Nordkorea braucht das Ausland nicht mehr für sein Nuklearprogramm — Hintergrund und strategische Konsequenzen


So, nachdem die Bundestags- und Landtagswahlen zumindest teilweise zu meiner Zufriedenheit abgelaufen ist (es war wirklich einer meiner größten Träume, dass die extremsten Verfechter des Marktes auch mal nach diesen Maßstäben beurteilt werden und als Anbieter eines nicht marktfähigen Produkts, dementsprechend behandelt werden (da bin ich ganz bei Gernot Hassknecht…)), kann ich wieder zum Alltagsgeschäft zurückkehren. Ich kam in der letzten Woche wirklich wenig dazu, die Nachrichten im Auge zu behalten, aber gestern gab es etwas, das ich höchst interessant fand.

Nordkorea ist autark – Zumindest mit Blick auf Nukleare Produktionskapazitäten

Da wurde berichtet, dass Nordkorea nach Einschätzung von Experten dazu in der Lage ist, die Komponenten für die Produktion von auf Uran basierenden Atombomben im eigenen Land zu produzieren. Dabei geht es wohl vor allem um die recht komplexen Gaszentrifugen. Laut Joshua Pollack (den ich als Autor von Arms Control Wonk sehr schätze schon zuvor sehr schätzte) und Scott Kemp verfügt Pjöngjang bereits seit spätestens 2009 über diese Fähigkeit. Die Erkenntnisse haben die beiden Autoren aus Fotografien nordkoreanischer Medien, aus Publikationen in nordkoreanischen Fachzeitschriften und nordkoreanischen Patentanmeldungen gewonnen.
Wirklich interessant ist dabei nicht unbedingt die Tatsache, dass Nordkorea ganz beachtliche technologische Fähigkeiten besitzt und die Gerätschaften zur Anreicherung von Uran selbst bauen kann, sondern vielmehr, was daraus folgt. Denn mal ganz ehrlich, ob die Führung aus Pjöngjang die Geräte nun auf irgendwelchen verworrenen Wegen aus dem Ausland herbeischaffen kann oder ob die Zentrifugen im eigenen Land gebaut werden, das ist jetzt mehr eine Detailfrage, jedoch ergeben sich wie gesagt aus dieser inländischen Produktion einige strategische Konsequenzen.

Nordkoreas zweigleisiges Nuklearprogramm

Um die näher zu erläutern muss ich nochmal kurz auf Nordkoreas Nuklearprogramm im Allgemeinen eingehen. Denn wie einige, aber vielleicht nicht alle von euch wissen, verfolgt Pjöngjang  sozusagen ein zweigleisiges Programm. Das ältere und bekanntere ist das auf Plutonium basierende Programm, für das der Reaktor und die Anreicherungsanlagen in Yongbyon eine große Rolle spielen. Dass dieses keineswegs beendet ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass man den zwischenzeitlich nach einer Vereinbarung im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche um die Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel stillgelegten 5 MW Reaktor in Yongbyon wieder fit gemacht und vermutlich am wieder anfahren ist. Dass wir so viel über diesen Strang des Nuklearprogramms wissen, hat vor allen Dingen damit zu tun, dass man Reaktoren und Anreicherungsanlagen so schlecht vor Satelliten verstecken kann. Das heißt, über dieses Programm ist sehr viel bekannt und man kann sich relativ gut ausrechnen, was da an waffenfähigem Material maximal und minimal produziert worden sein könnte. Ganz anders sieht das mit dem Uran-basierten Strang des nordkoreanischen Nuklearprogramms aus. Über diesen Strang wissen wir im Endeffekt fast nichts. Ein bisschen was aus den Anfangsjahren des Jahrtausends, als Importe von Zentrifugen bekannt wurden und ein bisschen was aus den letzten Jahren, als Nordkorea das Programm, bzw. den Teil, den es eben zeigen wollte, ausländischen Experten vorführte. Anders als im Fall des Plutonium-basierten Programms können die Zentrifugen zur Anreicherung von Uran sehr gut versteckt werden. Beispielsweise kann man einfach einen sehr tiefen und großen Bunker bauen und die da reinstellen, oder man packt sie in einen oder mehreren bestehende Bunker (es gibt nur gewisse Mindestmengen an Zentrifugen, die zusammengeschaltet sein sollte und den Bedarf an sicherer Stromversorgung). Naja und in Anbetracht der Tatsache, dass das nordkoreanische Militär im Bunkerbauen und sich eingraben ganz groß ist, sollte man sich keine Illusionen darüber machen, dass nicht genug Platz für die Anlage da sein könnte. Wir haben also nur gesehen, was wir sehen sollten, der Rest sind mehr oder weniger begründete Spekulationen (wobei die bestbegründeten Spekulationen vermutlich von David Albright kommen).

