Heute schreibt und spricht ja jeder zur Hinrichtung Jang Song-thaeks und den Auswirkungen dieses Ereignisses. Dabei weiß man nicht vielmehr als gestern und die Tage davor. Das einzige Dokument, das möglicherweise Neuigkeiten enthält, ist der Bericht zum Prozess gegen Jang. Den habe ich mir mal angeguckt und alle enthaltenen Vorwürfe aufgelistet. Hier hat NK Leadership Watch den Text samt kurzem eigenen Kommentar und Bildern zur Verfügung gestellt.
Der zentrale Vorwurf war dabei ganz klar:
- die Gründung einer modernen Splittergruppe, deren Chef er seit langem war. Diese sollte den Staat umstürzen und die absolute Macht in Staat und Partei ergreifen.
Diesem Vorwurf ordnen sich alle anderen Beschuldigungen unter. Entweder indem sie zum Beleg seiner Verwerflichkeit genommen werden, oder indem sie direkt mit diesem Umsturzversuch in Verbindung gebracht werden. Seine Verwerflichkeit drückt sich in seiner moralischen Schwäche aus:
- Er hatte das Vertrauen aller drei Kims, am meisten jedoch Kim Jong Uns. Dieses Vertrauen missbrauchte er schändlich.
- Unter Kim Il Sung und Kim Jong Il wagte er es nicht, sein wahres Gesicht zu zeigen. Jedoch glaubte er mit dem Machtwechsel zu Kim Jong Un, seine Zeit sei gekommen.
Dementsprechend begann er dann, die Vorbereitungen seines Umsturzes voranzutreiben:
- Er sabotierte offen und Verdeckt die Nachfolge Kim Jong Uns.
- Als Kim Jong Un zum stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gemacht wurde, applaudierte er nur halbherzig.
Schon solche Beobachtungen werden in den Kontext der Machtpläne gesetzt:
- Jang gab zu, dass er sich so verhielt, um die Konsolidierung des Führungssystems Kim Jong Un zu sabotieren, damit er später einfacher die Macht in Partei und Staat ergreifen könnte.
Vor allem aber wird wiederholt kritisiert, dass er sich mit Kim Jong Un gleichsetzte und dass er eine Gruppe um sich scharte.
- Jang versuchte sich im Rahmen der Vor-Ort-Anleitungen Kim Jong Uns als jemand besonderes zu präsentieren, der gleichwertig mit Kim Jong Un sei.
- Um eine Gruppe aufzubauen, holte Jang Personen in seine Abteilung des Zentralkomitees der PdAK, die gegen die Führung waren und zum Teil wegen Befehlsverweigerung ernsthaft bestraft worden waren.
- Er fügte der Jugend als Mitglied einer Gruppe, die von Feinden bestochen war, Schaden zu.
- Jang ließ in wenigen Jahren Vertrauten und Schmeichler, die wegen eines ernsthaften Falls der Befehlsverweigerung gefeuert worden waren, in seine Abteilung. Er herrschte über sie als heiliges und nicht angreifbares Wesen.
Als ein weiteres zentrales Element seines Planes wird die Ausweitung administrativer Kompetenzen dargestellt:
- Er versuchte Aufgaben des Landes unter seine Kontrolle zu bringen, indem er die Mitarbeiter seiner Abteilung ausweitete und seine Tentakel nach Ministerien und anderen Institutionen ausstreckte.
Allerdings geht sehr viel Kritik in die Richtung, dass er nicht die notwendige Unterwürfigkeit und Unterordnung an den Tag gelegt habe.
- Er verhinderte die Errichtung eines Mosaiks, das Kim Il Sung und Kim Jong Il darstellte und verneinte die einmütige Anfrage einer Einheit der Sicherheitskräfte, den Inhalt eines unterschriebenen Briefs Kim Jong Uns in einen Granitblock zu meißeln und vor seinem Kommandogebäude zu errichten. Jang ließ es in einer schattigen Ecke aufstellen.
- Er verneinte systematisch die politische Linie der Partei und erweckte so den Eindruck, er sei jemand besonderes, der über den Entscheidungen der Partei stehe.
- Er verteilte Geschenke, die für Loyalität für Partei und Führer verteilt wurde an seine Vertrauten und strich dafür den Respekt ein.
- Er ließ sich von seinen Schmeichlern und seiner Abteilung „Genosse Nr. 1“ nennen.
- Er errichtete ein heterogenes Arbeitssystem und was er sagte galt mehr als die Parteipolitik.
