieser findet anlässlich des 65. Jahrestages der Aufnahme der bilateralen Beziehungen Nordkoreas und der Mongolei statt.
Nichtsdestotrotz sollte man die Staatsvisite aus mehreren Gründen nicht als reinen Höflichkeitsbesuch abtun. Die Reise ist vielmehr Ausfluss der sich rapide vertiefenden Verbindung beider Staaten. Dass sie nicht nur symbolische, sondern auch konkrete politische Ziele verfolgt, zeigt sich in der Tatsache, dass der Präsident einige Kabinettsminister mitgebracht hat. Jedoch sollte auch die Symbolik, die in dem Besuch liegt, nicht unterschätz werden, aber dazu später mehr. Ob Elbegdordsch mit Kim Jong Un zusammentreffen wird ist bisher noch nicht klar, aber ich denke, dass es eine ziemlich große Überraschung wäre, wenn das nicht passieren würde (Also warten wir die Bilder vom gemeinsamen Dinner, den beiden wie sie in Sesseln nebeneinander sitzen und vielleicht noch, wie sie einem Militärorchester lauschen oder so, ab).

Um euch einerseits einen kleinen Überblick über die Beziehungen beider Staaten und andererseits über die Bedeutung des Besuchs, auch im internationalen Kontext, zu geben, werde ich im Folgenden auf die diplomatischen, wirtschaftlichen und andere Themen zwischen Nordkorea und der Mongolei eingehen, bevor ich dann einen Blick auf die symbolischen Aussagen dieses Treffens werfe und abschließend kurz darstelle, welche Aspekte bei der Beobachtung dieses Besuchs meiner Meinung nach besondere Aufmerksamkeit verdienen.

Die Beziehungen zwischen der Mongolei und Nordkorea

Um die Bedeutung der Reise und die eventuellen Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen beider Staaten zu verstehen, lohnt es sich einen näheren Blick auf die Entwicklung dieser Beziehungen in der letzten Zeit und die dabei wichtigen Themen zu werfen.

Sich rapide vertiefende diplomatische Beziehungen…

Auf diplomatischer Ebene war in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme des Austauschs beider Staaten zu verzeichnen (weil ich nicht weitere darauf eingehe, das Thema aber interessant ist, gibt es einen kleinen Überblick über die Anfänge der Beziehungen, in diesem Artikel). Hochrangige nordkoreanische Staatsmänner besuchten Ulan Bator und trafen dort zum Teil auch konkrete Vereinbarungen im wirtschaftlichen Bereich.
Weiterhin erarbeitete sich die Mongolei ein Profil als neutraler Vermittler mit Nordkorea. So fanden beispielsweise unter der Vermittlung Ulan Bators Gespräche zwischen Vertretern Nordkoreas und Japans über die Frage von Nordkorea entführter japanischer Staatbürger statt. Ein Thema, dass Pjöngjang generell meidet und das di Beziehungen zwischen Japan und Nordkorea in den vergangenen Jahren auf den Nullpunkt gebracht hatte.
Daneben tritt die Mongolei in letzter Zeit auf die alljährlichen Bitten Nordkoreas nach Lebensmittelhilfen als verlässlicher (wenn auch nicht übermäßig großer) Geber von Lebensmittelspenden auf. Diese Gaben, deren symbolische Bedeutung wohl über die tatsächliche Wirkung hinausgeht, werden relativ unabhängig vom Verhalten Nordkoreas auf internationalem Parkett gewährt. Generell hat die Mongolei in den vergangenen Jahren eine Position eingenommen, die zwar nicht unkritisch gegenüber Nordkorea ist, die aber unabhängig von allen anderen politisch schwergewichtigen Akteuren mit Bezug auf Nordkorea, also vor allem den USA und China zu sehen ist. Dieser Umstand dürfte die Mongolei für Nordkorea zu einem Partner machen, dem man sich relativ gleichrangig und ohne strategische Handlungszwänge gegenübersieht.

…aber auch gute wirtschaftliche Zusammenarbeit

Die relativ guten politischen Beziehungen ziehen — anders als im Falle Nordkorea ansonsten häufiger — auch gute wirtschaftliche Verbindungen nach sich. Die Mongolei und Nordkorea sind durch vielfältige gegenseitige wirtschaftliche Verknüpfungen, die häufig auch auf relativ offensichtlichen Interessen beruhen, miteinander verbunden.
Beispiele hierfür sind die nordkoreanischen Arbeiter, die in der Mongolei für den nordkoreanischen Staat Devisen erwirtschaften und von den mongolischen Arbeitgebern dafür wohl nach den Wünschen Pjöngjangs „gehalten“ werden. Auch die Übernahme von Anteilen einer nordkoreanischen Raffinerie durch ein mongolisches Unternehmen Mitte dieses Jahres stieß international auf Aufmerksamkeit und machte die strategischen Interessen der Mongolei deutlich, denn ganz Risikolos ist ein solcher Schritt aufgrund des Umgangs der nordkoreanischen Seite mit internationalen Investoren, aber vor allem wegen der bestehenden und möglicher kommender Sanktionen der internationalen Gemeinschaft nicht.
Generell ist das Interesse der Mongolei an der nordkoreanischen Sonderwirtschaftszone Rason augenscheinlich und auch leicht nachvollziehbar. Die Mongolei, die ohne Meerzugang zwischen den beiden ökonomischen Riesen Russland und China „eingeklemmt“ ist, dürfte es nicht so leicht haben, sowohl für den Im- wie für den Export Zugänge zum internationalen Markt zu bekommen, die relativ unabhängig von Russland und China sind. Der Seezugang über Rason und die Möglichkeiten, die die dortige Sonderwirtschaftszone als „Vorposten“ zu nutzen (ähnlich wie im Falle der Raffinerie) dürfte der Mongolei die Chance bieten, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden und damit wirtschaftlich von den beiden großen Spielern in der direkten Umgebung unabhängig zu werden. Das dürfte wohl auch eine Rolle spielen, um für die Kohle, das Hauptexportgut des Landes faire Preise zu bekommen. Nordkorea ist andersherum natürlich permanent auf der Suche nach Investoren, die die Sonderwirtschaftszone ins Rollen bringen und versucht gleichzeitig ebenfalls, die Abhängigkeit von China abzubauen.
Daneben scheint die relative Offenheit der Mongolei für Nordkorea auch in anderer Hinsicht reizvoll zu sein. Es gibt relativ eindeutige Hinweise darauf, dass Vertreter Nordkoreas mit einzelnen mongolischen Akteuren bzw. über die Mongolei illegalen Aktivitäten nachgehen. Besonders interessant fand ich den Fall, in dem Vertreter Nordkoreas versuchten, alte MIG-Antriebe  zu erwerben, um damit die eigene Flotte ein bisschen in Schuss zu bringen.
Interessant, wenn auch bisher ziemlich schattig, finde ich die Geschichte um das mongolische Unternehmen, das die Auktion um das zwangsversteigerte Hauptquartier der Nordkoreatreuen Chongryon in Tokio gewonnen hat. In Japan wird vermutet und befürchtet (wobei das die Japaner ja eigentlich garnichts angeht), dass das Unternehmen in irgendeiner Verbindung mit der mongolischen oder nordkoreanischen Regierung stehen könne und das Gebäude als Strohmann gekauft habe, um Chongryon so weiter die Arbeit dort zu ermöglichen, weshalb ein Gerichtsverfahren anhängig ist (soweit ich das verstehe). Diese Geschichte ist noch lange nicht ausgestanden und ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt und ob tatsächlich etwas dahintersteckt (ich muss zugeben, dass mir der Verdacht recht zeitnah kam, als ich gehört habe, dass es ausgerechnet ein mongolisches Unternehmen war, das die Auktion gewonnen hat).

Ein Reizthema: Die Mongolei und nordkoreanische Flüchtlinge

Relativ selten, obwohl das für Nordkorea vermutlich ziemlich wichtig ist, wird die Rolle der Mongolei als Teil der „Underground Railroad“ auf der nordkoreanische Flüchtlinge nach Südkorea gelangen, genannt. Dieses Thema dürfte neben wirtschaftlichen und politischen Interessen nicht zu vernachlässigen sein es dürfte bei den hochrangigen Konsultationen in den kommenden Tagen durchaus eine Rolle spielen, auch wenn es vermutlich nie öffentlich erwähnt wird.

Die symbolische Bedeutung des Besuchs

Der Besuch von Tsachiagiin Elbegdordsch und seiner Delegation in Pjöngjang wird sicherlich zu der einen oder anderen Unterzeichnung von Verträgen und Vereinbarungen führen und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir gerade mit Blick auf Rason noch von neuen Initiativen und Plänen hören werden. Diese praktischen Aspekte stellen damit für Nordkoreas Öffnungsstrategie wichtige Fundamente dar, auf die möglicherweise in Zukunft aufgebaut und mit denen wohl auch geworben werden kann. Aber neben dieser ganz praktischen Relevanz des Besuches gibt es auch noch eine symbolische Ebene, deren Bedeutung ebenfalls nicht weniger groß ist.

Erfolg für Kim

Denn der Besuch von Tsachiagiin Elbegdordsch ist nicht irgendein Staatsbesuch, sondern es ist der erste Besuch eines Staatschefs in Nordkorea seitdem Kim Jong Un die Führung des Landes übernommen hat. Damit markiert der Besuch auch eine weitere Stufe in der Karriere Kim Jong Uns als Führer Nordkoreas. Einerseits demonstriert er sich damit als Staatsmann, der auch von der Außenwelt anerkannt wird, gleichzeitig zeigt er aber auch, dass seines Erachtens seine Macht im Inneren so weit konsolidiert ist, dass er sich den Außenbeziehungen zuwenden kann. Wenn er dann noch Abkommen und Verträge mit der Mongolei präsentiert, dann kann dies als Beleg für seine erfolgreiche außenpolitische Strategie verkauft werden, die seine Wirtschaftsstrategie im Inneren ergänzt.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass der Besuch in einem Jahr erfolgt, in dem Nordkorea vor allem durch Konflikte und Säbelrasseln auf sich aufmerksam gemacht hat, eine Rakete ins All schoss und eine Atombombe testete und für all das scharf von der Staatengemeinschaft kritisiert wurde. Dass der Besuch des mongolischen Präsidenten trotzdem erfolgt ist daher ein nicht unwichtiges Zeichen nach innen, dass dieses Vorgehen Nordkorea nicht vollständig isoliert hat, gleichzeitig ist es tatsächlich ein Signal der Bedeutung, die Nordkorea für die Mongolei spielt, wenn der Präsident dem Land aus der Isolation hilft, denn es ist absolut klar: Die USA und ihre Verbündeten werden einiges daran gesetzt haben, die Reise zu unterbinden; Elbegdordsch dürfte also einigen internationalen Druck ausgehalten haben, um sein Vorhaben umzusetzen.