Strategische Folgen aus eigenständigen Produktionskapazitäten

Und hier kommt dann die Fähigkeit zur selbstständigen Produktion der Zentrifugen ins Spiel. Denn wenn wir schon nicht sehen bzw. kontrollieren können, was mit den Zentrifugen im Land passiert, so haben wir doch immernoch die Möglichkeit, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rauszubekommen, was ins Land hereinkommt. Das sich immer weiter verschärfende Sanktionsregime gegen Nordkorea stellt hierfür das ideale Werkzeug dar. Einerseits kann man so ungefähr hochrechnen, was so ins Land reingeschafft wird, andererseits kann man so das Programm verlangsamen, indem man kritische Komponenten nicht ins Land reinlässt.
Theoretisch jedenfalls, denn wenn Pjöngjang in der Lage ist, alle Komponenten selber zu produzieren, dann kann man weder was aufhalten, noch kann man was abschätzen. Man ist vollkommen hilflos und hat keinerlei (nicht kriegerische) Mittel in der Hand, das Regime an der Produktion nuklearwaffenfähigen Urans zu hindern und gleichzeitig hat man auch kaum sinnvolle Möglichkeiten, abzuschätzen wieviel Uran welchen Anreicherungsgrades jetzt schon produziert wurde.
Wenn man also das Ziel verfolgt, Nordkorea an der Produktion nuklearwaffenfähigen Materials oder von Nuklearwaffen zu hindern, dann ist man in einer strategisch sehr ungünstigen Lage, denn eigentlich kann man das nur schaffen, indem man entweder Krieg führt, oder einen Verzicht Pjöngjangs aushandelt. Da man aber so wenig Vertrauen in die Führung dort hat (vollkommen zurecht, ich würde einem  Verhandlungsergebnis mit Nordkorea auch sehr vorsichtig gegenüberstehen, wenn man auf all das zurückblickt, was in den letzten 20 Jahren schon vereinbart wurde (das soll aber nicht heißen, das die Führung in Pjöngjang dafür die Alleinschuld trägt)), ist im Endeffekt verhandeln wohl kaum ein gangbarer Weg. Gleichzeitig ist Kriegführen aber aktuell wohl auch keine Option.

Das Sanktionsregime gegen Nordkorea: Neu überdenken?

Hm, schwierig das alles. Vielleicht müssten sich da einige Parteien mal Gedanken darüber machen, ob ihre Zielsetzungen noch realistisch sind. Gleichzeitig wird hierdurch aber auch das Sanktionsregime in Frage gestellt. Denn 1. hat es offensichtlich nichts dazu beigetragen, Nordkorea daran zu hindern, das Nuklearprogramm voranzutreiben, 2. ist es jetzt nur noch bedingt ein adäquates Werkzeug, Nordkorea künftig daran zu hindern.
Nordkorea muss keine Materialien mehr für das Uran-basierte Programm einführen, also können Sanktionen den Fortschritt des Programms maximal indirekt verhindern. Und das zu hohen Kosten, denn wenn man die Sanktionen als Methode einsetzt, dem nordkoreanischen Regime durch die Schwächung der Wirtschaft Mittel für das Nuklearprogramm zu entziehen, dann ist das ein sehr schwieriger Weg. Denn man entzieht dem Land gleichzeitig auch Mittel zur Umsetzung anderer Ziele. Zum Beispiel der Ernährung der Bevölkerung. Klar, wenn Pjöngjang nichts in das Nuklearprogramm investieren, sondern die Menschen ernähren würde, gäbe es hier kein Problem. Nur sind Diktaturen nicht unbedingt für ihre Menschenliebe bekannt und die in Pjöngjang besonders wenig. Also ist dieser Weg, das Nuklearprogramm zu bremsen gleichzeitig ein Weg, der die Bevölkerung aushungert. Natürlich kann man die moralische Verantwortung an die Führung in Pjöngjang abschieben, nichtsdestotrotz trägt man, wenn man diesen Weg weiter verfolgt, eine reale Mitverantwortung für jeden Menschen der in Nordkorea hungert.

