Man sollte es kaum glauben, aber Deutschland scheint über ein schier unerschöpfliches Reservoir an Journalisten (naja, zumindest zwei) zu verfügen, die uninformiert, dafür aber voller Vorurteile und Klischees nach Nordkorea fahren, um sich dort darüber zu vergewissern, dass dort tatsächlich alles so böse und grau, hässlich und verboten ist, wie man sich das ohnehin schon vorgestellt hat.
Die seltsame Wirkung Nordkoreas auf einige deutsche Journalisten
Das Schöne an diesen Journalisten ist, dass sie sich anders als Herr Krauel von der WELT (der Google Earth kombiniert mit einer kleinen Farbenlehre für die Wahrheitsfindung kultivierte) garnicht lange damit aufhalten, vorzugeben neutral und vorbehaltlos an die Sache heranzugehen, sondern über die Wahrheit schon vollkommen im Bilde sind. Daher müssen sie auch nicht weiter nach Anhaltspunkten für eine andere als die aus Funk, Fernsehen und Presse bekannte Realität suchen, sondern können sich ganz damit zufriedengeben, weitere Belege für das Bekannte zu suchen (ein Glück, dass sie im Besitz der richtigen Wahrheit sind. Ansonsten könnte man fast vermuten, sie würden sich der gleichen Methoden des Erkenntnisgewinns bedienen, wie Kollegen im „Reich des Bösen“). Die Realität dort scheint auf diesen Schlag Menschen dergestalt zu wirken, dass sie ihre Erinnerungen nur noch in pseudolyrischen Metaphern und verqueren Bildern über die Welt ergießen können, während die Inhalte ihrer Berichte irgendwie informationsarm wirken.
Anonymisieren. Das schützt…
Naja, ein solcher Mensch war jedenfalls nach eigenen Angaben in diesem Sommer in Nordkorea und dankenswerterweise hat er seine Geschichte für den Playboy/Focus unter dem garnicht reißerischen Titel „Undercover in Nordkorea. Ein Reporter reist in das Reich des Bösen“ niedergeschrieben (hiermit ergeht mein ergebenster Dank an die Hubert Burda Media, dass sie sich endlich auf den Weg macht, das Monopol der Springergruppe für solche Texte zu brechen). Seinen richtigen Namen kennen wir nicht, da er diesen — anders als andere Kollegen — sowie den seiner Führerin anonymisierte, um den Schutz der Frau zu sichern, die er hier Fräulein Lee nennt. Das ist vorbildlich und wirklich bedacht gehandelt von dem Mann, der sich den schönen Tarnnamen Harald von Sprengeisen gegeben hat. Damit bin ich allerdings schon am Ende meiner Positivliste angelangt, denn was der Text ansonsten so hergibt. Über das kleine Manko, dass damit auch die Identität des Autors im Dunkeln bleibt, kann man dann getrost hinwegsehen. Ist ja für einen guten Zweck.
Befremdliche Motivation
Der Autor ließ sich laut eigener Angabe
nach alldem, was jüngst mit der Bucherscheinung „Flucht aus Lager 14“ bekannt geworden ist
von seiner Neugier zu der Visite drängen. Genau habe ich den Zusammenhang nicht verstanden, aber vermutlich wollte er mal so richtig grausame Dinge sehen und war neugierig darauf, wie so ein Konzentrationslager wohl aussieht. Schöne Motivation. Und da Guantanamo auch nicht mehr das ist, was es mal war, muss man eben bei den richtig bösen Bösewichten suchen.
Mit Luke Skywalker…
Naja, bei der Wissensbasis, von der der Journalist Ausging, ist es ja schon fast ein Wunder, dass überhaupt irgendwas sein Interesse für Nordkorea wecken konnte:
Was weiß man über dieses Land? Nicht viel. Im Dezember 2011 starb der Diktator Kim Jong Il, der seine Rolle als Darth Vader der Weltgemeinschaft bravourös erfüllt hatte. Nach dessen Tod erbte sein 28-jähriger Sohn Kim Jong Un ein Land, in dem Hunderttausende in Straf- und Arbeitslagern vegetieren, Hungersnöte die Untertanen dezimieren, Todesstrafen zur Tagesordnung gehören.
