Kritische Würdigungen der Wahrnehmung und des Umgangs mit dem Problem Nordkorea von Lankov und Yeo


Kürzlich habe ich mich ja etwas darüber echauffiert, dass viele Medien, politische Entscheidungsträger und Hilfsgruppen ihr Handeln gegenüber Nordkorea mehr auf emotionale Reflexe, dogmatische Meinungen und sachfremde Interessen aufbauen, als auf Fakten und Informationen. Das führt fast zwangsweise bei jeder der genannten Gruppen dazu, dass sie  schlechte Ergebnisse produzieren. Zu allem Unglück interagieren sie dabei und verstärken gegenseitig noch die Wirkung ihrer schlechten Arbeit, bzw. sie liefern sich gegenseitig Argumentationsfutter, dass die ganze Geschichte am Ende so aussehen lässt, als würde sie nicht auf kruden Bauchgefühlen oder Abneigungen beruhen sondern auf realen Fakten.

Ich scheine nicht der Einzige sein, den das nervt. In der letzten Woche sind nämlich zwei sehr interessante Artikel erschienen, die sich mit genau diesem Problemfeld auseinandersetzen, es etwas näher analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen. Andrei Lankov geht in dem Artikel „It’s not all doom and gloom in Pyongyang“ in der Asian Times kritische mit der Medienberichterstattung westlicher und Nordkorea-freundlicher Medien ins Gericht. Andrew Yeo hat sich auf 38 North der Politisierung der Menschenrechtsfrage in Nordkorea und der nicht wirklich wünschenswerten Folgen daraus gewidmet. Er beleuchtet also das Spannungsfeld zwischen Politik und Hilfsorganisationen und Menschenrechtsgruppen.

Andrew Yeo: Can’t we all just get along? The Politicization of North Korean Human Rights 

Yeo macht dabei deutlich, dass es seit Ende der 1990er Jahre zu einer Polarisierung zwischen Menschenrechtsgruppen und Hilfsorganisationen gekommen. Erstere versuchen von außen auf bestehende Probleme aufmerksam machen und das Regime in Pjöngjang so an den Pranger zu stellen, wofür nicht zuletzt die Tatsache verantwortlich ist, dass man in Nordkorea selbst nur sehr schwer als Helfer fungieren kann, ohne in irgendeiner Art Kompromisse zu machen und das Regime sogar indirekt zu stützen, was den betroffenen Menschen denen man ja helfen will, auch wieder schadet. Genau diesem Vorwurf sind Hilfsorganisationen ausgesetzt, die vor Ort agieren. Sie arbeiten oft im Stillen und sehen mitunter unmittelbare Hilfe als wichtiger an, als vollständige Transparenz und müssen in ihrer Arbeit eher pragmatisch vorgehen. Die Menschenrechtsgruppen ordnet Yeo eher dem konservativen Lager zu, während Hilfsorganisationen nach ihm eher im progressiven Bereich zu finden sind. Fatalerweise haben sich diese beiden Lager im vergangenen Jahrzehnt mit Abneigung gegenübergestanden, da auf Beiden Seiten die Wahrnehmung vorherrschte, dass es nur ein „entweder oder“ aber kein Miteinander geben könnte (Man kann nicht in Nordkorea arbeiten, wenn man auf der anderen Seite außerhalb des Landes eine Kampagne gegen das Regime fährt; Man kann die Menschenrechtsverletzungen des Regimes nicht beenden, wenn man es auf der anderen Seite stützt). Yeo sieht aber durchaus die Möglichkeit, beide Positionen miteinander zu vereinen und so ein kohärenteres und sich ergänzendes Handeln gegenüber Pjöngjang zu bewirken.