Botschaft an Peking

Und das nicht nur aus Washington, Seoul oder Canberra sondern wohl auch aus Peking, denn ein Signal, dass ich bisher noch nicht erwähnt habe, das aber wohl das Bedeutendste an alledem ist, geht an die Führung Chinas: Nachdem sich Kim Jong Un seit längerem vergebens um einen Besuch in China und ernstzunehmende Besucher aus China bemüht hat, scheint es den Nordkoreanern zu bunt geworden zu sein und so findet der erste Staatsbesuch auf Spitzenebene, den Kim Jong Un absolvieren wird, nicht mit Xi Jinping sondern eben mit Tsachiagiin Elbegdordsch statt. Das Signal an Peking ist klar: Wenn ihr nicht ernsthaft hinter uns steht, dann suchen wir uns eben andere Partner. Wir sind von niemandem abhängig und lassen uns nichts diktieren. Das dürfte China verstehen, wie es dann reagiert steht auf einem anderen Blatt. Jedoch kann es einer Macht mit Weltmachtanspruch nicht gefallen, wenn zwei kleine Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft, die man eigentlich innerhalb des Chinesischen Macht- und Interessengebietes verordnen sollte, den Schulterschluss üben und sich dem Einfluss des großen Nachbarn zu entziehen versuchen.
Das Signal das in China ankommen könnte, könnte also unter anderem sein, dass es Probleme im eigenen Hinterhof gibt und dass man wohl kaum als Weltmacht gesehen werden kann, wenn sogar Staaten wie Nordkorea sich einfach abwenden wie es ihnen passt. Das Signal das Kim Jong Un nach innen sendet ist damit nicht zuletzt, dass sich Nordkorea auch unter ihm seine unabhängige außenpolitische Stellung bewahren wird und dass er sozusagen außenpolitischer Spieler von eigenen Gnaden ist, der wichtige Gäste empfängt und nicht seinen ersten außenpolitischen Schritt wie ein Tributpflichtiger nach Peking tut. Ein durchaus starkes Signal. Würde allerdings der Besuch der mongolischen Gäste ohne ein öffentliches Zusammentreffen zwischen Kim und dem Präsidenten der Mongolei zuende gehen, dann wäre das Signal genau umgekehrt: China hätte ihn mit Drohungen dazu bewegt, unterwürfig zu sein und sich erstmal dem Alphatier im Ring zu präsentieren. Wir werden sehen was passiert, aber ich wäre ernstlich überrascht, wenn Kim nicht stolz mit seinen Gästen posieren würde.

Was ich im Auge behalte

Die nächsten Tage werden mit Blick auf dieses Thema also interessant. Dabei werde ich vor allem die folgenden Punkte im Auge behalten:

  • Treffen sich Kim und Elbegdordsch? Wie wird das Treffen bzw. werden die Treffen von der nordkoreanischen Propaganda präsentiert?
  • Von welchen Treffen wird ansonsten noch berichtet?
  • Was werden für konkrete Ergebnisse des Besuchs präsentiert? Sehen wir neue Initiativen mit Blick auf Rason?
  • Reagieren andere Akteure unmittelbar auf den Besuch? (Wohl eher nicht) Oder ändert sich die Haltung relevanter Akteure (v.a. China) in den nächsten Wochen?
  • Gibt es vielleicht sogar neue Vermittlungsanläufe der Mongolei?

Naja, vielleicht gibt es auch noch ein paar andere spannende Sachen die passieren werden, aber dafür reicht momentan meine Vorstellungskraft nicht. Aber euch allen kann ich für die nächsten Tage die Lektüre von KCNA ans Herz legen. Wird bestimmt besonders spannend.

Dr. StangeKim. Oder wie Kim lernte den Markt zu lieben.


Dass ein Doktortitel eine reizvolle Angelegenheit ist und gerade Politiker so einiges tun, um den zu ergattern, das dürfte gerade uns Deutschen uns in den letzten Jahren eindeutig bewusst geworden sein. Allerdings gibt es neben den Selbsterworbenen (zwinker zwinker!) Doktortiteln, die man durch die eigenständige (zwinker zwinker zwinker!) Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit erwirbt, auch noch einen zweiten Weg, an den begehrten Namenszusatz ranzukommen. Gerade bei Politikern ist das Sammeln von Dr. h.c. (praktischerweise kann man mehrere Dr. h.c. zu einem Dr. h.c. mult. Zusammenfassen) Ehren durchaus beliebt. Da ist es doch nur gerecht, wenn auch Staatsleute kleiner aber ambitionierter Länder sich nach solchen Ehrendoktor strecken.

Kim Jong Uns erster Dr.

Dementsprechend kann ich garnicht so richtig die Verwunderung nachvollziehen, in der manche Medien sich ergehen, nur weil Kim Jong Un jetzt auch zum erlauchten Kreis der Ehrendoktortitelträger gehört. Dazu kam er wohl durch eine malaysische Privatuniversität, die ihn für seine „unermüdlichen Bemühungen um die Bildung des Landes und das Wohlergehen seines Volkes“ auszeichnete. Leider hatte Kim keine Zeit (als respektierter Führer hat man eben viel zu tun, gerade wenn das Land in dem man sich um das Wohlergehen des Volkes kümmern muss „Nordkorea“ heißt) und übertrug die Aufgabe der Entgegennahme seines Titels dem nordkoreanischen Botschafter in Kuala Lumpur. Einige Tage später berichtete dann die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA von der Verleihung der Ehrendoktorwürde und so haben das dann wohl auch unsere Medien spitz gekriegt und sich des Themas in der ihnen üblichen thematischen Rahmung angenommen. Das hat wiederum den Präsidenten der verleihenden HELP Universität auf den Plan gerufen, der sich auf der Website der Institution rechtfertigte. Der Titel sei als Brückenschlag zur Öffnung des Landes zu sehen, aber so richtig ist das nicht angekommen, jedenfalls wenn man sich die Facebookseite der Uni und das was die Leute da an die Pinnwand posten anschaut.

Hat Kim Jong Un einen Ehrendoktor verdient?

Eigentlich gehört das alles ja mal wieder in die Kategorie Boulevard, aber eigentlich sagt es auch wieder einiges aus über uns und unsere und auch über Kims Weltsicht. Da ist zum Einen die Aufregung über die Tatsache, dass der junge Kim einen Ehrendoktor bekommt. Ich meine, was hat er sich denn für akademische Großtaten ans Revers zu heften, die die Verleihung des Titels rechtfertigen? Ja keine, vermute ich. Aber andererseits: Was hatte denn ein — sicherlich nicht verdienstloser — Altkanzler für akademische Großtaten vorzuweisen, die die Verleihung von weit über zwanzig Ehrendoktortiteln rechtfertigen würden. Vermutlich keine, aber darum geht es ja auch nicht unbedingt wirklich bei Ehrendoktorwürden, auch wenn in Deutschland die Vergabe an wissenschaftliche Verdienste geknüpft ist. Aber die findet man bei Bedarf ja immer schnell.
Also vielleicht andere Großtaten? Naja, auch da werden relativ schnell Zweifel offensichtlich, denn weder hat sich was an der Menschenrechtslage gebessert, noch an der desolaten wirtschaftlichen Situation oder am Umgang Nordkoreas mit der Staatenumwelt. Aber im Sinne des Uni-Präsidenten lässt sich das irgendwie ja schon verargumentieren. Denn es hat sich ja gezeigt, wie gut die Vorab-Verleihung von Auszeichnung im Vorfeld der tatsächlichen Großtaten Individuen motiviert, sich di Vorschusslorbeeren zu verdienen. Man denke nur an einen prominenten Friedensnobelpreisträger. Also wenn sich mal einer um den Frieden verdient gemacht hat, dann sicher der Mann, der alle Terroristen, sowie Verwandten, Bekannten und Unbekannten von solchen vom Antlitz der Erde bomben will; Ganz ohne Kriegserklärung und Gerichtsurteil. Der Mann, der Guantanamo nicht annähernd schließt und damit die Welt vor weiteren Friedensstörern schützt und dessen Sorge vor Terroristen soweit geht, dass er sogar unsere Kanzlerin einer ordentlichen Prüfung unterzieht. Also dieser Mann hat jedenfalls seinen Preis mindestens so sehr verdient, wie Kim Jong Un seinen Ehrendoktortitel.

Die Segnungen des Marktes

Und damit mal ein kurzes Wort zur Institution des „Ehrendoktors“ denn warum sollte man so tun, als würde der Titel irgendwas bedeuten? Das ist in den meisten Fällen nur entweder eine politische Schleimerei oder jemand nimmt ein bisschen oder ein bisschen mehr Geld in die Hand und besorgt sich so ein Ding. Vermutlich ist das im Gegensatz zu ähnlichen Verfahrensweisen bei „richtigen“ Doktortiteln nicht mal illegal.
Und naja, damit komme ich ein bisschen spekulativ wieder zurück zu Kim Jong Un und seinem Titel. Uns allen dürfte bekannt sein, dass die Planwirtschaftler in Nordkorea sich sehr wohl den Regeln des Marktes bewusst sind, die fast die ganze Welt um das Land herum und wohl auch einen ordentlichen Teil des Landes selbst beherrschen. Im Ausland kauft man sich schließlich ganz ungeniert allerlei Luxusgüter zusammen und alles, was man so zum Bau von Nuklearwaffen braucht. Auch im Erwerb immaterieller Güter ist man garnicht mal so schlecht. So ist bekannt, dass sich die nordkoreanische Propaganda immer mal gerne positive „Berichterstattung“ im Ausland einkauft, um dann selbst begeistert darüber zu schreiben, was dieses und jenes Blatt in Bangladesch oder so gerade wieder nettes über den Führer geschrieben hat.
Und da finde ich es garnicht so abwegig, dass man dann eben auch mal auf die Idee kam, irgendwo einen adäquaten Titel für Kim  Jong Un einzukaufen. Keine Ahnung wie die Preise in Malaysia liegen, aber vermutlich irgendwo zwischen den 25.000 €, die man in Kirgistan hinlegen muss und den 130.000, für einen richtigen Ehrendoktor aus der Schweiz. Jedenfalls liegt das mindestens genau so nahe, wie ein malaysischer Uni-Präsident, der plötzlich den Drang verspürt, über Ehrendoktortitel brücken nach Nordkorea zu bauen und gleichzeitig das Image seiner Uni zu ramponieren.

Wie Kim Jong Un lernen könnte den Markt zu lieben

Und wer weiß, vielleicht hat der Uni-Präsident so ganz ohne es bedacht zu haben oder explizit zu wollen, doch ein Stück zur Veränderung in Nordkorea beigetragen. Denn er hat Kim Jong Un ein weiteres Mal vor Augen geführt, wie toll der freie Markt doch ist. Man kann sich mit genug Mitteln einfach alles kaufen und damit die Regeln aller anderen Sphären des Zusammenlebens außer Kraft setzen. Und wer weiß, vielleicht kommt Kim zu der Erkenntnis, dass sein Volk ihn noch reicher machen könnte, wenn er nur diese Idee in die Köpfe der Menschen pflanzt und ihnen suggeriert, dass sie sich auch vieles kaufen können, wenn sie nur genug Initiative an den Tag legen, Mittel zu erwerben. Am Ende haben alle gewonnen und wer weiß, vielleicht hört Kim Jong Un, genau wie ein ehrbarer deutscher Altkanzler, bei seinem zwanzigsten Ehrendoktortitel mit dem Zählen auf…

Kim Jong Uns Porno-Ex und vietnamesische Wasserschweine — Ein gutes Ende für eine inhaltlose Story


Eigentlich hatte ich nicht vor, groß was zu der Kim Jong Un-lässt-seine-Ex-Freundin-wegen-Pornographie-hinrichten-Story zu schreiben. Allerdings wurde sowohl hier als auch auf Facebook danach gefragt bzw. darauf aufmerksam gemacht und daher werde ich doch noch schnell was dazu schreiben.

