So, da bin ich wieder, habe mich also nicht einfach so davon gemacht (aber dazu später mehr). Für alle die, die sich nicht für dieses langweilige Geschwätz, sondern meinem Kerngeschäft interessieren, freue ich mich, heute nochmal was geschrieben zu haben. In der Vergangenheit habe ich Momente, zu denen ich die Situation in Nordkorea weniger intensiv beobachtet habe, z.B. Urlaube immer gerne genutzt, um mich ein Stück weit vom „Alltagsgeschäft“ frei zu machen und zu versuchen, dass Große-Ganze in den Blick zu nehmen. Dazu bietet sich auch aktuell Anlass, den in den letzten Wochen und Monaten ist auf der Welt so viel passiert und in Nordkorea relativ dazu so wenig, dass ich mir gerne mal anschauen würde, welche Wirkungen daraus für Pjöngjang resultieren. Allerdings will ich nicht kleinteilig die Konfliktherde durchgehen, die in den vergangenen Monaten lichterloh zu brennen angefangen haben, sondern versuchen, diese Situationen zu einer globalen Gesamtlage zu aggregieren, die das Verhältnis Nordkoreas zu seiner Umwelt mit beeinflusst.
Die Gemeinsamkeit aktueller Konflikte: Sie ziehen Aufmerksamkeit von Nordkorea ab
Denn mal ganz abstrakt betrachtet, hat zwar jeder einzelne der momentan recht heißen Konflikte, die wir Westler im Auge haben (es gibt ja auch noch ein paar, die uns nicht interessieren, weil sie so weit weg sind, weil es da nicht viel zu holen gibt oder weil wir keine Angst haben, dass als Folge der Konflikte irgendwann irgendwelche terrorwütigen Kriegsheimkehrer unsere schöne Wohlstandswelt in Schutt und Asche legen) direkte Verbindungen zur Führung in Pjöngjang, die man aus bilateralen Beziehungen, aus persönlichen Freund- oder Feindschaften, aus irgendwelchen Handelsverbindungen oder auch aus geostrategischen Chancen ableiten kann; Aber all diese Konflikte haben auch auf einer höheren Ebene eine gemeinsame Wirkung auf Nordkorea. Sie ziehen Aufmerksamkeit und Ressourcen der Weltöffentlichkeit und der handelnden maßgeblichen Akteure, wozu man sowohl Einzelstaaten als auch Staatenbünde oder NGOs zählen kann, von Nordkorea ab.
Warum Aufmerksamkeit zählt
Aber ist die Aufmerksamkeit der Welt denn ein Faktor, den man unbedingt einzeln analysieren muss? „Aufmerksamkeit“ ändert schließlich keine objektiven Umstände. Sie sorgt weder dafür, dass Geld ins Land fließt, noch dass sich etwas am Regime ändert, noch ändert sie die Möglichkeiten der Führung in Pjöngjang, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen oder nicht. „Aufmerksamkeit“ ist nicht greifbar und nicht eins zu eins in ihrer Wirkung zu bemessen.
Und doch kann sie nützen oder schaden, kann genutzt werden oder ignoriert werden. Wenn man das Agieren des Regimes in Pjöngjang in den letzten Jahren genauer analysiert, wird man sehr schnell auf den Trichter kommen, dass Aufmerksamkeit eine Ressource ist, die vom Regime sehr bewusst wahrgenommen und nutzbar gemacht wird. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass nur wenige Staaten Aufmerksamkeit so gezielt als Werkzeug ihrer Außenpolitik nützen, wie das Nordkorea tut. Das mag damit zu tun haben, dass dem Land nicht mehr viele andere außenpolitische Instrumente zur Verfügung stehen, aber warum das Regime so stark mit dieser Aufmerksamkeit arbeitet, ist hier erstmal nicht interessant, sondern wie es das tut und was man daraus mit Blick auf die aktuelle Situation lernen kann.
Grundsätzliche Überlegungen zur Aufmerksamkeit als Instrument politischer Beziehungen
Vorweg sind dazu aber ein paar Überlegungen zur Natur der Aufmerksamkeit notwendig. Aufmerksamkeit ist ein nicht wirklich berechenbarer Faktor im Kalkül von Staaten und somit auch im Kalkül Nordkoreas. Andere außenpolitische Instrumente wie militärische Macht, Wirtschaftskraft, zwischenmenschliche Beziehungen oder diplomatisches Kapital lassen sich in ihrer Wirkungsweise und ihrer Anwendung in der Außenpolitik wesentlich leichter steuern und sind auch hinsichtlich ihrer Erträge zuverlässiger.