Scheinbar ist ihm noch nicht mal aufgefallen, dass Nordkorea mit Nuklearwaffen droht, Raketen durch die Gegend schießt und Nuklearrekatoren an Bashar al Assad, einen Kumpel von Darth Vader (wenn ich bei dem Bild mal so blöd fragen darf: Ist dann Kim Jong Un Luke Skywalker? Vielleicht hat dieser Zusammenhang den Autoren ebenfalls beunruhigt und deshalb ist er sicherheitshalber in seinem ganzen Artikel so gut wie mit keinem Wort auf Kim Jong Un eingegangen (noch nicht mal was über Mickey oder so hat er geschrieben)) im Club der Superbösewichte, verscherbelt. Naja, aber als Journalist hat man ja auch bestimmt was anderes zu tun, als sich mit solchem Kram abzugeben.
…im Reich des Bösen
Dabei hätte der Autor all das doch bei Julian Reichelt, einem seiner Brüder im Geiste nachlesen können. Der war schließlich vor garnicht so langer Zeit ebenfalls im
Zentrum eines der letzten Reiche des Bösen.
Überraschende Wetterphänomene
Was unser vorbildlich anonymisierter Autor dann auf seiner Reise gesehen hat, war eigentlich wenig überraschend. Grau war es und nach Wurzeln haben die Leute gegraben. Insgesamt ziemlich warm und trocken.
Wir rollen gemächlich zwischen braunen Äckern hindurch, in denen Kinder und Frauen nach Wurzeln graben. Das ganze Land scheint ein einziger großer Acker zu sein, durch den sich ausgetrocknete Flussbetten schlängeln. In den Gräben neben den Gleisen schlafen erschöpfte Körper. An Bahnhöfen stehen junge Rekruten mit grauen Gesichtern und Gewehrattrappen.
Ein bisschen überraschend finde ich das alles dann aber doch. Das Buch „Flucht aus Lager 14“, das er ja vorher gelesen haben will, wurde im September in deutscher Sprache veröffentlicht. So richtig Trocken war es zuletzt im Mai. Danach gab es richtig gutes Wetter, was zu der richtig guten Ernte geführt hat. Aber vielleicht ist dem Autor auch einfach der Strahlenwind durchs Hirn gepfiffen, der schon Julian Reichelt zu schaffen machte und deshalb hat er etwas mit den Terminen durcheinander gebracht. Man sollte ja nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.
Pressearchiv im Hotel?
Deswegen wundere ich mich auch nicht weiter darüber, dass im Drehrestaurant des Yanggakdo Hotels 10 Monate alte Zeitungen rumliegen.
Statt mich also im Dienste der Völkerverständigung mit Koreanern zu betrinken, blättere ich im Drehrestaurant im 47. Hotelstock – das sich nicht dreht – bei drei Taedonggang-Bieren in einer alten Ausgabe der „Pyongyang Times“ und erfahre: Ganz Deutschland beweinte den Tod des geliebten Führers Kim Jong Il. Die Deutschen konnten vor lauter Trauer nicht arbeiten. In Nordkorea trauerten selbst die Tiere, Kraniche flogen nur noch mit gesenkten Köpfen.
Wenn man davon ausgeht, dass der Autor tatsächlich von Strahlenwind oder anderen Umständen in temporäre Verwirrung gestürzt wurde, wäre er wohl im Mai dagewesen. Dann wäre die Zeitung immerhin noch 5 Monate alt. Aber wer weiß (ich jedenfalls nicht, war noch nicht da), vielleicht gibt es da oben ja auch einfach ein Zeitungsarchiv und der Journalist hat sich einfach daraus bedient (abwegig wäre die Mutmaßung, dass der Autor seine Story etwas bunter machen wollte und die Storys einfach im Netz nachgelesen hat…).
Seltsame Diskrepanz
Was mich allerdings auch ein bisschen wundert, ist der Unterschied zwischen den Schilderungen dieses Journalisten und so ziemlich allen anderen Westlern, die dort waren.
Schöne Verkehrspolitessen in himmelblauen Uniformen, weißen Söckchen und schwarzen Lackpumps drehen formvollendet Pirouetten auf den Boulevards und filtern den nicht vorhandenen Verkehr zwischen sozialistischen Prachtbauten und stalinistischen Monumenten.

Vor lauter Telefonieren vergisst die gute glatt die Pirouetten. (Foto: Joseph A. Ferris III. unter CC-Lizenz: Namensnennung 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) (CC BY 2.0))
Während er Pjöngjang so erlebt hat, wie es in den letzten zehn Jahren war, also Grau (bis auf die Politessen (die schönen) und ohne Autos und Ampeln (denn wozu bräuchte man sonst die Pirouetten), ohne wirkliches Leben, berichten andere Besucher von gelegentlichen Staus, von Ampeln, von Verkaufsständen und insgesamt einer gewissen Aufbruchsstimmung die zu spüren sei. Aber vielleicht sind die ganzen Einheimischen wegen der Hitze in ihren Häusern geblieben, haben ihre Autos stehen lassen und hielten ihre Stände geschlossen. Naja, oder die temporäre Verwirrtheit des westlichen Besuchers war noch größer als zuvor angenommen.