Warum ich zu solchen Storys ungern scheibe

Einleitend will ich erstmal kurz darlegen, weshalb ich das nicht zum Thema machen wollte (ihr hättet es euch vielleicht auch aus diesem Artikel herleiten können, in dem ich versucht habe Kriterien für meine Themenauswahl aufzustellen):

  1. Ich habe erst gerade Medienkritik geübt und dachte es wäre für mich und für euch ermüdend, alle paar Tage darauf hinzuweisen, dass viele Medien ihre Nordkorea-Berichterstattung nicht in erster Linie an journalistischen, sondern an reiner Sensationslust ausrichten.
  2. Ich habe eigentlich keine Ahnung, was ich dazu schreiben soll. Ich weiß nichts über die Person, die angeblich Kim Jong Uns Ex-Freundin gewesen sein soll, noch weiß ich was über die Pornographiegesetzgebung in Nordkorea und erst recht weiß ich nicht, was an der Geschichte dran ist. Wenn ihr euch also für die Geschichte interessiert, müsst ihr es bei denjenigen nachlesen, die sich entblödet haben das breitzumatschen.
  3. Geschichten die exklusiv von der Chosun Ilbo kommen, mache ich sehr ungern zum Anlass eines Artikels. Wenn ntv schreibt, die Meldung käme aus der größten Zeitung Südkoreas, der Chosun Ilbo, dann ist das wahr. Aber naja, „Größe“ ist bei Zeitungen nicht unbedingt eine geeignete Kategorie um Qualität zu messen, oder wisst ihr nicht, was die größte Zeitung Deutschlands ist… Und wirklich anders ist es in Südkorea leider auch nicht. Die Chosun Ilbo kommt zwar hin und wieder an spektakuläre und richtige Infos ran, aber nur zu dem Preis, dass sie einen unglaublichen Ausstoß an Enten, Halbwahrheiten und niemals bestätigter Gerüchte hat.
  4. Selbst wenn es wahr wäre: Wer braucht denn bitte noch einen Beleg dafür, dass das Regime in Pjöngjang absolut verwerflich und unmenschlich agiert? Ich jedenfalls nicht. Aber scheinbar brauchen einige Leute boulevardeske Unterfütterungen ihrer Abneigung. Es reicht nicht, wenn das Regime abstrakt unmenschlich handelt, sondern man muss für die Bösen (Kim Jong Un) und ihre mutmaßlichen  Opfer (die angebliche Ex-Freundin) Gesichter finden.
  5. Es gibt einen sehr guten Artikel von Patrick Zoll in der NZZ, in dem so ziemlich alles drinsteht, was ich auch schreiben hätte können. Gratulation an Herrn Zoll und die NZZ, schön zu sehen, wenn einige Medien mal kurz innehalten und reflektieren, wozu sie eigentlich da sind.

Ein Faktencheck

Die meisten Fragen, die man an die Geschichte stellen kann, sind damit eigentlich schon mit dem Gesagten beantwortet. Wenn man fragt, ob etwas an der Story dran sei, dann ist vielleicht ein Faktencheck nützlich, in dem man hinterfragt, was übrig bleibt, wenn man alles subtrahiert, das nicht zweifelsfrei bewiesen werden kann.
Soweit ich das überschaue, ist das zum Einen, dass Kim Jong  Un Diktator in Nordkorea ist und dass es zum Anderen eine Frau gibt, die mal im Unhasu-Orchester gesungen hat. Alles Weitere sind Aussagen, die irgendwelche ungenannten Quellen irgendwie geliefert haben und die die Autoren der Chosun Ilbo dann zu einer mehr oder weniger plausiblen Geschichte verknüpft haben.

Ich kann also nicht sagen: „Das ist nicht wahr!“ Aber genauso wenig kann ich sagen: „Ja stimmt, so war das!“ Wenn ich ganz ehrlich bin, dann halte ich diese Geschichte sogar für glaubwürdiger, als den Kram über Kim Jong Uns Schweizer Jugendzeit, denn hier gibt es weniger Ungereimtheiten und Fakten, die dagegen sprechen, aber auch das heißt nicht, dass ich die Story für glaubwürdig halte, ich weiß es einfach nicht.

Ein gelungenes Ende für einen Artikel ohne Gehalt

Und weil ich nicht gerne was schreibe, an dessen Ende steht: „Kann sein, dass Kim Jong Un eine Frau hat hinrichten lassen, die vielleicht mit Pornobibeln (oder wie die Geschichte auch immer genau ging) gehandelt hat und vielleicht auch mal seine Freundin war, ehe sie möglicherweise einen Militär geheiratet hat, weil Kim Jong Il die Verbindung eventuell nicht gutgeheißen hat“, schreibe ich einfach nicht gerne über solchen Boulevardmist.
Ich mache mir über diesen Beitrag keinerlei Illusionen: Wenn man zu etwas über das man nichts weiß schreibt, dass man dazu nichts zu sagen hat und dass einen das Thema nicht interessiert, dann kann das Ergebnis nicht wirklich gutes sein.
Ein gutes hat es allerdings, man kann den Mist mit irgendwelchem Quatsch enden lassen und richtet in der Gesamtkomposition keinen Schaden an.
Sowas wie: „Ließ sich Kim Jong Un ein vietnamesisches Wasserschwein mit dem Gesicht Barack Obamas züchten, dass er mit einem Nuklear bestückten Raketenrucksack hinrichtete?“ kann man doch sonst fast nie schreiben, aber für diese Story ist es das perfekte Ende.
Denn es kann doch sein…oder? Wer einen Gegenbeweis antreten kann, der möge das tun, ansonsten schreibt es bitte in den Wikipedia-Artikel zu Nordkorea, ich glaube da wird es von den Medien am schnellsten gefunden und ändert an der Qualität des Wikis (leider) auch nicht viel.

Kim Jong Uns Schweizer Zeit revisited: Wo das Konstruieren von Realitäten noch witzig ist und wo es ernst wird


Fast genau vor einem Jahr beschäftigte ich mich mit der Geschichte um Kim Jong Uns Vergangenheit in der Schweiz und der Tatsache, dass es für diese angebliche Vergangenheit eigentlich keine belastbaren Belege gab. Ich stellte die These auf, dass gerade im Falle Nordkorea Medien, Experten und auch die Öffentlichkeit so etwas wie einen Konsens gefunden haben, dass Glauben fast so gut ist wie Wissen, weil man so wenig weiß und sonst so wenig sagen könnte. Seitdem ich mich damals mit dieser Schweizgeschichte beschäftigt habe, sind keine neuen Informationen zu diesem Thema bekannt geworden. Es gibt also weder neue Argumente für noch gegen eine Schweizer Zeit Kim Jong Uns.
Nur ist eben ein Jahr vergangen und man weiß noch immer sehr wenig. Also hat man die angesprochene Realität noch mehr für sich akzeptiert. Kim Jong Un war in der Schweiz und gut ist. So gab es bei n-tv eine ausführliche Geschichte über seine Schweizer Jugend, die BILD hat sogar neue Fotos von den Boulevardkollegen aus Korea und der von mir sonst geschätzte Sender Euronews hatte einen ausgiebigen Bericht, wo die Geschichte immerhin noch als nicht endgültig belegt dargestellt wurde. Auch die ZEIT hat sich umfangreich mit der Schweizer Jugend Kims befasst und nach eingehender Untersuchung für wahr befunden.
Nungut, dass Kim Jong Un in seiner Schweizer Zeit offensichtlich ziemlich gut englisch sprechen konnte, bei dem jüngsten Besuch von Dennis Rodman in Pjöngjang aber kaum noch, das ficht niemanden an, kann es ja schließlich verlernt haben oder auch einfach keine Lust gehabt haben, mit Rodman direkt zu sprechen. Denn wie gesagt. Es ist ja so eine schöne Geschichte, wenn er in der Schweiz war. Da hat dann jeder was zu zu sagen und man kann daraus so schöne Folgerungen ziehen.

Befürchtung bestätigt: Niebel glaubt an Kim Jong Uns schweizer Zeit

Vorgestern zum Beispiel. In der Sendung von Beckmann (die ich aber voll und ganz empfehlen kann, was nicht unbedingt an meiner Verehrung fü Beckmann liegt). Da hat unsere Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, was ich letztes Jahr als Befürchtung geäußert habe. Er gab eine Einschätzung über die Persönlichkeit Kim Jong Uns ab mit dem Hinweis darauf, der sei ja schließlich auch lange in der Schweiz gewesen (Min. 19:00). Na super; Wenn Herr Niebel das so genau weiß. Vielleicht hat es ihm ja der Ressortchef Politik der SZ geflüstert, der von ziemlich belastbaren Fotos wusste (ab Min 22:50). Nur Rüdiger Frank wollte nicht so ganz mit und meinte, dass man auf den Bildern bestimmt einen Nordkoreaner sehen könne, ob das aber Kim Jong Un sei oder nicht, das wisse man schlicht nicht. Vielleicht ja, vielleicht nein. Das machte Stefan Kornelius von der SZ zwar kurz nachdenklich, aber nur kurz. Dann hatte er wohl beschlossen, dass es nicht sinnvoll sei weiter darüber nachzudenken.
Zwar dürfte die Tragweite der ministeriellen (vielleicht, oder auch nicht, Fehl-) Einschätzung auf Basis nicht vorhandener Informationen nicht besonders groß, aber meine Sorge ist, dass die Vergangenheit Kim Jong Uns nicht das Einzige ist, das auf Basis von unzureichenden Informationen bewertet und eingeschätzt wird und dass Herr Niebel (bei allem Respekt für die Bedeutung seines Amtes) nicht die einflussreichste Person ist, die solche Einschätzungen trifft.

Wo es relevant wird: Realitäten konstruieren im Fall von Raketen

Eine andere Beobachtung, die man seit einigen Tagen machen kann, deutet stark in diese Richtung. Am vergangenen Montag kamen erstmals später bestätigte Gerüchte auf,  dass die nordkoreanische Mittelstreckenrakete Musudan an die Ostküste verlegt würde. Dieser Schritt deutete dem Augenschein nach darauf hin, dass Pjöngjang als nächsten Schritt einen Raketentest plane. Eine Überlegung, die mit Blick auf vergangenes Verhalten Nordkoreas nicht ganz abwegig ist und die auch ganz gut zu der These vom Bedarf nach greifbaren Taten nach der überdrehten Rhetorik Pjöngjangs in den vergangenen Tagen gepasst hätte. Allein wollte und wollte Nordkorea seitdem keine Rakete testen. Vielmehr bewegte es die Raketen, als sie an ihrem Bestimmungsort angekommen war, mehrmals hin und her, ohne letztendliche Vorbereitungen zu unternehmen. Dementsprechend kommen heute erste Meldungen aus Südkorea, dass ein Test nicht unmittelbar bevorstehen würde. Haben also die Warnungen des Westens Nordkorea von diesem Schritt abgehalten?
Auch hier ist die Ungewissheit wieder treibendes Moment einer für uns zuerst konstruierten und dann akzeptierten plausiblen Realität. Wir haben mit Hilfe von Satellitenbildern festgestellt, dass die Raketen an der Ostküste aufgestellt wurden. Wir haben die Entwicklungen der letzten Tage im Kopf. Daher ist es plausibel, dass Nordkorea eine oder mehrere Raketen testen wird. Wir wissen nichts, sondern wir glauben, aber mangels besserer Erklärung, um die wir uns allerdings auch nicht sonderlich bemüht haben, akzeptieren wir.

