Der Kitt des Regimes — Warum Nordkoreas Eliten zusammenhalten


Die Geschehnisse rund um den Sturz und die darauf folgende Hinrichtung Jang Song-thaeks haben mich in letzter Zeit öfter mal zu einer Frage im Zusammenhang mit der Stabilität des Regimes geführt. Ich gehe davon aus, dass die Stabilität des Regimes zumindest aktuell nicht von unten, sondern nur von außen oder von innen gefährdet werden kann. Über das Thema der Bedrohung von außen schreibe ich ja eigentlich relativ oft; Die Thema eines Konfliktes im Inneren umgehe ich dagegen meistens. Das erklärt sich damit, dass es sich einfach um ein sehr spekulatives Ding handelt. Eigentlich zeigen sich uns ja nur die extremsten Symptome eines inneren Konfliktes, nämlich dann, wenn sowas wie mit Jang Song-thaek passiert. Aber selbst dann wissen wir eigentlich kaum etwas. Zwar sind wir informiert, dass Jang gestürzt und hingerichtet wurde, wir wissen aber nicht warum und wer genau die anderen Akteure des Konfliktes waren. Uns ist also im Endeffekt überhaupt nicht klar, wo die Konfliktlinien liefen oder laufen. Wir wissen nur, dass es sowas gegeben haben muss.

Die Eliten halten zusammen

Allerdings ist außerdem zu attestieren, dass die Eliten trotz des Konfliktes, den es gab oder gibt nach außen hin weiter zusammenhalten. Wenn es Brüche gibt, dann sieht man sie von außen nicht. Nach während und vor der Hinrichtung Jangs, konnten wir von außen neben den Vorgängen um Jang nur beobachten, dass das Regime im „buiseness-as-usual-Modus“ arbeitete. Es sah nichts nach großen Verwerfungen aus, sondern als sei das was da gerade passierte ganz normaler Alltag. Ich habe in meinem Artikel nach den ersten Gerüchten um Jangs Sturz einige Punkte identifiziert, die Verwerfungen im Regime gezeigt hätten. Aber nichts davon ist eingetreten. Es gab keine inkonsistenten politischen oder medialen Aktionen und es sind auch keine nennenswerten Absetzbewegungen hochrangiger Funktionäre festzustellen gewesen. Es sind sogar Botschafter, die in Verbindung mit Jang gestanden haben und abberufen wurden brav wie Opferlämmer nach Pjöngjang heimgekehrt. Da fragt man sich doch: Was ist denn der Kitt, der dieses Regime zusammenhält. Was sind die Faktoren, die dazu führen, dass kaum hochrangige Funktionäre ausscheren und trotz wirtschaftlicher Misere, ideologischer Desillusionierung und schlechten Zukunftsperspektiven für Regime und Land, nicht wirklich ein Auseinanderdriften der Führungsschichten zu verzeichnen ist?

Der Kitt des Regimes

Eigentlich kann man von außen nicht beobachten, was diesen massiven Bunker, den das Regime darstellt eigentlich so massiv macht, aber man kann versuchen es sich abzuleiten, denn einige Eigenschaften des Regimes sind ja durchaus bekannt.

Überzeugung:

In den frühen Jahren des Regimes vor allem unter Kim Il Sung dürfte ein großer Teil der Eliten tatsächlich überzeugt gewesen sein, dass sie für eine gute Sache arbeiten und dass die Maßnahmen, die das Regime ergriffen hat gerechtfertigt waren um das gute Ziel zu erreichen. Das dürfte sich mittlerweile jedoch geändert haben, da Realität und Ansprüche kaum mehr zusammenpassen und Ankündigungen und Behauptungen ebenfalls nicht den real existierenden Bedingungen entsprechen. Nichts desto trotz kann es durchaus sein, dass einige Mitglieder der Eliten tatsächlich noch vom langfristigen Sieg des Juche-Sozialismus überzeugt sind.