Handys verboten?
Das die temporäre Verwirrung des Autors jedoch soweit reicht, dass sein Besuch in Nordkorea tatsächlich zu Zeiten stattfand, als Mobiltelefone dort noch verboten waren, das kann ich mir allerdings eigentlich nicht vorstellen.
Sie am liebsten gleich mitnehmen in meinen Orbit und ihr das Theater einmal von außen zeigen. Doch das Verlassen des Landes ist Nordkoreanern verboten, ebenso wie die Nutzung von Mobiltelefonen, freier Presse, Satellitenfernsehen, Internet. Das alles ist im – laut Transparency International – „korruptesten Land der Welt“ strafbar und hilft, die rund 180 Haftanstalten zu füllen, in denen die meisten Insassen ohne Gerichtsverfahren einsitzen.
Immerhin ging das Koryolink vor fast vier Jahren an den Start und hat mittlerweile die Grenze von einer Million Kunden überrschritten. Aber vielleicht haben die Leute Angst gehabt, dass ihnen die Handys bei der Hitze schmölzen, oder dass sie beim Wurzelgraben verloren gehen. Naja und ob man Frau Lee wünschen soll, von einem solchen verwirrten Menschen mit in seinen Orbit genommen zu werden, das ist zumindest fraglich.
Zerdepperte Vasen und robbende Bienen
Naja und dass die Verwirrtheit unseres Journalisten soweit reicht, dass er sich Metaphern einfallen lässt, die klingen wie explodierende Wattebäusche in einer Kakophonie von Farbelementen (oder so ähnlich) das habe ich ja eben schonmal angedeutet.
Ein Heer fleißiger Arbeitsbienen, die im Dienste der Revolution über den Asphalt robben.
Ich meine, robbende Arbeitsbienen kann ich mir ja noch vorstellen, wenn dieser ja offensichtlich zur Grausamkeit neigende Mensch sie zuvor ihrer Extremitäten entledigt hat
Aber wie jetzt genau das mit den hastig zusammengeflickten Vasen aussehen soll, das geht einfach weit über meine Vorstellungskraft hinaus, aber vielleicht kreise ich dafür einfach im falschen Orbit.
Außerhalb der Hauptstadt sehen die Straßen und Häuser aus wie zersplitterte Vasen, die man hastig wieder zusammengeflickt hat.
Eine Erklärung: Das Paralleluniversum
Gerne würde ich mich ja noch ein bisschen an Fakten abarbeiten, die der Autor so zum Besten gibt. Aber in Ermangelung solcher Inhalte, kann ich mich nur mit dem beschäftigen, dass er geschrieben hat. Aber das allein reicht schon, um ein extrem besorgniserregendes Bild zu sehen. Der Autor dieses Artikels hat durch seine Erlebnisse offensichtlich bis zu einem gewissen Grad den Kontakt zur Realität verloren. Es sei denn, dass was er schreit ist garnicht so metaphorisch, sonder beschreibt die Realität in Nordkorea. Dann wäre die Erklärung er nämlich schlicht
ein Paralleluniversum
in dem er sich aufgehalten hat. Damit wären dann soweit alle Unklarheiten beseitigt. Es sei denn…ja es sei denn…der gute Mensch ist doch verwirrt.
Welcher Mist? Keine Ahnung! — Mist? Auf jeden Fall!!!
Dann wünsche ich ihm, dass er ganz in seiner Deckidentität des Harald von Sprengeisen aufgehen kann und nicht eines Tages feststellen muss, dass er ganz anders heißt, garnicht in diesem, sondern vor einem oder zwei Jahren in Nordkorea war und darüber schon den einen oder anderen Artikel darüber in Blättern des Axel Springer Verlags veröffentlicht hat. Aber die genaue Natur des Mistes, auf dem das ganze gewachsen ist, werden wir wohl nicht so bald klären können. Nur eines ist klar. Das es Mist ist…
Gut? Na dann sagts weiter:
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …
Filed under: Aktuelles, Irgendwie witzig, Medienschelte, Recherche | Tagged: Die Banalität des Blöden, Focus, Nordkorea, Playboy, Undercover in Nordkorea | Leave a comment »