Alternative Realitäten

Auch das könnte ein Fehler sein, der von seinem Inhalt her schon etwas mehr Tragweite hat, als Kim Jong Uns sprachliche und gesellschaftliche Sozialisation in der Jugend. Es könnte, es muss aber nicht. Kann auch sein, dass in den nächsten Tagen eine Rakete fliegt. Aber zurück zu der kaum verfolgten Überlegung, dass wir hier einem Schnellschluss aufgesessen sind. Dazu habe ich drei Anmerkungen zu machen, die die These stärken könnten:

  1. Bisher gibt es keinen Beweis dafür, dass es sich bei Raketen des Bautyps Musudan, wie sie jetzt an die Ostküste verlegt wurden, um funktionsfähige Waffensysteme handelt. Bisher wurden sie nie getestet und bei ihrem ersten (und bisher einzigen) öffentlichen Auftritt auf einer Parade 2010 hatte es sich der Meinung eines ausgewiesenen Experten zufolge (in diesem Bericht aus 2012 nachzulesen) um eine Attrappe gehandelt. Gut möglich, dass es eine kleine Baureihe gab, aber nicht belegt, also nicht gewusst. Um diese Überlegungen wurden sich in den westlichen Medien aber wenig Gedanken gemacht. Die Raketen wurden an die Küste gebracht, also sollen sie getestet werden. Eine positive Ausnahme stellt hier Spiegel Online dar, wo sich ein Journalist mal ein bisschen näher mit der Rakete beschäftigt hat, die da angeblich getestet werden soll.
    Natürlich ist das alles kein Beweis dafür, dass man in Pjöngjang diese Rakete nicht testen will, aber irgendwie gehört diese Information der Vollständigkeit halber dazu und zweitens zieht sie die Konsistenz der Testgeschichte etwas in Zweifel: Wirklich eine Rakete, die noch nie getestet wurde, in so einer extrem gespannten Lage über Japan hinweg schießen. Ist das nicht ziemlich riskant, wenn man keinen Wert auf Krieg legt?
  2. Daniel Pinkston, Nordkorea-Experte der International Crisis Group, hat eine interessante andere Lesart der jüngsten Raketenbewegungen geliefert, die von ihrer Konsistenz her genausogut funktioniert, wie die Idee, Nordkorea wolle die Raketen testen, zuvor aber noch ein bisschen damit durch die Gegend fahren. Nachzulesen ist das ganze in diesem Tweet:

    Remember KPA & Strategic Rocket Forces have been training. So moving the missiles & TELs around is part of the training.

    Eine Übungen finde ich eigentlich garnicht so schlecht als  Erklärung für die Hin-und-Herfahrei der Raketen. Aber irgendwie scheint sich sonst keiner für die Idee erwärmen zu können. Vielleich auch deshalb, weil die allgemein akzeptierte Realität ja bereits ist, dass Nordkorea eine oder mehrere Raketen Testen will und weil es dann irgendwie blöd zu erklären wäre, dass man sich da eben geirrt hat. Da lassen sich im Nachhinein sicherlich bessere alternative Erklärungen finden.
    Auch dies ist wieder kein Beweis dafür, dass Nordkorea keine Rakete Testen will und das Eine schließt das Andere ja noch nichtmal aus: Man kann ja ein bisschen üben und wenn man meint, dass man damit durchkommt, ohne einen Krieg auszulösen, dann testet man das Ding eben noch. Aber es bietet eben auch eine Lesart, nach der der Zweck der Übung nicht unbedingt ein Raketenstart gewesen sein muss.

  3. Die Führung in Pjöngjang hat eine gewisse Meisterschaft im ‚Tarnen und Täuschen inne.
    1. Die Raketenattrappen, mit denen man schonmal gerne auf Paraden rumfährt und die gephotoshopten Bilder von Manövern sind dabei zwar viel belächelte, aber trotzdem zugehörige Elemente dieser Tarnen und Täuschen Strategie. Denn egal wie stümperhaft gemacht, führen diese Dinge zu zusätzlicher Unklarheit und Ungewissheit über die tatsächlichen Kapazitäten Nordkoreas. Und Ungewissheit ist eine der stärksten Abschreckungsmethoden, die Pjöngjang zur Verfügung hat.
    2. Vor allem weiß das nordkoreanische Militär aber sehr gut um die Begrenzungen der südkoreanischen und US-amerikanischen Aufklärung in Nordkorea. Die kann eigentlich fast nur von oben (was Sichtaufklärung) und von außen, was Abhören von Kommunikation angeht, erfolgen. In beiden Fällen hat Pjöngjang in der Vergangenheit bewiesen, dass es in der Lage ist, die toten Winkel der Überwachung auszunutzen (Ein absolut lesenswertes GIGA-Paper zu Grenzen und Risiken der Darstellung Nordkoreas mit Satellitenbildern habe ich hier verlinkt). So stellte das nordkoreanische Militär vor dem Beschuss der Insel Yonpyong alle Einheiten dort von Funkkommunikation auf klassische Telefonverbindungen um (S. 3, rechte Spalte), die eigens für den Einsatz gelegt wurden. Im Vorfeld des Raketenstarts vom Dezember warf man zuerst durch eine Meldung der Nachrichtenagentur KCNA Nebelkerzen, was den Termin anging, um anschließend nurnoch an der Rakete zu arbeiten, wenn gerade kein Satellit das Land überflog. Beide Male standen die Dienste der USA bzw. Südkoreas düppiert da. Vielleicht wollten die Nordkoreaner ja auch einfach mal testen, welche Methoden zur Aufklärung die USA und Südkorea hinzuziehen, wenn die Lage gespannt ist und wo dabei tote Winkel der Aufklärung zu finden sind.

Auch die Tarnen und Täuschen Überlegung schließt sich mit den zuvor angestellten Ideen nicht aus, aber könnte genausogut ein zentrales Ziel der ganzen Übung gewesen sein: Wie schnell merken die anderen, dass wir Raketen transportieren? Wieviel von dem das sie wissen wird bekannt? Wie lange dauert es, bis sie merken, dass sie vielleicht an der falschen Stelle Aufklärung betreiben? Alles das sind Fragen, auf die die nordkoreanischen Militärs durch ihre Manövrierei Antworten bekommen haben dürfte. Wertvolle Informationen, die man in der Zukunft für weitere Überraschungsmanöver einsetzen kann.

Was ist wahr, was nicht? Man weiß es nicht!

Mit diesen ganzen Ausführungen wollte ich euch nicht beweisen, dass Nordkorea in den nächsten Tagen keine Rakete testen will. Ich wollte nur zeigen, dass wir uns recht schnell auf eine Annahme festgelegt haben und alle Informationen, die wir zu dem ganzen Sachverhalt bekommen, unter der Maxime einordnen, dass diese Annahme zutrifft. Wir haben uns mal wieder eine Realität konstruiert, von der wir keine Ahnung haben ob sie zutrifft oder nicht, an die wir aber glauben, weil es am bequemsten ist.
Nur finde ich es, wenn es nicht mehr um Jugendfreundschaft, Basketball und Filmvorlieben, sondern um Raketen geht, sehr, sehr bedenklich, wenn das Risiko besteht, dass Leute die die Kompetenz zum Entscheiden haben, nicht auf Basis von Informationen, sondern von Glauben handeln. Hoffen wir also, dass die meisten Minister und Präsidenten nicht so leichtsinnig sind, das zu glauben, was sie in der Zeitung lesen (auch wenn es zehnmal drinsteht), sondern einen guten Stab um sich haben, der ihnen den Unterschied zwischen Wissen, Glauben und Nichtwissen klarmacht und ihnen das, was so in der Zeitung steht entsprechend einordnet. Das würde ungemein zu meiner Beruhigung beitragen.

P.S.:

Ich habe während ich das geschrieben habe jede viertel Stunde die Nachrichtenlage gecheckt, weil ich Sorge hatte, dass man in Pjöngjang doch beschließt, heute eine Rakete abzuschießen und alles, was ich hier geschrieben habe damit hinfällig wird…

Dennis Rodman in Pjöngjang: Nicht relevant, aber interessant — Was wir aus dem Trip lernen


In den letzten Tagen hatte ich ziemlich viel zu tun und das wird wohl noch ein paar Wochen so bleiben. Das heißt, ich werde nicht so häufig wie gewohnt zum bloggen kommen. Aber zwei, dreimal pro Woche sollte es trotzdem hinhauen. Wenn ich weniger Zeit habe, dann kriege ich es allerdings auch nicht ganz so gut hin, die aktuellen Nachrichten zu verfolgen. Jedoch kriegt man ein bisschen was natürlich immer am Rande mit. Zum Beispiel, dass die Koordinierungsbemühungen hinsichtlich einer Reaktion auf Nordkoreas Nukleartest durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zwischen den USA und ihren Verbündeten, sowie mit den anderen relevanten Akteuren, also Russland und China, wie gewohnt und ohne besonders spektakuläre Ereignisse abgingen. Oder dass Park Geun-hye (endlich) in ihr Amt eingeführt wurde und damit die, für die innerkoreanischen Beziehungen, unselige Amtszeit von Lee Myung-bak endlich ein Ende fand. Eine Meldung fand ich dabei wirklich sehr unspektakulär:

Wirklich unspektakulär: Wieder irgendein Promi in Pjöngjang…

Vor ein paar Tagen wurde gemeldet, dass Dennis Rodman, der ex-NBA-Star, nach Nordkorea reisen würde. Meine ad hoc Bewertung dieser Meldung war: „Wieder irgendein Promi, der nach Nordkorea fährt und da dann mehr oder weniger weltbewegendes von sich gibt, ohne irgendwas greifbares zu erreichen und dessen Trip dann schnell wieder vergessen ist.“ Da hat Eric Schmidt (Google) ja eine gute Blaupause geliefert. Und der hatte immerhin noch Bill Richardson dabei (oder umgekehrt). Aber naja, da greift mal wieder die alte Binsenweisheit, die besonders für Nordkorea gilt:  Unverhofft kommt oft. Und deshalb schreibe ich heute was zu Rodmans Besuch in Nordkorea, aber der eben mehr aussagt, als ich das vorgestern noch geglaubt habe.

Da freut sich einer: Kim Jong Un drückt sein Idol. Ungeklärt bleibt aber, ob Rodman ihn zur GEwichtsabschätzung mal angehoben hat (ich hätte die Chacne ergriffen...).

Da freut sich einer: Kim Jong Un drückt sein Idol. Ungeklärt bleibt aber, ob Rodman ihn zur Gewichtsabschätzung mal angehoben hat (ich hätte die Chance ergriffen…).

…oder?

Die Fakten sind schnell genannt: Dennis Rodman, ex enfant terrible des US-Profibasketballs und waschechter Superstar ist gemeinsam mit den Harlem Globetrotters (ein Sammelbecken für ex-Stars, denen das Talent zu anderem als zu Basketball abgeht und die deswegen mitunter trotz exorbitanter Verdienste in früheren Jahren, an Geldknappheit leiden) nach Nordkorea gereist und wurde dort mit allen erdenklichen Ehren samt Spiel in Anwesenheit Kim Jong Uns und Rodman auf der Tribüne neben Kim und vollumfänglicher Medienberichterstattung empfangen. Naja und wenn ein Promi aus der — wie soll man das nennen ? — Promiwelt in die Domäne der Promis aus der Politikwelt einbricht, dann gibt es immer besonders große Aufmerksamkeit von den Medien. So auch dieses Mal.

Was man aus dem Trip lernt: Direkt oder…

Und warum befasse ich mich jetzt mit diesem Trip, der vermutlich eben nicht wirklich politische Relevanz hat? Vor allen Dingen, weil Rodman von Kim Jong Un empfangen wurde und weil daraus ein paar Dinge abzulesen sind. Einige Dinge kann man sich direkt aus den verbreiteten Infos ziehen:

  1. Kim Jong Un scheint wirklich ein Basketballfan zu sein (warum ansonsten das ganze?) und er scheint wirklich englisch zu sprechen (sprach mit Rodman ohne Dolmetscher). Das heißt immernoch nicht, dass die Legende von seiner Zeit in der Schweiz wahr ist,  aber es heißt, dass manche Gerüchte um seine Präferenzen zuzutreffen scheinen.
  2. Dennis Rodman liebt alle Nordkoreaner (hat er jedenfalls gefühlt hundertmal getwittert) und interessiert sich nicht für Politik (nichts anderes hätte ich von ihm erwartet).
  3. Kim Jong Un sagt, dass er sich mehr Sportaustausch mit den USA wünscht  (er scheint ja auch ein Fan von US-Sport zu sein.)
  4. Dennis Rodman erhielt die volle Aufmerksamkeit der nordkoreanischen Medien (womit sich diese in der guten Gesellschaft anderer globaler Medien wiederfinden).