Aber versteht das jetzt nicht falsch, ich plädiere nicht dafür, alle Sanktionen gegen Nordkorea aufzuheben oder sowas. Natürlich soll die Führung in Pjöngjang sich nicht auf dem Weltmarkt mit den neuesten Maschinen zur Produktion von Nuklearanlagen oder so eindecken können. Aber man muss wohl oder übel jedes Produkt, das sanktioniert ist und auch die Sanktionen, die auf die Finanzströme zielen, einer genauen Prüfung unterziehen, inwiefern sie direkt auf die nordkoreanischen Waffenprogramme zielen und inwiefern sie auch „Kollateralschäden“ in anderen wirtschaftlichen Bereichen nach sich ziehen. Und wenn man das schon tut, dann  muss man wohl oder übel auch fragen, inwiefern die gegenwärtige Strategie gegenüber Nordkorea vollkommen in der Sackgasse steckt. Denn aktuell fällt den westlichen Staaten ja eigentlich nichts mehr ein, als Sanktionen zu verschärfen, wenn sich Nordkorea „missverhält“ und auf eine Politikänderung Pjöngjangs zu  warten, wenn alles in „normalen Bahnen“ läuft. Da aber eigentlich keine Sanktionen mehr denkbar sind, die nicht auch große wirtschaftliche und menschliche Kollateralschäden erwarten lassen, ist diese Strategie eigentlich am Ende.

Neue Strategie ist nötig: Vertrauen muss wieder hergestellt werden

Es ist an der Zeit das verloren Vertrauen wieder herzustellen. Das ist ein unangenehmer, anstrengender und vor allem langwieriger Prozess, aber solange man das aktuelle Vorgehen weiter treibt, wird Nordkorea sein Uranprogramm weitertreiben und das hilft im Endeffekt weder den westlichen Staaten noch Pjöngjang. Man muss sich so bald wie möglich auf den Weg zum Ausgleich und in einem ersten Schritt zum direkten Austausch machen, denn Vertrauen entsteht nicht durch Bedrohung und Erpressung. Ich würde mir wünschen, dass Barack Obama sich eingestehen würde, dass seine Strategie der letzten Jahre ine vollständiger Fehlschlag war und dass er jetzt umkehren muss. In Präsidentin Park hat er hierfür eine Partnerin, die dem wohl offen gegenüberstehen würde (zumindest offener als ihr verbohrter Vorgänger) und auch die meisten anderen Involvierten Staaten wären vermutlich erleichtert, denn der Weg, den die Dinge auf der Koreanischen Halbinsel aktuell gehen, kann eigentlich in niemands Interesse sein.

IAEA-Bericht zu Nordkoreas Nuklearprogramm: Gute Zusammenfassung aber nichts Neues


In den letzten Tagen konnte man ja hin und wieder in den Medien von einem vertraulichen Bericht der IAEA über Nordkoreas Nuklearprogramm lesen, nach dem Nordkorea Teile für das Programm auf dem internationalen Schwarzmarkt erworben hat. Stimmt, das steht da tatsächlich drin, aber es ist ja nicht so, dass das nicht allgemein bekannt wäre. Wie immer, wenn irgendwelche vertraulichen Berichte, die was mit Waffen zu tun haben auf dem Markt sind, muss man nur bei Arms Control Wonk vorbeischauen et voila, da ist das Ding (und wenn man sich auch für den Iran interessiert, kann man den IAEA-Bericht zum iranischen Atomprogramm gleich noch dazu lesen).