Aufmerksamkeit könnte man daher als die Windkraft der internationalen Politik bezeichnen. Sie verursacht für den Nutzer zwar kaum Kosten, aber einerseits kann es sein, dass es zuviel wird und man die Anlagen abschalten muss, andererseits kann es passieren, dass Windstille herrscht und man zusehen muss, wie man den Strom in die Steckdose bekommt. Vermutlich verlassen sich die meisten mächtigen Staaten daher auf Aufmerksamkeit eher als flankierendes Mittel, denn als Hauptwerkzeug. Neben dieser natürlichen Aufmerksamkeit können Staaten (und Nordkorea ist darin eigentlich sehr aktiv) auch versuchen, auf künstlichen Wegen Aufmerksamkeit zu erzeugen (ich muss gestehen, hier ist mein Bild mit der Windkraft an seinem Ende angekommen).
Dafür gab es in den letzten Jahren unzählige Beispiele, obwohl sich die Nordkorea-Beobachterschaft nicht immer ganz einig ist, ob bestimmte Maßnahmen der Aufmerksamkeitserzeugung dienen sollen, oder ob sie andere Zwecke hatten. Ganz klar einzig auf Aufmerksamkeit gerichtet sind beispielsweise Kampagnen, bei denen nordkoreanische Botschafter überall auf der Welt quasi synchron ihre Sprechzettel vortragen, wo wütende und skurrile Propagandakampagnen vornehmlich gegen die südkoreanische Führung losgetreten werden, wo öffentlichkeitswirksam Jahrestage mit protzigen Paraden begangen werden oder wo für einen von der UN untersagten Raketenstart Pressevertreter aus aller Welt ins Land geladen werden. Das alles macht nur dann Sinn, wenn man will, dass allenthalben die Leute über Nordkorea reden, es auf dem Schirm haben und glauben, irgendwie handeln zu müssen.
Wie und wozu Aufmerksamkeit genutzt werden kann
Und damit sind wir auch schon beim zweiten Teil der Bedeutung von Aufmerksamkeit, denn wie anfänglich gesagt, verändert die reine Existenz von Aufmerksamkeit erstmal kaum was für Staatsführungen (da passt wieder das Windkraft-Beispiel: Wenn ein bisschen Wind weht, ändert das eigentlich für niemanden was, aber wenn man den Wind nutzt…). Die Aufmerksamkeit muss von ihren Nutzern zielgerichtet angewandt und kanalisiert werden. Und genau das ist ein Feld, in dem sich die Führung in Pjöngjang immer wieder müht, manchmal mit viel, manchmal mit weniger Erfolg.
Mit Aufmerksamkeit kann man entweder versuchen, einzelne Staaten zu adressieren (z.B. die USA: „Seht her, wir sind ein ernsthaftes Risiko für Eure strategischen Interessen, ihr müsst etwas tun um uns friedlich zu stimmen.“ oder China: „Seht her, es geht uns sehr schlecht und das System könnte jederzeit kollabieren, ihr müsst uns Unterstützung gewähren“), die globale humanitäre Gemeinschaft (z.B. „Seht her, hier hungern Menschen, die wir nicht ernähren können, ihr müsst helfen!“ oder „Seht her, die Staatengemeinschaft sanktioniert uns, wir können deshalb unsere Wirtschaft nicht entwickeln, ihr müsst dem entgegentreten“ oder auch die gesamte Staatengemeinschaft („Seht her, wir sind unberechenbar und haben nicht wirklich die Kontrolle im eigenen Land, aber wir haben Nuklearwaffen und 23 Millionen potentielle destabilisierende Flüchtlinge und damit das Potential, die globale Stabilität ins Wanken zu bringen, ihr müsst Euch einsetzen, die Situation zu stabilisieren.“). So kann es gelingen, Aufmerksamkeit indirekt in bare Münze, in wirtschaftliche Hilfen oder in andere, berechenbarere außenpolitische Instrumente (z.B. diplomatisches Kapital) umzuwandeln. Das alles kann entweder getan werden, indem ohnehin gerade entstandene Aufmerksamkeit genutzt wird, oder indem wie oben beschrieben Aufmerksamkeit künstlich generiert wird.
Die Probleme von Aufmerksamkeit als politischem Instrument
Die Notwendigkeit, Aufmerksamkeit künstlich zu schaffen deutet auf einen der Pferdefüße bei der Nutzung dieser Ressource hin. Manchmal gibt es Ziele, für deren Verwirklichung Aufmerksamkeit gebraucht wird obwohl keine verfügbar ist. Dann kann man versuchen sie zu erzeugen, aber weil Aufmerksamkeit eben keine frei im Raum schwebende Ressource ist, sondern quasi von der subjektiven Wahrnehmung, aber auch den offenen „Aufmerksamkeitskapazitäten“ des Adressierten abhängt, ist das nicht zwangsweise erfolgreich. So ist das Gewinnen von Aufmerksamkeit immer auch situationsabhängig.
Auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Man will einen Plan in die Tat umsetzen, für den man eher Ruhe braucht und der im besten Falle von der Umwelt garnicht wahrgenommen wird. In diesem Fall ist Aufmerksamkeit nicht gewünscht und man kann sie trotzdem bekommen.
Kurz: Es ist nicht immer so einfach zu steuern, ob Staaten Aufmerksamkeit bekommen bzw. ihr entgehen können und mitunter wird sich das Instrument, also die Aufmerksamkeit, nicht an den Zielen der Politik orientieren müssen, sondern umgekehrt, die Ziele der Politik könnten in Abhängigkeit stehen zum Status des unberechenbaren Instruments.
Was hat das alles mit Nordkorea zu tun?
So, jetzt habe ich jede Menge schöne Überlegungen angestellt, im Hinterkopf immer schon den konkreten Fall mitgedacht, aber was das jetzt genau mit Nordkorea zu tun hat und weshalb das überhaupt relevant sein soll, das ist bis jetzt noch unklar.
Indikator für nordkoreanische Ziele
Einerseits sind die Überlegungen hilfreich, um das Verhalten des Regimes besser zu analysieren. Das Gewinnen, Behalten oder Vermeiden von Aufmerksamkeit bzw. ihre Nutzung im konkreten Fall sind nämlich häufig genug Motive des Handelns des Regimes und oft genug habe ich den Verdacht, dass einige Beobachter, weil sie diesen Aufmerksamkeitsfaktor nicht miteinbeziehen, falsche Motive für das Handeln unterstellen wodurch natürlich die komplette Analyse weitgehend wertlos wird.
Andererseits lassen sich aber aus dem Umgang des Regimes in Pjöngjang mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Aufmerksamkeit durchaus Schlüsse über politische Ziele ziehen. Wenn ein bestimmtes Verhalten in Kombination mit einer nach außen gerichteten Kampagne zu beobachten ist, hat das ganz andere Implikationen, als das gleiche Verhalten ohne solche Kampagnen.
Nordkorea? Aktuell nicht relevant!
Und damit sind wir endlich mittendrin im Jetzt und Hier. Wenn man sich anschaut, wie es um die „natürliche Aufmerksamkeit“ für Pjöngjang bestellt ist, so fällt die momentan eher bescheiden aus. Die Welt schaut in die Ukraine, in den Nahen Osten, nach Irak und Syrien, vielleicht sogar auf Westafrika. Und selbst wenn man ein bisschen weiter über diesen Tellerrand der aktuellen Kriege und Krisen hinwegschaut, würde eher die vorsichtige Annäherung zwischen dem Iran und der Welt die Aufmerksamkeit fesseln, als die aktuellen Geschehnisse auf der Koreanischen Halbinsel. Auch wenn man sich einzelne bedeutsame zwischenstaatliche Beziehungen Nordkoreas anguckt, ist da nicht viel zu holen. Die USA sind als Weltmacht natürlich von jeder einzelnen der Krisen gebunden, Russland schaut selbstverständlich vor allem auf die Ukraine, während China sich zwar eher raushält, aber Nordkorea nach wie vor eher mit Missachtung straft, statt ihm ein ähnliches Interesse entgegenzubringen, wie bis vor dem Tod Kim Jong Ils. Auch die humanitäre Gemeinschaft hat vor dem Hintergrund vielfältiger prekärer Situationen und humanitärer Krisen rund um den Globus ihre Augen ein Stück weit von Pjöngjang abgewandt. Darauf deuten klare Hilferufe des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, das angibt, den Betrieb im Land einstellen zu müssen, sollten nicht in den nächsten Monaten beträchtliche Spenden eingehen.
Im Aufmerksamkeits(-wind-)schatten lässt sich gut manövrieren
Und wie geht Pjöngjang damit um? Meines Erachtens sind keine besonderen Bemühungen zu erkennen, die Augen der Welt oder zumindest einiger Akteure auf das Land zu lenken. Man verhält sich relativ reglos, versucht also nicht, künstlich Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die aktuelle Aufmerksamkeitsflaute scheint das Regime also nicht unbedingt zu stören. Was lässt sich aber daraus mit Blick auf die Ziele des Regimes folgern?