Ideologie:

Eng verbunden mit Überzeugungen, aber nicht das Gleiche ist der Faktor Glaube. Das Regime in Pjöngjang hat mit der Juche-Ideologie sozusagen eine festgeschriebene Glaubensgrundlage, die einem religiösen Denksystem ziemlich nahe kommt. Wenn man daran glaubt, dann ersetzt das, ähnlich wie bei anderen Religionen ein Stück weit die Notwendigkeit rationaler Begründungen und Motivationen. Wer also der Ideologie glaubt und ich denke es ist garnicht so einfach das nicht zu tun, wenn man es von Kind an eingebläut bekommt, der handelt vielleicht nicht so rational und trägt das Regime mit, obwohl er es eigentlich besser wissen müsste.

Angst:

Einen nicht unwesentlicher Grund für das Regime zu arbeiten dürfte auch die Angst vor den Konsequenzen darstellen, wenn man das nicht täte. Einerseits dürfte auffälliges Verhalten sehr schnell zu einer Gefahr für Leib und Leben desjenigen sein, der dieses Verhalten an den Tag legt. Daher wird er sich bemühen, so konform wie möglich zu erscheinen, um auf garkeinen Fall aus dem Kollektiv herauszustechen. Gerade der Sturz Jang Song-thaeks zeigt, dass vor dieser Gefahr weder mächtige Freunde noch eigene Macht schützen. Im Gegenteil, mächtige Freunde und eigene Macht sind auffällige Attribute.
Andererseits kann man sich dem nur schwer durch Flucht entziehen. Es gibt wohl kaum jemanden, der keine anderen Menschen kennt, die er beschützen möchte. Durch Flucht erreicht jeder das Gegenteil: Er bringt seine Lieben in Gefahr.

Privilegien:

Als Gegenpol zu diesem allgegenwärtigen Bedrohtsein bietet das Regime den Eliten aber auch eine Entschädigung:  Sie haben kein so schlechtes Leben wie diejenigen, die nicht zu den Eliten gehören und je loyaler sie zu der Führung stehen, desto besser wird das Leben, jedenfalls dann, wenn sie sich der Führung als nützlich erweisen. Beides — also Angst und Privilegien — zusammengenommen könnte man von einem recht einfach gestrickten Anreiz- und Disziplinierungsprogramm sprechen. Wer sich wohlverhält wird belohnt, wer aus der Reihe fällt wird bestraft.

Persönliche Schuld:

Ab einer bestimmten Ebene dürfte es im Regime vermutlich kaum mehr jemanden geben, der nicht individuelle Schuld auf sich geladen hat und das auch weiß. Wenn er nicht aus Überzeugung oder ideologisch festgelegt, dass der Zweck die Mittel heilige, muss er mit dieser Schuld klarkommen. Das mag für einige leichter gehen als für andere, aber viele wollen dieser Schuld vermutlich einen Sinn geben, was wiederum dazu führt, dass sie sich dem Regime nicht entgegenstellen können, wenn sie nicht die Schuld die sie auf sich geladen haben sinnlos machen wollen.
Daneben hat die Schuld aber auch eine materiellere Wirkung: Solange das Regime in seiner aktuellen Form existiert, wird es alle schuldigen Mitglieder davor schützen, zur Verantwortung gezogen zu werden. Jedes andere mögliche System birgt eine gewisse Unsicherheit darüber, ob man weiter straflos bleibt.

Keine „bessere“ Option:

Eng damit zusammenhängend ist die Frage, was die Alternativen zum jetzigen Regime für seine Träger bedeuten. Jeder Träger des Regimes wird sich ja potentiell nur in den Gegensatz zur Führung begeben, wenn er glaubt, sich besser zu stellen. Ein rechtsstaatliches System ist für die Meisten aufgrund ihrer Schuld wohl uninteressant. Sie müssen fürchten zur Rechenschaft gezogen zu werden und das ist keine Besserstellung. Andere Alternativen unterscheiden sich dann jedoch nicht wesentlich von der aktuellen. Höchstens wäre es möglich, dass einzelne denken, sie könnten durch eine solche Änderung mehr Privilegien und weniger Angst erlangen. Aber der Weg dorthin ist riskant und die Konsequenzen eines Scheiterns denkbar negativ. Daher dürfte sich ein bedeutender Teil der Träger des Regimes keine bessere Alternative als den aktuellen Zustand vorstellen können.

