Die Erfindung des „patient Containment“ — Reflektion zu Südkoreas Reaktion auf den Beschuss der Insel Yonpyong durch Nordkorea


Vor ein paar Tagen erschienen die Memoiren des ehemaligen US-Verteidigungsministers (2006 – 2011) Robert Gates, die bei uns unter anderem deshalb ein bisschen Aufmerksamkeit erzeugten, weil sie Barack Obamas Afghanistanstrategie mit sehr eindeutigen Worten als Fehlerhaft brandmarken. Aber das interessiert in diesem Kontext hier natürlich relativ wenig. Spannender ist da schon, was Gates über Korea schreibt. Das ist nämlich ein Stück weit dazu angetan, eine der einschneidenden Episoden der letzten Jahre auf der Koreanischen Halbinsel neu zu bewerten: Den Artilleriebeschuss der südkoreanischen Insel Yonpyong durch nordkoreanische Einheiten im Jahr 2010, durch den zwei südkoreanische Zivilisten und zwei Soldaten ums Leben kamen, bzw. die südkoreanische Reaktion auf diesen Angriff.

Der Angriff auf Yonpyong und die Folgen

Eigentlich hatte ich mich ja wirklich gefreut, den Namen Lee Myung-bak aus meinem Gedächtnis streichen zu können, aber das was Gates über die Zeit nach dem Beschuss der Insel zu berichten hat, finde ich dann doch so erwähnenswert, dass ich nochmal einen Blick auf die unselige Lee-Zeit werfen will:
Auf den Beschuss aus Nordkorea reagierte das südkoreanische Militär damals ja relativ moderat, indem es nur die nordkoreanischen Stellungen unter Feuer nahm, von denen der Beschuss erfolgt war. Auf weitere Vergeltungsaktionen wurde vollständig verzichtet und damit auch eine potentielle Ausweitung zu einem massiveren bewaffneten Konflikt verhindert. So wurden zwar die internationalen Ängste vor einem möglichen Kriegsausbruch gemindert, aber gleichzeitig sah Südkorea ein Stück weit wie der Verlierer des Zwischenfalls aus, vor allem weil es nicht gelang, zusammen mit den USA konsistente Antworten auf dem diplomatischen Parkett zu geben. Der Süden hatte durch seine Zurückhaltung zwar den Frieden gesichert (zumindest in dem Maß in dem er auch vorher auf der Insel zu finden war), aber sein Gesicht und seine Glaubwürdigkeit ein Stück weit verspielt. Der häufig polternde Lee sah aus wie ein zahnloser Tiger. Seine Strategie, die eigentlich auf Abschreckung und Eindämmung Nordkoreas abzielte, zeigte sich als vollkommen inkonsistent, denn eine Abschreckungsstrategie, die nicht glaubwürdig ist, weil sie auf Provokationen nicht wirklich reagiert, wirkt vermutlich fataler als garkeine Strategie.

Eine neue Perspektive auf die südkoreanische Reaktion

Wie das Buch von Robert Gates nun zeigt, war Lee Myung-baks Zurückhaltung jedoch nicht Resultat seiner Angst vor einem Krieg auf der Koreanischen Halbinsel oder irgendwelchen weitergehender Überlegungen, die auf diplomatische Lösungen des Konflikts abzielten, sondern allein auf Druck der USA zurückzuführen. Lees erster Ansatz der nordkoreanischen Aggression entgegenzutreten entspricht in ihrer Beschreibung durch Gates ziemlich genau dem, was ich von Lee erwartet hätte. Er beschreibt Lees ursprüngliche Pläne als „unangemessen aggressiv“. Eigentlich hätte er einen kombinierten Vergeltungsschlag aus Luftwaffe und Artillerie geplant gehabt, der über eine gleichstarke Antwort deutlich hinausgegangen wäre. Nach intensiver mehrtägiger Telefondiplomatie zwischen Washington und Seoul habe er aber davon abgesehen und sich mit dem unmittelbaren Gegenschlag gegen die nordkoreanischen Artilleriebatterien, die den Angriff geführt hatten, zufrieden gegeben. Gleichzeitig hätte auch die chinesische Führung aktiv darauf hingewirkt, dass die nordkoreanische Seite nicht für weitere Eskalation sorgte.

Lee Myung-bak: Einfach gestrickt, aber mit klarem Kompass

Die Informationen, die Gates Memoiren so indirekt über die Hintergründe der Krise liefern sind vielfältig. Einerseits bestätigen sie das Bild, das man später von Lee Myung-bak hatte. Nämlich, dass seine Ideen vom Umgang mit Nordkorea relativ einfach gestrickt und relativ aggressiv waren, dass er aber an ihre Richtigkeit wohl glaubte. Ohne die USA wäre seine Politik gegenüber Pjöngjang vermutlich noch eine Nummer härter gewesen. So wäre wohl die Abschreckungsstrategie Südkoreas intakter geblieben, als sie das durch das Wirken der USA nun ist. Über die Konsequenzen eines solchen Vorgehens zu spekulieren ist Blödsinn, aber die Spannweite dessen, was daraus hätte resultieren können, ist denkbar groß.