Interessant ist der Vorwurf, er habe sich in die Kompetenzen des Kabinetts eingemischt, aber auch
- Mit der Idee, als erster Schritt seiner Machtübernahme Regierungschef zu werden, ließ er seine Abteilung die Kontrolle über zentrale Bereiche der Wirtschaft übernehmen. So wollte er die Wirtschaft in ein Chaos stürzen. Jang übernahm Aufgaben des Kabinetts und verhinderte so, dass es seine Arbeit richtig machen konnte. Dazu gehören das Aufstellen von Einheiten für den Außenhandel, die Devisengewinnung und die Verteilung von Aufenthaltsgenehmigungen.
- Als er der Partei einen falschen Bericht erstattete und die Genossen anmerkten, dass das dem von Kim Il Sung und Kim Jong Il erarbeiteten Baugesetz widerspreche meinte er nur: „Die Umformulierung des Baugesetzes würde dieses Problem lösen.“
Ausgestattet mit diesen Kompetenzen, aber auch schon vorher, sollte die Wirtschaft ins Chaos gestürzt werden:
- Er störte Baumaßnahmen in Pjöngjang, indem er Arbeiter und Material an seine Vertrauten weiterreichte, die so Geld verdienten.
- Er beauftragte seine Vertrauten, Kohle und andere Ressourcen zu verkaufen. Deshalb waren sie hoch verschuldet. Um die Schulden zu begleichen verpachtete Jang einen Teil der Rason SWZ für fünf Jahrzehnte an ein anderes Land.
- Auf Jangs Befehl hin wurden hunderte von Milliarden Won gedruckt. So verursachte er 2009 ein ökonomisches Chaos. Mit dem Geld wurde unter anderem Korruption finanziert.
- Außerdem kaufte eine von ihm aufgebaute geheime Organisation im Widerspruch zum Gesetz wichtige Metalle und verursachte so Chaos im staatlichen Finanzsystem.
Er persönlich missbrauchte Mittel und verhielt sich unmoralisch:
- Er führte ein dekadentes Leben und verteilte seit 2009 alle Arten von pornographischen Bildern unter seinen Vertrauten. Allein 2009 gab er 4,6 Millionen Euro in einem ausländischen Casino.
Seine Umsturzpläne reichten bis ins Militär:
- Jang versuchte in der Armee Einfluss zu gewinnen um einen Putsch durchzuführen.
Abschließend wird er zu seinen konkreten Plänen zitiert:
- Er wird zitiert, dass er Unzufriedenheit schüren wollte, um einen Putsch gegen Kim Jong Un auszulösen.
- Er habe Leute angesprochen, die seit längerem in Positionen seien, da er die jüngst beförderten nicht kenne. Er dachte die Armee würde putschen, wenn die Lebensbedingungen von Volk und Soldaten sich weiter verschlechterten. Er zählte auf seine Vertrauten und versuchte die Organe der Volkssicherheit für sich zu gewinnen. Außerdem versuchte er andere zu gewinnen.
- Er wollte nachdem er die Wirtschaft zugrunde gerichtet hatte Premier werden, dann mit Mitteln, die er auf unterschiedliche Weise gehortet hatte die Probleme bei den Lebensumständen der Menschen lösen, so dass Bevölkerung und Militär „Hurra!“ schreien würden und der Putsch einfach umzusetzen wäre.
- Durch sein Image als „Reformer“ würde er vom Ausland schnell Hilfe bekommen.
Aufgrund dieses „Umsturzplanes“ wurde er von der Sonderkommission schuldig gesprochen und hingerichtet.
Dieser gesamte Bericht enthält viele Komponenten, die verschiedene Funktionen erfüllen dürften. Ich versuche mal kurz die unterschiedlichen Funktionen, die ich sehe, zu erläutern:
- Rechtfertigung der Hinrichtung: Jang hat sowohl moralisch, als auch in der Realität gegen das Wertsystem der DVRK verstoßen. Er hat das Vertrauen der Führer missbraucht und er hat gegen das hierarchische Normsystem verstoßen. Außerdem hat er Volksvermögen verprasst und dem Volk geschadet, indem er gezielt seinen Lebensstandard verschlechtert hat.
- Klarstellung des Regelsystems: Jeder der nicht genug applaudiert, der sich eigene Netzwerke aufbaut, der sich mit dem Führer auf einer Ebene wähnt, der sich politischen Vorgaben der Partei aktiv oder passiv widersetz oder den Führerkult kritisiert ist verdächtig. Also sollte man als Teil der Führung all diese Regeln mit allen daraus ableitbaren Konsequenzen lieber befolgen.