Da unsere Medien (obwohl bei Ansicht dieses Artikels klar wird, dass Iran momentan der „nukleare Eyecatcher“ ist (warum sonst sollten die Autoren den Artikel mit: „Laut IAEA hat Iran Teile für Atomprogramm vom Schwarzmarkt“ überschreiben, obwohl es nur um Nordkorea geht)), was den „Geheimbericht“ und Nordkoreas Kundschaft bei dem „geheimen Netzwerk“ angeht, ja recht geheimnisvoll getan haben, will ich euch die Absätze zu dem Thema nicht vorenthalten. Aber bitte nicht enttäuscht sein, die sind nämlich sehr unspektakulär. Am interessantesten dabei ist wohl noch der Untere, aus dem ja indirekt hervorgeht, dass das Khan-Netzwerk (oder doch vielleicht ein anderes „Geheimnetzwerk“? Wer weiß es schon…) wirklich wie so eine Art Tauschbörse für nukleares Know-How und Material funktioniert hat und das auch die IAEA vermutet, dass Nordkorea bereits vor 2001 verborgene Anlagen hatte und also in den Verhandlungen um das Programm eine ziemliche Farce veranstaltet hat.

35. Information available to the Agency indicates that some of the technology and information required for a uranium enrichment programme was acquired through the same clandestine supply network referred to below (paragraph 50), and that the DPRK has attempted to procure from a wide range of suppliers material and equipment suitable for use within an enrichment programme, such as vacuum components, electronic equipment and dual-use, computer numerically controlled machine tools.

50. In December 2003, the Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya informed the Agency that it had imported from the same clandestine supply network that had also assisted it with centrifuge enrichment technology and information on weapon design and development, two small cylinders containing UF6 in September 2000, and one large cylinder containing UF6 in February 2001. Libya stated that the original agreement with the clandestine network had been for the provision of 20 tonnes of UF6. The Agency’s sampling and analysis of the UF6 indicated that one small cylinder contained natural uranium and the other contained depleted uranium; the large cylinder contained natural uranium. The Agency has established the route of transport of the UF6 cylinders, all three of which were present in the DPRK prior to their transfer to Libya. Although the Agency cannot confirm the origin of the UF6 in the cylinders, it is very likely that the natural UF6 in the large cylinder originated in the DPRK, whereas the UF6 contained in the two small cylinders did not. This would indicate that the DPRK had undeclared conversion capabilities prior to 2001.

Insgesamt ist der Bericht ganz interessant zu lesen, wenn man sich für das nordkoreanische Nuklearprogramm interessiert, denn hier ist relativ wertungsfrei das zusammengefasst, was man wirklich über das Programm weiß (Gerüchte etc. mussten draußen bleiben), es ist also ne vernünftige Quelle. Wenn man sich bereits ein bisschen mit dem Thema befasst hat, dann gibt es nicht viel Neues zu finden, aber es ist ja nie schlecht, einen Überblick über die Historie und den aktuellen Status (soweit bekannt) des Atomprogramms zu haben. Viel Spaß beim Lesen…

Karten auf dem Tisch: Nordkorea zeigt sein Uranprogramm vor


Am besten hätte ich mit meinem Beitrag über den Leichtwasserreaktor (LWR) den Nordkorea in Yongbyon zu errichten begonnen hat, einfach eine ganze Woche gewartet, dann hätte ich die ganzen Infos, die damit zusammenhängen und nach und nach in die Öffentlichkeit tröpfeln, in Einem verarbeiten können. Habe ich aber nicht. Und so muss ich Wohl oder Übel schon wieder über nukleare Fortschritte Nordkoreas berichten. Nur dass es diesmal ein sehr explosiver Informationstropfen war, den Siegfried Hecker (vermutlich nachdem er den Geheimdiensten und Außenamtsleuten Zeit zum Nachdenken gegeben hat geben musste) da in die Freiheit entließ. Dieses Mal ging es nämlich nicht nur um einen erst im Anfangsstadium seines Baus befindlichen LWR, der grundsätzlich auch nicht gefährlich ist. Dieses Mal ging es um eine komplette Anlage zur Anreicherung von Uran (und mit der Anlage kann man das Uran entweder so viel anreichern, dass man damit den LWR betreibt (niedrig) oder man macht noch ein bisschen weiter und kann damit Bomben bauen (ganz so einfach ist das mit dem Anreichern zwar nicht, aber von der Grundidee her schon)).