Die Erfindung von „patient Containment“: Wie aus zwei konsistenten Strategien eine kontraproduktive Wurde

Andererseits zeigt sich jedoch auch vieles über die Rolle der USA in diesem Konflikt. Ich hatte die Position der US-Regierung unter Obama ja häufig als schwach und eher von Südkorea gesteuert charakterisiert. Das lässt sich so wohl jetzt nicht mehr halten. Vielmehr resultiert die gefühlte Schwäche der USA gegenüber der Lee Administration wohl eher daraus, dass Washington viele Mittel darauf verwenden zu müssen glaubte, zumindest die radikalsten Vorhaben Lees zu abzufedern.
Gleichzeitig zeigt sich aber damit mal wieder ein Problem, an dem die Politik Südkoreas und der USA gegenüber Nordkorea schon seit Jahrzehnten krankt: Man zog anders als ich das wahrgenommen habe wohl doch nicht so ganz an einem Strang, verfolgte also, obwohl man diesen Anschein erwecken wollte, keine abgestimmte Strategie. Während die USA eigentlich gerne „strategic Patience“ gemacht hätten, hat Lee wohl eher auf „aggressive Containment“ gesetzt. Da man aber anders als in früheren Jahren nicht mehr zwei Strategien unabhängig voneinander fahren wollte, mischte man beides eher.
Das Ergebnis war denkbar schlecht: Man könnte es als „patient Containment“ charakterisieren: Man verhielt sich so, als wolle man den Norden aggressiv eindämmen und richtete auch seine Politik danach aus, aber immer wenn man diese Eindämmungsdrohung dann hätte einlösen müssen, schaltete man in den „patient-Modus“ und reagierte auf aggressives Verhalten Nordkoreas mit „besonnenem Nichtstun“. Dass die Folgen dieser Politik im Endeffekt so bescheiden geblieben sind, wie sie eben geblieben sind ist kein Wunder. Vermutlich hätte jeder der beiden Ansätze für sich genommen zu besseren Ergebnissen geführt und sogar ein Nebeneinanderher der beiden Strategien hätte nicht so fatal geendet, wie diese zahnlose Eindämmungspolitik.

Korea als Relikt des Kalten Krieges: Es wird wieder riskanter

Mit einer letzten kleinen Beobachtung möchte ich diese Reflektion schließen: Wenn man sieht, wie sehr die USA die Politik Südkoreas in so einem entscheidenden Moment beeinflussen konnten, zeigt dies doch erstaunlich deutlich, wie abhängig Südkorea nach wie vor von den USA ist und wie stark sich Südkoreas konservativer Präsident Lee in das Gefolge des großen Verbündeten gestellt hat (Gates erwähnt unter anderem auch Lees Vorgänger Roh, den er nicht mochte, weil der anders als Lee die Präsenz der USA als Sicherheitsrisiko wahrnahm und das auch offen sagte). Mitunter könnte man sagen, dass die nordkoreanischen Vorwürfe an die Führung in Seoul, man sei ein Vasallenstaat von Gnaden der USA nicht vollkommen aus der Luft gegriffen sind. Wenn es den USA wichtig genug ist und sie diplomatisch intervenieren wollen, dann sind die durchaus in der Lage, Südkoreas politische Richtung zu steuern.
Gleichzeitig zeigt sich hier auch, dass Korea tatsächlich ein Relikt des Kalten Krieges ist, denn ihren Interessen entsprechend intervenieren hüben wie drüben mächtige Verbündete, um das politische Wirken der kleinen Brüder den eigenen Interessen entsprechend zu lenken. Bisher zielten zum Glück die Interessen der USA und Chinas tendentiell eher auf friedliches Miteinander ab. Sollte sich das allerdings irgendwann ändern, dann wird das auch negative Folgen für beide Koreas haben. Daher wäre es wohl im Interesse beider Koreas, ein Stück weit politische Unabhängigkeit von den großen Brüdern zu gewinnen, um nicht im Fall von massiveren Spannungen als Stellvertreter herhalten zu müssen.

Clinton fordert Myanmar auf, die Militärbeziehungen mit Nordkorea zu beenden — Containment-Strategie?


Seit gestern ist US-Außenministerin Clinton ja in Myanmar zu Gast und sprach dort neben Aung San Suu Kyi auch mit dem neuen (zivilen) Präsidenten Thein Sein (ja, tatsächlich gab es nicht nur Symbolpolitik sondern auch was „handfestes“). Ihm gegenüber erklärte sie auch, welche Schritte die USA für eine Verbesserung der Beziehungen (man überlege wieder einen Botschafter ins Land zu schicken und vor allem nach weiteren Reformen die Sanktionen zu lockern) beider Staaten erwartete.