…mit Menschenverstand

Andere können mit Hilfe von so etwas wie gesundem Menschenverstand (naja, kann auch sein, dass es ungesunder Menschenverstand ist, mein Menschenverstand jedenfalls) hergeleitet werden:

  1. Kim Jong Un ist nicht nur ein Diktator, sondern auch ein gerade mal 30 jähriger Mensch. Solche Menschen interessieren sich neben dem Herrschaftsichern, gefahren ausschalten und globale Machtspielchen treiben auch noch für ganz profane Dinge (ich spreche da aus Erfahrung (obwohl ich zugeben muss, dass meine Erfahrungen im Bereich des Profanen wesentlich elaborierter sind, als im Herrschaftsichern etc.)). Im Unterschied zu „Normalsterblichen“ können sie aber ihre Interessen und Neigungen eher ausleben. Deshalb gelingt es ihnen hin und wieder ihre Idole zu sich zu holen und ihnen dabei auch noch das Gefühl zu geben, das sei eine Ehre für sie.
  2. Kim Jong Un ist Showelementen nicht abgeneigt. Schon in seiner bisherigen Herrschaftszeit zeigte sich immer wieder, dass er seine Herrschaft mehr inszenieren will, als das bei seinem Vater der Fall war. Sowohl seine gemeinsamen Auftritte mit seiner Frau, als auch seine gefühlte Verbindung mit der Moranbong-Band und eben der jetzige Auftritt mit Rodman und die damit verbundene Berichterstattung deuten darauf hin. Er hätte Rodman ja genausogut ohne eigenes Medientamtam ins Land holen können und dann wäre das seinem Volk weitgehend verborgen geblieben. Dass er die Geschichte inszenierte deutet auf eine gewisse Vorliebe zum Showauftritt hin.
  3. Eigentlich ist Rodman trotzdem ein sehr guter Gast zur Selbst- und Fremddarstellung Nordkoreas. Wenn man sich einen barbarischen Amerikaner vorstellen würde, was käme dem denn näher als ein Dennis Rodman? Nicht viel, oder? Und was tut Kim Jong Un. Ganz souverän mit dem Barbaren sprechen. Wenn der mit so einem klarkommt, dann wohl auch mit jedem.
  4. Kims Regime ist wohl mehr am Effekt als am (politischen) Ergebnis interessiert. Vor ungefähr zwei Monaten war mit Bill Richardson ein halbwegs seriöser Politiker im Land. Der wurde aber nicht zu Kim Jong Un vorgelassen. Kims Regime ist wohl auch mehr am Effekt als am (wirtschaftlichen) Ergebnis interessiert. Vor ungefähr zwei Monaten war mit Eric Schmidt ein halbwegs seriöser Geschäftsmann im Land, der für Pjöngjang evtl. ein Türöffner hätte sein können. So wirklich scheint man daran nicht interessiert gewesen zu sein. Daher die Frage: Was ist wohl das Ziel eines Regimes, dass Sportrowdys Politikern und Wirtschaftskapitänen vorzieht. Lasst es mich mal so sagen: Wer daraus politische Annäherung oder wirtschaftliche Öffnung konstruieren will, der bewegt sich auf ziemlich brüchigem Eis.
  5. Nordkoreas Politik ist nicht Nordkoreas Politik. Also ich glaube jedenfalls nicht, dass die Einladung Rodmans jetzt irgendeinen großartigen politischen Hintergrund hatte. Sie war das Ergebnis der Präferenzen des Diktators. Aber wer sagt, dass nicht manchmal Aktionen, die erstmal für uns politisch aussehen, genauso aus individuellen Präferenzen und Vorlieben zu erklären sind? Und was ergibt sich daraus für die Bewertung „der nordkoreanischen Politik“? Dass es die eben nicht gibt und dass man daher vorsichtig beim Analysieren sein sollte.
  6. Wenn die nordkoreanischen Medien etwas verbreiten, dann tun sie es auch im vollen Bewusstsein, dass es die Welt so liest, hört oder sieht wie sie es verfasst haben. Wenn wir also einen bestimmten Inhalt lesen, dann müssen wir uns bewusst sein, dass die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Berichterstattung auch mit Blick auf uns getroffen wurde. Wir dürfen oder sollen die Botschaft erhalten, die da abgeschickt wird. Also sollten wir auch immer den Gedanken im Hinterkopf haben, dass die Beobachter vielleicht sogar manipuliert werden sollen.

Garnicht so langweilig der Trip

So, wie ihr seht können wir auch aus faktisch nicht relevanten einiges lernen. Zum Beispiel, dass wir mit analytischen Schlüssen vorsichtig sein sollten, weil wir so wenig Informationen darüber haben, wie das nordkoreanische System funktioniert, was und wer bei Entscheidungen eine Rolle spielt und ob man nicht einfach mal die globale Beobachterschaft (und damit meine ich vor allem ausländische Dienste und so) auf eine falsche Fährte setzen will. Aber wenn ich diese Klippe mal ignoriere, dann würde ich ganz platt analysieren, dass Kim Jong Un Show und sein Privatvergnügen über politischen Ausgleich und wirtschaftliche Entwicklung stellt und dass das alles nach einem weiter so aussieht. Vielleicht würde er sich das nochmal überlegen, wenn nicht irgendwelche nützlichen Idioten mit großem Ego ihm die Aufwartung machen würden, wenn er pfeift und er sich für die Befriedigung seiner Vorlieben andere Wege überlegen müsste.

Wer ein bisschen mehr über Rodmans Trip und die Bewertungen lesen will, der klicke einfach auf ein paar der Links die ich gesetzt habe.

Achso. Zum Schluss noch fetten Respekt für Rodman. Jedenfalls was sein Wirken auf dem Basketballfeld angeht…

 

Kim Jong Uns Neujahrsansprache: Viel Lärm um Nichts oder echter Silvesterkracher?


Kaum fährt man mal für ein paar Tage weg und verzichtet vollkommen auf die Segnungen der modernen Kommunikation und schon packt der junge Diktator in Pjöngjang mal wieder eine programmatische Rede aus, die Leute in aller Welt dazu bewegt, soviel Text zu produzieren, dass ich vermutlich das erste Drittel des neuen Jahres (ich hoffe für euch wird es ein frohes (das waren meine guten Wünsche, mehr gibts nicht)) damit zubringen könnte, die Sekundärliteratur zu Kim Jong Uns Neujahrsansprache auszuwerten. Da ich aber solange nicht mit dem Bloggen warten will (und ich hoffe ihr auch nicht), habe ich mich für eine andere Herangehensweise entschieden. Ich verzichte erstmal auf die Sekundärlektüre und überlege für mich und euch, was es mit Kim Jong Uns Rede so auf sich hat.

Der Kontext der Neujahrsansprache

Dazu erstmal eine kontextuelle Einordnung: Die Neujahrsansprache bietet inhaltlich so ziemlich genau das, was in den vergangenen Jahren die sogenannten „Joint New Year Editorials“ der wichtigsten nordkoreanischen Medienorgane geboten haben. Wer sich ein solches Editorial mal durchgelesen hat (hier habe ich das zum Beispiel gemacht), dem werden die Ähnlichkeiten in der Struktur auffallen. Auf einen Jahresrückblick, der sich auf verschiedene Felder von Politik und Gesellschaft beziehen folgt ein eher programmatischer Teil, in dem allgemeine Ziele für die Entwicklungen in verschiedene Wirtschaftbereichen formuliert werden, Hinweise zur Entwicklung der Parteiorganisation und des Militärs gegeben werden und auch außenpolitische Pflöcke eingeklopft werden. (Hier die ganze Rede auf Deutsch und auf Englisch). Von der Länge her fiel die Rede Kim Jong Uns zwar ein gutes Stück kürzer aus als das Editorial, aber da es dieses Jahr nichts dergleichen gab und wie gesagt, strukturell starke Ähnlichkeiten zwischen Rede und Editorial bestehen, setze ich deren inhaltliche Funktionen erstmal ein Stückweit gleich. Das Editorial ersetzte wohl hauptsächlich die Reden Kim Jong Ils, der ja nicht unbedingt als Vielredner bekannt war und da Kim Jong Un die Tradition der Neujahrsansprache, die auch Kim Il Sung regelmäßig hielt, wieder aufzunehmen scheint, wird das Editorial als programmatischer Rahmen wohl nicht mehr gebraucht.

Fragen zur Analyse

Die Interpretation der Rede erschöpft sich aber nicht nur in der inhaltlichen Betrachtung, sondern umfasst auch noch einige andere Ebenen. Zur umfassenden Analyse würde ich mir folgende Fragen stellen:

  • Was hat Kim Jong Un gesagt?
  • Was hat Kim Jong Un gemeint?
  • Was ist die Funktion Kim Jong Uns als Redner?
  • Wie ist die Rede von ihrer Tragweite her zu bewerten?
  • Wer formuliert eine solche Rede?
  • Wie ernst sind die Aussagen der Rede zu nehmen?

Die Tatsache, dass ich mir diese Fragen stellen würde, bedeutet noch lange nicht, dass ich sie auch beantworten kann. Das kann ich leider nicht (vielleicht wäre ich sonst schon reich und berühmt…), aber immerhin kann ich zu jedem der Punkte ein paar Überlegungen anstellen.

Was hat Kim Jong Un gesagt?

Diese Frage habe ich ja eben schon zum Teil beantwortet. Er hat eine Neujahrsansprache in der Tradition seines Großvaters gehalten und dabei neben einer Art Jahresrückblick auch einen Ausblick auf die programmatischen Zielsetzungen im kommenden Jahr gegeben. Und die dort getroffenen Aussagen lassen durchaus aufmerken. Besonders stark finde ich die folgenden Absätze:

Der Aufbau einer Wirtschaftsmacht ist heute die wichtigste Aufgabe, die bei der Erfüllung der Sache zum Aufbau eines mächtigen sozialistischen Staates im Vordergrund steht.

Uns obliegt es, beim wirtschaftlichen Aufbau die schon erreichten Erfolge weiter zu festigen und zu entwickeln und dadurch unser Land auf die Stellung der Wirtschaftsmacht im neuen Jahrhundert gebührend zu heben und den Wunsch Kim Jong Ils, der sein ganzes Leben dafür einsetzte, dass unser Volk ein wohlhabendes Leben führt, ohne jemanden in der Welt beneiden zu müssen, in die Tat umzusetzen. […]

Erfolge beim wirtschaftlichen Aufbau müssen im Leben des Volkes zum Ausdruck kommen. Es ist unumgänglich, große Kräfte dafür einzusetzen, die Bereiche und Einheiten, die mit dem Volksleben in direkter Beziehung stehen, auf die Beine zu bringen und die Produktion zu erhöhen, damit dem Volk im Leben mehr Wohltaten zuteil werden.

