Update (24.11.2011): Lustig! Kenneth N. Waltz hat heute anlässlich der Gespräche in Genf zusammen mit seiner Doktorandin Mira Rapp-Hooper auch was zu genau diesem Thema geschrieben (vermutlich hat sie das Meiste geschrieben und er hauptsächlich seinen Namen über den Artikel, wie sich das für renommierte Wissenschaftler geziemt (ganz so schlimm wird es doch nicht sein…)). Wenn ich das so lese, dann muss ich mir wohl eingestehen, dass tief in meiner Seele ein Neorealist schlummert. Die Argumentation klingt nämlich alles andere als unähnlich…
Ursprünglicher Beitrag (25.03.2011): Über Nordkoreas Nuklearprogramm wird ja viel gesprochen und diskutiert. Während man sich allerdings relativ einig ist, dass das Programm auf unterschiedliche Arten eine Bedrohung darstellt (Proliferation, Bedrohung anderer Staaten, unkontrollierbare Situationen beim Zusammenbruch des Regimes), ist man – soweit ich das überschaue – nicht wirklich zu einem Schluss gekommen, was den eigentlichen Zweck des Programms angeht. Hier gibt es grob gesagt zwei Ideen. Einerseits könnte es sein, dass das Regime das Nuklearprogramm als ultimative Verhandlungsmasse nutzt und es gegen die Erfüllung weitreichender finanzieller und diplomatischer Forderungen „eintauschen“ würde. Andererseits ist es aber auch möglich, dass das Regime die Abschreckungskraft der Waffe als die letzte Absicherung gegen Angriffe von außen niemals aufgeben würde.
Lehren aus Libyen
Ich muss sagen, ich bin mir da auch nicht wirklich schlüssig, aber festzuhalten bleibt, dass, sollte es einen Preis für das Nuklearprogramm geben, dieser bisher noch nie gezahlt wurde, denn das Regime hat auf die eine oder andere Art bisher immer daran weitergearbeitet, unabhängig von anderslautenden Vereinbarungen. In Richtung „Niemals aufgeben“ weist auch ein KCNA Artikel, den ich kürzlich gelesen habe. Der beschäftigt sich mit den Angriffen der westlichen Staaten auf Libyen und destilliert aus den jüngsten und weiter zurückliegenden Ereignissen die Lehren, die Kims Regime daraus zieht. Darin wird ein Sprecher des nordkoreanischen Außenministeriums wie folgt zitiert:
The present Libyan crisis teaches the international community a serious lesson.
It was fully exposed before the world that „Libya′s nuclear dismantlement“ much touted by the U.S. in the past turned out to be a mode of aggression whereby the latter coaxed the former with such sweet words as „guarantee of security“ and „improvement of relations“ to disarm itself and then swallowed it up by force.
It proved once again the truth of history that peace can be preserved only when one builds up one′s own strength as long as high-handed and arbitrary practices go on in the world.
The DPRK was quite just when it took the path of Songun and the military capacity for self-defence built up in this course serves as a very valuable deterrent for averting a war and defending peace and stability on the Korean Peninsula.
Gaddafi hat sich von den Lockrufen der USA hinreißen lassen, sein Nuklearprogramm aufgegeben und damit die Welt ein Stück unsicherer gemacht. Denn natürlich war es mal wieder ein falsches Spiel der Imperialisten um bei nächster Gelegenheit über Libyen herfallen zu können, ohne durch irgendetwas abgeschreckt zu sein. Daher ist es für alle Staaten nur gut und richtig, eine eigene Abschreckung aufzubauen um Frieden und Stabilität zu sichern, anstatt auf schöne Versprechungen von „Verbesserung der Beziehungen“ und „Sicherheitsgarantie“ hereinzufallen. Wäre dies die unumstößliche Position des Regimes, dann wäre wohl klar, dass das Nuklearprogramm auf ziemlich lange Zeit nicht zur Disposition stünde. Damit könnte man dann auch die Sechs-Parteien-Gespräche zur Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel ein für allemal bleiben lassen, denn wenn von vorneherein klar wäre, dass das Ziel nicht erreichbar ist, worüber sollte man dann sprechen, jedenfalls wenn man nur über Denuklearisierung sprechen will.
Ein bisschen Abschreckung kann schon ausreichen…
In Pjöngjang scheint man von einer gewissen abschreckenden Wirkung der Waffen, die man da entwickelt, überzeugt zu sein und die ist auch definitiv gegeben. Natürlich nicht annähernd in dem Maße, wie es bei Staaten der Fall ist, die über eine Zweitschlagkapazität verfügen (abschreckender als „alle tot“ geht eben nicht) aber doch in einem vieleicht entscheidenden Bereich. Man stelle sich mal rein hypothetisch vor, Gaddafi hätte in der jüngsten Situation ein Nuklearprogramm wie das Nordkoreas zur Verfügung gehabt: Ich wette da hätte man sich noch etwas schwerer getan, eine Flugverbotszone einzurichten. Man hätte Menschenrechte Menschenrechte sein lassen und gehofft, dass der Widerstand doch irgendwie siegt. Wenn überhaupt, vielleicht wäre der eine oder andere Gaddafi auch beigesprungen aus Sorge vor nuklear bewaffneten Terroristen, die es nach einem politischen Vakuum auf einmal geben könnte. Um einen Krieg gegen ein nuklear bewaffnetes Land anzufangen, muss wohl noch einiges mehr passieren als gewaltsames Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung. Eine gewisse Abschreckungswirkung einer nuklearen Bewaffnung ist also schonmal ein ganz gutes Argument, sich so etwas zuzulegen.
Eine Lehre: Diktaturen können Demokratien nicht trauen
Aber auch die Argumente dafür, auf halbem Weg umzukehren und doch lieber ein geachtetes Mitglied der Völkergemeinschaft zu werden, sind nicht wirklich stichhaltig. Für Autokraten wie Kim muss der Fall Libyen ein weiterer Beweis dafür sein, dass westlichen Staaten und vor allem Demokratien langfristig einfach nicht zu trauen ist. Plötzlich ist eine andere Regierung oder Situation da, in der Folge ändert sich die außenpolitische Linie des demokratischen Staats und alles was der früher mal gesagt und getan wurde, ist mehr oder weniger nichtig. Was bringt es also, kurzfristig wieder mit offenen Armen empfangen zu werden, wenn man damit langfristig dem guten Willen der Regierungen der westlichen Staaten ausgeliefert ist? Was bringt es, wenn Frankreich (oder sonstwer) heute zusagt dir Kernkraftwerke zu liefern und morgen entscheidet, dich doch lieber mit Bomben zu überziehen? Diese Überlegungen dürfen wohl auch in Pjöngjang einige Köpfe zum dampfen bringen.
Verhandeln ja, aber nicht mit unrealistischen Zielen
So unangenehm der Gedanke auch ist: Es wäre vermutlich der endgültige und unwiederbringliche Beweis dafür, dass Kim Jong Il tatsächlich irre ist, wenn er das Nuklearprogramm aufgäbe. Keine Zusage und kein Versprechen kann den Grad an Abschreckung und damit Berechenbarkeit der Situation bieten, wie eigene Nuklearwaffen. Ob man deshalb aufhören soll, zu verhandeln? Ich glaube nicht. Man sollte sich nur realistische Ziele stecken und nicht allein auf die Denuklearisierung fixiert sein. Mit dem Mantra: „Zuerst denuklearisieren, dann der Rest“ wird man nämlich in ein paar Jahren im Grundsatz immernoch genau da stehen, wo man heute ist.
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