Was daraus folgt

Wenn man sich das alles so anguckt, ergeben sich daraus zwei Erkenntnisse.
Zum einen ist die Gewalt und das Unrecht, dass das Regime begeht eine zentrale Stütze, ohne die es vermutlich nicht bestehen können. Dieses Unrecht wirkt einerseits indem es die Eliten einschüchtert, andererseits aber auch indem es sie in das Unrecht verstrickt und ihr individuelles Wohl so an das Fortbestehen des Regimes kettet. Den Schluss den man daraus ziehen muss: Für das Regime ist ein Ende von Terror und Unrecht im eigenen Land nicht von Interesse. Das würde den Zusammenhalt schwächen und die Stabilität gefährden.
Zum anderen ist es aber auch von außen kaum möglich, diesen Zusammenhalt aufzubrechen. Die meisten Faktoren die den Zusammenhalt bestimmen werden durch das System selbst produziert und bieten kaum Ansatzpunkte von außen. Man könnte versuchen, die Anreize des Regimes für Loyalität zu übertreffen, das dürfte aber schwierig sein, denn es liegt ja auch noch die Drohung der Strafe für nichtloyalität auf dem Tisch. Außerdem dürften die Anreize des Regimes nicht eben gering sein und es ist wohl auch garnicht so einfach, den Einzelnen Angebote zu machen. Daneben bleibt eigentlich nur noch die Möglichkeit, den Trägern des Regimes bessere Alternativen für ihre individuelle Zukunft zu bieten. Das wiederum würde aber bedeuten, dass man nicht nur anbieten muss, dass sie für ihre individuelle Schuld (und auch für die kollektive des Regimes) nicht zur Verantwortung gezogen werden, sondern dass sie danach auch noch ein gutes Leben führen werden. Ein solches Angebot wäre vermutlich vor dem Hintergrund des internationalen Rechts und der Menschenrechte schlicht nicht vorstellbar, bzw. nicht glaubwürdig.

Ernüchternder Ausblick

Ein ernüchterndes Urteil, aber ich glaube, dass das Regime in Pjöngjang vor dem Hintergrund des Weges, den es eingeschlagen hat keine Interessen hat, sich in näherer Zukunft zum Positiven zu Wandeln. Unrecht und Gewalt sind zentrale Konstituenten seiner Stabilität geworden und ein Wandel hin zu einem rechtsstaatlichen und Menschenrechte anerkennenden System ist höchsten sehr langfristig und sehr graduell denkbar. Gleichzeitig gibt es für Akteure außerhalb des Regimes kaum Möglichkeiten, den Zusammenhalt der Eliten zu zerstören. Will man von außen also einen Wandel bewirken, muss man andere Optionen wählen oder weiter mit dem Regime leben und hoffen, dass es zu einem Volksaufstand oder unvorhergesehenen Veränderungen im inneren kommt.

Die Ämterrotation geht weiter: Jang Song-thaek baut seine Machtbasis als Nummer zwei aus


Es geht mit riesigen Schritten auf das mit Spannung erwartete Treffen des Politbüros Nordkoreas Anfang September zu, von dem viele eine Weichenstellung für die Machtübergabe Kim Jong Ils an seinen Sohn Kim Jong Un erwarten. Derweilen geht auch die Ämterrotation innerhalb der Führungsspitze weiter, allerdings momentan ohne überraschende Todesfälle oder ähnliches. Vermutlich legt man so kurz vor dem mutmaßlich bedeutenden Treffen eher Wert auf eine konstruktivere Umgestaltung. Dementsprechend gibt es Berichte, dass mit Pak Pong-ju ein altbekanntes Gesicht wieder in die oberste Spitze aufgerückt ist.