Clintons Forderungen an Myanmar: Ein Punkt lässt aufmerken

Bis auf einen Punkt klingt die Liste nach den Standardforderungen gegenüber autoritären Staaten, mit denen die USA ein eher gespanntes Verhältnis haben:

  • Weitere demokratische Reformen
  • Freilassung politischer Gefangener
  • Ende der Unterdrückung und des militärischen Vorgehens gegen ethnische Minderheiten

Wie gesagt: Das kann man auf sehr viele Länder anwenden. Der vierte Punkt dagegen ist viel spezieller und man kann sich wohl mit Recht fragen, wer eigentlich das Ziel der Forderung:

Nordkorea als Ziel

Es ist ja nichts Neues, dass schon seit Jahren teils mehr teils weniger fundierte Gerüchte über eine Zusammenarbeit Nordkoreas und Myanmars beim Raketen- und Tunnelbau und hinsichtlich eines vorgeblichen Nuklearprogramms durch die Weltmedien geistern und dass hin und wieder ein nordkoreanisches Schiff auf dem Weg nach Myanmar kehrt macht, um nicht von der US-Marine gefilzt zu werden. Was genau an all den Gerüchten dran ist, weiß allerdings keiner so genau (wobei die Behauptungen hinsichtlich eines Nuklearprogramms doch sehr dünn sind). Das alles ist zwar irgendwie besorgniserregend, aber es ist wohl für die USA nicht grundsätzlich so gefährlich, dass eine Zusammenarbeit mit Nordkorea einer Verbesserung der Beziehungen mit Myanmar im Wege stände. Warum also diese Forderung?

Ich glaube man ist sich in den Washington bewusst, dass Myanmar bereit ist, einiges für verbesserte Beziehungen mit den USA zu tun. Das wollte man ausnutzen, um Nordkorea eine potentielle Finanzquelle abzuschneiden und einen Freund abspenstig zu machen. Die Forderung hinsichtlich Nordkorea war sozusagen ein Gimmick, dass die USA forderten und das Myanmar erstmal nicht viel kostete (schließlich wurde die Kooperation ohnehin zusehends schwerer in den vergangenen Jahren und vielleicht hat man in Naypidaw auch schon im Wesentlichen das Know-How oder die Waren von Nordkorea bekommen, die man haben wollte. Naja, auf jeden Fall zielte die Forderung Clintons wohl mehr auf Nordkorea ab, als auf Myanmar.

Ein unfreundlicher Akt, der ins große Bild passt

Ein solcher Akt ist natürlich grundsätzlich nicht besonders freundlich, also wenn man offensiv versucht, einen Staat von Freunden und Geschäftspartnern zu isolieren. Wenn man dann weiter überlegt, was die USA mit diesem Vorgehen bezwecken könnten, dann passt das schon irgendwie ins große Bild. Wenn man sich das Agieren Washingtons und Seouls (ich werfe beide jetzt mal in einen Topf, immerhin stimmen sie sich momentan extrem eng ab, wenn es um Nordkorea geht) in der letzten Zeit genauer anschaut, dann gibt es durchaus einiges mehr, was in eine interessante Richtung weist.

Liste der „Unfreundlichkeiten“

Abgesehen von fruchtlosen Gesprächen, bei denen klar ist, dass sie zu keinem Ergebnis kommen, da man absolut null kompromissbereit ist (natürlich auf beiden Seiten, aber ich betrachte momentan nur die der USA), gibt es aus Washington eigentlich nur Signale die eher konfrontativ sind und nicht kooperativ. Eine kleine Liste der letzten Monate:

Das offensive Containment der USA

Das Bild das ich hier sehe, würde ich als eine Art offensive Containment-Politik (bzw. Eindämmungspolitik) gegenüber Nordkorea beschreiben, womit ich wieder bei obengenanntem Artikel aus der American Interest bin, denn der Autor empfiehlt eine Politik des „Hard Containment“ gegenüber Nordkorea. Warum ich dieses Bild sehe? Die USA versuchen Nordkorea international zu isolieren und es von möglichst viel realem und diplomatischem Kapital abzuschneiden, sie versuchen das Regime auch mit politisch nicht besonders korrekten Maßnahmen wie der Vorenthaltung von Hilfen zu schwächen und sie stärken verbündete Staaten in der Region militärisch, geben außerdem eigene militärische Rückendeckung und diplomatische Unterstützung. Kurz, man zieht alle Register um Pjöngjang von außen zu schwächen und in eine Ecke zu treiben.

Ziel dieser Politik dürfte es sein, dass das Regime in Pjöngjang entweder alle Forderungen, die die USA und Südkorea an es richten erfüllt, oder das sich die politischen Bedingungen in Nordkorea grundlegend ändern (indem das Regime kollabiert). Einerseits finde ich es erstaunlich, dass diese Politik vom freundlichen Barack Obama betrieben wird und andererseits frage ich mich natürlich, wie Pjöngjang damit umgehen wird, denn nach und nach die Lebensfäden abgeschnitten zu bekommen, dass kann Kim Jong Il und seinem Regime nicht gefallen. Wie ich bereits zuvor gesagt habe, hoffe ich, dass man in Washington und Seoul auch auf die Reaktionen Pjöngjangs vorbereitet ist.

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