Aber erstmal zu den Fakten: Auf seiner Reise nach Nordkorea, die er auf Einladung des Regimes in Pjöngjang machte, wurden Siegfried Hecker und seine Begleiter nicht nur zum Gelände des neu entstehenden LWR geführt, sondern auch zu einem Gebäude das sie schon kannten. Allerdings sah es vor zwei Jahren ganz anders aus als heute. Damals war es nämlich leer und es standen keine 2.000 Gaszentrifugen mit moderner Steuerungseinheit dort, mit denen man bei richtiger Konfiguration hoch angereichertes Uran produzieren kann. Inwieweit die Einheit in Betrieb ist und wo genau sie herkommt, sagte man Hecker allerdings nicht. Da hörte es dann doch auf mit der Offenherzigkeit. Was allerdings aus dem was man über das Gebäude weiß klar wird ist, dass das Regime binnen etwas mehr als eines Jahres, eine komplette funktionsfähige Anreicherungsanlage aufbauen konnte. Daraus wird deutlich, dass man damit schon einige Erfahrung zu haben scheint, es ist also nicht die Erste (aber die Erste könnte eine kleine Versuchsanlage gewesen sein). Außerdem scheint die Anlage nach Angaben Heckers ein anderes Design zu haben, als diejenigen, die bisher nach den Plänen des notorischen Proliferators Abdul Kadir Khan, der gegen eine gewisse Gegenleitsung wohl jeden Interessierten an Pakistans Nuklearwissen teilhaben ließ. Was genau das bedeutet wissen die Beobachter noch nicht, allerdings würde ich daraus schließen, dass das Regime ganz „Juche-mäßig“ eigenes Know-How in diesem Feld entwickelt hat. Was Beobachter außerdem noch überrascht zu haben scheint, ist der offenherzige Umgang Nordkoreas mit seiner neuesten Trumpfkarte. Während man Reaktoren wie den in Yongbyon nur schlecht irgendwo  in einem Berg einbuddeln kann, wäre das mit den Zentrifugen durchaus möglich gewesen. Ein paar Fotos oder ähnliches hätten eine ähnliche Überzeugungskraft gehabt, wie der Augenzeugenbericht Heckers. Stattdessen steht die Produktionseinheit in einem Gebäude, das aufgrund seines schönen blauen Daches, bestens zu identifizieren ist. Die Angst vor US-Angriffen scheint da wohl sehr begrenzt zu sein.