- Stabilisierung der absoluten Führung Kim Jong Uns: Wer ein Netzwerk oder eine Gruppe bildet, gerät ins Blickfeld der Führung und steht potentiell auf der Abschussliste. Ohne Gruppenbildung bleibt das System leicht zu kontrollieren, denn ein alleinstehender Widerständler hat kaum die Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Außerdem prüft und kontrolliert sich aktuell jeder noch stärker auf abweichendes Verhalten.
- Maßnahmen gegen ältere Generationen werden gerechtfertigt: Wenn Jang sagt (bzw. man Jang sagen lässt…) in den älteren Generationen habe es Leute gegeben, die er ansprechen wollte und die jüngeren kenne er nicht und wenn es im Unklaren belassen wird, wen er alles für seinen Putsch gewinnen wollte, dann ist klar, dass es unter den Älteren weitere Mitglieder der Jang-Gruppe geben könnte. Jüngeren kann man dagegen vertrauen. Kim Jong Un setzt seine eigenen Vertrauten ein und wenn es Konflikte gibt, weil hierarchisch eigentlich Ältere dran wären, dann kann immer das Vertrauensargument gezogen werden. Außerdem werden sich jetzt wohl alle älteren besonders bemühen, ihr Vertrauen zu beweisen.
- Ich sehe hier Anzeichen, die gegen reformerische Ideen und Öffnung sprechen. Die Errichtung eines Mosaiks dem wirtschaftlichen Arbeiten in einer Fabrik vorzuziehen zeigt klar die Präferenz: Personenkult geht vor wirtschaftlicher Entwicklung. Vor allem zeigt aber die Denunziation Jangs als „Reformer“ und die Kritik an Maßnahmen zur Öffnung (verpachten von Land in der SWZ Rason), dass man diesem Weg kritisch gegenübersteht. Diejenigen, die sich für Öffnung einsetzen oder Zusammenarbeit mit dem Ausland werden vermutlich wesentlich vorsichtiger werden.
- Es wird ein Sündenbock konstruiert, der an allem, was in den letzten Jahren schiefging, Schuld ist: Keine Verbesserung der Lebensumstände? Jang war’s! Inflation? Jang war’s! Stillstand auf Baustellen? Jang war’s! Korruption? Jang war’s! Ausverkauf von Ressourcen? Jang war’s! Alles klar? Wenn es in den letzten Jahren Probleme gab, ist der Schuldige gefunden.
- Entlastung der eigentlich Verantwortlichen: Den Punkt, dass Jang sich in die Kompetenzen des Kabinetts gemischt haben soll finde ich spannend, denn damit nimmt man diejenigen, die offensichtlich die Misere im Land nicht behoben haben aus der Schusslinie, sie konnten ja ihre Arbeit nicht richtig machen. Damit sind sie aber ab jetzt so richtig in der Pflicht.
- Trennung der Sphären und Verantwortlichkeiten: Jeder soll das machen, was seiner Aufgabenzuschreibung entspricht. Mischt sich eine Abteilung der Partei in die Wirtschaftspolitik, kann dies Verdacht erwecken. Vielleicht ist das übertragbar. Zum Beispiel denke ich da an wirtschaftliche Aktivitäten des Militärs. Generell ist jedenfalls eine klare Funktionstrennung ein gutes Mittel gegen Machtanhäufung.
Vermutlich enthält der Subtext noch einiges mehr, aber dafür muss man sich wohl weitaus besser mit Kultur und Gesellschaft dort auskennen und wohl auch den Originaltext lesen. Aber schon interessant, wieviel hier wirklich drinsteckt und wie wenig manche Medien daraus machen. Ich meine was soll das denn, als Hauptgrund für den Sturz immernoch Korruption und Frauengeschichten anzugeben. Das läuft hier unter „weiteres“ und dient nur als Beleg für seine moralische Verkommenheit. Auch die Verweise auf einen „Militärputsch“ oder auf Kim Jong Un als Reformer finde ich sehr fragwürdig, denn die Hinweise darauf müssen sich aus irgendwas ergeben, jedenfalls nicht aus den Informationen, die aus Nordkorea kommen. Und man sollte nicht in der selbstüberschätzenden Idee an die Sache rangehen, dass die nordkoreanische Propaganda diese Texte in erster Linie für den Westen konstruiert. Da steckt vielleicht die eine oder andere Botschaft drin, aber der überwiegende Teil der Informationen adressiert die Nordkoreaner selbst.
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