Diese Ankündigungen, das wirtschaftliche Wohlergehen der Bevölkerung künftig stärker in den Blick zu nehmen war bisher das deutlichste Signal in diese Richtung und übertrifft die bisher immer wieder zitierte Aussage Kim Jong Uns deutlich, dass in Zukunft niemand mehr den Gürtel würde enger schnallen müssen. Solche klaren Aussagen kommen in der nordkoreanischen Bevölkerung, die sonst eher an leise Zeichen und Zwischentöne gewöhnt ist, vermutlich an wie Donnerschläge.

Die militärische Kraft ist eben die nationale Stärke, und in der allseitigen Stärkung der militärischen Kraft liegen das starke Land und das Glück und Wohlergehen des Volkes. Wir sollten unter dem hoch erhobenen Banner von Songun für die Verstärkung der militärischen Macht weiterhin größere Kraft einsetzen, dadurch die Sicherheit des Vaterlandes und die Souveränität des Landes zuverlässig verteidigen und zum Schutz der Sicherheit in der Region und des Friedens in der Welt beitragen. […]

Dem Bereich Verteidigungsindustrie obliegt es, mehr Spitzenbewaffnungen unseres Typs, die zur Verwirklichung der militärstrategischen Ideen der Partei beitragen können, herzustellen und so seiner Mission als Waffenarsenal der starken Revolutionsarmee von Paektusan gerecht zu werden.

Das klingt zwar spektakulär, aber im Endeffekt klingt es auch nach dem, was Jahr für Jahr im Neujahrseditorial stand. Allerdings ist auch hier die Deutlichkeit mit der Kim nach einer Fortsetzung der Rüstungsbemühungen ruft frappierender als in der Vergangenheit.

Die Vereinigung des Vaterlandes ist die größte dringende Aufgabe der Nation, die keinen Aufschub duldet, und ein lebenslanger Wunsch der großen Generalissimusse und ein von ihnen hinterlassener Hinweis.

Kim Il Sung und Kim Jong Il, Väter der Nation und Retter des Vaterlandes für die Vereinigung, denen wie keinem anderen das Herz vor dem Leiden der nationalen Spaltung blutete, setzten zeitlebens ihre ganze Kraft und Seele darein, unseren Landsleuten ein vereinigtes Vaterland zu schenken, und schufen so eine feste Grundlage für die selbstständige Vereinigung und das friedliche Gedeihen des Landes. […]

Welche Prüfungen und Schwierigkeiten auf dem Weg der Vereinigung des Vaterlandes auch vor uns liegen mögen, werden wir mit zusammengeschlossener Kraft der ganzen Nation auf dem 3000 Ri großen Territorium unbedingt einen mächtigen vereinigten und aufblühenden Staat errichten.

Klingt auch spektakulär, ist es aber eigentlich noch weniger als die vorher aufgeführten Aussagen. Denn was Kim Jong Un da sagte, kann man ziemlich genau so auch im Neujahrseditorial des Vorjahrs nachlesen. Fast könnte einem der Verdacht kommen, da sei garnichts am Text geändert worden.

Gemäß den Forderungen der fortschreitenden Wirklichkeit sind die wirtschaftliche Leitung und Verwaltung zu verbessern.

In allen Bereichen der Volkswirtschaft muss man die wirtschaftliche Operation und Leitung aufeinander abstimmen, um alle Reserven und Möglichkeiten maximal zu mobilisieren und so einen Aufschwung in der Produktion zu vollbringen, den gegenwärtigen Plan und die perspektivische Entwicklungsstrategie in jeder Etappe wissenschaftlich aufstellen und standhaft durchsetzen. Wir sind verpflichtet, nach dem Prinzip, die sozialistische Wirtschaftsordnung unserer Prägung zuverlässig zu verteidigen und die werktätigen Volksmassen als Herren in der Produktionstätigkeit ihrer Verantwortung und Rolle gerecht werden zu lassen, die wirtschaftliche Verwaltungsmethode ständig zu verbessern und zu vollenden und die guten Erfahrungen breit zu verallgemeinern, die in verschiedenen Einheiten geschaffen wurden.

Interessant und neu finde ich diese Bezüge zum wirtschaftlichen Management, die eine Anpassung der Unternehmenssteuerung an die Realität und einer permanenten Verbesserung der Verwaltungsmethoden fordern.

Was hat Kim Jong Un gemeint?

Das weiß natürlich nur Kim Jong Un, aber wenn man das, was Kim Jong Un in diesem Jahr gesagt hat mit dem vergleicht, das im letzten Jahr im Neujahrseditorial stand, dann bekommt man eine Ahnung davon, was für ihn wichtige Punkte waren und was nicht. Ein Signal an Südkorea hat er nicht ausgesandt und was ein Zeichen für mögliche Reformen im wirtschaftlichen Bereich angeht, so sind diese wenn überhaupt vorhanden dann doch nur schwach. Deutlich ist das Signal an die Bevölkerung, nach dem man Zukunft mehr Kraft auf eine Verbesserung des Lebensstandards verwenden will. Ebenfalls deutlich ist der beruhigende Hinweis an das Militär, nach dem man auch in Zukunft kräftig rüsten will, es also bei den Generälen keine Sorgen um die eigenen Pfründer geben muss.

Insgesamt waren die wirklich wichtigen Aussagen der Ansprache klar nach innen gerichtet, während die Hinweise nach außen eher unambitioniert klangen. Das könnte man als Hinweis darauf sehen, dass das nächste Jahr weiterhin eher im Zeichen der inneren Konsolidierung zu sehen ist, bevor sich das Regime den Beziehungen zu anderen Staaten ernsthaft zuwenden will.

Was ist die Funktion Kim Jong Uns als Redner?

Die Tatsache, dass Kim Jong Un eine programmatische Neujahrsansprache gehalten hat, sollte man nicht über- aber auch nicht unterbewerten. Es ist nunmal sein selbstgewählter Führungsstil, dass er anders als sein Vater eher repräsentativ auftritt und sich in Reden an sein Volk wendet. Dazu gehört auch und vor allem eine Neujahrsansprache. Allerdings signalisiert der Auftritt, dass er für die ganze Führung Nordkoreas spricht und damit auch alle Flügel bzw. funktionalen Teile der Führung hinter sich hat.

Wie ist die Rede von ihrer Tragweite her zu bewerten?

Vor allem die deutlichen Signale Kim Jong Uns an seine Bevölkerung, nach der das Regime sich künftig mehr um das materielle Wohl der Menschen kümmern zu wollen sollte in ihrer möglichen Wirkkraft nicht unterschätzt werden. Kim Jong Un setzt seinem Regime hohe Ziele und verspricht den Menschen eine bessere Zukunft. Aktuell sorgt das möglicherweise wirklich für Zuversicht in der Bevölkerung. Aber irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft wird sich die Führung an diesen konkreten Zielsetzungen messen lassen müssen. Und wenn da dann die eigenen Versprechen nicht eingelöst werden können, dann wandelt sich die Zuversicht, die die Neujahrsbotschaft Kims schürte, sich schnell in Unmut verwandeln.

Wer formuliert eine solche Rede?

Das wüsste ich wirklich mal gerne. Keine Ahnung, aber ich vermute mal, dass Kims Rede in diesem Fall ähnlich wie die Neujahrseditorials entstehen. Ich finde es nicht abwegig, dass es sich dabei um ein kooperatives Produkt verschiedener Personen bzw. Organisationen handelt, die jeweils die eigenen Erfolge und Ziele darstellen. Sortiert und geordnet wird es dann möglicherweise von einigen wenigen Führungskräften. Wie viel davon Kim Jong Un selbst beiträgt ist unmöglich zu sagen, solange man nicht weiß, wieviel faktische Macht er innehat und wieviel er von anderen abhängig ist, bzw. sogar gesteuert wird.

Wie ernst sind die Aussagen der Rede zu nehmen?

So wie ich die Rede verstehen hat sie einen programmatischen Charakter. Sie stellt Ziele und ideale dar, aber es ist eigentlich klar, dass nicht alle Ziele abgearbeitet werde (können). Im Endeffekt ist das soähnlich wie ein Parteiprogramm oder eine Koalitionsvereinbarung. Man setzt sich Ziele und versucht das zu erreichen. Dass am Ende nicht alles gehalten werden kann, ist schon vorher fast klar. Allerdings sind solch starke Schlaglichter wie das auf das materielle Wohl der Bevölkerung dahingehend ernst zu nehmen, dass die Führung sich nach solchen Ankündigungen kaum mehr ernsthaften Bemühungen entziehen kann, das Thema anzugehen. Es sind also Maßnahmen zu erwarten und wenn die ausbleiben, fällt das den Menschen wahrscheinlich schon auf.

So, dass waren jetzt meine Eingangsgedanken zu dem Thema. Ich werde mal sehen, was ich in den nächsten Tagen alles dazu lesen kann und euch eine kleine Sammlung von Analysen und Meinungen zusammenzustellen.

Der Wald und die vielen Bäume — Einige Fragen zur Annäherung an das große Ganze


Nachdem ich dem Blog ein paar Tage ohne mich abzumelden ferngeblieben bin (ich hatte viele kleine Sachen zu machen, die zusammen einen großen Berg ergaben), bin ich jetzt endlich mal so weit, dass ich was schreiben kann. Wie so oft, wenn man sich nach einiger Zeit nochmal eingehend mit der Materie befasst, fängt man an, ein bisschen mehr den Wald zu sehen und ein bisschen weniger die einzelnen Bäume (weshalb ich es nach wie vor für heilsam halte, ab und zu ein paar Schritte rückwärts zu gehen). Das soll keine Kritik an denen sein, die sich mehr für einzelne Bäume interessieren und weniger für den ganzen Wald (schließlich besteht der überwiegende Teil meines Blogs aus der Betrachtung einzelner Bäume), aber ab und zu sollte man eben auch das Ganze anschauen und sich überlegen, was da die Fragen sind, die es momentan zu stellen gilt. Gerade vor dem Hintergrund der ablaufenden Machtkonsolidierung der neuen Ordnung nach Kim Jong Il, sollte man das mal tun.

Ein Baum. …

…Viele Bäume. … Und der Wald? …

…Irgendwo dahinten.

Naja und da mein Objektiv momentan eher auf Weitwinkel steht, dachte ich, versuche ich mal den ganzen Wald aufs Bild zu bekommen. Das soll und kann allerdings nicht heißen, das ich in der Folge versuchen werde, Nordkorea „als Ganzes“ zu erklären oder so einen Quatsch. Stattdessen will ich einfach eine Sammlung von Fragen machen, auf die es soweit ich das sehe, bisher keine abschließenden Antworten gibt, die aber für die nähere und entferntere Zukunft Nordkoreas entscheidend sein werden. Eigentlich werde ich also kein Foto, sondern ein Negativ produzieren. Ich werde aufzeigen, was wir alles nicht sehen.