Nachdem die Fakten  geklärt sind, kann man sich jetzt über das Gedanken machen, was aus den neuen Erkenntnissen politisch folgt. Erstmal: Kann davon irgendjemand überrascht sein und sich provoziert fühlen? Die Überraschung darüber, dass Nordkorea im Besitz von Gaszentrifugen ist dürfte sich in Grenzen halten. Die USA vermuten das ja schon seit acht Jahren und vor 14 Monaten schrieb der nordkoreanische Botschafter bei den Vereinten Nationen einen Brief, dass Nordkorea die experimentelle Phase der Urananreicherung abgeschlossen habe. Überraschung über die Existenz eines Nuklearprogramms dürfte höchstens bei denen herrschen, die immer alle Aussagen die aus Nordkorea kommen, grundsätzlich für Lügen halten. In dem ISIS-Bericht, auf den ich euch vor ein paar Tagen hingewiesen habe, stand ja auch drin, dass es sein könnte, dass eine Anlage mit bis zu 1.000 Zentrifugen in Betrieb ist. Was höchsten überraschend sein könnte ist die Sicherheit, mit der die nordkoreanischen Techniker die notwendige Technologie zu beherrschen scheinen und die Anlage so in sehr kurzer Zeit errichten konnten. Auch überraschend ist wie gesagt die exponierte Position der Anlage. Man hätte genausogut eine Zielescheibe aufs Dach malen können „Hier fotografieren liebe Satelliten: Unter dem Dach steht unsere Urananreicherungsanlage.“ Und damit sind wir auch schon bei der Frage nach der Provokation: Dass Nordkorea die Anlage hat kann man heute wohl schwerlich als Provokation sehen. Immerhin hat das Regime das vor 14 Monaten schon freimütig bekannt. Schon eher provokativ ist eben jene Offenherzigkeit. „In the face“ würde ich das mal neudeutsch nennen. Man führt den USA vor, dass man absolut keine Angst vor irgendwelchen militärischen Drohungen hat, dass man die roten Linien, die früher mal gezogen wurden nach Belieben übertanzt und das Washington nichts dagegen tun kann. Weiter führt man vor, mit was für einer Leichtigkeit man die Technologie beherrscht. Man baut die Anlage nicht irgendwo auf, sondern genau dort, wo die USA wussten, das vorher nichts war. Damit trifft man gleichzeitig noch eine recht niederschmetternde Aussage über die Arbeit der amerikanischen und südkoreanischen Geheimdienste: „Ihr seht nicht, was vor eurer Nase passiert. Eure Satelliten sind höchstens gut, um im Nachhinein aufzuklären“. Diejenigen die beim CIA für Nordkorea zuständig sind, dürften mittlerweile mehr als leicht traumatisiert sein. Außerdem sagt man natürlich auch noch was über die Sanktionen gegen das Regime. Kurz zusammengefasst „Die stören uns nicht. Ihr habt die Schraube fast bis zum Anschlag angezogen und wir bauen in anderthalb Jahren eine Urananreicherungsanlage aufbauen. Mit Sanktionen beißt ihr bei uns auf Granit!“. Diese impliziten Aussagen, die fast schon einer Verhöhnung nahekommen, sind natürlich sehr provokant. Allerdings nicht auf die Art, die man sich in den USA wünschen würde. Sie kratzen nämlich am Selbstbewusstsein der Supermacht. Pjöngjang führt eine weitere US-Regierung am Nasenring durch die Manege. Ähnliches gilt übrigens auch für Lee Myung-bak und seine Politik gegenüber Pjöngjang. Denn das Timing sagt uns, dass Nordkorea das Uranprogramm erst dann fertig und ernsthaft ausgebaut hat, als Lee an die Macht kam und seine Politik der harten Hand begann. Auch hier ist die Botschaft klar: „Lee hat alles nur schlimmer gemacht.“ Die Drohung, dass es nicht besser wird, wenn er so fortfährt kann man sich dazudenken.

Aber auch damit ist die ganze Sache noch nicht erschöpfend betrachtet. Denn was bitte hat Nordkorea davon, die USA  zu reizen? Das kann ja nicht das alleinige Ziel gewesen sein. Nur zu demonstrieren, dass man sich von Sanktionen, politischem Druck und vermeintlicher Isolation nicht im Geringsten beeindrucken lässt, dürfte nicht das Ziel Pjöngjangs gewesen sein. Man hat sich die Mühe gemacht, jede Menge Wissenschaftler einfliegen zu lassen und sie (vermutlich) nett zu empfangen. Man war den Wissenschaftlern gegenüber ungewöhnlich transparent und zeigt zumindest viel von dem was man hat. Das alles hätte man nicht tun müssen. Man hätte die Welt noch weiter im Unklaren lassen und versuchen können, aus dieser Unklarheit Profite zu schlagen (nach dem Motto: „Ok, wir zeigen es euch, aber wir müssen dafür dies und das und so und soviel in bar kriegen“). Und da muss man vielleicht nochmal ans Jahr 2008 zurückdenken, als die letzte Runde der Sechs-Parteien-Gespräche stattgefunden hatte, als Nordkorea nach langer Verzögerung die Unterlagen zur Offenlegung des Nuklearprogramms übergaben. Zuerst wurden die Dokumente von Südkorea und den USA als vollständig anerkannt, allerdings ging es bald darauf mit den Beziehungen bergab. Das Vorgehen Nordkoreas kann man durchaus als Fortsetzung dieser Offenlegung interpretieren. Man legt damit seine neue Verhandlungsmasse auf den Tisch, denn wenn alle wissen, dass da etwas ist und was es genau ist, ist ja auch klar, dass sie darüber werden reden wollen. Das Vorgehen Nordkoreas sagt: „Wir sind bereit darüber zu reden. Unser komplettes Nuklearprogramm liegt auf dem Verhandlungstisch.“ Es dürfte sich hierbei wohl wieder mal um ein verklausuliertes nordkoreanisches Gesprächsangebot handeln und wenn man in Washington und Seoul auch nur im Geringsten Interesse an Gesprächen hat, dann sollte man schnell aufhören von Provokationen zu fabulieren, „strategic patience“ begraben und ernsthaft versuchen, zu Verhandlungen zurückzukehren. Schließlich dürfte jedem klar sein, dass Pjöngjang sonst bald auch noch über einen beträchtlichen Haufen Uran verfügt und damit einfacher kleinere Bomben bauen kann. Und das will niemand.