Nur am Rande wird erwähnt, dass sich die Gruppen im Rahmen ihres Konflikts gegenseitig in Misskredit gebracht haben (aufgrund von völlig unterschiedlicher Kommunikationsstrategien- und Zielen) und dass das im Endeffekt den Eindruck in Politik und Gesellschaft noch bestärkt haben muss, dass es einfach keinen gangbaren Weg im Umgang mit Nordkorea gebe. Diese unterschiedlichen Kommunikationsstrategien lassen sich übrigens noch immer recht gut beobachten und tatsächlich scheint es so, als müsse man eine Entscheidung treffen, welcher Argumentation man folgt. Hilfsgruppen agieren mit menschelnden Bildern von Hungernden und Armen, um so das individuelle Leid der Menschen ins Blickfeld zu Rücken. Wenn Menschenrechtsgruppen Bilder zeigen, dann Satellitenaufnahmen, denn da erkennt man den Einzelnen ja nicht, sondern nur das große Bild. Man agiert mit oft eher technisch klingenden Argumentationslinien, in denen gerne auch mal Zahlen vorkommen können. Interessant ist dabei der Sonderfall Hunger. Denn da ist die Zahl ja ziemlich direkt mit dem Einzelschicksal verbunden und es gäbe (im Gegensatz zu bspw. den Gefangenenlagern) auch ein einfaches Mittel das Problem zu lindern, nämlich Nahrungsmittelhilfen. Hier agieren beide Seiten mit Zahlen, nur dass wie auf dem Markt, die eine Seite möglichst hoch ansetzt und die andere möglichst niedrig. Wie gesagt, im Endeffekt ist keine Seite wirklich glaubwürdig und geholfen ist damit niemandem.

Andrei Lankov: It’s not all doom and gloom in Pyongyang

Auch in Lankovs Artikel spielt ein Meinungsgegensatz eine gewisse (wenn auch keine überragende) Rolle. Er stellt pro-Pjöngjang und westliche Medien gegenüber. Es hätte beide kein wirkliches Interesse daran, die Wahrheit zu schreiben, sondern würden sich aus verschiedenen Gründen in die Tasche lügen. Besonders hart geht er dabei mit unseren Medien ins Gericht. Das Dogma unserer Medien sei, dass

things can only go from bad to worse in that unfortunate country. [sich die Dinge in diesem unglücklichen Land nur von schlimm zu schlimmer entwickeln können.]

Dies sei aber ganz und gar nicht wahr. Dazu führt er drei Beispiele an, von denen ich allerdings nur zwei für hundertprozentig sinnvoll halte. Das Eine ist ein Bericht der (konservativen) Heritage Foundation in Zusammenarbeit mit dem Wall Street Journal. Dabei ging es um die Entwicklung der wirtschaftlichen Freiheit in Nordkorea in den letzten fünfzehn Jahren. Anhand einer Grafik wurde die ökonomische Freiheit dargestellt und ihr dürft raten, welches die einzige Richtung ist, die die Kurve kennt. Dass das totaler Quatsch ist erklärt Lankov recht eingehend ist aber auch für jeden offensichtlich, der sich beispielsweise an die Reformen von 2002 erinnert. Das zweite Beispiel ist die Lebensmittelsituation. Lankov sagt/postuliert, die habe sich stetig gebessert. Ich weiß nicht ob das stimmt. Natürlich gab es da einige Horrorschlagzeilen in letzter Zeit. Aber die basierten eben auf Zahlen von UN-Organisationen, was Lankov zu erwähnen vergisst. Naja, da weiß ich nicht was ich von halten soll. Ein gutes und spannendes Beispiel finde ich dagegen die Menschenrechtssituation. Lankov behauptet, hier habe es in den letzten 20 Jahren eine stetige Besserung gegeben und nennt als Beispiel die weitgehende Abschaffung der Sippenhaft. Hiervon hört man tatsächlich in westlichen Medien nie etwas. Da gibt es dann eher Luftbildaufnahmen von denen keiner mit Sicherheit sagen kann was sie zeigen garniert mit alten Zahlen von Lagerinsassen, die als neu verkauft werden.

Was mir in Lankovs Artikel ein bisschen fehlt, ist die Antwort auf die Frage, warum es nach unseren Medien in Nordkorea immer nur schlechter werden kann. Ich habe darauf leider auch keine richtige Antwort, aber wenn man die hätte, dann könnte man das (mediale) Problem etwas analytischer angehen.

Wichtiger erster Schritt zu reflektiertem Verhalten

Ich finde es gut und interessant, dass in der letzten Zeit im akademischen Bereich das Problembewusstsein über die Wahrnehmung Nordkoreas in unseren Medien und Gesellschaften zuzunehmen scheint (ich messe das einfach mal an der steigenden Zahl von Beiträgen, die mir dazu in letzter Zeit unterkommen). Der nächste Schritt wäre dann nur noch, dass die genannten Akteure ein ähnliches Problembewusstsein entwickeln und reflektierter an das Thema Nordkorea herangehen.

Rüdiger Frank zur Parteikonferenz und der möglichen Position Kim Jong Uns im nordkoreanischen Regime


Gestern Abend habe ich zufällig ein sehr interessantes Interview der Deutschen Welle mit Rüdiger Frank gehört (Das Interview fängt im Podcast etwa bei 4 Minuten und 10 Sekunden an). Dabei ging es hauptsächlich um die bevorstehende (oder gerade stattfindenden) Parteikonferenz der PdAK (zu dem Begriff und seiner Abgrenzung gab es kürzlich einen sehr informativen Artikel von Andrei Lankov in der Korea Times) in dessen Zuge viele Beobachter erwarten, dass Kim Jong Un, der vermutete Nachfolger Kim Jong Ils ans Licht der Öffentlichkeit tritt. Professor Frank hat bei dem Interview einige meiner Meinung nach sehr interessante Punkte in die Diskussion eingeführt, die vor lauter Kim Jong Un Gerede und Spekuliererei kaum beachtet wurden (auch von mir nicht).

Er stellt die Frage nach der „Funktion“, die Kim Jong Un in Nordkoreas Ideologie und Propaganda einnehmen könnten. Während vor allem Kim Il Sung und Kim Jong Il (aber auch Kim Jong Suk) feste Positionen in der Ideologie einnähmen, wäre für Kim Jong Un kaum ein Platz vorstellbar, so dass Rüdiger Frank aus Sicht des Regimes eher eine kollektive Führung als rational sähe, die zwar eine Führungsfigur haben könnte, aber eben keine ideologisch erhöhte. Auch ansonsten liefert das Interview einige interessante Standpunkte, aber am besten ihr hört es euch selbst an (ihr könnt es auch nachlesen, aber beim Durchlesen ist mir aufgefallen, dass bei der Transkription einiges verloren ging. Zum Beispiel die schöne Bezeichnung „Kim Il Sung und sein Prophet Kim Jong Il, die er später nochmal näher ausführt.).

Bei der Suche nach dem Interview hab ich auch noch ein aktuelles Gespräch mit dem internationalen Sender Russlands gefunden, dass einen eher allgemeinen Ausblick auf die aktuelle Situation Nordkoreas gibt und das – auch wenn es nicht viel Neues gibt – trotzdem interessant anzuschauen ist.

Warum es für Nordkoreas Regime rational ist die eigene Wirtschaft zu zerstören: Tolle Analyse von Andrei Lankov


Neben den außenpolitischen Eskapaden des Regimes in Pjöngjang stellen sich vor allem hinsichtlich der künftigen Entwicklung Nordkoreas einige wegweisende Fragen. Einerseits steht in den nächsten Jahren ein Führungswechsel, höchstwahrscheinlich von Kim Jong Il auf seinen Sohn Kim Jong Un an, der einen entscheidenden Moment für die Stabilität des Regimes markieren dürfte, andererseits ist in den letzten Jahren ein Richtungswechsel in der Wirtschaftpolitik des zu vermerken, dessen Ausrichtung immer deutlicher wird. Zu beiden Themen habe ich hochinteressante Artikel gefunden, die ich euch kurz präsentieren müsste (eigentlich habe ich nur einen Artikel gefunden. Auf den von Lankov hat mich nämlich Michael aufmerksam gemacht. Danke dafür!).

Pyongyang Strikes Back: North Korean Policies of 2002–08 and Attempts to Reverse “De-Stalinization from Below”

Der Artikel, den Andrei Lankov schon vor etwa einem Jahr veröffentlicht hat, beschäftigt sich mit der wirtschaftlichen und abhängig davon der gesellschaftlichen Ausrichtung des nordkoreanischen Staates. Dabei schlägt Lankov den Bogen zurück bis zum Anfang der 1990er Jahre (kurz beschreibt er auch das System zuvor, aber sein Hauptaugenmerk liegt auf dieser Zeit) und beschreibt die gesellschaftlichen Veränderungen, die von der schweren Wirtschaftskrise, die Mitte bis Ende dieses Jahrzehnts um sich griff, ausgelöst wurden. Dabei beschreibt er das Entstehen eines „grassroots-capitalism“, eines privatwirtschaftlich organisierten Versorgungssystems, dass die mehr und mehr versagende staatliche Versorgung ersetzte und darüber hinaus auch zu einer Versorgung mit Gütern führte, die das staatliche System nie geliefert hatte. Dadurch ging einerseits die Abhängigkeit vom und die Kontrolle durch den Staat zurück, andererseits nahmen das Wissen über die Umstände im Rest der Welt (und damit eine realistischere Selbsteinschätzung der Bevölkerung) und der Austausch mit China zu. Der Staat duldete die entstandenen Strukturen, da sie die Grundversorgung der Bevölkerung sichern halfen und legitimierte sie sogar mit den Maßnahmen vom ersten Juli 2002. So weit so bekannt. Wer sich schonmal ein bisschen mit Lankov auseinandergesetzt hat weiß, dass er den Begriff des grassroots-capitalism geprägt hat und dass es daher auch nicht überraschend ist, dass sein Artikel darauf aufbaut. Interessanter und vor allen Dingen neuer ist die Bewertung der Entwicklungen seit dem Jahr 2004, die Lankov abgibt. Hier zeichnet er ein Bild eines Regimes, das vor allem durch eine positive außenpolitische Situation auf mehr „eigene“ Ressourcen zurückgreifen kann und daher keine Notwendigkeit mehr sieht, die Strukturen des grassroots-capitalism weiter zu dulden. Dementsprechend hat Pjöngjang seit 2004 (nur teilweise erfolgreich) begonnen die vollzogenen Veränderungen rückgängig zu machen. Da der Artikel wie gesagt im Sommer 2009 erschienen ist, sind die Währungsreform, sowie die Äußerungen nordkoreanischer Offizieller und das Vorgehen hinsichtlich des Kooperationsprojekts am Kumgangsan nicht enthalten. Betrachtet man allerdings diese Maßnahmen, erscheinen sie wie eine Fortschreibung dessen, was Lankov in seinem Artikel beschreibt. Vermutlich enthält Lankovs Analyse nicht alle entscheidenden Faktoren, da beispielsweise innere Vorgänge des Regimes (Nachfolge!) nicht beachtet werden, aber das ist wohl auch nicht das Ziel des Autors und die Fragen die er stellt beantwortet er in einer weitsichtigen Manier. In seinem Ausblick gibt er dem Regime, sollte es gelingen, den Einfluss der Märkte weiter zu beschränken, gute Chancen weiter zu bestehen. Dabei sieht er wenig Möglichkeiten für externe Parteien wie die USA, Einfluss auf die Handlungen Pjöngjangs zu nehmen. Und hier finde ich, dass seine Analyse einen kleinen Mangel aufweist. Aus seiner Beschreibung geht nämlich – zumidest indirekt – hervor, dass das Regime den grassroots-capitalism nur zuließ, weil es keine andere Möglichkeit sah, die Bevölkerung zu versorgen und gleichzeitig den Eliten ein komfortables Leben zu garantieren. Würden externe Parteien eine solche Situation nochmal herbeiführen, würde es logisch erscheinen, dass es wiederum zum Aufblühen privatwirtschaftlicher Strukturen und dem weiteren Zufluss von Informationen käme, also gäbe es doch eine Möglichkeit externer Parteien Einfluss zu nehmen. Aber generell hat Lankov wie gesagt eine sehr weitsichtige und umfassende Analyse zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung des Landes verfasst.

Keeping Kim: How North Korea’s Regime Stays in Power

Das kurze PolicyBrief das vom Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Kennedy School veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit Strategien und Werkzeugen die das Regime in Pjöngjang nutzt um die eigene Macht zu erhalten. Das Regime wird dabei als grundsätzlich rational bei der Machterhaltung beschrieben und als Methoden zum Machterhalt werden der Aufbau eines Staatswesen, dass in seiner Anlage das Entstehen von oppositionellen Kräften, ob aus Politik oder Gesellschaft, unmöglich macht, die Ideologie, brutale Gewaltanwendung, die „Bestechung“ der Eliten und die Manipulation anderer Staaten genannt. Daraus ziehen die Autoren die Schlüsse, dass grundsätzlich Sanktionen, die auf die Eliten zielen als Mittel gegen das Regime dienen könnten, dass aber vor allem China und Südkorea eine Instabilität des Regimes so sehr fürchten, dass solche Sanktionen kaum effektiv durchgesetzt würden. Auch militärischen Optionen (der USA) werden kaum Chancen gegeben. Begrenzte Schläge würden zu einem neuen Aufleben des Nationalismus im Land führen und das Regime so eher stützen. Eine Invasion dürfte den USA zu riskant sein und ist daher ohnehin nicht zu erwarten. Kurze aber interessante Analyse die einige interessante Punkte zusammenführt. Scheinbar ist dies nur eine Zusammenfassung eines Artikels, der bald in der Zeitschrift „International Security“ erscheint. Mal sehen ob man den dann kostenlos lesen kann.

Viel Spass beim Lesen…

Interview mit Andrei Lankov von Bernhard Bartsch


Bernhard Bartsch hat es geschafft mit Andrei Lankov einen der interessantesten Gesprächspartner bezüglich Nordkoreas für ein Interview zu gewinnen. In diesem gibt Lankov seine Einschätzungen zu den Beziehungen zwischen China und Nordkorea ab und beschreibt dabei die Einflussmöglichkeiten Chinas auf Nordkorea und die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Entwicklung Nordkoreas nach chinesischem Vorbild. Außerdem reißt er kurz die zu erwartenden Szenarien bei einem Zusammenbruch des Regimes an. Das Ganze ist sehr lesenswert, wenn auch leider nicht sehr lang und einer der seltenen Fälle, zu denen man mal ein Interview mit einem Nordkorea-Spezialisten der ersten Reihe in deutscher Sprache zu lesen bekommt. Finden könnt ihr es hier.

Danke für den Hinweis Michael.

Zitierbares zu Nordkorea frei im Netz: E-books, Berichte, Newsletter (V, Kims Regime, Eliten und Stabilität)


Nachdem in der letzten Woche der Artikel über Möglichkeit und Unmöglichkeit von Wandel in Nordkorea einige Diskussionen hervorgerufen hat, die sich nicht zuletzt auf die Führungsstrukturen Nordkoreas bezogen, habe ich mir gedacht, dass es interessant wäre, ein paar Artikel und E-Books vorzustellen, die sich mit dem politischen System Nordkoreas und der Möglichkeit von Wandel in Nordkorea beschäftigen. Vorher ist zu sagen, dass keiner der Analysten wirklich mit Sicherheit sagen und erklären kann, wie die innere Dynamik des Regimes in Pjöngjang funktioniert. Allerdings gibt es einige Anhaltspunkte und Vermutungen, auf denen die Analysen beruhen und eine Lektüre einiger, oder aller vorgestellter Artikel erlaubt durchaus ein etwas tieferes Verständnis der inneren Strukturen des Regimes.

Ich werde im Folgenden versuchen, einen kleinen Ausschnitt der Erkenntnisse und Meinungen zu geben, die bezüglich der Art des nordkoreanischen Systems, seiner inneren Mechanismen und Vorgänge und der Perspektiven für seine Veränderung bestehen. Anfangen werde ich mit Arbeiten, die sich mit Art und Struktur des Regimes in Pjöngjang befassen.

Führungsstrukturen: Die Institutionen und der Führer

Andrew Scobell hat beim Strategic Studies Institute, einem Forschungsinstitut des US Army War College das sich mit geostrategischen Fragen befasst (und das eine Vielzahl interessanter E-Books zum kostenlosen Download anbietet, da macht es schonmal Spaß zu stöbern), „Kim Jong Il and North Korea: The Leader and his System“ veröffentlicht. In dem Büchlein von 2006 (etwa 40 Textseiten) versucht er zuerst den Typ des nordkoreanischen Systems zu identifizieren (Sein Ergebnis ist: „Totalitarismus“, worüber sich trefflich streiten lässt, aber das liegt nicht unbedingt an seiner Analyse, sondern an teils unscharfen Definitionen (welchen Totalitarismus-Begriff nimmt man zu Hand) und daran, dass es schwer ist, die Besonderheiten des nordkoreanischen Systems in bestehende Kategorien zu pressen.) beschreibt und analysiert dann eben jenen Besonderheiten, sowie die Herrschaftsstruktur und gibt abschließend einen kurzen Ausblick über die Perspektiven des bestehenden Herrschaftssystems.

Auch Kim Kap-sik beschäftigt sich in seinem Aufsatz: „Suryong’s direct rule and the political regime in north Korea under Kim Jong Il„, (ca. 20 S.) den er 2008 in Asian Perspective (die habe ich ja bei meiner Online-Zeitschriften-Liste schonmal vorgestellt) veröffentlicht hat mit den Führungsstrukturen in Nordkorea. Er charakterisiert das System dabei als „Suryong [„Führer“ Anm. von mir] Dominant Party State System“ was ein bisschen sperrig klingt aber im Endeffekt nur besagt, dass es sich um ein Parteisystem ähnlich dem das andere kommunistische Staaten hatten, handelt, das um das besondere Element eines darüberstehenden Führers erweitert wird. Während diese Strukturen formal seit den 1980er Jahren unverändert geblieben sind, habe sich in der Ebene unterhalb des Führers seit dem Amtsantritt Kim Jong Ils einiges getan. In der Praxis habe sich ein System der Rollenteilung zwischen Partei, Kabinett und Militär entwickelt. Abschließend gibt Kim einen Ausblick auf möglichen institutionellen Wandel in Nordkorea, an dessen Ende seiner Meinung nach eine Aushöhlung des Suryong-Systems stehen könnte. Wenn man sich an die vielen Abkürzungen gewöhnt hat gibt der Aufsatz einen schönen Einblick in die Machtmechanismen Nordkoreas. Hervorzuheben ist dabei, dass sich der Autor scheinbar auch recht ausgiebig dem Quellenstudium gewidmet hat und öfter mal aus den verschiedenen Versionen von Nordkoreas Verfassung, oder aus wichtigen Werken Kim Jong Ils zitiert.

Han S. Park vertritt in seinem Aufsatz „Military-First Politics (Songun): Understanding Kim Jong-il’s North Korea“ eine etwas andere Auffassung bezüglich der bestehenden Führungsstrukturen und der Art des Systems. Der etwa zehnseitige Artikel aus dem Jahr 2008, den er für das Korea Economic Institute geschrieben hat (hier findet man recht oft was Interessantes) legt seinen Fokus (wie der Titel schon nahelegt) auf Kim Jong Ils songun-Politik, einem vieldiskutierten Thema, bei dem sich die Forschung jedoch nicht wirklich einig darüber ist, welche Bedeutung songun in der Praxis zukommt. Park ist der Meinung, dass songun ein sehr bedeutendes Element der nordkoreanischen Ideologie geworden ist und so zur Stabilität des Systems beiträgt, jedoch ohne die tatsächlichen Machtstrukturen in einem solchen Ausmaß zu verschieben (hin zum Militär), wie das von manchen Analysten vermutet wird. Parks wirklich lesenswerte Arbeit stützt sich weitgehend auf Quellen aus Nordkorea und Gesprächen mit Funktionären, was das Ganze nochmal interessanter macht.

Wer etwas mehr Zeit hat und tiefer in die Materie eintauchen will, kann sich der Dissertation von Patrick McEachern zuwenden. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich sie bisher nur überflogen habe, da aber Einiges was er schreibt mit Annahmen von mir übereinstimmt, werde ich wohl demnächst mal versuchen mir die knapp 200 Seiten genauer anzuschauen. McEachern geht in: „Inside the red box: North Korea’s post-totalitarian Politics“ von der Grundannahme aus, dass in Nordkorea verschiedene Institutionen unterschiedliche politische Linien und Interessen verfolgen. Kim Jong Il und der innere Führungszirkel besäßen zwar die letztendliche Entscheidungsmacht, jedoch seien sie dabei von den Informationen der verschiedenen Institutionen abhängig (was die Entscheidung beeinflussen kann) und müssten letztendlich auch bei der Umsetzung der Entscheidungen auf diese Institutionen bauen (was die Resultat der Entscheidung beeinflussen kann). Dementsprechend beschreibt der Autor Kim Jong Ils Nordkorea als „decentralized post-totalitarian, institutionally plural state“ in dem vor allem Militär, Partei und Kabinett um Einfluss auf verschiedenen Politikfeldern rängen und ihre eigene Linie mehr oder weniger erfolgreich durchsetzen könnten. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass dieser Blick in die „red box“ den Schlüssel für alle politischen Vorgänge in Nordkorea liefern wird. Die Untersuchungsmethode der Quellenanalyse, bei der der Autor die Eliten-Medien, Reden und die alljährlichen Neujahrs-Editorials, hinsichtlich der politischen Linien in der Korea-, US- und Wirtschaftspolitik auswertet, dürfte zwar einige Erkenntnisse liefern, aber ich bezweifle, dass das reicht um die politischen Vorgänge im Inneren des Systems vollständig zu erklären. Aber wie gesagt, spannender Ansatz.

Nach diesem Blick auf einige Ideen zu den inneren Strukturen von Kim Jong Ils Regime – zwar gibt es große Unterschiede, aber wenn man sich die verschiedenen Arbeiten anschaut, fallen auch viele Parallelen auf – gibts im Folgenden zwei Arbeiten zu denen, die diese Strukturen tragen, den Eliten. Teilweise gibts auch hier Überschneidungen mit den vorherigen Aufsätzen und Büchern, aber der Fokus liegt auf den Eliten und der Eliten-Politik Kim Jong Ils.

Die Träger des Systems: Kim und seine Eliten

Jedem nur wärmstens empfehlen kann ich Jei Guk Jeons: „Kim Jong Ils balancing act in the ruling circle„, einen Aufsatz der im Third World Quarterly erschienen ist. Der sechzehn Seitige Artikel ist zwar nicht mehr ganz neu (2000), stellt aber sehr anschaulich verschiedene Bruchlinien innerhalb der Eliten, die Kims Regime tragen dar. Der Autor geht letztendlich (ähnlich wie McEachern) davon aus, dass verschieden Interessengruppen innerhalb der Eliten bestehen, die teilweise divergierende Ziele verfolgen. Kim Kong Il habe durch ein Bündel von Maßnahmen eine fragile aber bisher tragfähige Balance zwischen diesen Gruppen geschaffen, die seine Macht und seine Rolle als letzte Entscheidungsinstanz sicherten. Der Artikel gibt dem Leser einen interessanten Einblick über Kims Mittel zum Machterhalt gegenüber den Eliten des Landes.

Ausschließlich mit den Eliten beschäftigt sich „North Korean Policy Elites„, von Kongdan Oh und anderen, dass beim amerikanischen Think Tank Brookings zum Download bereitsteht, aber scheinbar im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums erstellt wurde. Die umfangreiche Aufsatzsammlung (288 Seiten) aus dem Jahr 2004 beleuchtet verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit den politischen Eliten Nordkoreas und hilft sich einen Überblick über dieses sonst recht selten behandelte Thema zu verschaffen. Es ist sowohl zum einfach mal so lesen, als auch zur speziellen Recherche zu den politischen Eliten wohl die beste Anlaufstelle.

Einen Blick über den Tellerrand versuchen die folgenden Publikationen zu werfen. Sie geben sich nicht damit zufrieden das Regime in Pjöngjang zu beschreiben, sondern wollen auch Möglichkeiten für Wandel oder den Status schon stattfindender Veränderungen identifizieren.

Und die Zukunft: Wie sich das System ändern könnte

Auch hierzu hat Andrew Scobell eine Arbeit beim Strategic Studies Institute veröffentlicht. In dem knapp 30 seitigen Aufsatz „Projecting Pyongyang: The Future of North Korea’s Kim Jong Il Regime“ von 2008 versucht Scobell den damaligen Status des Regimes kurz zu beschreiben um dann Faktoren herauszuarbeiten, die in Zukunft Einfluss auf seine Stabilität haben könnten. Wichtig ist dabei weiterhin, dass Scobell den möglichen Zusammenbruch des Regimes als Prozess, nicht als Ergebnis sieht. Schön finde ich in diesem Zusammenhang das Zitat eines japanischen Wissenschaftlers das er einbringt: „If we take the long view, the collapse of North Korea’s system has already begun.“ (Tja, auf die lange Sicht gesehen habe ich auch schon zu sterben begonnen… Vor über zwei Jahrzehnten! (Was mir das sagt? Nicht viel!)). Naja, jedenfalls beschreibt Scobell drei mögliche Szenarien für die Zukunft Nordkoreas (China: soft landing; Albanien: Erstarrung/Scheintod und Rumänien: crash landing) die er anschließend verwirft um für diesen Fall einen Hybrid aus den Dreien zu bilden (Kuba), den er als plausibelstes Zukunftsszenario sieht (während er momentan das albanische Modell für am besten passend hält). Während ich diesen mittleren Teil nur so mittelspannend finde, gefällt mir das was er im Fazit schreibt sehr gut. Er hat nämlich eine recht detaillierte Liste von Indikatoren für Wandel erstellt, die es sich wirklich anzuschauen lohnt und die in Teilen einen schönen Analyserahmen für die Vorgänge in Nordkorea bieten (Man kann sich quasi ne Abhakliste machen).

Auch Andrei Lankov beschäftigt sich mit der Stabilität des Regimes, sieht allerdings andere Faktoren als entscheidend an. In seinem Aufsatz „The Natural Death of North Korean Stalinism“ (27 Seiten, 2006) beschreibt er einen Wandel, der sich schon in Kims Regime vollzogen habe. Im Zuge der Hungerkatastrophe der 1990er Jahre habe es die direkte und umfangreiche Kontrolle über die Bürger in Teilen eingebüßt, es seien Märkte entstanden und auch die Informationsblockade sei brüchig geworden, so dass die Nordkoreaner ihre Situation realistischer einschätzen könnten. Damit sei das Regime in Pjöngjang schonmal nicht mehr als Stalinistisch zu beschreiben. Die einmal begonnene Entwicklung sei kaum mehr aufzuhalten und daher sei ein Kollaps des Regimes eine durchaus wahrscheinliche Zukunftsperspektive für Nordkorea. Lankovs Arbeit finde ich interessant, weil sie mehr die Bevölkerung des Landes in den Fokus nimmt und Prozesse, die dort ablaufen beschreibt. Ich habe zwar meine Zweifel, ob die von ihm beschriebenen Faktoren tatsächlich schon so weit gediehen sind und eine solche Sprengkraft entfalten können. Allerdings sollte man sie wohl auch nicht ganz außer Acht lassen.

Und um euch nicht ganz ohne deutsche Texte darben zu lassen (und natürlich nicht nur deswegen, aber ist halt manchmal schön was deutsches zu lesen), habe ich noch einen recht aktuellen von Patrick Köllner (einer der wenigen deutschsprachigen Forscher, die regelmäßig was zu Nordkorea veröffentlichen) dazugenommen. Köllner setzt sich in seiner kurzen (7 Seiten) Analyse „Nordkorea nach Kim Jong Il: Ein zweiter dynastischer Machtwechsel?“ aus diesem Jahr mit der Nachfolge Kim Jong Ils auseinander und betrachtet dabei besonders die Möglichkeit einer dynastischen Nachfolge Kim Jong Uns. Dabei kann sich der Autor eine erfolgreiche Nachfolge Kim Jong Uns gut vorstellen, zieht aber auch eine kollektive Führerschaft der herrschenden Eliten in Betracht. Während er einer ruhigen (wie auch immer gearteten) Machtübergabe recht gute Chancen einräumt, sieht er für einen langfristigen Machterhalt des Regimes eher schlechte Perspektiven. Wer eine aktuelle Bewertung lesen will, ist hier bestens aufgehoben.

So, dass war jetzt aber einiges und wer es alles lesen will, der hat ein bisschen was vor. Aber eigentlich lohnt sich die Lektüre aller Texte, aber am besten man schaut selbst obs einen interessiert und wenn nicht, wirds in ein paar Jahren ja immernoch irgendwo im Netz rumschwirren.

Interessanter Artikel von Andrei Lankov über nordkoreanische Heldenverehrung


Hab nicht viel Zeit heute, aber genug für eine kurze Leseempfehlung. Andrei Lankov, der öfter mal interessante Artikel zu nordkoreanischer Propaganda und Ideologie schreibt, hat mal wieder einen ebensolchen veröffentlicht. Der Beitrag in der Korea Times beschäftigt sich mit der nordkoreanischen Heldenverehrung. Lankov beschreibt die Geschichten von Yi Su-bok, An Yong-ae, Kil Yong-jo und Kim Kwang-chol. Die vier  haben sich durch ihre patriotischen Taten (ob sie sie wirklich begangen haben oder nicht sei mal dahingestellt) in das kollektive Gedächtnis des nordkoreanischen Volks eingeschrieben. Der erste warf sich im Koreakrieg heldenhaft in das Maschinengewehrfeuer angreifender Amerikaner und rettete so seine Kameraden (allerdings nicht ohne zuvor noch einen patriotischen Brief geschrieben zu haben, der heute noch zur Standardlektüre nordkoreanischer Schüler und Studenten gehört), die zweite gab, als tödlich verwundete Frontkrankenschwester einem Partei-Sekretär den Auftrag, auf ihre Partei Mitgliedskarte aufzupassen, der dritte lenkte seinen abstürzenden Düsenjäger weg von einer Stadt und konnte daher nicht mehr den Schleudersitz bedienen und der Vierte warf sich auf eine Granate, die bei einer Übung in die Mitte einer Gruppe von Soldaten viel. Natürlich muss man nicht mehr dazu sagen, dass alle vier zu Märtyrern wurden, aber da die Chuche-Ideologie ja einen quasi religiösen Charakter hat, der teilweise aus dem Kanon anderer Religionen entliehen ist, braucht man wohl auch Chuche-Märtyrer. Interessant auch, dass Geschichten 1 und 4 nahezu eins zu eins aus dem Heldenkanon der Sowjetunion übernommen sind. Naja, aber am besten ihr lest den Artikel einfach selbst.

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