Meine Wahrnehmung ist es, dass man momentan nichts vorhat, für das man zwangsweise das Interesse und das Engagement anderer Staaten oder anderer internationaler Akteure brauchen würde. Man gibt sich nicht mal Mühe es zu bekommen und daher sieht es für mich so aus, als wäre man mit der Situation in den Außenbeziehungen zumindest so zufrieden, dass man im Großen und Ganzen kein Problem damit hat, sie auf dem aktuellen Status einzufrieren, das heißt Status quo ohne Verbesserung oder Verschlechterung beibehalten. Da sich momentan die Staatenumwelt nicht so sehr für Pjöngjang interessiert (mangels Aufmerksamkeitsressourcen) ist nicht zu erwarten, dass sich die Situation aus Sicht des Regimes verschlechtern wird, während es gleichzeitig vermutlich sehr anstrengend für das Regime sein dürfte, die Aufmerksamkeit der relevanten Akteure für eine wirklich umfassende Verbesserung der Lage zu gewinnen.
Natürlich will ich nicht behaupten, dass das Regime grundsätzlich mit dem Status der Außenbeziehungen zufrieden ist, sondern nur im Verhältnis zu anderen Politikfeldern, das heißt, sonstwo bleibt mehr zu tun. Und wozu braucht man keine anderen Staaten, bzw. ist es sogar ganz angenehm, wenn man keine allzu scharfen Beobachter von außen hat? Genau, wenn man gerade dabei ist, die internen Strukturen und das Personal weiter zu sortieren, zu organisieren und so die Herrschaft des Regimes zu konsolidieren.
Die äußere Ruhe nutzen, um das Innere neu zu sortieren
Meine Wahrnehmung der aktuellen Aufmerksamkeitsflaute ist daher, dass sie dem Regime eigentlich ganz recht kommt und dass man sich so stärker auf die internen Prozesse zur Machtstärkung des Regimes widmen kann und weniger Ressourcen auf den Umgang mit externen Umständen verwenden muss. Meiner Einschätzung nach ist die Führung also bisher und bis auf weiteres nicht interessiert, weitreichende Interaktionen mit anderen Staaten zu beginnen. Dafür ist die aktuelle geopolitische Konstellation relativ förderlich, denn auch die anderen Akteure kommen nicht unbedingt auf die Idee, eine Initiative mit Blick auf Pjöngjang zu starten, ganz schlicht, weil es für fast jeden Akteur mindestens ein Spielfeld gibt, auf dem eine Initiative oder Engagement momentan wichtiger sind.
Deshalb ist es auch ein ganz guter Indikator dafür, ob sich das Regime vor allen Dingen mit sich selbst beschäftigt, oder ob sein Blick sich langsam auf die Umwelt richtet. Denn will man eine substantielle Verbesserung der Außenbeziehungen erreichen, braucht man dazu die Aufmerksamkeit der relevanten Akteure.
Ein paar Worte zu mir und dem Blog
Naja, das wars dann erstmal von meiner Seite. Bis hoffentlich bald mal wieder. Da ich diese und nächste Woche Urlaub habe, konnte ich mir heute den „Luxus“ gönnen, ein paar Minuten/Stunden aufs Bloggen zu verwenden und das ist auch gut so.
Ich habe in den letzten Wochen immer mal überlegt, ob es nicht sinnvoll sei das Projekt „Nordkorea-Info“ aus seiner aktiven in eine passive Phase zu überführen, also die Seite sozusagen nur noch als Archiv weiterzuführen. Ich weiß immernoch nicht, ob das nicht eine gute Idee wäre, habe mich aber vorerst dagegen entschieden aus zwei Gründen: Einerseits würde mir etwas fehlen, denn ich habe in den letzten Wochen zu verschiedenen Anlässen gemerkt, dass ich es irgendwie brauche, frei von der Leber weg zu schreiben und assoziieren was mir gerade in den Sinn kommt. Sowas ist aber in meinem Alltag eher selten gefragt. Zum Zweiten habe ich soviel Energie und Herzblut in das Projekt gesteckt, dass ich es mir momentan nicht vorstellen kann, dass so einfach dranzugeben. Vor allem, weil ich drittens das Gefühle habe, immernoch in der Neuorganisation meines Alltags zu stecken und noch nicht genau zu wissen, wie ich meine Zeit organisiere. Und je besser man sich organisiert, desto wahrscheinlicher ist es, dass man auch für Dinge, die man nicht machen muss, aber gerne tut Zeit findet. Aber das wird ein Prozess sein, der sich noch ein bisschen zieht, daher bitte ich um Geduld, ohne garantieren zu können, dass es besser wird.
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