Bitter für die USA aber wahr. Sie wurden mal wieder mit ihrer eigenen Strategie geschlagen. Während US-Präsidenten und Außenminister gerne über „Carrots and Sticks“ reden, benutzt Pjöngjang die Methode. Während die USA eine eklig gammelige Karotte anbieten und gleichzeitig mit einem Stöckchen drohen, über das Pjöngjang nur lacht (in der Ecke steht noch eine Keule, aber die bekommen die Verantwortlichen wohl nicht gehoben), piesackt Kim’s Regime die USA permanent mit wohldosierten Schlägen, die oft überraschend treffen, während die Karotte: „Endlich Ruhe auf der Koreanischen Halbinsel und kein permanenter nuklearer Unruheherd“ zunehmend gezuckert erscheint. Daher möchte ich mich (erstaunlicherweise dieses eine Mal) dem Fazit der Autoren der Washington Post anschließen (die scheinbar mit Hecker in Nordkorea waren):

Being realistic about the North makes no moral judgment about its system or policies, nor does it cede anything in terms of our values or goals. U.S. policymakers need to go back to square one. A realistic place to start fresh may be quite simple: accepting the existence of North Korea as it is, a sovereign state with its own interests.

Eine andere Möglichkeit bleibt Washington wohl nicht.

P.S. Was noch fehlen würde wäre ein KCNA-Artikel „Kim Jong Il provides field guidance to … Uranium enrichment facility“ samt ein paar nichtssagender Fotos. Wenn ich Stratege in Pjöngjang wäre, würde das dazu gehören. Mit dabei wäre dann auch Kim Jong Un, der wahrscheinlich die Urananreicherung alleine erfunden und aufgebaut hat…

Leichtwasserreaktoren, ihr Brennstoff und was wir alles nicht wissen


Update (19.11.2010): Da hätte ich mal einen Tag warten sollen mit diesem Artikel. Dann hätte ich nämlich noch die Auswertungen aktueller Satellitenbilder von ISIS hinzufügen können. Die neuen Infos wurden nämlich gestern veröffentlicht. Auf Bildern vom 04.11. ist dabei deutlich zu sehen, dass es rege Bautätigkeiten auf dem Gelände des Yongbyon-Reaktors gibt. Natürlich ist das Ding alles andere als fertig, aber das Fundament ist gelegt (im wahrsten Sinne).

Ursprünglicher Beitrag (18.11.2010): Kürzlich gab es ja einigen Wirbel um den Bau eines Leichtwasserreaktors, der nordkoreanischen Angaben (übermittelt vom US-Experten Siegfried Hecker, der sich das Ganze kürzlich anschauen durfte) zufolge auf dem Gelände des Yongbyon-Reaktors begonnen habe. Wenn ich das richtig verstanden habe ist das die Erklärung, für die (bis dahin mysteriösen) Bautätigkeiten auf dem Gelände des gesprengten Kühlturmes dort. Der Reaktor soll eine Leistung von zwischen 25 und 30 Megawatt haben, also genau wie der alte Reaktor in Yongbyon, nicht wirklich zur Stromproduktion dienen, sondern zu Versuchszwecken. Grundsätzlich ist der Bau eines Leichtwasserreaktors auch nicht so problematisch wie der eines graphitmoderierten Reaktors ähnlich dem Alten, mit einer Leistung von 5 MW. Denn anders als dieser, würde sich ein Leichtwasserreaktor nicht zur Produktion waffenfähigen Plutoniums eignen.