Machtstrukturen im Regime

Der erste Komplex von Fragen, die indirekt immer wieder gestellt werden (oft in Form von vorgeblichen Antworten, die manche Presseerzeugnisse zu haben glauben), bezieht sich auf die Machtstrukturen des Regimes nach Kim Jong Ils Tod. Es ist schon viel spekuliert, gemutmaßt und analysiert worden und einiges davon war bestimmt richtig, aber wir wissen im Endeffekt nur sehr wenig. Aber sehr wenig ist immernoch mehr als nichts:

  • Es gab Verschiebungen innerhalb der Regimeführung, vor allem beim Militär. Einige der Leute, die schon unter Kim Jong Il, aber in Verbindung mit der Wahl Kim Jong Uns als Nachfolger, ihren Aufstieg begonnen haben, sind noch wichtiger geworden (z.b. Choe Ryong-hae (siehe unten in den Kommentaren) Kim Jong-gak). Andere sind überraschend aus der Führung entfernt worden (z.B. Ri Yong-ho).
  • Jedoch sind andere Bereiche der Führung eher konstant geblieben. Sowohl was die Regierung, als auch den diplomatischen Apparat, das Parlament und die Partei angeht, sind Änderungen weitgehend ausgeblieben.
  • Jang Song-thaek, dem Mann der Schwester Kim Jong Ils, Kim Kyong-hui, scheint tatsächlich eine wichtige Rolle zuzukommen. Er trat nach Kim Jong Ils Tod erstmals mit Militäruniform auf, spielte aber auch im außenpolitischen Bereich, z.B. durch seine China Reise im vergangenen Monat eine wichtigere Rolle.
  • Es scheint innerhalb der Führung eine größere Arbeitsteilung bei der Repräsentation gegenüber der Bevölkerung zu geben. Noch zu Lebzeiten Kim Jong Ils hatte Choe Yong-rim begonnen, eigenständige Vor-Ort-Anleitungen durchzuführen. Diese wurden seit dem Tod aber noch verstärkt und auch der Militär jetzt in Uniform steckende (siehe in den Kommentaren) Choe Ryong-hae durfte ein bisschen Vor-Ort-anleiten. Möglich, dass es das auch schon vorher gab. Aber jetzt wird darüber berichte. Das Regime bekommt also mehr Gesichter.
  • Es gab einzelne Entwicklungen, die von außen betrachtet auf eine inkonsistente Politik hindeuten und mit dem Agieren unterschiedlicher Interessen erklärt werden können. Dass die Führung eine Vereinbarung mit den USA über umfangreiche Lebensmittellieferungen schloss, nur um kurze Zeit später einen Raketenstart anzukündigen, der die Vereinbarung nichtig machte und die Atmosphäre zwischen den beiden Staaten weiter vergiftete, ist mit anderen Gründen nicht leicht zu erklären.

Allerdings sagen diese Beobachtungen wenig darüber aus, was tatsächlich im inneren der Führung geschieht. Hier sind allenthalben nur offene Fragen zu sehen:

  • Waren die Machtverschiebungen im Militär vorab geplant, das Ergebnis von internen Machtkämpfen oder ein Schritt Kim Jong Uns, unbequeme Akteure zu entfernen?
  • Sind die Veränderungen im Regime abgeschlossen, oder besteht weiterer Handlungsbedarf?
  • Haben interne Machtkämpfe Einfluss auf die Politik des Regimes und führen solche Machtkämpfe zu Inkonsistenzen.
  • Hat sich das Gewicht zwischen den verschiedenen institutionellen Machtpolen im Regime verschoben (beispielsweise zuungunsten des Militärs)?
  • Hat sich mit der stärkeren Repräsentation des Regimes nach außen, durch einzelne Akteure auch die Macht stärker verteilt?
  • Welche Position hat Jang Song-thaek (gemeinsam mit seiner Frau Kim Kyong-hui) innerhalb des Regimes? Hat er ein eigenes übergreifendes Machtsystem unabhängig vom institutionellen Machtgleichgewicht etabliert oder stützt er sich auf einzelne Institutionen und Organisationen innerhalb des Regimes, hat jedoch Widersacher in anderen Institutionen?
  • Wie passt Kim Jong Un in das Bild des neuen Regimes?

Und Kim Jong Un?

Die letzte Frage führt zu einem neuen Themenkomplex, denn einerseits könnte die Bedeutung des jungen Kim für die Zukunft seines Landes ähnlich groß sein, wie es die seines Vaters war, andererseits ist es aber auch möglich, dass sein Gewicht überschätzt wird (also ihr wisst wie ich meine…) und er weniger Einfluss hat, als das nach außen hin scheint. Daher erstmal ein Blick auf das was wir wissen.

  • Kim Jong Un hat nach außen hin eine Rolle inne, die der seines Vaters sehr ähnlich ist. Er macht Vor-Ort-Anleitung, wird als der Führer des Landes behandelt und hat die entsprechenden formalen Positionen eingenommen.
  • Er sieht seinem Großvater Kim Il Sung sehr (verblüffend) ähnlich und scheint diese Ähnlichkeit durch Kleidungsstil und Auftreten noch unterstreichen zu wollen.
  • Sein Stil in der Öffentlichkeit unterscheidet sich deutlich von dem seines Vaters. Er hält öffentliche Reden und scheint einen besseren Draht zu den Menschen zu haben. Er tritt gemeinsam mit seiner Frau auf, was im Falle Kim Jong Ils nicht passierte (jedenfalls wurde es nicht von den Medien thematisiert).
  • In seinen Reden setzt er Akzente, die bisher so nicht gekannt waren (z.B. „Die Menschen sollen den Gürtel nicht mehr enger schnallen müssen“).
  • Er nimmt auch außenpolitische Termine wahr.
  • Über seine Vergangenheit und seine Ausbildung, bis zu dem Moment, als er anfing gemeinsam mit Kim Jong Il aufzutreten, liegen keinerlei gesicherte Erkenntnisse vor.

Hier deuten viele der Dinge, die wir wissen in eine gemeinsame Richtung: Kim Jong Un scheint willens und in der Lage, sein Land zu verändern; Oder um genauer zu sein, zu modernisieren. Allerdings muss man mit dieser Einschätzung nach wie vor vorsichtig sein, denn im Endeffekt beruhen fast alle Informationen, die ich hier aufgelistet habe, auf dem, was uns die Staatsmedien zur Verfügung stellen. Das heißt, es kann der Realität entsprechen, es kann sich aber auch um gezielte Manipulation handeln. Daher stehen noch viele Fragezeichen und einige weitere Fragen hinter der Wahrnehmung Kim Jong Uns als Veränderer:

  • Hat Kim Jong Un tatsächlich Macht im Regime, oder ist er nur ein Pappkammerad zum Vorzeigen, der den wahren Machtzentren innerhalb des Regimes hilft, ihren Einfluss zu wahren?
  • Muss (bzw. musste) er um die Mach kämpfen, oder war das Feld soweit bereitet, dass er schlicht übernehmen musste?
  • Wie ist sein Verhältnis zu seinem Onkel Jang Song-thaek? Hat sich dieser untergeordnet, ist er Strippenzieher oder besteht eine latente Konkurrenzsituation?
  • Gibt es innerhalb des Regimes Faktionen, die glauben ohne ihn auskommen zu können?
  • Hat er die Kompetenz, eigene politische Impulse zu setzen, bekommt er sie eingeflüstert, oder wird ihm seine Agenda gar diktiert?
  • Bestand ein Masterplan für seine Machtübernahme und für die Rolle, die er künftig füllen soll und wie weit reicht/e der?
  • Wie ist er sozialisiert worden und was sind seine Ideale (unabhängig von seinem Einfluss und seinen Kompetenzen)? Glaubt er an das System, dem er vorsteht, sieht er es als Mittel zum Zweck oder gar als Übel, dass es zu verändern gilt?

Die Systemfrage

Mit dieser Frage kommen wir zu einem neuen wichtigen Themenkomplex. Unabhängig davon, wie es um die Stabilität und die Dynamiken des gegenwärtigen Regimes bestellt ist, müssen die Leute, die jetzt an der Macht sind ja politische Ziele mit dem Land verfolgen. Dazu kann ich mir grob drei idealtypische Richtungen vorstellen, die man anstreben könnte: Reform und Öffnung, weiter durchwursteln, oder Widerherstellung der Ordnung, die zu Lebzeiten Kim Il Sungs bestand. Eine Bestandsaufnahme der Situation könnte bei einer Annäherung helfen:

  • Nordkorea leidet unter einem strukturellen Nahrungsmittelmangel, der in einem System, das nach Autarkie strebt, kaum zu beheben sein dürfte.
  • Nordkorea hat Ende 2009 eine Währungsreform durchgeführt, die das Ziel hatte, die vom Staat unabhängige Wirtschaft soweit wie möglich einzudämmen.
  • Die Reform ist fehlgeschlagen und nach wie vor bestehen private Schattenwirtschaften, die eine Bevölkerungsgruppe entstehen lassen, die sich vollkommen unabhängig vom Staat versorgen kann und auf die der Staat kaum noch Zugriff (z.B. auch zur ideologischen Schulung) hat. Die Schattenwirtschaft ergänzt gleichzeitig die staatliche Versorgung mit Lebensmitteln um eine teils lebenswichtige Komponente, bietet aber auch staatlich nicht regulierten Zugang zu Konsumgütern und Informationen
  • Die Wirtschaft des Landes ist durch Sanktionen, aber auch durch systemische Mängel marode und kann innerhalb der aktuellen Rahmenbedingungen wohl kaum wieder in Schuss gebracht werden.
  • Nordkorea zeigt ein gesteigertes Interesse an der Idee von Sonderwirtschaftszonen. Vor allem die zwei SWZ im Norden des Landes genießen große Aufmerksamkeit von Seiten des Regimes. Anders als bei früheren Experimenten mit SWZ scheint dieses Mal ein größerer Wille zum Erfolg zu existieren. Währenddessen scheint die SWZ in Kaesong (gemeinsam mit Südkorea betrieben) zu stagnieren.
  • Das Land driftet zusehends in eine einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber China und ist aktuell auf die Bereitschaft Pekings angewiesen, Unterstützung zu gewähren.
  • Allerdings scheint man in den letzten Monaten auch immer aktiver um Investoren aus anderen Staaten zu werben.

Ich beurteile die Situation in Nordkorea so, dass ein „Zurück zur alten Ordnung“ nicht mehr möglich ist. Der letzte Versuch in diese Richtung ist mit der Währungsreform 2009 gescheitert. Damit blieben als Optionen ein Durchwursteln, das darin bestünde, so weit wie möglich am aktuellen Status quo festzuhalten, oder Reform und Öffnung, was eine graduelle Integration Nordkoreas in das globale Wirtschaftssystem bedeuten würde. Während die erste Alternative für die Führung möglicherweise den Reiz hat, dass plötzliche Instabilitäten vermieden werden können und so ein Volksaufstand in naher Zukunft weitgehend auszuschließen ist, hat eine die zweite Variante den Vorzug, dass sie bei Erfolg einen langfristigeren Machterhalt verspricht. Einiges deutet auf eine Reformrichtung hin, allerdings ist auch hier die definitive Marschrichtung nicht klar. Das alles wirft einige Frage auf:

  • Ist bereits über die Zukunft des Systems entschieden, oder wird darüber ein interner Diskurs geführt?
  • Sollte eine Richtung beschlossen sein: Herrscht darüber Konsens oder gibt es Elemente, die sich aktiv oder passiv widersetzen?
  • Gibt es innerhalb der Führungsspitze Gruppen, denen das Wohl der Bevölkerung ehrlich am Herzen liegt, oder ist das nur ein Faktor, wenn es um den Machterhalt geht?
  • Sieht man die Abhängigkeit von China als unmittelbare Gefahr oder als mittelbares Risiko?
  • Hat man bereits auf die SWZ als die entscheidende Lösung zur Behebung der wirtschaftlichen Probleme gesetzt, oder ist man noch in einem Stadium, wo man die Bemühungen in diesem Feld jederzeit einstellen kann?
  • Sollen die SWZ für sich genommen die Probleme des Landes lösen oder nur als gut abgeriegeltes Experimentierfeld dienen?
  • Sieht man eine Integration Nordkoreas in das internationale Wirtschaftssystem als vereinbar mit der Stabilität des Regimes an?
  • Kann man andere Partner außer China gewinnen, die bereit sind in die Entwicklung des Landes ernsthaft zu investieren?