Pak war von 2003 bis 2007 Premierminister Nordkoreas und wurde dann, vermutlich wegen der Misserfolge der Juli Maßnahmen des Jahres 2002, die eine vorsichtige wirtschaftliche Liberalisierung andeuteten, entlassen (er war aber zu diesem Zeitpunkt bereits einige Monate von der Bildfläche verschwunden, gerüchteweise war er zum Leiter einer Textilfabrik degradiert worden). Pak galt als ein wichtiger Verfechter der Maßnahmen und da offensichtlich irgendwann (spätestens im Jahr 2005 wahrscheinlich aber schon früher, ab 2008 wurde es dann echt klar) der Wind gedreht hatte und Vertretern einer eher liberalen Wirtschaftspolitik scharf ins Gesicht blies, waren diese in der obersten Führung nicht mehr erwünscht. Jener in Ungnade gefallene Pak Pong-ju wurde nun jedenfalls nach einem Bericht von Yonhap als „first deputy director of the Central Committee of the Workers“ genannt, womit er wieder in Schlagweite zu den wirklich wichtigen Ämtern wäre. Es ist unklar in welcher Abteilung der Arbeiterpartei Pak nun tätig ist, allerding lassen seine bisherigen Tätigkeiten und der Rahmen, in dem sein wieder Auftauchen erwähnt wird, die Abteilung für Leichtindustrie vermuten, die von Kim Jong Ils Schwester und wichtiger Beraterin Kim Kyong-hui geleitet wird. Diese ist wiederum die Ehefrau der wohl nach Kim Jong Il einflussreichsten Figur im Staat, Jang Song-thaek, der außerdem als entscheidender Unterstützer Kim Jong Uns als Nachfolger Kim Jong Ils gesehen wird. Jang, der ebenfalls als Verfechter der Reformen von 2002 galt verschwand 2003 zusammen mit seiner Frau vollkommen von der politischen Bildfläche. Seit 2007 musste er sich scheinbar in mittleren Positionen als vertrauenswürdig erweisen und hatte es bis Ende 2008 soweit geschafft, dass er während Kim Jong Ils Krankheit, die Regierungsgeschäfte für ihn führen durfte. Seitdem ist zu vermerken, dass viele frei werdende (wie auch immer) Positionen mit Personen besetzt werden, die Jang nahestehen. Eine solche Person aus Jangs Dunstkreis scheint auch Pak zu sein. Sein zwischenzeitliches Verschwinden und seine Unterstützung für die Juli-Maßnahmen deuten eine inhaltliche Nähe an und durch eine frühere Tätigkeit unter Kim Kyong-hui, dürften auch weitere Bande geknüpft worden sein. Analysten interpretieren die Rückkehr Paks als Zeichen für eine zukünftig wieder liberalere Wirtschaftspolitik nach der gescheiterten Währungsreform vom vergangenen Jahr.

Wie gesagt, die Ämterrotation in der Führungsspitze des Regimes scheint ungebremst weiterzugehen und das hat natürlich etwas zu bedeuten. Was genau, dass weiß wohl keiner, aber es gibt ein paar Hinweise:

  • Die Idee, dass Paks Rückkehr auf eine Rückkehr zum wirtschaftspolitischen Kurs um 2002 hindeutet halte ich für schwer haltbar. Seit mehr als zwei Jahren ist das Regime dabei die wirtschaftpolitische Uhr zurückzudrehen und hat diese Richtung bis dato auch nicht geändert. Eine gescheiterte Währungsreform (wobei nicht klar ist, inwiefern sie gescheitert ist, da die wahren Ziele nicht klar sind) wird nicht dazu führen, dass das Regime seine Politik Hals über Kopf revidiert.
  • Allerdings steht Paks Ernennung vermutlich trotzdem im Zusammenhang mit wirtschaftpolitischen Fragestellungen. Er besitzt dringend benötigtes know how und die Leichtindustrie ist der Sektor, auf den das Regime in den kommenden Jahren einen Fokus setzen will. Pak soll helfen das Ziel einer „strong and prosperous nation“ bis zum Jahr 2012 zu verwirklichen.
  • Es stehen wichtige Entscheidungen für das Regime an. Der Nachfolgeprozess ist im vollen Gange und verschiedene Faktionen haben um Einfluss dabei gebuhlt. Dieses Buhlen könnte mit einem Sieg Jang Song-thaeks beendet worden sein, der nun nach und nach dafür sorgt, dass frei gewordenen Positionen mit eigenen Günstlingen besetzt werden. (Allerdings würden weitere Autounfälle und Herzinfarkte dagegen sprechen.)
  • Damit könnten die Weichen für die Nachfolge tatsächlich gestellt sein und möglicherweise wird in ein paar Wochen tatsächlich wegweisendes Bekanntgegeben.

Bisher war ich ja eher skeptisch, aber so langsam bin ich auch gespannt, was beim Treffen des Politbüros im September bekanntgegeben wird, bis dahin ist wohl Abwarten angesagt.

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