Wer einen Leichtwasserreaktor hat, braucht auch Treibstoff…

Hier ist das Problem etwas anders gelagert, denn man benötigt angereichertes Uran um einen Leichtwasserreaktor zu betreiben (wer ab und zu den Nachrichten über den Iran lauscht, der dürfte mit ein paar Hintergründen versorgt sein). Und wenn ein Leichtwasserreaktor gebaut wird, dann ist wohl auch zu erwarten, dass man sich die Fähigkeit zur Produktion des Treibstoffs für diesen Reaktor zulegt. Und damit sind wir mal wieder bei dem geheimnisvollen Urananreicherungsprogramm Nordkoreas, über das eigentlich niemand so recht was weiß.

…das vielseitig verwendbare Uran

Glücklicherweise haben David Albright und Paul Brannan vom Institute for Science and International Security (ISIS) das gesammelte Unwissen über den Stand des Programmes erst  vor gut einem Monat in einem umfangreichen Bericht (30 Seiten) zusammengefasst. Ich habe den nur in Auszügen gelesen, also eine spannende Stelle, das Fazit und die Zusammenfassung der Ergebnisse, aber das reicht mir vorerst. Wenn ihr mehr wissen wollt könnt ihr hier selbst nachlesen. Aus den Mengen der nach Nordkorea geschmuggelten Materialien zum Bau von Gaszentrifugen zur Anreicherung von Uran geht hervor, dass das Land eine Fabrik mit bis zu 3.000 Gaszentrifugen betreiben, oder innerhalb des nächsten Jahrzehnts aufbauen könnte. Damit könnte man waffenfähiges Uran für 1 bis 2 Atombomben im Jahr produzieren (Atombomben mit Uran als Spaltmaterial sind einfacher zu handhaben und vor allen Dingen zu miniaturisieren). Allerdings gibt es nur sehr grobe könnte und vielleicht Angaben und soweit ich das verstanden habe, beruht die Schätzung auf der Menge nach Nordkorea geschmuggelter Aluminiumrohre. Allerdings weiß man nicht, ob auch alle anderen Materialien, die auf dem Einkaufszettel standen, besorgt werden konnten. Was das Programm angeht, bewegt man sich also weiter im Ungewissen.

Deutschland die Exportnation. Auch Nordkorea profitierte (fast)

Gewiss und für mich interessant ist allerdings, dass zur Errichtung des Programms auch (mal wieder) deutsche Ingenieurskunst (das ist übertrieben, eigentlich war die deutsche Firma nur Zwischenhändler) gefragt war. Allem Anschein nach besorgte die Optronic GmbH aus Königsbronn nämlich, für ein undurchsichtiges Firmennetzwerk unter der Leitung des Chefeinkäufers Yun Ho-jin, das scheinbar zum Einkauf schwierig zu besorgender Waren aufgebaut worden war, ebensolche Aluminiumrohre zum Bau von Gaszentrifugen. Zwar bekam Optronic den Export der Rohre nach Nordkorea von den deutschen Behörden verboten, allerdings schien das die Firmenführung nicht weiter zu interessieren, so dass die Rohre verschifft wurden. Allerdings bekamen die Behörden Wind davon und die Ladung wurde in Ägypten entladen. Insgesamt hätte Optronic Rohre für 4.000 Zentrifugen liefern sollen/wollen (Geld stinkt halt nicht und strahlen tut es erst recht nicht). Aber es wäre ja auch eine Schande, wenn irgendwo auf der Welt Waffenfabriken oder ähnliches gebaut werden und keine Deutsche Firma mitmischt. Als Exportnation Nummer zwei ist das wohl eine Frage der Ehre!

Die Lösung: Verhandlungen. Das kann teuer werden

Die Autoren des Berichts sprechen sich dafür aus, dass die Sache mit der Urananreicherung auf dem Verhandlungsweg, also im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche geklärt wird. Grundsätzlich kein schlechter Plan. Aber das dürfte mal wieder ganzschön teuer werden. Vermutlich kostet es erstmal was, überhaupt über das Thema zu sprechen. Dann, die Anlage anzusehen und wenn sie dann tatsächlich abgebaut werden soll: Ohohoh…

Solltet ihr euch generell für das Nuklearprogramm Nordkoreas interessieren dann schaut euch die Seite von ISIS mal genauer an. Da gibt es nämlich schon seit 1992 öfter mal Berichte (ich glaub insgesamt über 50) über das Programm und wenn man das alles liest, dann ist man wohl auf einem relativ umfassenden Stand…

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