Außenpolitik

Irgendwie sind wir damit auch schon beim letzten Themenkomplex angekommen, dem ich mich bei der Waldbetrachtung widmen will. Dem Äußeren. Traditionell mied Nordkorea einseitige Abhängigkeiten und fuhr eine unkonventionelle Außenpolitik, die nicht selten gegen hergebrachte Regeln verstieß, was Nordkorea für Freunde zu einem unbequemen Partner und für Feinde zu einem unangenehmen Gegner machte. Damit fuhr die Führung des Landes relativ gut (es existiert immerhin noch irgendwie in der Form, in der es bis zu den 90er Jahren zu den sozialistischen Staaten wurde. Das können nicht viele andere Staaten von sich behaupten) allerdings führte es auch zu einem permanenten Balancieren auf Messers Schneide. Auch hier will ich erstmal auf die aktuelle Situation schauen.

  • Nordkorea wird von der westlichen Staatenwelt mit den USA an der Spitze und Südkorea und Japan als wichtige regionale Verbündete (wobei Südkorea natürlich nochmal ein Sonderfall ist) als Unruhestifter und latentes Risiko für den Frieden und die Sicherheit in der Region gesehen. Die Gefahr geht dabei von der Kriegsgefahr mit Südkorea aus, aber auch vom Proliferationsrisiko, dass Nordkoreas Nuklear- und Raketenprogramm entspringt. Allerdings könnten Instabilitäten auch von unkontrollierten Flüchtlingsströmen nach einem Regimekollaps herrühren. Eine direkte Bedrohung aus dem Nuklear- und Raketenprogramm des Landes ist bisher und auch in den nächsten Jahren dagegen höchstens für Japan und Südkorea existent und selbst da ist ein Fragezeichen angebracht.
  • Nordkorea strebt zwar eine Wiedervereinigung mit Südkorea an, allerdings nicht nach einem „deutschen Modell“, was für die Eliten einen weitgehenden Statusverlust bedeuten würde. Der Süden dürfte sich aber aktuell kaum zu einer Föderation bereitfinden. Eine Wiedervereinigung wird es vermutlich daher erst nach dem Ende des aktuellen nordkoreanischen Regimes geben.
  • Das Regime in Pjöngjang ist aktuell auf den Schutz und die Unterstützung Chinas angewiesen. Ohne die wäre das Risiko eines Regimekollapses sehr hoch.
  • Russland und Nordkorea haben sich in den vergangen Jahren sachte angenähert, aber aktuell sieht es nicht so aus, als würde Russland mit China um die Rolle als Schutzmacht konkurrieren.
  • Nordkorea scheint seit einiger Zeit auf der Suche nach neuen Verbündeten in der Gruppe der kleinen und mittleren Staaten. Dabei scheint ein regionaler Fokus auf geographisch näheren Staaten zu existieren.
  • Gegenüber den westlichen Staaten stellt das Nuklearprogramm den einzigen Garanten für Aufmerksamkeit dar und ist gleichzeitig die entscheidende Verhandlungsmasse des Regimes. Durch den Aufbau des Zentrifugenprogramms zur Urananreicherung wurde diese Verhandlungsmasse sozusagen in zwei Teile gespalten.
  • Nuklearwaffen stellen eine ziemlich gute Versicherung vor Angriffen von außen dar. Die Geschichte lehrt, dass nuklear bewaffnete Staaten nicht von anderen Staaten attackiert werden. Nordkorea sieht das nach außen hin genauso.
  • In den drei für Nordkoreas Außenpolitik enorm wichtigen Staaten USA, Südkorea und China wird innerhalb des nächsten Jahres gewählt, bzw. es werden neue Personen die Führung übernehmen (wenn sie denn wieder auftauchen).
  • Ohne eine Annäherung mit den USA wird es nicht zu einer Erleichterung der Sanktionen der Vereinten Nationen (und natürlich der USA) kommen. Ohne eine solche Erleichterung dürfte eine Eigliederung in das globale Wirtschaftssystem kaum denkbar sein.

Das alles sieht recht vertrakt aus. Nordkorea braucht den Westen, um sich aus der einseitigen Abhängigkeit von China zu lösen und die eigene Entwicklung anzustoßen (oder alternativ, um den Status quo bestmöglich aufrechtzuerhalten). Dazu muss es aber glaubwürdig machen, dass es bereit ist, sein Nuklea(waffen)programm aufzugeben. Das stellt aber eine entscheidende Versicherung gegen Angriffe von außen dar (wenn er noch leben würde, könnte man dazu Herrn Gaddafi befragen). Insgesamt hängt das außenpolitische Agieren Nordkoreas aber in erster Linie von den  außenpolitischen Zielen des Landes ab. Und die sind mir nicht wirklich bekannt. Daher in der Folge einige entscheidende Fragen:

  • Strebt Nordkorea nach einem Ausgleich mit Südkorea und den USA? Vielleicht vor dem Hintergrund der Abhängigkeit von China und der Unmöglichkeit von Entwicklung bei existierenden Sanktionen?
  • Wird Nordkorea bereit sein, sein Nuklearprogramm ganz aufzugeben? Wenn nicht, will es einen Teil davon als Verhandlungsmasse nutzen?
  • Werden sich die USA von dem Nuklearprogramm überhaupt noch lange locken lassen? Wenn nicht, was sind alternativen?
  • Gibt es außer China potentielle Verbündete für Nordkorea, die bei allen Nachteilen einen Sinn darin sehen, dem Land Schutz und Unterstützung zu bieten (das zielt vor allem auf Russland, aber auch auf kleine und Mittelstaaten).
  • Werden sich aus den Veränderungen in den Führungen Chinas, der USA (vielleicht) und Südkoreas neue Möglichkeiten für Nordkorea ergeben, außenpolitisch zu manövrieren? Wenn nicht: Was sind die alternativen? Neue provokative Aggressionen?
  • Ist Pjöngjang bereit, durch weitere Aggressionen das Risiko eines Krieges auf der Koreanischen Halbinsel in Kauf zu nehmen?

Hm, das waren jetzt viele Fragen. Ich weiß, das waren bei weitem nicht alle, die zu stellen wichtig wäre, aber vielleicht hat es geholfen, den Wald ein bisschen mehr als Wald und nicht als viele Bäume zu zeigen. Ich bin gespannt, ob wir in Zukunft auf die eine oder andere Frage eine Antwort kriegen werden. Außerdem bin ich gespannt, ob es mir helfen wird, die Fragen anzuschauen, wenn ich mal wieder mitten im Wald bin und nur noch Bäume sehe. Mal gucken…

Wie Kim Jong Un dem Fluch der bösen Tat entgehen kann — Er muss seine Unschuld wahren


Vor einem knappen Jahr habe ich mich in einem Artikel damit beschäftigt, ob Kim Jong Il etwas aus Muammar al-Gaddafis Ende lernen könnte. Meine Antwort war „Nein“, denn ich ging davon aus, dass er alle Lehren, die er hätte ziehen können schon vorher gezogen hatte. Gleichzeitig merkte ich an, dass es für ihn und sein Regime ohnehin kein Zurück gebe, da der „Fluch der bösen Tat“ ihn soweit gebracht habe, dass jede Änderung seiner Unterdrückungspolitik seine Chancen mindere in relativem Luxus eines natürlichen Todes zu sterben. Mittlerweile ist genau das eingetroffen (höchstwahrscheinlich) und sein Sohn führt das Land.

Die Rolle von Entschuldigungen

In letzter Zeit habe ich deshalb öfter mal daran gedacht, dass Kim Jong Un nicht gleichermaßen vom Fluch der bösen Tat betroffen ist. Als ich dann heute dieses sehr spannende Interview mit Jennifer Lind las, in dem es um die Rolle der Entschuldigung von Staaten für die Taten ihrer Vergangenheit geht (sie macht ein bisschen Werbung für ihr Buch zu diesem Thema) dachte ich, dass es jetzt an der Zeit sei, was dazu zu schreiben. Vor allem da Nordkorea ja momentan in Gesprächen mit Japan steckt und gerade zwischen diesen beiden Staaten eine Untat der Vergangenheit ein riesiges Problem darstellt (eigentlich mehrere, aber eine behindert alles andere) und eine Entschuldigung vermutlich essentiell ist, um das aus der Welt zu schaffen.

Nordkorea: Ein Zeitpunkt die Verantwortung in der Enführtenfrage zu übernehmen?

Im Zusammenhang mit Japan habe ich darüber nachgedacht, ob es für das Kim Jong Un Regime nicht möglich wäre, das Kapitel der Entführten ein für alle Mal zu schließen. Das heißt im Endeffekt die Verantwortung zu übernehmen. Durch umfassende Aufklärung über den Verbleib der Entführten und durch eine Entschuldigung, natürlich (das ist für Pjöngjang wohl die Prämisse) nicht ohne eine Art von Gegenleistung. Kim Jong Il wollte oder konnte das nicht leisten und das dürfte nicht zuletzt damit zu tun haben, dass er vermutlich selbst zumindest als Teil der Befehlskette in die Entführungen verwickelt war. Er hätte gegenüber Japan, das mit Nordkorea noch die schwere Erblast der Besatzung teilt, seine eigenen Fehler eingestehen müssen. Nur schwer möglich. Kim Jong Un müsste immernoch den Fehler seiner Vorfahren eingestehen, auch nicht leicht (was, wie Frau Lind sagt, auch im Fall Japans, das ja auch noch die eine oder andere Entschuldigung offen hat, ein großes Problem ist), aber vielleicht leichter ist. Er selbst wäre jedenfalls außen vor, was die Schuld angeht.

Noch ist Kim Jong Un relativ „unschuldig“…

Und damit komme ich zum größeren Bild, denn eigentlich ist er ja generell noch ziemlich „unschuldig“. Als Kim Jong Il die Führung Nordkoreas übernahm zeichnete er bereits für die Sprengung eines südkoreanischen Verkehrsflugzeugs und einem desaströsen Anschlag auf das südkoreanische Kabinett in Rangun verantwortlich. Kim Jong Un hatte hier das Glück, dass er nicht so lange Zeit hatte, in die Amtsgeschäfte eingeführt zu werden. Zum aktuellen Stand wird man dem jungen Mann noch nicht viele Untaten nachweisen können. Die Systeminhärenten Menschenrechtsverletzungen, die nach dem Tod seines Vaters natürlich weitergingen können ihm zwar angekreidet werden, aber mal rein hypothetisch: Wenn er morgen damit begänne, die Menschenrechtslage in seinem Land Stück für Stück zu bessern, dann wäre er eher ein Kandidat für den Friedensnobelpreis, als für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

…aber das wird sich bald geändert haben

Allerdings wird das nicht ewig so bleiben. Will er im immer-weiter-so verharren, dann wird er irgendwann Schuld durch sein Handeln auf sich laden, das ist unumgänglich. Vorher wird er schon Schuld durch sein Nicht-Handeln (weil er die Menschenrechtsverstöße einfach weitergehen ließ) auf sich geladen haben. Ich bin mir sicher, dass der junge Mann irgendwann mal über ähnliche Fragen nachgedacht hat. Die Frage ist nur: Hat er den Mut etwas zu ändern? Hat er die Kraft etwas zu ändern? Und hat er die Kompetenz etwas zu ändern?

Eins, zwei oder drei. Letzte Chance…

Wir werden sehen. Schön wäre es jedenfalls, wenn Kim Jong Un sich wünschen würde, irgendwann mal aus der Politik ausscheiden zu können, ohne vorher gestorben zu sein oder nachher wahlweise am Galgen oder sehr lange in einer Gefängniszelle zu landen und daraus die einzig logische Konsequenz zöge seine Unschuld zu bewahren.

%d Bloggern gefällt das: