So, nach einer Woche wird es aber mal Zeit, mich dem Themenfeld „Einheit vs Mauer in den Köpfen“ weiter anzunähern. Nachdem ich letztes Mal eher auf die Makroebene fokussiert und die großen historischen Linien in den Blick genommen habe, will ich heute auf die Mikroeben hinab (oder hinauf, das kann man so und so sehen) steigen und mir Barrieren und Chancen einer koreanischen Wiedervereinigung vom Individuum aus anschauen. Es wurde ja schon kräftig und inhaltlich interessant zum ersten Teil kommentiert und ihr werdet einige der dort aufgeführten Argumente auch in meinem Text widerfinden, danke jedenfalls an die Kommentatoren. Jetzt aber zum Thema.
Man kennt sich nicht. — Man mag sich nicht?
Eine Frage die immer wieder andiskutiert wird, wenn es um eine mögliche Wiedervereinigung Koreas geht, ist die, des Kontakts zwischen den Bevölkerungen. In Deutschland war ein gewisser Grad an Verbindung der Bevölkerungen der DDR und der BRD gegeben. Familienangehörige durften sich schreiben und sich zum Teil auch besuchen, BRD Bürger durften in die DDR einreisen, um dort Ferien oder sonstwas zu machen und es gab auch so ein bisschen was wie kulturellen Austausch (über Udo hinaus). Naja und jemandem, den man kennt, wünscht man eben eher das Beste, als völlig Fremden. In Korea dürfte in beiden Teilen die Zahl derjeniger, denen die Menschen auf der jeweils anderen Seite der Demilitarisierten Zone (DMZ) völlig fremd sind, erdrückend groß sein. Gleichzeitig stirbt die Generation, die Verwandte im anderen Landesteil hat, zunehmend schnell aus (was in Deutschland ebenfalls in keiner Weise gegeben war). Schon stark abgenommen haben dürfte ihr direkter Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs, denn die Meisten Mitglieder dieser Generation sind aus Berufsleben und Ämtern ausgeschieden. Die starke Bindung, die Verwandtschaftsverhältnisse mit sich bringen, wird allerhöchstens noch auf die Kinder dieser Menschen, deren Brüder und Schwestern jenseits der DMZ leben, wirken, weil die vielleicht noch aus erster Hand die Gefühle und Gedanken ihrer Eltern miterleben konnten. Aber die Enkelgeneration, also die heutige Jugend? Das kann man von ihnen ja nichtmal verlangen. Jetzt gehe ich vielleicht doch nochmal eine Ebene höher. Die Sozialpsychologie lehrt uns, dass das/der, was/den wir nicht kennen, bei uns schneller Ängste auslöst und das zwei Gruppen, die sich untereinander nicht kennen schneller feindselig gegeneinander werden. Die Perspektiven die sich daraus ergeben finde ich nicht gerade ermutigend.
Wir und ihr: Die Sprache als Grenze
Auch in den Sprachen sehe ich durchaus eine unsichtbare Mauer, die mit jedem Tag der hermetischen Trennung höher wird. Schon vor der Trennung gab es Dialekte, die eine regionale Zuordnung möglich machten und nach der Trennung gab es teils ideologische Bemühungen, die Sprachentwicklung in richtige Bahnen zu lenken. So versuchte man im Norden eine „Koreanisierung“ der Sprache, indem Lehnwörter zum Teil durch koreanische Formen ersetzt wurden. Wenn es heute Lehnwörter im Norden gibt, dann chinesische oder manchmal russische. In Südkorea sind wohl vor allem englische Wörter in den Alltagssprachgebrauch eingeflossen. Beide Sprachen haben sich also weiter auseinander entwickelt (aussagen über Grammatik etc. traue ich mir nicht zu) und dürften im Falle von einer Öffnung zu einer mentalen Gruppenbildung führen. In Deutschland war das z.T. ja auch so. Wir Wessis haben uns über manchen total verrückt klingenden sozialistisch korrekten Begriff aus der DDR amüsiert und was den Dialekt angeht: Für mich sächselte der „typische Ossi“ (was natürlich totaler Schwachsinn ist, weil damit nur eine Minderheit der ex-DDR Einwohner erfasst wurde. Aber der Punkt ist: Wenn jemand sächselte, war er ein „Ossi“. Naja und wenn in Korea jemand Pjöngjang-Dialekt spricht, dann ist er einer von denen aus dem Norden.
Die Angst vor den Anderen
Gleichzeitig bestehen aber auch verschiedene Ängste, die es umso schwerer machen, im Anderen den Menschen und nicht die Bedrohung zu sehen. Diese Ängste werden noch angefacht durch die Propaganda auf beiden Seiten der DMZ. Die sorgt dafür, dass man in beiden Teilen oft nur die Klischees von den anderen Koreanern kennt. Und die sind ja eher negativ als positiv (selbst wenn über diesen Klischees noch immer die Idee von einer Einheit in der Zukunft schwebt). Im Süden, so habe ich mir das einmal erklären lassen, war das historisch bedingt so ähnlich wie die Angst vorm bösen Wolf, der nach Belieben kommt und die friedlich grasenden Lämmer reißt. Mittlerweile wird dies Topos aber zunehmend verdrängt durch die Angst vorm armen Schlucker, der kommt und den hart erarbeiteten Wohlstand aussaugt. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass in der öffentlichen Diskussion immer wieder von den Kosten einer Wiedervereinigung gesprochen wird. Und spätestens als dann noch die Idee von einer Vereinigungsteuer diskutiert wurde, dürfte jedem klar geworden sein, dass eine Vereinigung für jeden Einzelnen mit Kosten verbunden ist. Und das ist dann etwas anderes, als abstrakt über Milliardenbeträge zu diskutieren, die eine Vereinigung kostet (das ist so ähnlich, wie die Geschichte mit Griechenland und dem Euro. Solange keiner kommt und ein Prozent vom Gehaltscheck für die Griechenlandrettung abzwackt, sagen ziemlich viele: „Lass uns die armen Griechen doch retten. Langfristig ist das besser.“ Wenn aber jetzt eine Steuer nötig würde, dann wäre die Lage mit einem Schlag anders.). Damit will ich nicht die südkoreanische Regierung für ihr herangehen an die Kostenfrage kritisieren. Ich will nur zeigen, dass wir in Deutschland das Glück des Unwissens hatten. Als der Soli fällig wurde, war eh schon alles „zu spät“. In Südkorea weiß man aber schon vorab, dass eine Einheit kommen kann (haben wir ja vorgemacht) und dass das was kosten wird (haben wir ja auch vorgemacht).
Das vertrackte Hauptstadtdilemma und die symbolische Tragweite
Einen weiteren Aspekt sehe ich in der Hauptstadtfrage. Als Deutschland geteilt wurde, hat man in der BRD die kluge Entscheidung getroffen, mit Bonn eine relativ unbedeutende Stadt zur Hauptstadt zu machen. Nicht Köln, nicht Frankfurt, nicht München oder Hamburg. Das beschauliche Bonn. Berlin blieb so eine Art Sehnsuchtsziel. Und es gehörte ja zum Teil auch noch irgendwie zur BRD. Zwar auch zum Teil irgendwie zur DDR, aber ich denke, das hat nicht nur getrennt, sondern auch verbunden. Viele BRD Bürger haben Berlin besucht und viele sind dazu durch die DDR gefahren. Es hat sicherlich mehr das Gefühl einer unnatürlichen Teilung mit sich gebracht, als eine schiere Grenzlinie, die man so ähnlich auch zwischen sehr verfeindeten Nachbarstaaten (oder den USA und Mexiko) finden kann. Viele BRD Bürger sind auch nach Berlin gegangen, um sich den Wehrdienst zu sparen. Das hat natürlich eine bestimmte Gruppe von Menschen dorthin gebracht, die zum Teil ohnehin zu idealistischeren Zielen neigte. Vielleicht hat sich so auch eine gewisser Kern von Einheitsbefürwortern gebildet, der die Vereinigung erleichterte. In Korea gibt es kein Berlin. In Korea gibt es Seoul und Pjöngjang. Beides sind die Metropolen ihres jeweiligen Landes. Wenn es zu einer Vereinigung kommen sollte, dann wird man sich für eine Hauptstadt entscheiden müssen (muss man das? Irgendwie schon, aber in Südafrika sind die Organe auch auf unterschiedliche Städte verteilt) und da steckt immer eine Aussage und viel Symbolik drin. Das Helmuth Kohl Berlin wieder zu einer richtigen Hauptstadt gemacht hat, war nicht leicht, aber vor allem war es ein wichtiges Einheitssymbol. Sollte Seoul Hauptstadt eines vereinten Koreas werden, wäre das ein Symbol der erfolgreich abgeschlossenen (mehr oder weniger feindlichen) Übernahme. Visionäre Politiker könnten sich vielleicht als symbolisches Zugeständnis einen neutraleren Ort vorstellen, aber mal ganz ehrlich, wäre sowas vorstellbar? Ich weiß es nicht. Jedenfalls bot der Sonderstatus Berlins den Deutschen eine hervorragende Lösung für das vertrackte Hauptstadtdilemma.
Noch ein Cut…
Habe ich was vergessen? Ich weiß nicht was es ist, aber ich bin mir sicher, es ist sehr viel. Das hat damit zu tun, dass man die konkreten Herausforderungen erst sehen können wird, wenn der große Augenblick gekommen ist (sollte er je kommen). Einen Aspekt habe ich allerdings noch auf dem Schirm, dem ich hier bisher wenig Beachtung geschenkt habe. Ich habe nämlich vornehmlich aus Südperspektive geschrieben. Aber natürlich leben auch im Norden ganzschön viele Menschen und natürlich haben die auch eine eigene Sicht auf eine Wiedervereinigung. Und damit komme ich zu dem erstaunlichen Ergebnis (als ich angefangen habe, wollte ich heute fertig werden), dass ich schon wieder einen Cut setzen muss und in ein paar Tagen eine „Nordperspektive“ versuchen werde.
Kritik, Diskussion und Meinung erwünscht
Bis dahin bin ich wieder mal für alle Ergänzungen, kritischen Kommentare und anderen oder gleichen Meinungen dankbar. Ich fand es toll, dass beim letzten Mal einige von euch ihre persönlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen geteilt haben und würde mich freuen, wenn es dieses Mal ähnlich wäre.
Filed under: Aktuelles, Gesellschaftliches, Südkorea und Nordkorea, Wirtschaftliches | Tagged: BRD, DDR, Deutsche Einheit, Nordkorea, Südkorea, Wiedervereinigung, Wiedervereinigung Koreas | 4 Comments »